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Das hängende Gebäude von Tutzing

Lobster-Zentrale soll den Veränderungen der Arbeitswelten gerecht werden

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Treffen in der Höhe: Vorn die Wendeltreppe, hinten die Säule, die die Hängekonstruktion trägt

Eine Säule zieht sich von tief unten im Erdreich bis ganz hinauf. Ganz hoch oben im Turm ist ein Trägerkreuz befestigt - und an ihm hängen die Geschosse. Diese Konstruktion ist eine der vielen Besonderheiten des Tutzinger Neubaus an der Ecke Bahnhofstraße/Bräuhausstraße, der die neue Zentrale des Software-Unternehmens Lobster ist. Für solche „hängenden“ Gebäude gibt es berühmte Vorbilder, so beispielsweise den BMW-Turm in München. Allein die wichtige Säule als Hauptstütze trägt 680 Tonnen. Ganz oben, im vierten Geschoss, wirkt sie relativ schmal, nach unten wird sie immer dicker. Die ungewöhnliche Bauweise ermöglicht an vielen anderen Stellen eine filigrane Architektur mit relativ dünnen Stahlstreifen.

Es ist ein auffallendes Bauwerk für eine auffallende Firma. "Ein besonderes Gebäude nicht nur für Tutzing, sondern für das ganze Fünfseenland“, sagte Lobster-Chef Martin Fischer bei einem Empfang für die Aktionsgemeinschaft Tutzinger Gewerbetreibender (IATG). „Wir sind ein Software-Unternehmen“, erläuterte Lobster-Chef Martin Fischer: „Wir verknüpfen die Digitalisierung von Unternehmen, wir automatisieren Lieferketten und Lieferanten, wir sind der Dolmetscher zwischen den Systemen der verschiedenen Unternehmen, nicht nur auf Daten-, sondern auch auf Prozessebene.“ Mit der Digitalisierung sei Lobster „voll im Trend“, sagte der Unternehmenschef überzeugt. Lobster sei europaweit vertreten, von Großbritannien über Benelux bis Frankreich. Von insgesamt 250 Mitarbeitern sind laut Fischer etwa 150 Personen in der Tutzinger Zentrale tätig.

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Ein auffallendes Gebäude für eine auffallende Firma: die Lobster-Zenrale. Links ein Stück des benachbarten Dreiecks-Baus.
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Hoher Koordinationsaufwand

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Am Fuß der Wendeltreppe stehend haben Lobster-Chef Martin Fischer (rechts) und Planer Jochen Twiehaus stolz den Neubau vorgestellt. Rechts im Bild die Bar des neuen Restaurants "Theodor". © L.G.

Planer Jochen Twiehaus, der mit seinem Team selbst unweit entfernt im Bahnhofsviertel ansässig ist, war sichtlich bewegt, als er das Gebäude bei einem Empfang für die Aktionsgemeinschaft Tutzinger Gewerbetreibender vorstellte. „Für unser Büro war das eine tolle Aufgabe“, schwärmte er, „und das in meinem Heimatort.“ Die Errichtung eines so umfangreichen, tief ins Erdreich hinein reichenden Baukörpers direkt neben den Straßen und unweit der Nachbargebäude erforderte viel Fingerspitzengefühl und hohen Koordinationsaufwand für die vielen beteiligten Firmen.

Annähernd 2000 Menschen haben im Lauf der zwei Jahre an dem Bauwerk mitgewirkt, sagt Bettina Twiehaus, die Frau des Planers, die die Gesamtbauleitung hatte. Vieles, was sich da abgespielt hat, ist von außen nicht zu sehen. „Wir haben das Gesamtgelände ausgenutzt und an alle Grenzen herangebaut“, sagt Twiehaus. Vor fünf Jahren habe die Suche nach einem Standort begonnen, berichtete er - auch anderswo. Aber die Nähe zum Tutzinger Bahnhof habe sehr attraktiv gewirkt. Damals habe es schon Pläne für die Bebauung gegeben, die allerdings den Anforderungen nicht entsprochen hätten.

Twiehaus erarbeitete mit seinem Team eine Vision aus, die im Gemeinderat gut ankam und die tatsächlich, soweit man das als Laie erkennen kann, ziemlich genau so wie damals präsentiert realisiert worden ist. Stolz erwähnte Twiehaus die damals einhellige Zustimmung des Gemeinderats, ausdrücklich lobte er eine „sehr professionelle“ Zusammenarbeit mit der Gemeinde und dem Landratsamt Starnberg. Er erinnerte sich an Besprechungen mit mehr als 20 Personen, darunter allen Fachplanern, im Sitzungssaal des Rathauses. Das gute Miteinander bestätigte bei dem Empfang Bürgermeisterin Marlene Greinwald: „Da kann man sehen, was herauskommen kann, wenn man zusammenarbeitet.“ Am 9. März 2020 war Baubeginn, im März dieses Jahres sind die ersten Mitarbeiter eingezogen.

Ein vollautomatisiertes Gebäude

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Transparente Büroräume, flexible Arbeitsplätze: Die bei Lobster praktizierte neue Arbeitswelt sorgte bei der Besichtigung für viel Gesprächsstoff © L.G.

Im Vorfeld habe man alle maßgeblichen Bürogebäude im Umfeld besichtigt, sagte Twiehaus, so auch die von Microsoft und anderen bekannten Unternehmen in München. Viele Ideen sind in den Tutzinger Bau eingeflossen. In den Decken sind überall Plastikballons untergebracht, damit Gewicht gespart wird. Das Gebäude ist völlig automatisiert, es gibt keine Lichtschalter, stattdessen Präsenzmelder und Sensoren, die alles steuern, abhängig vom Wetter und vom Verbrauch. Die grünlichen Lamellen, die dem Gebäude seine charakteristische Optik verschaffen, bewegen sich so, dass sie je nach Bedarf „die Sonne entweder einfangen oder fernhalten“, wie Twiehaus sagte. Auch wenn sie geschlossen sind, kann man durchschauen. Mit einer App können die Menschen an ihren Schreibtischen dennoch die Helligkeit und die Temperatur regulieren. Die verschiedenen Farben der Lamellen sind nach einem Zufallsprinzip angeordnet.

Auf Zuwachs ausgerichtet

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Mengen von Kabel: Was alles in dem Gebäude steckt, sah man nur während der Bauarbeiten. Hier Planer Jochen Twiehaus vor Monaten mit einem der vielen am Bau beschäftigten Fachleute. © L.G.

Es gibt drei Büroebenen, eine sich durchs gesamte Gebäude ziehende Wendeltreppe, oben eine Dachterrasse und einen Turm. Dort werde wohl Lobster-Chef Martin Fischer residieren, glauben viele, wie Twiehaus sagte. Aber das sei heutzutage im Arbeitsleben nicht mehr opportun: „Er sitzt irgendwo und sucht sich einen Arbeitsplatz.“ Bei der Besichtigung waren alle Schreibtische frei, sie wirkten förmlich ungenutzt. Das liegt offenkundig an der gewünschten Flexibilität: Bei Arbeitsschluss wird aufgeräumt, am nächsten Tag sucht man sich möglicherweise einen anderen Schreibtisch. Durch Glaswände war alles gut zu sehen. Da fragten sich einige bei der Besichtigung, ob ihnen eine derartige komplette Transparenz wirklich auf Dauer gefallen würde. Aber Fischer und Twiehaus wirkten sehr zufrieden mit diesem Arbeitsumfeld. „Das Gebäude sollte sehr flexibel sein“, betonte Twiehaus. Er kennt die unterschiedlichen Lebensgewohnheiten der Menschen: „Die einen arbeiten lieber früh morgens, die anderen in die Nacht hinein.“ Alles soll möglich sein – und der Wechsel, davon zeigt er sich überzeugt, schafft weitere Kapazitäten. Wegen flexibler Arbeitszeiten sind laut Fischer meist nicht alle rund 150 Mitarbeiter gleichzeitig anwesend. Sie brauchen nicht jeden Tag da zu sein“, sagte er. Auf „Zuwachs“ ist das Gebäude ohnehin ausgerichtet. Twiehaus gab sich sicher: „Kein Schreibtisch wird auf Dauer frei bleiben."

Haustechnik in der Tiefe ermöglicht gemütliche Dachterrasse

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Die Haustechnik befindet sich in der Tiefe © L.G.

„Wir haben uns intensiv mit den Arbeitswelten beschäftigt“, sagte Twiehaus. Fischer spannte den Bogen weit: „So ein schönes Gebäude steht im Wettbewerb zu den vielen Homeoffices.“ Da versucht er auch mit anderen Beigaben zu konkurrieren – von einem Fitnessstudio über die Kantine bis zur Dachterrasse. Im Wettbewerb sieht sich Fischer dabei auch mit den attraktiven Büroanlagen von Unternehmen wie Apple, Microsoft, Google und anderen. „Wir sind die, die ein bisschen Lokalmatador spielen“, merkte er an. Die Beschäftigten müssten nicht unbedingt nach München fahren. Viele von ihnen kommen nach seinen Angaben aus Regionen wie Weilheim oder Peißenberg, etwa 25 Teammitglieder wohnen in Tutzing, weitere im übrigen Landkreis Starnberg und seiner Umgebung. Fischer glaubt bereits einen gewissen Magnetismus des Neubaus zu erkennen. Schon die „Repräsentanz“ des neuen Gebäudes sorge dafür, dass neue Interessenten auf Lobster zukämen – offenkundig ein Vorteil in Zeiten des vielbeklagten Fachkräftemangels.

Im zweiten Untergeschoss unter der Tiefgarage, 13 Meter unter der Oberfläche, befindet sich die Haustechnik in einem großen Raum, dessen Ausmaße denen der evangelischen Kirche von Tutzing entsprechen. Die Gebäudetechnik sollte nicht aufs Dach, wie es bei vielen Bauwerken geschieht - die Dachterrasse soll vielmehr für gemütliche Treffen und auch für geschäftliche Besprechungen mit Blick weit über Tutzing, auf den See und die Berge frei bleiben. „Leider nicht für unsere Gastronomie“, bemerkte Fischer. In dem Gebäude gibt es nämlich zwei Nutzer: die Lobster-Gruppe und das ebenfalls von ihr betriebene neue Restaurant Theodor im Erdgeschoss, das tagsüber als Kantine für die Beschäftigten und Lobster und anderen Firmen fungiert sowie abends und an Wochenenden als öffentliche Gaststätte. 3500 Quadratmeter Platz sind insgesamt für Büros und Gastronomie.

Firmengründung in einer Tutzinger Wohnung

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Zusammenführung von Arbeitsplätzen, die zuvor auf vier Standorte verteilt waren: Eines der neuen Büros - derzeit, bevor neue Nachbarbauten entstehen, noch mit Blick aufs Tutzinger Krankenhaus © L.G.

Von Kühlräumen bis zu einem Fahrradkeller mit Ladestationen ist Vieles in der Tiefe untergebracht „250 Leute müssen klimatisiert werden“, sagt Twiehaus. Jeder Mensch gebe 100 Watt pro Stunde ab: „25 Kilowatt werden ständig abgegeben.“ Es gibt keine Klimaanlage, sondern eine „Bauteilaktivierung“ über Schlingen in den Betondecken. Ein Energiesparmodell sei das nicht und auch kein Null-Energie-Haus, erläuterte Twiehaus, aber alles sei auf bestem Stand der Technik. „Dazu braucht man einen visionären Bauherrn“, fügt er hinzu, „und das ist gut gelungen.“ Fischer ist der Unternehmensgründer, und er scheint ins Schwarze getroffen zu haben. Vor 20 Jahren hatte er in Tutzing in einer Wohnung der Villa Trutz angefangen. Zehn Jahre später ist er dort ausgezogen. Erst ist er nach Starnberg umgesiedelt, wenige Jahre später nach Pöcking in die „Villa Habsburg“. Auch dort wurde es bald zu eng, die Aktivitäten wurden auf vier Standorte verteilt und jetzt im neuen Tutzinger Gebäude zusammengeführt.

Hotel-Erfahrungen fürs Restaurant

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Kurvige Raumteilungen gibt es im Restaurant "Theodor", in dem sich Lobster-Chef Martin Fischer (3.v.li.), Geschäftsführer Martin Baumann (6.v.li.), Küchenchef Bernhard Maier (re.) und ihre Mitarbeiter recht wohl zu fühlen scheinen © L.G.

Angebote für die Beschäftigten über die Arbeit hinaus hat Fischer schon immer für wichtig gehalten. „Wir hatten auch schon in der Villa Habsburg einen Koch“, berichtete er. Eine kleine Küche hätte man im Neubau für 700 000 Euro bauen können, wie er sagte - nun habe man sich für eine große Küche für eine Million Euro entschieden, die auch gleich anderweitig nutzbar ist. Es gibt auch eine Bar, an der sich etliche der Lobsterianer gern nach getaner Arbeit treffen. Im Herbst soll auch Catering dazukommen.

Restaurant-Geschäftsführer Martin Baumann bringt viele Erfahrungen mit, er war unter anderem lange für Hilton-Hotels tätig, so in München und in Äthiopien, außerdem im bayerischen Umweltministerium und in Häusern der Gemeinschaftsverpflegung. Im Hilton hat er auch Bernhard Meier kennengelernt, der jetzt im „Theodor“ Küchenchef ist. Vorher war er in gleicher Funktion in großen Häusern, zuletzt im Arabella-Sheraton-Hotel am Westpark in München. Neun Mitarbeiter gibt es zurzeit im Restaurant. Zwei von ihnen waren lange im Stüberl des Feldafinger Hotels Kaiserin Elisabeth tätig, das zurzeit seinerseits Aufsehen erregt: Das gesamte Hotel soll für mehrere Jahre nicht mehr öffentlich zugänglich sein, sondern an den Siemens-Konzern vermietet werden, der seinen Feldafinger Standort neu gestaltet.

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