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Tutzinger Hilferuf an Arbeitsminister Heil

Kongolesischem Mitarbeiter des „Tutzinger Hofs“ wird eigentlich bis 2020 erteilte Arbeitserlaubnis entzogen

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SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat einen Hilferuf aus Tutzing erhalten © obs/ABDA Bundesvgg. Dt. Apothekerverbände"

Unternehmen brauchen dringend Personal. Viele von ihnen sind froh, arbeitswillige Flüchtlinge als neue Mitarbeiter gewinnen zu können. Die fügen sich vielfach gut ein, sind beliebt bei Chefs, Kollegen und Kunden - müssen dann aber doch nicht selten wieder aufhören, weil sie von den Behörden keine Arbeitserlaubnis mehr bekommen. Der Ökumenische Unterstützerkreis Tutzing protestiert dagegen heftig mit einem eigens gestalteten Flyer und klagt: „Bayerische Politik verhindert Integration“.
„Bayerische Politik verhindert Integration“
Firmen verlieren ausländische Mitarbeiter

Den jüngsten Fall hat nun Werner Hensel, Mitglied im Vorstand der Tutzinger SPD, zum Anlass genommen, sich persönlich an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zu wenden. Der Minister hatte in einem Interview mit der "Augsburger Allgemeinen" gesagt, er habe tatsächlich manchmal das Gefühl, dass die falschen Menschen Deutschland verlassen müssten.

Der von Hensel erwähnte Fall betrifft Etienne Sebineza, einen 25-jährigen Mann aus dem Kongo, der seit vorigem Jahr im Gasthof und Hotel „Tutzinger Hof“ gearbeitet hat. Das für ihn zuständige Landratsamt Weilheim hatte ihm eine Arbeitserlaubnis bis zum Jahr 2020 erteilt, obwohl sein Ausweis nur bis Mai 2018 galt. Die Ausländerbehörde in München hat eine Verlängerung abgelehnt und den Ausweis ungültig gemacht. Damit war es auch mit der - eigentlich bis 200 erteilten - Arbeitserlaubnis vorbei.

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Petra Gsinn, die Inhaberin des "Tutzinger Hofs", ist tief enttäuscht © L.G.
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Im "Tutzinger Hof" fehlt Sebineza erheblich

Petra Gsinn, die Inhaberin des „Tutzinger Hofs“, und ihr Lebensgefährte Rolf Läkamp sind tief enttäuscht. Sie würden Sebineza nur zu gern weiter beschäftigen. Sie waren zufrieden mit seiner Arbeit, schätzten seinen freundlichen Umgang mit den Gästen und seine Zuverlässigkeit. In ihrer Belegschaft fehlt er ihnen erheblich, Petra Gsinn muss zeitweise die Arbeit selbst erledigen.

"Den Bedürfnissen des Zusammenlebens pragmatisch Rechnung tragen"

Hensel sendet an Minister Heil quasi einen Hilferuf. Er fragt ihn konkret nach Möglichkeiten der Politik im Bund und insbesondere der SPD, in den speziellen Fällen von Ausbildungs- und Arbeitsverhältnissen von Asylsuchenden „Recht vor Gesetz“ zu stellen. Damit könne „den Bedürfnissen des menschlichen Zusammenlebens auf eine pragmatische und für jeden nachvollziehbar Weise Rechnung getragen werden“.

Hensel, der dies ausdrücklich als seine persönliche Meinung, nicht die des Tutzinger SPD-Ortsvereins bezeichnet, fügt ausdrücklich hinzu: „Wir interessieren uns hier nicht für irgendwelche Gefährder, sondern für Menschen, die einen Ausbildungs- oder Arbeitsvertrag miteinander geschlossen haben. Beide Vertragspartner liegen uns am Herzen, verdienen unseren Respekt und unseren besonderen Schutz.“

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Etienne Sebineza ist bei Kollegen und Gästen des "Tutzinger Hofs" beliebt © L.G.

"Etienne zahlt keine Miete mehr. Das macht jetzt wieder der Staat."

Der Brief von Werner Hensel an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in einer leicht gekürzten Fassung:

Lieber Hubertus Heil,
mit positivem Erstaunen haben wir in der letzten Woche Dein Interview und die Kritik an der zunehmenden Abschiebung gut integrierter Flüchtlinge in der Augsburger Allgemeinen Zeitung gelesen.
Dein Zitat, „tatsächlich habe ich manchmal das „Gefühl“, dass die falschen Menschen Deutschland verlassen müssen“, hat auch bei uns im Landkreis Starnberg Namen von Flüchtlingen und eng verknüpfte Geschichten mit unseren heimischen Gewerbetreibenden.

Hier ist unsere Geschichte die nicht nur ein Gefühl ist.
Unser SPD Ortsverein trifft sich regelmäßig im Tutzinger Hof in Tutzing. Ein hübscher und solide geführter Gasthof mit Hotel. Das Ehepaar das den Gasthof betreibt arbeitet hart und an manchen langen Arbeitstagen sieht man die Last in Ihren Gesichtern. Von Arbeit ganz grau! An einen lang ersehnten Urlaub ist mangels dringend benötigter Mitarbeiter nicht zu denken.

Mitarbeiter für einfache Tätigkeiten zu bekommen, ist bei einer Arbeitslosenquote von 3,1% schwierig bis fast unmöglich. Deutsche finden sich nicht und einige der Asylbewerber gehen leider immer noch auch bei uns davon aus, dass Sie demnächst noch ein Haus und ein Auto geschenkt bekommen. Das ist keine rechte Propaganda oder Scherz, sondern die Realität, mit der kleinere und mittlere Gewerbetreibende bei der Suche nach Arbeitskräften konfrontiert werden.
Die Freude ist dann natürlich groß, wenn man dann einen jungen Mann aus dem Kongo findet, der gerne arbeitet und froh ist, angekommen zu sein. Man schließt einen Arbeitsvertag. Eine „Achse der positiv Willigen“ zwischen Rolf aus Tutzing und Etienne aus dem Kongo. Hier könnte die Geschichte enden und unser deutsches Herbergsehepaar könnte den längst überfälligen Urlaub planen. Kraftreserven tanken und dann wieder einer der wenigen in Tutzing sein, die Gewerbesteuern zahlen.

Das lässt unseren Etienne uns den Inhabern vom Tutzinger Hof noch mehr aus der Masse herausheben.
Leider fand die Erstaufnahme in Griechenland statt. Hier nimmt das Drama, wie derzeit vielerorts in Bayern bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, seinen Anfang.
Etienne darf jetzt
- nicht mehr arbeiten,
- verdient kein eigenes Geld,
- zahlt keine Miete mehr.
Das macht jetzt wieder der Staat.
Nur Herr Seehofer wartet und freut sich auf seine Abschiebung. Hier in Tutzing wartet und freut sich keiner. Und das hat nichts mit Barmherzigkeit sondern mit einer bodenständigen und pragmatischen Lebenseinstellung zu tun. Im vorliegenden Fall passt es für alle Beteiligten.

Dein positiver Interviewbeitrag stellt uns vor folgende Frage:
1. Kann und will die Politik im Bund und insbesondere die SPD in den speziellen Fällen von Ausbildungs- und Arbeitsverhältnissen von Asylsuchenden Recht vor Gesetz stellen?
Damit kann den Bedürfnissen des menschlichen Zusammenlebens auf eine pragmatische und für jeden nachvollziehbar Weise Rechnung getragen werden. Ein solcher Ansatz würde Handlungsfähigkeit und Sachkompetenz der Politik / der SPD auf gruppenbezogene Probleme herausstellen.
Wir interessieren uns hier nicht für irgendwelche Gefährder sondern für Menschen, die einen Ausbildungs- oder Arbeitsvertrag miteinander geschlossen haben. Beide Vertragspartner liegen uns am Herzen, verdienen unseren Respekt und unseren besonderen Schutz.
2. In einigen Gesprächen mit Bürgern, die nicht die SPD wählen, wird in Deiner Interview-Erkenntnis ein elementarer Punkt gesehen, um zu einer nüchtern und sachlichen Migrations- und Asyldebatte zurück zu kehren. Insbesondere die CSU kann hiermit demaskiert werden. Mit einer klaren Haltung könnte die SPD den aktuell heimatlosen CSU-Wählern einen zumindest vorläufigen Hafen bieten.
Söder wird zeitnah reagieren und ein Debakel unter Umständen verhindern können.

Nie war die CSU schwächer und selten hatte die SPD in der letzteren Vergangenheit eine bessere  mediale Profilierungsmöglichkeit bekommen. Denn ehrlich: fragt man Bürger nach aktuellen politischen Erfolgen der SPD, bekommt man keine Antwort und das Baukindergeld entlockt ein spöttisches Lächeln.  Die Kassiererin bei Lidl und der Paketzusteller werden bei einigem Verstand wohl nicht den Gedanken an Wohnungseigentum verlieren.
Wir würden uns freuen, von Dir zu hören und ggf. für unseren bevorstehenden Wahlkampf einen positiven Beitrag zum Thema Migration / Asyl / Integration vertreten zu können.

Mit bestem Gruß
Werner Hensel
SPD Ortsverein Tutzing

Anm.: Dieser Brief enthält nicht die Meinung des OV Tutzing sondern ist meine persönliche Meinung.

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Beschäftigung bis 2020 gestattet, aber seit Mai 2018 ausreisepflichtig: Ausweis von Etienne Sebineza. Wie man "vollziehbar" schreibt, weiß der Sachbearbeiter der Ausländerbehörde offenbar nicht. © L.G.
ID: 1118
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