Viele Tutzinger Firmen suchen händeringend Personal, so beispielsweise in der Gastronomie. Asylbewerber kamen da nicht selten gerade recht. In Tutzing kennt man sie aus etlichen Betrieben. Sie haben sich gut gemacht, viele von ihnen sind beliebt bei ihren Kollegen, ihren Chefs und den Kunden. Doch in nicht wenigen Fällen ist damit plötzlich Schluss.
"Leute, die wir betreut haben, bekommen plötzlich keine Arbeitsgenehmigungen mehr", bestätigte Gabi Dannert, Mitarbeiterin des Ökumenischen Unterstützerkreises Tutzing, bei einem Pressegespräch. In mehreren Tutzinger Unternehmen können Asylbewerber, die dort schon tätig waren, mittlerweile nicht mehr arbeiten, beklagten die ehrenamtlichen Helfer.
Mit einem eigens erstellten Flyer (siehe Abbildung) wollen sie auf die Probleme hinweisen. Sie wenden sich mit ihm scharf gegen die Asylpolitik der bayerischen Staatsregierung. „Bayerische Politik verhindert Integration“
Um Arbeit für die Asylbewerber gekümmert haben sich in vielen Fällen hoch engagierte Bürger, die über entsprechende Kontakte verfügen - und zwar komplett ehrenamtlich.
Unterstützer wie die Tutzingerin Cornelia Janson haben vielen Flüchtlingen mit schier unendlicher Geduld Deutsch beigebracht und entscheidend dazu beigetragen, dass sie in die Schule gehen, Lehren absolvieren und dabei nicht selten beachtliche Ergebnisse erzielen konnten. Andere, so zum Beispiel der Jurist Peter Frey, haben den Asylbewerbern mit großem persönlichem Aufwand Jobs besorgt.
Der Tutzinger Ernst von der Locht hat vor Jahren Flüchtlingen in den Zelten am alten Volksfestplatz geholfen und einigen von ihnen Praktika verschafft. Zurzeit erteilt er einer Frau Unterricht, die sich im Tutzinger Kirchenasyl befindet. „Das ist nicht einfach“, sagte er, „weil sie Analphabetin ist.“
"In Tutzing wird praktisch nichts mehr vermittelt"
Nach Freys Erfahrungen gibt es etliche Unternehmen in Tutzing, die gern Asylbewerber beschäftigen würden. Doch in Tutzing werde praktisch nichts mehr vermittelt. „Das Landratsamt sagt, du kriegst Arbeit, wenn du deinen Pass hergibst“, so Frey: „Das heißt, er wird abgeschoben - für wie blöd halten die den?“ Diese Menschen würden in die Illegalität gedrängt. Folge: „Die Leute kriegen Angst und tauchen unter.“ Rund 30 Prozent von denen, die in Tutzing waren, seien schon weg.
Dabei ist Arbeit für Asylbewerber für alle Seiten das Beste - davon zeigen sich die Mitarbeiter des Unterstützerkreises überzeugt. Frey nannte das Beispiel eines Asylbewerbers, der beim Unternehmen Ruag in Oberpfaffenhofen 2700 Euro im Monat verdient habe. Sein Asylantrag sei jedoch abgelehnt worden, jetzt dürfe er nicht mehr arbeiten: „Jetzt wird er wieder vom Staat ernährt und hat keine Perspektive.“
Die Äußerungen im Roncallihaus aber waren von purem Frust geprägt. Die Vermittlung von Arbeit sei erheblich schwerer geworden, sagte Dr. Georg Strasser aus Breitbrunn, der im früheren Sprecherrat der Helferkreise im Landkreis Starnberg über Jahre Erfahrungen gesammelt hat. Menschen, denen Arbeit vermittelt worden sei, erhielten plötzlich keine Arbeitsgenehmigungen mehr.
Dabei war nach Darstellung der ehrenamtlichen Helfer alles schon mal viel besser. In den Jahren 2015 und 2016 habe es monatlich 60 bis 70 Arbeitsvermittlungen im Landkreis Starnberg gegeben, sagte Strasser. Diese Zahl sei inzwischen auf zehn oder fünf Vermittlungen im Monat heruntergebrochen.
"Zusammenarbeit mit Ausländerbehörde ist viel weniger intensiv geworden"
Cornelia Janson klang regelrecht verzweifelt, als sie von für sie unbegreiflichen Beispielen erzählte. Ein Afghane habe in Deutschland ein freiwilliges soziales Jahr absolviert, dann habe er die Aufnahmeprüfung fürs Krankenhaus bestanden - aber er habe keine Ausbildungsgenehmigung bekommen. „Wir fürchten, er rutscht in die Depression ab“, sagte sie: „Er sagt, es lohnt sich nicht, weiterzumachen, weil er ja doch keine Chance habe.“
Frey führte den Wandel auf einen Wechsel in der Leitung der Ausländerbehörde zurück. „Die Zusammenarbeit ist viel weniger intensiv geworden“, sagte Strasser. Dabei bezeichnet Frey die Situation im Landkreis Starnberg sogar im bayernweiten Vergleich als „relativ gut“. Viel besser laufe es aber zum Beispiel im Landkreis München.
Die Klagen aus Tutzing sind erheblich. Die Helferkreise würden von den Behörden als lästig betrachtet, klagten die Mitarbeiter des Unterstützerkreises. Sie würden von den Behörden als reine Hindernisse betrachtet. Immer noch soll es auch vorkommen, dass Helfer mit ihren Schützlingen stundenlang in der Behörde warten, um dann die Mitteilung zu erhalten, sie sollten am nächsten Tag wiederkommen. „Wer hat denn Zeit, acht Stunden im Ausländeramt zu sitzen für die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung?“ fragte Elke Schmitz, die Redaktionsleiterin der Monatszeitschrift „Tutzinger Nachrichten“, die selbst einschlägige Erfahrungen gesammelt hat. Folge: „Die Zahl der Menschen in den Helferkreisen ist dramatisch gesunken“, sagt Strasser.
Kampf um Arbeit für Leute, die nicht arbeiten dürfen
„Die Stimmungslage hat sich merklich verschlechtert“, sagte Tutzings Pfarrer Peter Brummer. Verständnislos zitierte er Begriffe wie „Asyltourismus“, „Antiabschiebungsindustrie“ und „Abschiebungssaboteure“. Dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder warf er vor, er habe Öl ins Feuer gegossen.
Dass der Regierungschef bei der Eröffnung des Asyl-Landesamts in Manching bei Ingolstadt auf einmal von Barmherzigkeit gesprochen hat, hält Brummer aber dennoch für „sehr beachtlich.“ Trotzdem sei für die CSU eine problematische Lücke entstanden. Er bezweifle, dass die Partei „den Verlust an Glaubwürdigkeit wieder wettmachen“ könne.
Dass es auch Ängste gibt, daraus wurde im Roncallihaus kein Geheimnis gemacht. Am Abend des selben Tages, an dem in Tutzing das Pressegespräch stattfand, lief im Fernsehsender ARD ein Bericht des Magazins „Kontraste“ über kriminelle Clans aus arabischen Großfamilien, die sozusagen eine Parallelwelt aufbauten und Polizei, Politik und Presse beschäftigten. Die Integrationsleistung in der hiesigen Region wurde aber in Tutzing als sehr positiv bezeichnet.
"Ich glaube nicht, dass es hier wirklich Ängste gibt"
In ganz wenigen Fällen sei es schief gelaufen, sagte Martin Lehmann-Dannert, der im Unterstützerkreis für einen neuen Arbeitskreis „Politik und Öffentlichkeitsarbeit“ zuständig ist: „Ich glaube nicht, dass es hier wirklich Ängste gibt.“ Lehmann-Dannert bezeichnete das Wort „Asyltourismus“ als „Zynismus hoch zwei“, wenn man bedenke, was diese Menschen durchgemacht hätten.
„Wir kämpfen darum, dass die Leute in Arbeit kommen, die nicht arbeiten dürfen“, sagte Lehmann-Dannert. Claudia Steinke betonte dabei auch ausdrücklich, dass sich der Unterstützerkreis auch dem Thema freiwillige Rückkehr befasse. Doch eher resigniert sagte sie: „Wir kommen auf Landkreis-Ebene nicht mehr weiter.“
Plädoyers für den "Spurwechsel"
Die neue Aktion mit dem Flyer wirkt wie ein Aufschrei. Die Mitarbeiter des Unterstützerkreises wollen eine generelle Veränderung der Grundhaltung, denn sie spüren eine gewisse Ohnmacht. Mehr und mehr merken sie, dass sie dabei ihrerseits Unterstützung benötigen. Deshalb hoffen sie auf Mithilfe möglichst vieler Bürger. „Es muss mehr aus der Bevölkerung kommen“, sagte Claudia Steinke.
„Wir wollen die Gesellschaft darüber informieren, dass sie mit dem aktuellen Verhalten einen Bärendienst erweist“, sagte Cornelia Janson. Mit den Ankerzentren entsteht ihrer Meinung nach ein Prekariat: „Das ist ein Bumerang, der auf die Gesellschaft zurückkommt.“ Bildung und Arbeit seien die einzigen sinnvollen Lösungen. Der Wohlstand in Deutschland komme aus einer funktionierenden und florierenden Wirtschaft, sagte Claudia Steinke: „Das läuft nur mit Arbeitskräften.“ Warnend zitierte sie aktuelle Meldungen, nach denen zurzeit 17 000 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können.
Auch das Stichwort „Spurwechsel“ gefällt den Tutzinger Helfern gut: Für gut integrierte, lernende und arbeitende Asylbewerber soll quasi nicht mehr das Asylrecht gelten. Sie sollen ihre Asylanträge zurückziehen und in Deutschland Arbeitsvisa beantragen können. Voraussetzung dafür wäre aber ein Einwanderungsgesetz, sagte Claudia Steinke.
Der Tutzinger Ansatz soll sich ausbreiten
Das alles wirkt zunächst wie der Kampf des Tutzinger David gegen den bayerischen Goliath. Kann so ein lokaler Ansatz bei einem von der großen Politik und den mächtigen Behörden bestimmten Geschehen überhaupt sinnvoll sein? Müsste angesichts der Probleme bei der Arbeitsvermittlung nicht auch der Schulterschluss mit den Wirtschaftsorganisationen wie IHK, Handwerkskammer und anderen gesucht werden?
Vernetzungen seien längst eingeleitet worden, sagen die Tutzinger Initiatoren dazu. Beispielhaft verweisen sie auf den evangelischen Pfarrer Jost Hermann, der für die Koordination des Unterstützerkreises Weilheim zuständig ist und sich seit langem auch überregional für dieses Thema engagiert, so mit der Organisation von „Asylgipfeln“ für Helferkreise aus allen möglichen Regionen. Etwa 100 Vertreter von Helferkreisen aus dem westlichen Oberbayern haben sich auf Hermanns Initiative vor einiger Zeit in der evangelischen Christuskirche von Tutzing getroffen. Auch damals ging es schon um die Frage, ob es Arbeit auch für Asylbewerber ohne hohe Bleibewahrscheinlichkeit gibt.
Die aktuellen Klagen scheinen allerdings eher auf eine weitere Verschlechterung der Stimmungslage seitdem hinzudeuten. Deshalb suchen die Tutzinger Helfer nun jede Unterstützung. Sie verweisen beispielsweise auch auf Ansätze wie kürzlich die große Demonstration in München unter dem Titel „#ausgehetzt“, bei der zigtausende Menschen aus ganz Bayern in der Münchner Innenstadt gegen die Politik der CSU demonstriert haben. So scheint sich aus verschiedenen Richtungen eine Bewegung zusammenzuballen, die in der aktuell sensiblen Lage vor der bayerischen Landtagswahl auch politisch Bedeutung erlangen könnte. Bemerkenswert dabei: Die Kritik an der CSU kommt zunehmend von Menschen, die sich selbst als konservativ bezeichnen.
"Wir kommen auf Landkreis-Ebene nicht weiter"
„Wir kommen auf Landkreis-Ebene nicht mehr weiter“, sagte auch Claudia Steinke. „Es muss mehr aus der Bevölkerung kommen, damit sich etwas ändert.“ In den meisten anderen deutschen Bundesländern werde das alles liberaler gehandhabt als in Bayern“, sagte Strasser. In der Bundespolitik sei die Arbeit von Asylbewerbern durchaus gewünscht, aber die bayerische Politik sei in dieser Hinsicht sehr gegen die Bundespolitik gerichtet.
„Uns geht es nicht um die CSU“, sagte Pfarrer Brummer, „aber man muss die Mächtigen beim Namen nennen.“ Und letztlich habe das Miteinander mit den Flüchtlingen in Tutzing schon viel bewirkt, so in Hinblick auf Hilfsbereitschaft und Respekt: „Der Austausch von Werten und kulturellen Erfahrungen hat die Menschen verändert.“
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