
„Wir werden nie dahin kommen, dass wir für jeden Schüler ein Lehrer zur Verfügung haben.“ Das hat der bayerische Kultusminister Prof. Michael Piazolo in der Evangelischen Akademie Tutzing gesagt. Das seien gewisse Utopien, erklärte er zu Forderungen nach kleineren Gruppen. Unter anderem die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte sich für kleinere Lerngruppen und zusätzliche Fachkräfte eingesetzt, wenn die Schulen wieder zum Regelbetrieb zurückkehren.
Piazolo, der früher als Dozent in der Tutzinger Akademie für politische Bildung tätig war, äußerte sich im Rahmen einer Reihe „RotundeTalk“, deren einzelne Beiträge digital per Youtube abrufbar sind. Sein Gesprächspartner war der 17-jährige Schüler Joshua Steib. Der „Jugendbotschafter“ der Akademie bezeichnete nach den Erfahrungen in der Corona-Zeit den Unterricht in Kleingruppen als „ein ganz anderes Lerngefühl“. Die Leistungsschwächeren gingen nicht unter, die Leistungsstärkeren würden trotzdem gefördert. Fast alle äußerten sich positiv über die Kleingruppen, da könne besser gelernt werden. Ob dies ein Modell für die Zukunft sein könne, fragte Steib den Minister.
Wechsel von Kleingruppen in Schulen und Unterricht daheim nicht auf Dauer

Piazolo äußerte sich aber skeptisch zu einer Beibehaltung des Wechsels von Kleingruppenarbeit in der Schule und Unterricht zu Hause. Es gebe viele Rückmeldungen von Eltern, die sich dies nicht wünschten, weil sie die Kinder daheim betreuen müssen. Die Betreuung zu Hause stelle Eltern vor enorme Herausforderungen. Gewiss lasse es sich in kleineren Gruppen leichter arbeiten. Aber es sei auch sehr teuer und aufwändig. Die Klassenstärke in Bayern sei rückläufig. Wenn man sie halbieren würde, sagte er, dann würden sich die Personalkosten verdoppeln. Bayern müsse dann zehn Milliarden Euro pro Jahr mehr ausgeben. Ein solches Modell sei nicht finanzierbar, auch fehlten die dafür nötigen Lehrkräfte.
Angesichts der angestrebten Rückkehr der Schulen zum Regelbetrieb nach den Sommerferien verwies Steib darauf, dass es in Bayern fast 1,7 Millionen Schüler gebe. Oft säßen sie in engen Klassenräumen, die Fenster würden häufig nur gekippt. „Jeder Schultag ist eine Großveranstaltung“, folgerte er, „die zu einer tickenden Zeitbombe werden kann“. Dazu erklärte Piazolo, der Gesundheitsschutz habe Priorität, doch es gebe auch Bildungsziele: „Es ist immer ein Kompromiss.“
Unterricht digital: Einige Leihgeräte sind noch übrig

Klar sprach sich der Minister gegen eine Maskenpflicht für Lehrkräfte im Unterricht aus: „Das lässt sich mal für eine halbe Stunde oder Stunde gut machen, aber für fünf, sechs Stunden ist es schwierig.“ Zum Reden gehörten auch Gesicht, Gestik und Mimik, nicht nur die Stimme. Sein Ministerium sei ständig im Gespräch mit dem Gesundheitsministerium und den Virologen darüber, wie die Gefährdung möglichst gering gehalten werden könne.
„Ein Risiko bleibt“, sagte Piazolo, „das wollen wir aber minimieren und auch viel testen.“ Nach jetziger Erfahrung sei das Infektionsgeschehen nicht von der Schule und den Kindern, sondern von Großveranstaltungen ausgegangen. Unter den Corona-Bedingungen sei der Lernfortschritt nicht im gleichen Maß erreicht worden wie zuvor im Regelbetrieb. Hier bestehe eine Verpflichtung gegenüber der jungen Generation.
Zu den Forderungen nach besserer Digitalisierung des Unterrichts sagte Piazolo, Chancengerechtigkeit sei das große Ziel der bayerischen Regierung. Den Schülern, die nicht über die erforderlichen Endgeräte verfügten, würden Leihgeräte zur Verfügung gestellt – und es seien „noch einige übrig“.
"Höheres Bildungsniveau führt nicht automatisch zu höheren Steuereinnahmen"

Kritisch äußerte sich Piazolo zu vermuteten Zusammenhängen zwischen dem Bildungsniveau und dem Verdienst der Menschen sowie den daraus resultierenden Steuereinnahmen des Staates. Nach einer Untersuchung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bringt ein Euro, der in Bildung investiert wird, angeblich eine Rendite von sechs bis zehn Prozent, wovon letztlich der Staat durch höhere Steuereinnahmen profitiert. Wissenschaftler sprechen von einer „fiskalen Bildungsrendite“.
Piazolo bezeichnete es aber als Trugschluss, dass alle soviel verdienen würden wie jetzt die Akademiker, wenn alle auf ein höheres Bildungsniveau gehoben würden. Als Beleg führte er Italien und Spanien an. Dort hätten junge Leute durchschnittlich höhere Abschlüsse, doch sie führten nicht zu höheren Steuereinnahmen in diesen Ländern. Dennoch sei jedes Geld, das in die Bildung gesteckt werde, gut angelegt. „Ich sehe aber ein, dass es auch noch andere Aufgaben gibt“, sagte er. Es sei immer ein Verteilungskampf.
Das Interview mit Kultusminister Prof. Michael Piazolo per YouTube:
https://www.youtube.com/watch?v=17nJFsqTufs&feature=youtu.be
Gespräche in der Reihe "RotundeTalk":
https://www.youtube.com/user/EATutzing/
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