Verkehr
8.3.2019
Von vorOrt.news

ÖkoMobil bleibt an Tutzing interessiert

Beim Carsharing gelten Anlaufverluste als wahrscheinlich - Nutzung unterschiedlich

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Ein Auto, viele Nutzer - die Grundidee des Carsharing © Stattauto

Martin Heinz wirkt ein wenig verwundert. Vom Verein ÖkoMobil Pfaffenwinkel, den er leitet, ist in Tutzing plötzlich nicht mehr die Rede, wenn es ums Carsharing geht. Dabei hatte er sein Konzept Mitte vorigen Jahres gleich zwei Mal in Tutzing vorgestellt. Doch die Grünen, die ihn in diese Gemeinde geholt hatten, wollen auf einmal einen anderen Anbieter für Tutzing haben, nämlich das Münchner Unternehmen „Stattauto“. Stattauto statt ÖkoMobil Pfaffenwinkel Heinz kennt Stattauto recht gut: Er war dort lange selbst tätig.

Die Abkehr von ÖkoMobil hat Bernd Pfitzner, Gemeinderat der Tutzinger Grünen, in einem Kommentar bei vorOrt.news mit finanziellen Erwägungen begründet. Die Aussichten, dass der Verein ein Auto nach Tutzing stellt, seien nicht besser als im letzten Jahr, denn der Verein scheue es, die vermuteten Verluste in der Anlaufphase über zwei bis drei Jahre zu übernehmen. Und in Tutzing sei niemand zu finden gewesen, der für diesen Zeitraum eine Umsatzgarantie von 500 Euro pro Monat abgebe, um damit die Minderumsätze auszugleichen.

Auf Nachfrage von vorOrt.news hat Heinz bestätigt, dass der Verein ÖkoMobil derzeit nicht in der Lage sei, ein Defizit in der Anfangsphase zu übernehmen: „Ich habe gesagt, dass wir nicht von uns aus ein Auto nach Tutzing stellen können.“ Mit der Anschaffung eines Fahrzeugs, Gemein- und Personalkosten, Versicherung und Steuer summiert sich nach seinen Angaben ein Betrag von mehreren hundert Euro im Monat. Den erforderlichen monatlichen Umsatz, um dies abzudecken, nennt Heinz sogar mit 600 bis 700 Euro.

Dennoch hat Heinz ein Engagement seines Vereins in Tutzing noch nicht aufgegeben. „Ich bin nach wie vor an Tutzing interessiert“, bekräftigt er: „Ich wollte mit Herrn Pfitzner nochmal darüber reden.“ Dass es nicht möglich sei, die Anlaufdefizite auszugleichen, davon habe er bisher aus Tutzing nichts gehört.

Mitfinanzierung durch Kommunen und Unternehmen

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Das dritte Auto des Vereins Carsharing in Kaufleuten , ein E-mobil Renault Zoe, wurde vom Unternehmen VWEW bezahlt © Verein Carsharing Kaufleuten

Die Anlaufverluste scheinen also zum entscheidenden Kriterium zu werden. Wie es Stattauto mit diesem Thema hält und ob das Münchner Unternehmen bereit ist, Defizite für einige Zeit zu übernehmen, dazu ist bisher nichts bekanntgegeben worden.

Bei Carsharing-Angeboten gibt es unterschiedlichste Finanzierungsbeispiele. Der Bogen spannt sich von finanziellen Beteiligungen und Partnerschaften der jeweiligen Kommunen bis zum Sponsoring durch Unternehmen. In Gauting beispielsweise werden Dienstfahrzeuge der Gemeinde nach Dienstschluss für die private Nutzung durch Stattauto-Nutzer freigegeben. In Kaufbeuren gibt es seit 2013 einen Verein Carsharing Kaufbeuren e.V., der fürs Sponsoring der Autos den regionalen Energieversorger Vereinigte Wertach-Elektrizitätswerke GmbH (VWEW-energie) gewonnen hat.

Eine Mitwirkung der Gemeinde macht auch „Stattauto“ in Tutzing zur Voraussetzung. Von ihrer Beteiligung an den Autokosten ist nicht die Rede, doch sie soll in unmittelbarer Bahnhofsnähe einen kostenlosen Stellplatz zur Verfügung stellen. Darüber hinaus soll sie auch vor Ort den Part der Führerscheinprüfung für Neumitglieder übernehmen, wie die Grünen mitteilen.

Gemeinsam haben Stattauto und ÖkoMobil Pfaffenwinkel, dass es sich in beiden Fällen um so genannte stationsbasierte Carsharing-Anbieter handelt. Das bedeutet: Nutzer müssen das Autos wieder dorthin zurückbringen, wo sie es abgeholt haben. „Free-floating“ nennt man dagegen ein Modell, bei dem man die Fahrzeuge irgendwo parken darf - allerdings in der Regel nur in bestimmten festgelegten Bereichen. Solche Angebote sind beispielsweise „DriveNow“ von BMW oder „Car2go“ von Daimler, die soeben fusioniert worden sind. Zwischen den Anhängern der Modelle gehen die Meinungen auseinander. Die einen halten die „stationsbasierten“ Autos für das einzig wahre Carsharing, die anderen schwören aufs „Free Floating“, weil man nicht gezwungen ist, das Fahrzeug wieder zurückzubringen.

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Drei Carsharing-Autos in Bernried erfreuen sich guter Nachfrage

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Reserviert für Carsharing: Parkplätze beim Reichstag in Berlin © Bundesverband Carsharing

Auch die Verfügbarkeit ist sehr unterschiedlich. In der Münchner Innenstadt muss man in der Regel nicht lange nach einem Auto Ausschau halten. Wenn man sich bei einem Carsharing-Anbieter angemeldet und sein Smartphone dabei hat, findet man per App meist gleich in der Nähe sogar mehrere Fahrzeuge. Man kann sich eines von ihnen aussuchen. Ein Klick, hineinsetzen, abfahren.

Außerhalb der Städte schaut es meist ganz anders aus. In den meisten hiesigen Gemeinden gibt es bisher, wenn überhaupt, nur einige wenige Carsharing-Autos. Stattauto gibt es außerhalb von München in 19 Gemeinden, darunter bisher vier im Landkreis Starnberg: Gauting, Gilching, Seefeld und Starnberg.

Die Nutzung von Carsharing ist offenbar recht unterschiedlich. Bei ÖkoMobil Pfaffenwinkel beträgt die Auslastung von zurzeit 22 Autos etwa 20 Prozent, wie Heinz sagt. Derzeit ist der Verein in Weilheim, Peißenberg, Peiting, Schongau, Murnau, Bernried, Penzberg und Benediktbeuern vertreten. Als sehr gut bezeichnet Heinz die Situation in Bernried. Wegen der großen Nachfrage betreibt ÖkoMobil dort mittlerweile drei Autos. Zwei von ihnen stehen am Bahnhof, das dritte befindet sich an der Kappellenstraße.

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Kommentare

Einen herzlichen Dank für Ihre genaue Darstellung der Carsharing-Thematik, Herr Dr. Goslich. So kann sich der lesende Teil Tutzings ein gutes Bild machen und die Sache als solche wird stärker publik.
Ich möchte aber noch etwas ergänzen, denn für mein Empfinden könnte man aus den beiden aktuellen Artikeln zum Thema herauslesen, Herr Heinz und ÖkoMobil Pfaffenwinkel seien von den Grünen still und leise abserviert worden. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Ich bin deshalb über die Abläufe im Bilde, weil ich das Thema selber durch ein Gespräch mit Bernd Pfitzner angestoßen habe. Es folgten dann Telefonate und Gesprächsrunden, die ich selber geführt bzw. bei denen ich Teilnehmer war.
Um die Sache nach mittlerweile über einem Jahr jetzt endlich konkret werden zu lassen, haben Bernd Pfitzner und ich im zurückliegenden Februar noch einmal Kontakt mit Martin Heinz aufgenommen. Bei den Gesprächen machten wir deutlich, dass nun eine Lösung gefunden werden soll. Wir erfuhren jedoch, dass für Ökomomobil immer noch gilt, was bislang die Prämisse war: Das Anfangsdefizit muss von der Gemeinde getragen werden (denn eine Umsatzgarantie kann natürlich nicht gegeben werden). Dass Ökomobil Pfaffenwinkel als Verein nicht zu sehr ins unternehmerische Risiko gehen möchte, war für uns nachvollziehbar, wiewohl Tutzing – auch mit Blick auf das bemerkenswerte Bernrieder Wachstum – durchaus zu einer Carsharing-Erfolgsstory werden könnte. Das Ergebnis dieser Gespräche war jedoch ganz klar: Für Herrn Heinz war die Situation unverändert und Ökomobil Pfaffenwinkel wird deshalb gegenwärtig kein Auto nach Tutzing stellen können.
Dann erst erfolgte die Kontaktaufnahme mit STATTAUTO. Dort machte man deutlich, dass wir genau im richtigen Moment anrufen, denn aktuell erfolge eine Expansionsstrategie entlang der S-Bahn-Achsen. Dabei ist STATTAUTO keineswegs ein Monopolist, der den Markt und alle Konkurrenten überrollt. Es handelt sich um ein regionales Unternehmen, mit gemeinnützigem und sozialen Anspruch (siehe dazu die Webseite). Hinzu kommt als Zusatznutzen für Tutzing der große Fahrzeugpool mit Ausweichmöglichkeiten nach Starnberg und München, der in München übrigens auch mehrere Elektrofahrzeuge umfasst.
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