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Tutzing wendet sich gegen Abschottung

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Auftakt vor der Pfarrkirche St. Joseph © L.G.

Etwa 300 Teilnehmer kamen am Abend des Mittwoch, 31. Januar, zur Tutzinger Lichterkette für Frieden und Gerechtigkeit.

Viel Beachtung gefunden haben dabei intensive Plädoyers von Akademiedirektor Udo Hahn und Altbürgermeister Dr. Alfred Leclaire für kulturelle Vielfalt und gegen nationale Abschottung. Bereits zum vierten Mal wurde eine solche Lichterkette in Tutzing veranstaltet - als Gemeinschaftsaktion mehrerer Organisatoren, von der politischen Gemeinde Tutzing, der evangelischen und der katholischen Pfarrgemeinde über die beiden Akademien am Ort bis zu den Tutzinger Schulen.

Viele Schüler beteiligten sich mit eigenen Ideen, Liedern und Texten, ebenso wie zahlreiche Musiker, von den St. Josephs-Bläsern über einen Chor der Realschule bis zu den "Blues Notes".

Leclaire: Unserem Denken ist die Abgrenzung gegenüber Menschen aus anderen Ländern fremd

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Etwa 300 Menschen nahmen teil © L.G.

Der katholische Pfarrer Peter Brummer erinnerte daran, dass die Lichterkette vor vier Jahren eine Erfindung des Pfarrgemeinderats war - „in Hinblick auf die vielen Menschen, die neu in Tutzing waren“. Dabei wies er darauf hin, dass es in Tutzing Menschen aus mehr als 100 Nationen gibt. Um die 80 Flüchtlinge befinden sich zurzeit noch in Tutzing. Etwa 20 von ihnen nahmen an der Lichterkette teil. Etliche der Flüchtlinge haben mittlerweile in Tutzing Wohnungen gefunden, leben als normale Mitbürger in der Gemeinde und „fallen gar nicht weiter auf“, sagte eine Betreuerin am Rande. Am Tag nach der Lichterkette ist eine vierköpfige Familie, die bisher in Traubing untergebracht war, in ein Haus in der Bräuhausstraße gezogen.

„Wie geht unser Zusammenleben weiter?“ fragte Brummer. In erster Linie sei diese Lichterkette nicht ein Protest „gegen“, sondern ein Protest „für“ etwas, betonte der Pfarrer. Los ging es vor der katholischen Pfarrkirche St. Joseph. Als einer der Redner zeigte sich Tutzings langjähriger Bürgermeister Dr. Alfred Leclaire dort stolz, „dass diese Staat sich eingeordnet hat in ein europäisch-überstaatliches System von Institutionen und Regeln, die wirksam gewährleisten, dass wir Europäer seit 73 Jahren in Frieden leben dürfen“. Nachdrücklich fügte er hinzu: „In unseren Köpfen hat ängstliche Abschottung hinter nationalen Grenzen keinen Platz. Unserem Denken ist auch die Abgrenzung gegenüber Menschen fremd, die aus anderen Ländern zu uns kommen und in unserem Lande leben und sich als Mitbürger in Würde entwickeln wollen. Unser alterndes Land braucht solche Zuwanderer, so wie es sie schon immer gebraucht und zu guten Mitbürgern geformt hat.“

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Hahn: Wachsende kulturelle Vielfalt schwächt das gemeinschaftliche Miteinander nicht

Udo Hahn, der Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing, setzte diese Gedankenführung fort: „Wachsende kulturelle Vielfalt schwächt das gemeinschaftliche Miteinander nicht.“ Er zitierte eine Untersuchung, nach der etwa 80 Prozent der Deutschen die kulturelle Vielfalt akzeptieren. Nur ein sehr kleiner Teil der Befragten sei dagegen überzeugt, dass es bei der Verteilung gesellschaftlicher Güter gerecht zugeht. Als eine Möglichkeit zur Abhilfe erwähnte Hahn ehrenamtliches Engagement, zu dem es in Tutzing eine hohe Bereitschaft gebe. „Aber auch in Tutzing gibt es viele“, sagte er, „die das Ehrenamt noch als Möglichkeit für sich entdecken können - als Beitrag, etwas an diese Gesellschaft zurück zu geben und anderen die Möglichkeit zur Teilhabe zu eröffnen.“ Wo ein Gemeinwesen in seinen Grundfesten auf Gerechtigkeit aufgebaut sei, da blühe dieses Gemeinwesen.

Gemeinsam besser verstehen - in drei Sprachen

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Am Kino vorbei wurde die Kette bis hinauf zur evangelischen Kirche gebildet © L.G.

Von der Kirche St. Joseph aus machten sich die Teilnehmer auf den Weg zur evangelischen Christuskirche, wo sie bereits vom evangelischen Kirchenchor und seinem Leiter Ulrich Graf von Brühl-Störlein am Keyboard erwartet wurden.

„Gemeinsam wollen wir uns besser verstehen lernen“, wurde gleich in drei Sprachen - auf deutsch, französisch und englisch - gebetet: von Pfarrerin Dorothee Geißlinger-Henckel, dem aus Senegal stammenden Sada Ndour und Martin Held, dem langjährigen Studienleiter der Evangelischen Akademie.

Die zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche schon recht ansehnliche Menschenkette wurde von dort an nur noch mäßig fortgeführt. In der Hörmannstraße gingen viele einfach weiter, so dass dort nur vereinzelt ein paar Leute mit ihren Lichtern standen. „Wenn wir die Kette ein wenig auseinanderziehen, schaffen wir es ganz leicht“, sagte Pfarrer Brummer, der inzwischen vor dem Rathaus angekommen war.

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Vor der evangelischen Kirche wartete schon der Kirchenchor © L.G.

Greinwald: Unterschiedliche Ansichten sind wichtig - aber bitte fair

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Am Rathaus gab es zum Schluss eine eindrucksvolle Kundgebung © L.G.

Aber zu diesem Zeitpunkt wurde schon nicht mehr so sehr darauf geachtet, die Menschenkette vom Rathaus über die Christuskirche und wieder zurück zu schließen. Die meisten wollten wohl die Gesänge, Aufrufe und Reden dort mitbekommen. Es war eine eindrucksvolle Kundgebung - mit dem ersten öffentlichen Auftritt der neuen Bürgermeisterin Marlene Greinwald. Sie nutzte die Gelegenheit, für fairen Umgang miteinander zu plädieren. „Das Große beginnt im Kleinen", sagte sie. Es sei ihr Ziel, den Zusammenhalt weiter zu stärken. Das bedeute jedoch nicht, dass alle immer einer Meinung sein müssten. Unterschiedliche Ansichten seien vielmehr wichtig beim Ringen um die beste Lösung. Jeder einzelne, mahnte die Rathauschefin, solle Mitverantwortung für das Gemeinwesen übernehmen.

Eindringlich wurden die Worte musikalisch unterstützt - mit mahnenden und zuversichtlich stimmenden Liedern wie "We are the world", "We shall overcome" und John Lennons "Imagine". Pfarrer Brummer freute sich auch besonders über den großen Anteil junger Leute bei der Lichterkette, den er auf rund ein Drittel der etwa 300 Teilnehmer schätzte. Anna-Maria Stöckerl brachte vor der Pfarrkirche auch konkrete Wünsche der Jugend zur Sprache, so rücksichtsvollen Umgang mit der Umwelt, Bildungs-, Arbeits- und Wohnmöglichkeiten im Ort, mitreden können und gehört werden.

Internationales Neujahrsfest am Abend

Im Roncallihaus der katholischen Pfarrgemeinde veranstaltete der ökumenische Unterstützerkreis am Abend nach der Lichterkette ein Internationales Neujahrsfest. Bei musikalischer Begleitung des Gitarristen Klaus Nagel, afghanischen Tänzen und Reis mit Hühnchen, das das Kloster der Missionsbenediktinerinnen spendiert hatte, gab es angeregte Gespräche der etwa 70 Gäste. Unter ihnen waren Marlene Greinwald mit ihrem Mann Martin Greinwald, Gemeinderäte wie Brigitte Grande und Dr. Toni Aigner sowie Flüchtlinge unter anderem aus der Zugspitzstraße und von der Rotkreuzalm.

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Quelle Titelbild: L.G.
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