Wirtschaft
6.4.2020
Von vorOrt.news

Von Boehringer zum "neuen Ortskern"

Das Konzept fürs Ex-Roche-Gelände: Mehrstöckige Bauwerke, aber keine „nüchternen Bürogebäude“

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"Ein Gewerbegebiet, aber nicht langweilig und öde": In der Mitte die fünf neuen Gebäude, von denen bisher der Dreiecksbau steht. Oben "Lakeside-Living", unten das Krankenhaus.

Es war ein langer Prozess. Vor fast zwei Jahrzehnten hat der Roche-Konzern das Tutzinger Gelände des von ihm übernommenen Unternehmens Boehringer-Mannheim verlassen, das dort lange einen wichtigen Betrieb unterhalten hat. Seitdem scheiterten alle möglichen Versuche einer Neugestaltung. Das große Areal in Bahnhofsnähe blieb über Jahre eine Industriebrache. Doch nun zeichnen sich mehr und mehr die Konturen eines neuen Gewerbegebiets mit insgesamt fünf mehrgeschossigen Gebäuden ab.

Eines von ihnen, das dreieckige Bauwerk an der Bräuhausstraße, steht bisher. Daneben haben die Bauarbeiten an der neuen fünfstöckigen Firmenzentrale des IT-Unternehmens Lobster begonnen, im unteren Bereich sollen drei weitere größere Gebäude mit je vier bis fünf Stockwerken folgen. Das mittlere von ihnen soll ein Hotel mit zwei Gebäudeflügeln und einem Hof dazwischen werden. Zwischen diesen drei Gebäuden und dem Krankenhaus soll eine neue Zufahrt von der Bahnhofstraße aus entstehen.

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Zwischen dem Krankenhaus (li.) und dem Ex-Roche-Gelände (re.) soll eine neue Zufahrt von der Bahnhofstraße aus entstehen
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Verschiedenfarbige Stockwerke, zurückspringende Dachgeschosse

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Abfallend gestaffelt sind die neuen Gebäude entlang der Bahnhofstraße vorgesehen. Dunkel eines der abgebrochenen Altgebäude zum Höhenvergleich.

Stadtplaner Prof. Florian Burgstaller sprach im Gemeinderat von einem „neuen Ortskern“. Er präsentierte die aktuelle Planung und stellte besonders die Fassadengestaltung in den Vordergrund, der der Gemeinderat zustimmte. Es soll sich nicht um „nüchterne“ Bürogebäude handeln, wie Burgstaller sagte.

Mit Methoden wie verschiedenfarbigen Stockwerken und zurückspringenden Dachgeschossen soll eine Gliederung und Auflockerung der Bauwerke erreicht werden. Entlang der abwärts führenden Bahnhofstraße sollen die Bauwerke in der Höhe abfallend gestaffelt werden, so dass sie zum Ort hin immer niedriger werden. Besonderen Wert legte Burgstaller auf das Gesamtkonzept. „Es geht nicht um einzelne Häuser“, sagte er, „sondern um den Zusammenhang auf dem Weg vom Bahnhof zum See.“ Eine Wegebeziehung mit verschiedenen Plätzen, Restaurants, einem Biergarten und weiteren Aufenthaltsmöglichkeiten soll sich eines Tages vom Bahnhof über das ehemalige Roche-Areal und das benachbarte Krankenhaus-Gelände weiter bis zum Seeufer hinunter ziehen.

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Neuer Ortskern: Viel Leben zwischen den Gebäuden stellt sich der Stadtplaner in Zukunft vor

Ein Gewerbegebiet mit begehbaren Terrassen

Mehrere Gemeinderäte schwärmten von attraktiven, hochwertigen Bürogebäuden, so Dr. Ernst Lindl (CSU) und Dr. Wolfgang Behrens-Ramberg (Tutzinger Liste). Der mit den neuen Bauten entstehende zunehmend städtische Charakter des Tutzinger Bahnhofsviertels sorgte nur noch für wenig Diskussionen. Leider sei die ganze Planung „unerfreulich städtisch“ geworden, sagte Ortsplanungsreferent Wolfgang Marchner (Bürger für Tutzing), der das Konzept aber ansonsten lobte: „Das ist ein Gewerbegebiet, aber nicht langweilig und öde.“ Begehbare Terrassen, wie sie vorgesehen sind, seien nicht gerade typisch für ein Gewerbegebiet. Man dürfe auch nicht die frühere Situation mit den Ruinen der alten Industriegebäude vergessen: „Das war auch nicht gerade ein erfreulicher Anblick.“

Der "städtische Standard" begann mit "Lakeside-Living"

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"Wesentlich höher als was kommen wird.": Die Altbauten von Boehringer-Mannheim © Fotos und Skizzen: Prof. Florian Burgstaller / L.G.

Zur Größe der neuen Gebäude sagte Burgstaller. "Was da mal stand, war wesentlich höher als was kommen wird."

Den städtischen „Standard“ habe man vor Jahren mit der benachbarten Wohnsiedlung Lakeside-Living geschaffen, sagte Bernd Pfitzner (Grüne), der dem neuen Konzept positive Aspekte abgewinnt: „Das ist im Landkreis Starnberg mein Lieblingsgewerbegebiet.“ Der Standort befinde sich im Ort, und es würden keine zusätzlichen Flächen versiegelt.

Christine Nimbach (Grüne) plädierte für Begrünung der Dachflächen und insgesamt für „mehr Nachhaltigkeit“, so beim Lobster-Gebäude. Marchner erinnerte auch an hohe Kosten, die die Eigentümer zu übernehmen hatten, so mit der Verlegung der Bräuhausstraße und dem Abbruch der alten Gebäude. Dem Unternehmen Boehringer-Mannheim habe man einst an dieser Stelle Bauten erlaubt, sagte er, „die man heute nicht mehr genehmigen würde“.

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"Torte" und Foursite: Blick von der Bräuhausstraße in Richtung Bahnhofstraße © Gerd Vahsen
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"Torte" (li.), FourSite (re.), Lakeside Living: Blick in die Bräuhausstraße etwa von der Bahnhofstraße aus © Gerd Vahsen
ID: 2864
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Kommentare

Lieber Herr Meister, Ihre Antwort geht am Thema vorbei.

Jeder versteht dass Tutzing Gewerbesteuer möchte und dazu Anstrengungen unternimmt. Der Sinn eines Gewerbegebietes ist auch jedem klar und unbestritten. Das ist nicht das Thema.

Unverständlich ist jedoch wo und wie langsam und nervend für die Umwelt das speziell hier auf dem alten TGZ Gelände geschieht. An anderer Stelle entstehen ganze Ortsteile während man hier seit Jahren noch am Abbruch baggert.

Zeigt aber damit auch dass die Nachfrage nicht so hoch sein kann. Auch die von Ihnen zitierte verkehrsgünstige Lage am Bahnhof hört dann auf, wenn die Firma etwas größer und die internationaleren Kunden/Besucher mit dem Flieger anreisen. Für meine Firma wäre dieser Standort undenkbar gewesen.

Für den Standort Tutzing mit seiner einmaligen Lage wäre es m.E. viel sinnvoller an Tourismuskonzepten zu arbeiten, statt innerorts Gewerbegebiete zu forcieren.

Und was das jetzige Ensemble angeht. Auch wenn Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Ein Bild sagt wohl alles. Schlimmer geht kaum (siehe die beiden Fotos direkt über den Kommentaren).

Bleibt zu hoffen dass künftige Bauten schöner werden.
(Bearbeitet)
Als Mieter und Gewerbetreibender im FourSite kann ich mich leider dieser Meinung nicht anschließen. Mir persönlich gefällt die Neuentwicklung dieses Areals sehr gut. Ich finde es bereichert Tutzing. Ist es gerade nicht auch die Mischung aus Tradition und Moderne, die einen besonderen Reiz ausmachen können? Ein modernes Gewerbegebiet innerorts mit attraktiven Dienstleistungen, das stärkt doch die Attraktivität von Tutzing als Arbeitsstandort. Meine Kunden aus ganz Deutschland sind jedenfalls sehr angetan von der modernen Arbeitsatmosphäre am Starnberger See. In dieser Lage (perfekte Bahnanbindung) und den noch anstehenden Gebäuden steckt ein großes Potenzial für Gewerbesteuereinnahmen der Gemeinde. Und das ist doch für den ganzen Ort gut.
Den beiden Kommentaren hier ist nichts hinzuzufügen. Einzig: diese Sicht auf die Dinge ist wohl bei einigen Gemeinderäten, meist hinter vorgehaltener Hand, von Anbeginn geteilt worden. Verhindert haben bzw. verhindern konnten sie diese Entwicklung nicht. Traurig, Tutzing verliert unwiederbringlich seinen ländlichen Charme, zumindest in diesem städtebaulich wichtigen Areal.
Bezüglich des Ortsbildes, kann ich Herrn Vhasen nur zustimmen. Dies städischen Bauten passen nicht zum Rest von Tutzing und wirken wie ein Fremdkörper. Ich befürchte, dass der untere Teil da keine Ausnahme machen wird.
Langer Prozess ist gut. Wenn es einen Wettbewerb für die langsamste Projektentwicklung gibt dann bekommt die hier den 1. Preis. Wir wohnen seit über 10 Jahren gegen über dem TGZ. In dieser Zeit hat man es noch nicht mal geschafft alle alten Gebäude abzureissen und den Schutt zu entfernen. Entstanden ist im unteren Teil genau ein Gebäude, die Torte. Und wer mal von der Bräuhausstraße in diese Richtung sieht. Links das Lake Side, rechts die Torte. Ein viel häßlicheres Ortsbild kann man sich kaum vorstellen. Hier hat die Ortsplanung völlig versagt.

Bleibt zu hoffen, dass der untere Teil schöner wird. Vor allem aber auch dass es überhaupt Interessenten gibt, welche die hier beschriebenen Visionen verwirklichen wollen. Und man die Planung nicht ohne den Wirt gemacht hat.

Aber wenn es in diesem Tempo weiter geht werden wir das alle nicht mehr erleben.



(Bearbeitet)
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