Verkehr
13.2.2018
Von vorOrt.news

Debatte Hauptstraße: Tempo 30

Tempo 30 ist eines der wichtigen Stichworte in den Diskussionen zur Neugestaltung der Tutzinger Hauptstraße. Auch beim Bürgerforum am kommenden Montag, dem 19. Februar, dürfte dieses Thema eine Rolle spielen. Schon lange werden Forderungen nach einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf Tempo 30 vorgebracht, zumindest in Teilbereichen wie etwa vor den Schulen. Befürworter einer solchen Regelung fühlen sich durch neuere gesetzliche Vorgaben gestützt. Bei den verantwortlichen Behörden wird jedoch bisher kein Anlass gesehen, von der üblichen Tempo-50-Regelung abzuweichen.

In Deutschland ist die Vorfahrt innerhalb einer Tempo-30-Zone grundsätzlich durch die Regel „rechts vor links“ festgelegt - im Gegensatz zu Straßen mit Tempo-30-Schildern. Es gibt aber einen Bestandsschutz für ältere Einmündungen mit Lichtzeichen-Regelungen. Abweichend von der Grundregel kann auch "Vorfahrt an der nächsten Kreuzung oder Einmündung" angeordnet werden. Eine Besonderheit von Tempo-30-Zonen ist auch, dass dort keine benutzungspflichtigen Radwege ausgewiesen werden dürfen. Erlaubt sind nur Straßen ohne Fahrstreifenbegrenzungen und Leitlinien. Deshalb ist in Tempo-30-Zonen auch die Anlage von Schutzstreifen unzulässig.

Zum Thema Tempo 30 gab es in Tutzing schon vor Jahren Vorstöße. Ein im Jahr 2012 bereits weit gediehenes und vom Verkehrsausschuss des Gemeinderats sogar befürwortetes Konzept „Tempo 30 für ganz Tutzing“ ist damals aber nicht realisiert worden. Auch zu einem gegen Jahresende 2017 von den Tutzinger Grünen im Gemeinderat gestellten Antrag, für das gesamte Tutzinger Ortszentrum eine Tempo-30-Zone einzurichten, gibt es bisher keinen Beschluss.

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Tempo 30 geht mit "rechts vor links" einher - wie hier in Aschering © L.G.
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Vorwurf aus Tutzing: Landratsamt entscheidet "gegen das Schutzbedürfnis"

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"Gehwege sehr schmal": Hauptstraße beim Gymnasium © L.G.

Seit Monaten gibt es zu diesem Thema auch einen regen Mailverkehr vor allem zwischen dem Tutzinger Eberhard Möller und den zuständigen Behörden wie dem Landratsamt Starnberg, aber auch der Regierung von Oberbayern, aus dem die gegensätzlichen Auffassungen detailliert hervorgehen. vorOrt.news zitiert im Folgenden aus diesem Schriftwechsel:

Eberhard Möller hat schon vor Monaten gegenüber dem Landratsamt Starnberg darauf hingewiesen, dass nach dem Willen der Bundesregierung vor Schulen "künftig häufiger Tempo 30 gelten" solle. Diese Regelung sei am 30. November 2016 veröffentlicht worden und am Tag darauf in Kraft getreten. Die Entscheidung des Landratsamts, Tempo 30 vor Realschule und Gymnasium in Tutzing nicht zu befürworten, werde als falsch betrachtet.

Bezug genommen wird auf Angaben des Landratsamts, nach denen "die Anordnung eines abgesenkten Geschwindigkeitsbereichs" in Betracht komme, wenn die betreffende Einrichtung über einen direkten Zugang zur Straße verfüge oder im Nahbereich der Einrichtung Ziel- und Quellverkehr mit seinem kritischen Begleiterscheinungen, so zum Beispiel Bring- und Abholverkehr, vorhanden sei. In Tutzing träfen bei beiden Schulen jeweils beide Punkte zu: "Dennoch entscheiden Sie gegen das Schutzbedürfnis und zugunsten eines Geschwindigkeitswunsches?" fragt Möller das Landratsamt kritisch.

Zur Begründung führe das Amt unter anderem an, dass Gehwege vorhanden seien: "Ich gehe davon aus, dass es in ganz Bayern keine einzige Schule gibt, die ohne Gehweg ihren Haupt- oder sogar einzigen Zugang zu einer Staatsstraße hat?" Zudem seien die Gehwege sehr schmal. Bei entgegenkommenden Personen oder auf dem Gehweg zulässigerweise fahrenden oder schiebenden Radfahrern sei teilweise sogar ein Ausweichen auf die Staatsstraße nötig. Das Vorhandensein einer Fußgängerampel stehe einer Absenkung des Geschwindigkeitsniveaus nicht entgegen, sondern mache es umso sinnvoller, zumal hier zusätzlich zur Staatsstraße auch eine Einmündung und mehrere Bushaltestellen vorhanden seien.

"Können Sie uns erklären, wie Rad fahrende Schülerinnen und Schüler sicher z.B. das Gelände der Realschule erreichen und verlassen können? " fragt Möller die Kreisbehörde, und weiter: "Versuchen Sie dazu bitte z.B. auch einmal, morgens vor Schulbeginn ihr Fahrrad auf dem Gehweg zu schieben bei gegenläufigen Strömen von Menschen zu beiden Schulen."

Als weiteren Grund gegen die zulässige Anhebung des Schutzniveaus führe das Landratsamt die geplante Sanierungsmaßnahme an. Dazu fragt Möller: "Ändern Einschränkungen des Straßenverkehrs etwas am aktuellen Schutzbedürfnis? Warum könnte es sinnvoll sein, während der Bauarbeiten hier Tempo 50 statt 30 anzuordnen?"

Die Gemeinde Tutzing habe zudem wegen ihrer besonderen Lage keinen überregionalen Durchgangsverkehr, da dieser in Nord-Südrichtung von der B2 im Westen und der A95 im Osten aufgenommen werde sowie in Ost-West-Richtung wegen des Sees gar nicht möglich sei: '"Auch dies spricht gegen jede Notwenigkeit von Tempo 50 vor den beiden Schulen."

Landratsamt: Automatismus für Tempo 30 ist mit der Vorschrift nicht verbunden

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Landratsamt zum Gymnasium: "Hier ist es den Kindern gefahrlos möglich, die Staatsstraße zu überqueren" © L.G.

Das Landratsamt Starnberg hat daraufhin im Oktober 2017 unter anderem bestätigt, dass seit dem 14. Dezember 2016 die Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung vom 30. November.2016 (BGBl l S. 2848) gelte, die die Voraussetzungen der Straßenverkehrsordnung zur Anordnung von „Tempo-30 Beschränkungen“ zum Teil erneuere. Die Regierung von Oberbayern habe allerdings darauf hingewiesen, "dass auch für die Neuregelung bestimmte Voraussetzungen gelten, die mit den Fachstellen abgestimmt werden müssen und die nicht extensiv ausgelegt werden dürfen". Dies bedeute, dass weiterhin zwischen der Straßenverkehrs-ordnung und dem Verkehrsteilnehmer "ein öffentlich-rechtlicher Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung" bestehe.

Hierbei seien sowohl die verkehrsrechtlichen als auch die verwaltungsrechtlichen Aspekte zwingend zu berücksichtigen. Durch die Neufassung des § 45 Abs. 9 der Straßenverkehrsordnung werde die hohe Anordnungshürde für Beschränkungen des fließenden Verkehrs abgesenkt. Damit werde unter anderem die streckenbezogenene Anordnung von Geschwindigkeitsreduzierungen mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h an innerörtlich klassifizierten Straßen sowie auf weiteren Vorfahrtsstraßen im unmittelbaren Bereich an diesen Straßen gelegenen schutzwürdigen Einrichtungen wie etwa Schulen, Altenheimen oder Krankenhäusern erleichtert.

Die Möglichkeit der erleichterten Anordnung für Beschränkungen des fließenden Verkehrs vor den schutzwürdigen Einrichtungen stelle eine zusätzliche und wichtige neue Möglichkeit dar, unter Verkehrssicherheitsaspekten besonders schützenswerte Bereiche im Einzelfall sicherer zu machen, so das Landratsamt. Die allgemeine Hürde des § 45 Absatz 9 Satz 1 der Straßenverkehrsordnung, wonach Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen seien, wo dies auf Grund der besonderen Umstände erforderlich sei, bleibe von der Neuregelung jedoch unberührt: "Dadurch ist von den Straßenverkehrsbehörden weiterhin im Einzelfall zunächst zu prüfen, ob die sachlichen Voraussetzungen für eine Anordnung erfüllt sind." Ein Automatismus, dass vor den genannten Einrichtungen fortan stets Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 30 km/h anzuordnen sind, sei mit der Änderung der Vorschrift nicht verbunden. Die Regelung setze eine "ergebnisoffene Einzelfallprüfung anhand der konkreten örtlichen Verhältnisse" voraus. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei dabei zu beachten.

Prüfung einer Temporeduzierung "gerne" nach Beendigung der Sanierungsarbeiten

Im Falle einer Anordnung sei die zeitliche und räumliche Ausdehnung auf ein "erforderliches Maß" zu beschränken, erklärt das Landratsamt. Dies diene auch dazu, "die Einsichtigkeit der Beschränkung und Akzeptanz der Anordnung bei den Verkehrsteilnehmern zu erhöhen". Hierfür seien Anordnungen zeitlich auf die Öffnungszeiten der jeweils betroffenen Einrichtung, soweit solche festgelegt wurden, abzustimmen. Des Weiteren komme die Anordnung eines abgesenkten Geschwindigkeitsbereichs in Betracht, wenn die betreffende Einrichtung über einen direkten Zugang zur Straße verfüge oder im Nahbereich der Einrichtung Ziel- und Quellverkehr mit seinem kritischen Begleiterscheinungen - wie etwa Bring- und Abholverkehr - vorhanden sei. Die Wege zu diesen Einrichtungen blieben außer Betracht.

Die Festlegung der Länge, Positionierung und Beschilderung des abgesenkten Geschwindigkeitsbereich erfolge unter Beachtung der örtlichen Verhältnisse. Hierbei sei zu beachten, dass die Geschwindigkeitsreduzierung auf insgesamt höchsten 300 Meter je Fahrtrichtung zu begrenzen sei. Die einzelnen Fahrtrichtungen müssten innerhalb dieses Rahmens nicht gleich behandelt werden. Grundsätzlich sei der abgesenkte Geschwindigkeitsbereich so zu positionieren, dass sich dieser, gemessen von der Mitte des am stärksten mit Fußgängerverkehr frequentierten Zugangs der Einrichtung zur Hauptverkehrsstraße, in jede Richtung über jeweils höchstens 150 Meter erstrecke.

Konkret für Tutzing stellt das Landratsamt fest, dass sich im Zuge der Staatsstraße St.2063 (Hauptstraße) beidseitig ein Gehweg befindet und dass auf Höhe der Bahnhofstraße eine Fußgängerbedarfsampel fest installiert ist. "Hier ist es den Kindern gefahrlos möglich, die Staatsstraße zu überqueren", folgert das Amt. Des Weiteren sei aufgrund der geplanten Sanierungsmaßnahme der Staatsstraße mit erheblichen Einschränkungen des Straßenverkehrs während der Bauphase zu rechnen. Unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse, der vorhanden gesicherten Querungsmöglichkeit, der geplanten Sanierungsmaßnahme sowie den gesetzlichen Bestimmungen werde um Verständnis gebeten, dass der Antrag momentan nicht befürwortet werden könne. Es wird jedoch zugesagt: '"Gerne prüft das Landratsamt Starnberg nach Beendigung der Sanierungsarbeiten die Möglichkeit einer Geschwindigkeitsreduzierung im Zuge der Staatsstraße.

Regierung von Oberbayern: "Der Fußgänger muss sich nach dem Kfz-Verkehr richten"

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Realschule: "Voraussetzungen für Geschwindigkeitsbeschränkung liegen nicht vor" © L.G.

In einer Antwort an Eberhard Möller erklärt die Regierung von Oberbayern ausdrücklich: "Die verkehrsrechtlichen Voraussetzungen für eine Geschwindigkeitsbeschränkung liegen nicht vor." Die verkehrsrechtliche Entscheidung des Landratsamts Starnberg vom 6. Oktober 2017 sei nicht zu beanstanden. Konkret wird ausgeführt: "Die Möglichkeit der erleichterten Anordnung für Beschränkungen des fließenden Verkehrs vor den genannten Einrichtungen (z.B. Schule, Kindergärten usw.) stellt eine zusätzliche und wichtige neue Möglichkeit dar, unter Verkehrssicherheitsaspekten besonders schützenswerte Bereiche im Einzelfall sicherer zu machen."

Ein Automatismus, dass vor den genannten Einrichtungen fortan stets Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 30 km/h anzuordnen sind, ist mit der Änderung der Vorschrift nach Auffassung der Regierung von Oberbayern nicht verbunden: "Die Regelung setzt eine ergebnisoffene Einzelfallprüfung anhand der konkreten örtlichen Verhältnisse voraus. Der Nachweis besonderer örtlicher Verhältnisse, die eine Gefahrenlage bedingen, die das im Straßenverkehr allgemein anzutreffende Risiko einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit erheblich übersteigt (§ 45 Abs. 9 Satz 3 StVO), muss für die Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung nicht mehr geführt werden."

Allerdings schreibt die Regierung von Oberbayern auch: "Die allgemeine Hürde des § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO, wonach Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen sind, wo dies auf Grund der besonderen Umstände erforderlich ist, bleibt von der Neuregelung jedoch unberührt. Damit ist von den Straßenverkehrsbehörden weiterhin im Einzelfall zunächst zu prüfen, ob die sachlichen Voraussetzungen für eine Anordnung erfüllt sind. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dabei zu beachten. Neben dem Aspekt der Verkehrssicherheit sind bei der Beurteilung durch die Straßenverkehrsbehörde im Benehmen mit der Straßenbaubehörde und der Polizei auch alle weiteren relevanten Belange und Interessen, wie z. B. die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, die Funktion und Bedeutung der betroffenen Straße oder zu erwartende Auswirkungen auf den ÖPNV zu berücksichtigen. Zu prüfen ist auch, ob die erforderliche Steigerung der Verkehrssicherheit auch mit den Verkehr weniger einschränkenden, z. B. baulichen Maßnahmen ebenso erreicht werden kann. Werden solche Maßnahmen ergriffen, schließt dies eine ergänzende Anordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h (§ 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 6 StVO) nicht aus."

Es kommt nicht auf die "subjektive Ängstlichkeit" von Schülern und Eltern an

Die Straßenverkehrsordnung räume dem Kraftfahrzeugverkehr den Vorrang ein, erklärt die Regierung von Oberbayern: "Der Fußgänger muss sich nach dem Kfz-Verkehr richten und nicht der Kfz-Verkehr nach dem Fußgänger. Neben dem Vorsicht- und Rücksichtnahmegebot des Autofahrers gegenüber Kindern, alten Menschen und Behinderten habe auch der Fußgänger - und auch der Schüler - Sorgfaltspflichten. Bei Kindern sei zusätzlich die Aufsichtspflicht der Eltern, Lehrer und Erzieher einzufordern. Darüber hinaus seien zum Beispiel für die Schulwegsicherheit auch alle Verantwortlichen in der Pflicht, durch organisatorische Maßnahmen - wie etwa Verkehrshelfer zu Schulbeginn und Schulende, Patenschaften, Beaufsichtigung jüngerer durch ältere Schüler, schulische Mobilitätsbildung und so weiter die Sicherheit der Schüler auf dem Schulweg zu gewährleisten und so die Beschränkungen für den Verkehr so gering wie möglich zu halten. Darüber hinaus setze die Teilnahme am Verkehr, also der Aufenthalt im öffentlichen Verkehrsraum, die Verkehrstüchtigkeit des Verkehrsteilnehmers voraus, mahnt die Regierung. Wenn diese - wie zum Beispiel bei alten oder behinderten Menschen und bei Kindern – eingeschränkt sei, dann sei die Teilnahme am öffentlichen Verkehr nur zulässig, wenn geeignete Vorkehrungen getroffen würden, um eine Gefährdung auszuschließen. Beispielhaft genannt werden eine - etwa für Blinde) und / oder eine Begleitung.

"Aus der Rechtsprechung" zitiert die Regierung von Oberbayern weiter Folgendes: "Das Vorhandensein einer Gefahrenquelle allein reicht nicht aus. Der Verkehrsteilnehmer muss sich daher im Grundsatz dem vorhandenen Straßenzustand anpassen, also die Straße so hinnehmen wie sie sich ihm darbietet." Er müsse sich auf erkennbare Gefahren einstellen; nur wenn solche auch vom sorgfältigen Verkehrsteilnehmer nicht erkannt werden könnten und er sich darauf nicht einstellen können, müssten Maßnahmen getroffen werden. "Der Schutz des Verkehrsteilnehmers beginnt also erst dort, wo dieser sich durch eigene Sorgfalt nicht mehr schützen kann", erklärt die Regierung. Die Gefährlichkeit des Schulweges werde ausschließlich nach objektiven Gegebenheiten beurteilt. "Daher", so die Regierung, kommt es auf die durchschnittliche Belastbarkeit der Schülerinnen und Schüler eines Schuljahrgangs, nicht aber auf die individuelle Belastbarkeit einzelner Schülerinnen und Schüler oder ihre subjektive Ängstlichkeit und die ihrer Eltern an."

Quelle Titelbild: L.G.
ID: 477
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