Von uns Journalisten wird eine möglichst vollständige und richtige Berichterstattung erwartet. Völlig zurecht: Das Interesse an vielen Themen ist groß, und die Menschen haben Anspruch auf umfassende Angaben. Von den Akteuren erhalten wir aber oft nur unvollständige Informationen. Wenn wir dann unvollständig berichten, wird das als unsere Schuld betrachtet: Nicht die Akteure sehen bei sich eine Bringschuld für vollständige und richtige Informationen. Nein, sie sehen bei den Journalisten die Holschuld: Wir sollen uns selbst um die Informationen kümmern, die uns nicht gegeben wurden, und dann sollen wir vernünftig berichten.
Jüngstes Beispiel: Die umstrittene Mobilfunk-Planung des Vodafone-Konzerns für Monatshausen war am vergangenen Dienstag Thema im Gemeinderat. Anwesend war ein Rechtsanwalt, der dazu interessante Ausführungen machte und zu dem Ergebnis kam, dass die Gemeinde vielleicht doch Chancen hat, erfolgreich gegen den von Vodafone favorisierten Maststandort vorzugehen.
Der Rechtsanwalt hatte umfangreiche Angaben vorbereitet. Seitenweise wurden sie per Beamer an die Wand geworfen. Wie meist in solchen Fällen geht das aber so schnell, dass man als Journalist auf die Schnelle nicht alles detailliert mitschreiben kann. Es wäre eine große Hilfe für die Journalisten, wenn man solche wichtigen Unterlagen in ausgedruckter Form oder - ganz einfach - auf digitalem Weg an sie verteilen würde.
Ein Vorbild für gute Informationen liefert regelmäßig das Bauamt der Gemeinde Tutzing: Die von ihm in den Bauausschuss-Sitzungen zur Verfügung gestellten Angaben mit allen wichtigen Hintergründen sind herausragend. Auch in manchen anderen Fällen funktioniert das gut. So haben die Journalisten kürzlich auch den dicken Haushaltsplan mit grafisch gut aufbereiteten Mehrjahresübersichten erhalten. Viele andere grundlegend wichtige Informationen bekommt die Presse aber nicht, obwohl sie vielfach vorliegen. Das galt auch für die rechtlichen Ausführungen des Juristen beim Thema Mobilfunk Monatshausen. Da ist es oft nicht einfach, den Tutzinger Durchblick zu bekommen.
Ist der vorgeschlagene Alternativstandort für den Mobilfunk überhaupt einer?
Ich habe für mich eine Lösung gefunden, obwohl sie wahrscheinlich nicht ganz korrekt ist: Ich fotografiere solche Informationen von der Leinwand ab. Ich bin zwar schon einmal in einer öffentlichen Sitzung wegen des Fotografierens gerügt worden: Das sei nicht erlaubt. Aber seit einiger Zeit sagt in solchen Fällen niemand mehr etwas. Es ist auch meine einzige Chance, wenn ich nicht etliche der wirklich wichtigen Detailinformationen, die da oft an die Wand geworfen werden, verpassen will. Nebenbei schreibe ich auch noch mit, was gesagt wird. Der Rechtsanwalt hat die schriftlichen Angaben ja zusätzlich erläutert, und solche Bemerkungen sind oft besonders interessant. Es ist also ein ständiges Hin und Her: Fotografieren, zuhören, schreiben – immer abwechselnd. Da kommt man ganz schön in Stress.
Später, beim Schreiben des Berichts, führt diese Vorgehensweise dann aber nicht selten zu echten Aha-Erlebnissen. Die Kombination aus dem in der Sitzung Gesagten mit den vielen Detailinformationen, die man nun – per Foto – genau studieren kann, fördert manche wertvolle Information zu Tage. So war in der Sitzung eher nebenbei von einem Alternativstandort auf einem der Gemeinde gehörenden Grundstück für die geplante Mobilfunkanlage die Rede. Genau vorgestellt wurde dieser Alternativstandort allerdings nicht. Bei einem Vergleich mit den Beamer-Informationen schien das dann klarer zu werden: Da war sogar unter den vielen Detailangaben eine Flurnummer genannt. Mit einer Suche per digitaler Karte ließ sich herausfinden: Es handelt sich um ein Grundstück nahe der Monatshauser Straße, das etwas weiter von Monatshausen entfernt ist als der bisher von Vodafone vorgesehene Mobilfunkstandort. Im Gemeinderat war das alles nicht so ganz deutlich geworden .
Eine kurze kritische Debatte flammte in der Sitzung noch wegen eines 2020 im Gemeinderat gefassten Grundsatzbeschlusses auf. Damals war nach hitziger Diskussion mit knapper Mehrheit von 10:8 Stimmen beschlossen worden, dass bis auf Weiteres die Aufstellung von Sendeanlagen mit Frequenzen über 3,8 Gigahertz im gesamten Gemeindegebiet erst dann gemeindlich unterstützt wird, wenn „die Unbedenklichkeit für Mensch und Umwelt durch industrie- und regierungsunabhängige Wissenschaftler verlässlich nachgewiesen ist“. Was ein Kritiker dieses Beschlusses vor allem anprangern wollte, erzählte er mir nun bei einem Treffen auf der Straße: Mit dieser Entscheidung habe die Gemeinde verhindert, dass sie überhaupt einen Alternativstandort für den Mobilfunk anbieten kann. Wenn das tatsächlich so sein sollte, dann wäre der vom Rechtsanwalt nun vorgestellte Alternativstandort für Monatshausen überhaupt keiner. Aber auch dieser Aspekt wurde in der Sitzung nicht wirklich verständlich erläutert. Trotzdem erwartet der betreffende Gemeinderat. dass über all diese Zusammenhänge berichtet wird - also auch über solche, die nicht oder nur unvollständig erwähnt worden sind.
Vieles wird schon in nichtöffentlichen Sitzungen vorbesprochen
Unter Journalisten gibt es eine bekannte Auffassung: Eine Berichterstattung kann immer nur so gut sein wie die ihr zugrundeliegende Information. Daran fehlt es leider häufig. In den Tutzinger Gemeinderatssitzungen ist vielfach nicht mal genau herauszuhören, worum es eigentlich geht.
Hinzu kommen Folgen der Sitzordnung: Der Ratstisch in Tutzing ist ein Viereck, die Mitglieder des Gremiums sitzen rundherum an allen vier Seiten. Das führt dazu, dass mehrere von ihnen den Zuhörern und den Pressevertretern den Rücken zukehren. Auch die anderen Ratsmitglieder, die seitlich sitzen, sprechen „nach vorn“, zur Bürgermeisterin hin – und damit vom Publikum und von den Journalisten weg. Manche sprechen deutlich und gut verständlich, aber das gilt längst nicht für alle. Nicht wenige Redebeiträge gehen völlig unter. Wahrscheinlich wundern sich die betreffenden Ratsmitglieder dann, weshalb sie in der Berichterstattung nicht erwähnt werden. Wenn sie gelegentlich mal nach hinten, zu den Pressetischen, schauen würden, dann würden ihnen dort viele fragende Blicke auffallen. Neuerdings gibt es zwar ein Mikrofon, das gelegentlich genutzt wird. Aber schon akustisch ist trotzdem Vieles, was da gesagt wird, nur schwer, manchmal überhaupt nicht zu verstehen.
Den Akteuren, also den Mitgliedern des Gemeinderats und der Rathausspitze und Mitarbeitern der Rathausverwaltung, ist wahrscheinlich Vieles ohnehin schon bekannt. Die meisten Themen sind nämlich schon längst in nichtöffentlichen Sitzungen vorbesprochen worden. Nicht wenige wichtige Themen dringen überhaupt nicht an die Öffentlichkeit oder erst dann, wenn alles bereits entscheidungsreif ist. Ein früherer Gemeinderat hat mir einmal erzählt, für ihn seien die öffentlichen Sitzungen im Grunde langweilig gewesen, weil die meisten Entscheidungen schon vorab durch die Behandlung in nichtöffentlichen Sitzungen klar gewesen seien. Ob diese Form der Geheimhaltung immer berechtigt ist, dürfte sehr fraglich sein, denn eigentlich gibt es für die öffentliche Behandlung von Themen klare gesetzliche Vorgaben, und wenn davon abgewichen wird, muss dies konkrete Gründe haben. Aber das steht auf einem ganz anderen Blatt. Ein interessantes Beispiel sind die Mitteilungen über Entscheidungen aus vorangegangenen nichtöffentlichen Sitzungen, die es immer am Anfang gibt. Diese Mitteilungen werden häufig nur stichwortartig gemacht. Was genau dahintersteckt, ist vielfach nicht herauszuhören, obwohl es sich nicht selten um wichtige, für die Öffentlichkeit interessante Themen handelt. Gewiss drängt meistens die Zeit, und für die Ratsmitglieder ist es wahrscheinlich eher nervend, sich alles, was sie schon nichtöffentlich beschlossen haben, noch einmal öffentlich anhören zu müssen. Da wäre aber leicht Abhilfe zu schaffen, beispielsweise durch eine kurze schriftliche Zusammenfassung dessen, worum es geht, die man ans Publikum und an die Presse verteilen könnte.
Die umfangreichen nichtöffentlichen Diskussionen haben zur Folge, dass in den öffentlichen Sitzungen etliche Zusammenhänge überhaupt nicht oder nur bruchstückhaft zur Sprache kommen. Nicht selten wird sofort – ohne Diskussion – abgestimmt, ohne dass Zuhörern und Pressevertretern erklärt wird, worum es geht. Wenn Journalisten dann über die betreffenden Themen trotzdem berichten wollen, müssen sie schauen, wie sie an die benötigten Informationen kommen. In vielen Fällen besorge ich sie mir aus anderen Quellen, denn die gibt es zur Genüge. Was dann in der Berichterstattung herauskommt, findet dann offenbar auch unter den Akteuren Interesse. Ein Gemeinderat hat mir dazu mal Folgendes gesagt: „Ich freue mich immer, wenn ich nach einer Sitzung bei Ihnen lesen kann, worüber ich abgestimmt habe.“
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Hier mal eine Beispiel aus Wolnzach::
https://www.youtube.com/watch?v=Fc2oR0-tp_o&ab_channel=MarktWolnzach
Auf Grund der Heimlichlichkeit ist das natürlich unfair und keinesfalls akzeptabel.
Aber es wird weiterhin vorkommen, so lange es keine offizielle, und somit bessere Alternative gibt!
Offizielle & offene Sprachmitschnitte inkl. Übertragung würden für Akteuere wie auch für die Bürgerschaft viele Vorteile bringen.
Beispielsweise:
-> Zumindest bei allen öffentlichen Themen mehr demokratische Transparenz.
-> Ebenso klare & offene Verhältisse für die Akteure; das muss ja nicht nur hemmen, sondern kann auch motivieren.
-> Bei späteren Streitfällen steht immer ein Originaldokument zur Verfügung; boshafte Umdeutungen können leichter entlarvt werden.
Ich wundere mich auch über die gern vorgetragene Furcht vor böswilligen Nachbearbeitungen. Dank heimlicher Aufnahmen (s.o.) ist das längst schon möglich. Aber auch der gute, alte, analoge Dorftratsch war nie besser. Die mündliche Weitergabe von "Gehörtem" funktioniert schließlich nach dem Prinzip der "Stillen Post": mit jeder Weitergabe ändert sich der Inhalt ein wenig mehr bis ins Absurde.
- Aber auch der GR im “livestream” wird Bürgern und Presse in Tutzing nicht wiklich etwas nutzen, wenn weiterhin exzessiv (nicht schutzberechtigte) Sachverhalte im nicht-öffentlichen Teil der Sitzung behandelt werden.
- Wirklich alamierend - ich denke dabei an Demokratie - finde ich aber, dass nicht “nur” Bürger und Presse (die vierte Gewalt) durch dieses “System” von wichtigen Informationen und Entscheidungsfindungsprozessen ausgeschlossen werden, sondern nicht selten auch: der Gemeinderat (das Kontrollorgan) selbst!
Immer wieder mal hört man von Gemeinderäten, aber auch von der BM höchstselbst kritische Untertöne über das scheinbare Desinteresse der Bürgerschaft an den (öffentlichen) Ratssitzungen.
Nur ... wo selten Fleisch am Knochen ist, hilft alles nagen nichts.