Sport
7.4.2025
Von vorOrt.news

„Wer spielt, ist gegen Krieg“

Der Philosoph und Theologe Jochen Wagner warnt vor negativen Einflüssen auf den Sport in Tutzing

Leidenschaftlich plädiert der Philosoph und Theologe Dr. Jochen Wagner für gute Bedingungen des Sports. „Die Welt ist aus den Fugen“, sagt der langjährige Studienleiter der Evangelischen Akademie Tutzing, der auch im Fußball viele Erfahrungen als Spieler, Trainer und Funktionär gesammelt hat, im Gespräch mit vorOrt.news: „Es braucht Kleine Fluchten, Oasen aus Frieden und Freude.“ Vor diesem Hintergrund beurteilt er manche Entwicklungen in Tutzing kritisch. Schon mit dem Aus des „Sportlerstüberls“ sei der TSV Tutzing quasi obdachlos geworden. Aktuell könne der Verein in der seit zehn Tagen laufenden Rückrunde nur „dank solidarischer Hilfe der Nachbarvereine auf deren Plätzen“ spielen, weil die drei Tutzinger Plätze in deren ungepflegtem Zustand keine Spielpraxis erlaubten. Mit Bedenken sieht Wagner eine sich abzeichnende „Konkurrenz“ um den so genannten Hartplatz, der bisher dem Sport vorbehalten ist, durch andere Nutzungen. Er warnt: „Die Gesamtarchitektur sollte nicht durch sportfremde Akteure unheilbar angetastet werden.“ Vielmehr seien die seit Jahren betriebenen Bemühungen um Kunstrasen auf dem Hartplatz ein dringendes Projekt.

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"Es geht grad um sehr viel": Der Sport liegt Jochen Wagner am Herzen

Vor ein paar Tagen hat die Rückrunde in den bayerischen Fußball-Ligen begonnen. Der TSV Tutzing ist in allen Altersklassen von der F-Jugend bis zur Herren-Mannschaft, bald wieder mit einer zweiten Mannschaft und wohl auch mit den ‚Alten Herren‘, vertreten. Sie selber sind nun Mitglied im Vorstand der Fußball-Abteilung?

Jochen Wagner
Ja. Mit dem Ruhestand und nach 55 Jahren Vereinsfußball, zuletzt 25 Jahren beim TSV Tutzing, hat mich das junge Team um Chef Leo Dillmann, aus der von Heinz Stöckerl und mir vor über 20 Jahren trainierten E-Jugend, gefragt; ob ich mitmachen wolle.

… ich meine, es ist 25 Jahre her – Sie waren sehr viel am Ball?

Wagner
Ja. E-Jugend trainiert, in der zweiten Mannschaft gespielt, zum Teil trainiert, dito in der AH, dann auch Vorstand bei Ulrich Dillmann – und dazu in der Noris, der Heimatstadt Nürnberg in 2004 Gründungsmitglied der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur in Nürnberg.

Und jetzt also wieder Funktionär?

Wagner
Ja. Quasi Innenpolitik in Tutzing. Es geht grad um sehr viel, um eine nicht nur spielerische, sondern um eine kämpferische Haltung – natürlich mit Fair play, das insbesondere auch der Herr Bürgermeister Horn uns erfahren lässt. Dennoch: Wer im Pressschlag zögert, tut sich weh. Also ran an den Speck.

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"Die drei Tutzinger Plätze erlaub(t)n in deren ungepflegtem Zustand keine Spielpraxis"

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"Nostalgisch aufgeladenes Sorgenkind": Das Sportlerstüberl sieht immer noch wie eine Wirtschaft aus. Aber im Kasten neben der Tür hängt keine Speisekarte, das einst beliebte Lokal ist längst Vergangenheit

Inwiefern? Letzte Woche war ein Treffen?

Wagner
Ja. Es ist bekanntlich so, dass seit Jahren – es kommt einem ewig vor – mit dem Aus des Sportlerstüberls um Heidi und Jürgen der gesamte marode Komplex ein nostalgisch aufgeladenes Sorgenkind - das heißt, der Gesamtverein quasi ‚transzendental obdachlos‘ ist. Ein Neubau der Anlage erscheint nicht einmal realutopisch denkbar. So haben der TSV Tutzing, respektive die ehrenamtlichen VorständlerInnen – ja, mit einer höchst kompetenten Frau – der Fußballabteilung und die JM in Teilen zwei gute Räume im Erdgeschoss ansehnlich Geselligkeit und Medien kompatibel restauriert. Zugleich sind die sanitären Einrichtungen und Umkleidekabinen in Arbeit, die mehr sind, als es das bloße Auge wahrnehmen kann. Man kann alle Beteiligten, das heißt insbesondere meine jungen KollegInnen bewundern und dem Fußballgott danken für soviel Herzblut und Engagement, wofür sie nicht mal einstellige Millionensalärs empfangen wie die nochmals jüngeren Kicker etwa beim aktuellen FC Bayern München (vielleicht sollten wir Thomas Müller bei einem Pähl-Besuch kidnappen?). Aktueller: die Rückrunde läuft seit ein paar Tagen und konnte nur dank solidarischer Hilfe der Nachbarvereine auf deren Plätzen bespielt werden.

Warum?

Wagner
Weil die drei Tutzinger Plätze in deren ungepflegtem Zustand keine Spielpraxis erlaub(t)en, in einem Falle sogar vom Bayerischen Fußball-Verband die Bespielbarkeit gutachterlich aberkannt bekam. Die Rede ist vom Stadionplatz (jetzt restituiert und wohl ab Mai benutzbar), vom Hartplatz (eine Art planierte Betonwüste) sowie dem natur- oder vorkulturell-nahen Platz am Südbad (je nach Mooraktivität mit mobil-variabler Bodenbeschaffenheit in vielfältiger Mischbenutzung (allgemeiner Bolzplatz, Haustier-WC, vierrädriges Handbremse-Test-Gelände, Feuerwehr-Übungswiese … - Punktspielbetrieb je nach Verbesserungsengagement durch Fußballer selber). Die seit Jahrzehnten erträumten, diskutierten und auch schon durch Spartenbeiträge bzw. Sammlungen betriebenen Kunstrasen-Ambitionen sprechen evident für den Hartplatz (schon planiert) als zeitnahes, dringendes Projekt.

Diskutiert wurde ein Südbad-Platz, der restituierbar wäre, der aber auch öffentlicher Bolzplatz bleiben könne und der je nach Perspektive und Kalkulation für einen kleineren, abgesperrten und öffentlichen Platz flexibel benutzt werden könnte. Der grüne Stadionrasen wäre gepflegt durchaus weiterhin attraktiv. Wann immer eine Nutzung unmöglich würde, entgingen dem Verein wichtige Einnahmen. Kontrovers ist – Stichwort: Raumnot / Platzmangel in Tutzing überhaupt – derzeit insbesondere der Blick diverser, das heißt konkurrierender Akteure auf den Hartplatz: TSV Tutzing versus Feuerwehr (und/oder: Bauhof). Der Fußball-Vorstand votiert entschieden für die Unberührbarkeit der Gesamtanlage samt drei Plätzen, Tartanbahn und Option Kunstrasen auf dem Hartplatz (Flutlichtanlage vorhanden). Die Gesamtarchitektur sollte nicht durch sportfremde Akteure unheilbar angetastet werden.

"Der Sportverein ist eine transitorische solidarische Kraft"

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Mut, Lust und Zusammenhalt: Mitglieder der Fußballabteilung im TSV Tutzing bei der ISEK-Bürgerwerkstatt am 24. März im Rathaus

Und was brachte die letztwöchige Sitzung am 24. März im Rathaus?

Wagner
Bekanntlich haben Bürgermeister und Gemeinderat unter dem Begriff ISEK eine externe Firma zur perspektivischen Beratung in Sachen „Zukunftsbild Tutzing“ beauftragt. Der öffentliche Termin hat die Konstellation der jetzigen Plätze erörtert – und auch visionär gen Süden phantasiert, ob und wenn ja / nein potentielles Terrain überhaupt vorhanden sei. Die zahlreich erschienenen FußballerInnen haben fair argumentiert und ihre Argumente plausibel dargestellt. Informelle Gespräche auf dem Gang haben zum Beispiel A-Jugendliche erlebbar gemacht, deren Herz für den Fußball brennt und die sich nicht nur rhetorisch engagieren. Ein Name wie der des Tutzingers „Hollerbach“ zeigt, wie ein Bundesliga-Fußballer Mut, Lust und Zusammenhalt schafft. Will heißen: so wenig für die Jugend in Tutzing an Freizeitoptionen empirisch sich anbietet, so sehr ist der Sportverein eine transitorische solidarische Kraft, an der mit über 300 FußballerInnen auch die Nicht-Fußball-Affinen positiv partizipieren.

Wie schaut es bei Ihnen mit Fußball aus?

Wagner
Seit ich denken kann, bin ich glücklich gewesen mit Fußball und dem Glubb. Ein erster roter Plastikball hauchte – ich höre das Pfffff bis heute – sein Leben kraft einer Dorne aus. Einem pastoralen Impuls gleich, wollte ich keinen neuen Ball, sondern den Alten repariert. Unvergesslich auch das WM-Endspiel 1966 auf den Schultern meines Papas. Auch der Versuch, mich mit durchgepauster Unterschrift meines Papas mit neun beim heimischen Verein anzumelden – mit zehn Jahren ging es dann. Seither hielt ich es mit Trainer-Legende Ernst Happel: „Ein Tag ohne Fußball ist ein verlorener Tag.“

Zwei Autos hinter der Meistermannschaft im Stau

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"Der Fußball kam zu mir": Jochen Wagner konnte bei einem Spiel der Nationalmannschaft der Autoren als Torschütze jubeln

Sie waren 29 Jahre Studienleiter an der Evangelischen Akademie Tutzing … Wie kamen Sie zum Fußball?

Wagner
Der Fußball kam zu mir. Im Garten mit drei Jahren. Dann auf der Straße, wo ein Älterer uns Kleine mitspielen ließ. Dann wohl 20 Bolzplätze, international besetzt und ab zehn der örtliche Heimatverein, der mir bis heute im sabbathanischen Blau des messianischen Glücks am Wochenende, dem Punktspieltag in der Seele schwingt. Dazu hatte ein Onkel ein Album mit allen WM-Mannschaften des 20. Jahrhunderts. Dann gab es das Ritual des Bildle sammelns – vor der Schule: „Hobbi hobbi hobbi - Brauchi brauchi brauchi - Dauschi dauschi dauschi“ – also Bildertausch. Aber die Stars waren selten im Tütchen für 20 Pfennige. Oder Zufälle: Nach einem Turnier stehen wir auf der Münchner Straß' im Stau: wir sind zwei Autos hinter der Meistermannschaft 1968 im Konvoi. Oder der Kult der adidas oder Puma Schuhe. Ein Puma King, ein adidas Copa Mundial, da nähte uns die Oma die Zunge der Schuhe länger und wir spielten täglich. Erlebten die Idole vom Glubb im Stadionbad und pilgerten samstags ins Stadion (1970 zu Pelé und dem FC Santos): Wir sangen Zic Zac Zebinac und eiferten 1001 Trainings, Spiele, 50 Jahre geballtes Glück und auch OPs.

In schwarz-weiß oder Farbe?

Wagner
Ja, TV – alles, was kam, wurde optisch gefressen – heute schauen meine zwei fußballernden Söhne und ich auf zig Kanälen: „Alles Göttliche ist schön, leicht, rund und schnell“ (Lessing, Laokoon) Das passt auf meine drei Passionen: Fußball, Jazz/Pop-Gitarre, Motorrad. Ich versuche jeden Tag, dran zu bleiben. Beim Fußball ist es aktiv vorbei. Bin froh, wenn es noch zum Ballhochhalten langt. Es ist eine bluesige Trauerarbeit. Vielleicht war es Sucht und nun Entzug – wie Augustin meinte: me nutrit, me destruit – was mich nährt, mich auch zerstört.

Nachmetaphysische Helden und die Kehrseite der Passion

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"Die Nummern auf den Trikots sind regelrechte Wertschätzungshieroglyphen": Jochen Wagner spielte in der Nationalmannschaft der Autoren mit der 10

Wie lange haben Sie gespielt?

Wagner
Von 1967 bis 2018/2019. Wo immer ich war, erst aufs Rathaus, Wohnsitz anmelden, und dann zum örtlichen Fußballverein.

Nie verletzt?

Wagner
Oh doch – je älter desto ärger – das Übliche: Kreuzband rechts wie links, Achillessehne, Bänder, Menisken, Bandscheibe, Muskelrisse, und als finale Bilanz dank Polyarthritis zwei Titan-Kniegelenke.

In welcher Position?

Wagner
… bis 2018/19 als Zehner oder Fünfer, also Centro oder Libero. Signifikant bedeuten die Nummern eine spezielle Funktion, sie sind keine negative Floskel für den Menschen als bloßes Exemplar. Die Nummern auf den Trikots sind regelrechte Wertschätzungshieroglyphen, einhergehend mit einem besonderen Vermögen der Spieler, die in den 90 Minuten (plus Nachspielzeit, gegebenenfalls Verlängerung und Elfmeterschießen) wie Augenblicksgötter angehimmelt werden. Die berühmtesten Ziffern auf dem Leibchen sind wohl die 5 für den Libero Kaiser Franz Beckenbauer sowie die 10 für die Regisseure Pelé, Maradona, Rivera … den Radenkowicz (‚Bin i Radi, bin i König‘) oder Maier Sepp als die 1 im Tor (früher gehörte der Lew Jaschin dazu). Oder Terrier Berti Vogts, ein Verteidiger neben Eisenfuß 3 Höttges, dazu Schnellinger oder Katsche Schwarzenbeck als Vorstopper 4, ganz dem Kaiser Beckenbauer mit der 5 dienend, neben der 6 alla Wolfgang Weber oder Pferdelunge Bonhof oder Schlitzohr Hölzenbein oder Galan Grabowski als 8er in der Nachfolge von Helmut Haller, dazu Rechtsaußen Stan (nach Stan Mathew auf der britischen Insel) Libuda, der sogar an Gott vorbei dribbelte als 7er wie drüben auf links die 11 alla Lothar Emmerich („Gib mich die Kirsche Deutschland“) nebst Sigi Held, wie Pierre Littbarski oder Icke Hässler, schließlich die 9 alla Max Morlock, Uwe Seeler, Gerd Müller („Kraft in den Teller, Knorr auf den Tisch“), zuletzt die magischen 10er, il Dieci, the Ten, Netzer, Overath, Flohe, Magath als Krönung eben Seeler, Müller, Heynckes, Matthäus, die immer zum Sieg verpflichteten Deutschen, Klaus Fischer, die Mittelstürmer, die Weltmeister von 1954, 1974, 1990, 2014, die Jahrhundertspiele zu Mexiko, sowie die Halbgötter Fritz Walter, Pelé, Bobby Charlton, Eusebio, Uns Uwe Seeler, Beckenbauer, Bomber Müller, Rivera, Cruyff, Loddaar‘ Matthäus, Pirlo, fashion boy Beckham bis herauf zu Messi, Ronaldo …,, die Millionarios, in summa: der Spektakel-Calcio um Napolis „Messiah“ Maradona. Sie alle sind nachmetaphysische Helden, die jene alltägliche Tristess einer entzauberten Welt „ohne Gott“ mit ihren Ballartistiken, selten genug: als Fußarbeit, wieder verzaubern. … und die Kehrseite der Passion, das viele Geld, Wettbetrug, Korruption, Fifa Mafia, auch Doping, Drogen, Menschenhandel, Menschenrechte, brutale Fouls statt Fairplay, Invaliden und sonstiges Ballyhooo und Trallalaaa.

Man kann nur Miteinander gegeneinander spielen

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Gemeinsam etwas bestreben: Jochen Wagner im Gespräch mit Gerhard Polt, als der Kabarettist 2020 in der Evangelischen Akademie Tutzing zu Gast war © Polt: Nicht mehr lachen wäre "antiviral“

Also statt Sommermärchen Unsummen zum Fake?

Wagner
Gewiss, das alles ist der Sumpf als Schatten, a b e r doch zumeist oben an der Spitze. In der Breite regiert das Spiel, lebt die Sucht, via youtube den Stars ihre Tricks nachzumachen, zu brillieren und dabei das Männeken cool zu mimen. Genie ist Fleiß (Goethe) – mit Ballakrobatik aus dem Dreck in den Olymp, vom Bolzplatz in die Arena, was wäre eine bessere Gegenfigur zum Terroristen oder Söldner? Als ich im Oktober 1994 an die Evangelische Akademie Tutzing kam, war Balkankrieg. Und im alten Seehof-Hotel waren die drunten Krieg Treibenden hier Flüchtlinge, von denen 15 oder 20 beim TSV Fußball gespielt haben. Kann Integration besser sein als durchs Spiel? Das keine Klassen separiert, sondern zur gemeinsamen sich bekennt? Unter den neuen Flüchtlingen sollen vier 8- bis 12-Jährige Fußballer sein: welcome!

Zusammenhalten aus Herzensbildung?

Wagner
Es ist eine Compassion, zu spielen, zu kommunizieren. Den Flow erleben: radikal anders zu leben statt nach Kontoauszug, Aktienindex, Gewichtswaage, Wettervorhersage, Hierarchie, Markenlogo und Lotto. Dieses Versunkensein in fokussierte Intensität bedeutet: die Situation ist die Frage, die Bewegung die Antwort. Intuition, Instinkt, die Klugheit der Gefühle, das spontane Kommando des Affekts, der Ballbesitz, den man teilen muss, der Rausch einer Kombination aus dem Nichts und die Ohnmacht, ausgespielt zu taumeln – alles beschert der Competition. Wie Kompetenz vom lateinischen cumpetere kommend = gemeinsam etwas bestreben, durchdringen sich Konkurrenz und Kooperation. Rätsel oder Wunder, blindlings den Ball am Fuß und die Augen oben, hat jede/r seinen Stil. Hie profiliert sich Einer durch Kampfkraft, dort performiert vielleicht Eine mit Eleganz. Da stiftet Jemand kraft seines Vermögens dem Schweren die Erscheinungsweise schierer Leichtigkeit. Dort triumphiert ein Kämpferherz mit der Grätsche. Nicht zuletzt gibt es eine Pflicht zur Zuversicht bis zur letzten Sekunde, der mitunter ein taktisches Foul zu Hilfe kommt. Schirriiii !

In Summa: Man kann nur Miteinander gegeneinander spielen. Wer hat schon so einen common sense. Die Logik der Anerkennung des Andern macht mich automatisch zum Gesinnungsgenossen des Rivalen. Wir sind uns in der Passion verwandt, ähnlich, auch ohne Buch und Dogma begreift man das. Evident ist, dass Du auf der Straße das Sichdurchsetzen lernst und das Mitempfinden mit dem Gegen-spieler. Sagen wir’s mit Che Guevara: Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker.

Die Arena begrüßt den jubelnden Menschen zu einer Art Glücksbekenntnis

Sie meinen das Spiel als Erziehung zur Solidarität?

Wagner
Ja, unabhängig vom Fußball, seiner Hyperpräsenz, seiner Medienmacht, seiner wissenschaftlichen Erforschung als erfahrungssoziologischem, mentalem, psychologischem wie politologischem Objekt und global player sowie seiner systemischen Entwicklungen (Manndeckung, Positions- und Raumspiel, Taktiken und Paradigmenwechsel) ist Fußball eine bestimmte Haltung. Der Mensch ist ein soziales Tier, ein animal sociale und zugleich ein politisches Tier, ein zoon politikon.

Der Funktionär muss Innenpolitik u n d Außenpolitik betreiben. Er muss dem Analphabeten, der keinen Verwandten hat unterm Ball, zumindest sagen können, worum es im übertragenen Sinne geht: Spieler oder Soldat? Homo ludens versus homo nectans.

Fußball spielen als etwas Heiles?

Wagner
Ja, spielen, jouer, da steckt der Tag drin, der jour – der kostbare Augenblick. Wer kennt nicht die selbstvergessene Hingabe, ein Tun, eine Poesie, griechisch: poiein – also etwas machen, das erfüllt, befreit, verbindet, was getrennt ist. Maintenant, jetzt – was die Hand erwischt.

… kommt da der Pfarrer ans Licht?

Wagner
Vielleicht das Heilige profan? Gehst Du zum Fußball, gehst Du zum Platz aller Plätze - zum freien Raum, dem unendlichen Spielraum, für Träume. Die Arena (lateinisch Sandkasten) begrüßt den jubelnden Menschen zu einer Art Glücksbekenntnis, sie applaudiert seinem Leben. Gehst Du in die Kirche, wirst Du als Sünder mit dem Schuldbekenntnis begrüßt. Theologia crucis et anthroplogia gloriae. Leiden und Leidenschaft.

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Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt: Jubel bei der Meisterfeier der ersten Tutzinger Fußballmannschaft nach dem Aufstieg in die A-Klasse 2018 © L.G.

Spielen ist eine psychische Impfung

Ein Fazit?

Wagner
Die Welt ist aus den Fugen. Tagein tagaus Katastrophen. Ohne Sicherheit, ohne Gewissheit leben, schürt simple Schwarzweiß-Schemata für Sündenböcke. Es braucht Kleine Fluchten, Oasen aus Frieden und Freude. Wo der Mensch sich kraft seiner geschöpflichen Lust in seinem eigenen Tun selber als Inhalt erlebt. Dogma und Konsum sollen hingegen Wahres wie Ware nur einverleiben. Korrumpiert der rechte Fußball die Wahrhaftigkeit, so nährt der linke Fußball das anarchische Glück (Menotti). Sein Traum stirbt nie. Vom Spiel, Star und Team, Klein schlägt Groß, Fairplay wider Gewalt. Um zu lernen Begeisterung statt Depression, Siegen ohne Opfer, Verlieren ohne Hass. Phantasie für Gegenwelten. Wer spielt, ist gegen Krieg. Spielen ist eine psychische Impfung. Wer sich verletzt, soll wieder fit werden. „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt, und er spielt nur dort, wo er ganz Mensch ist.“ Mit Friedrich Schiller: Jeder kann was / niemand alles / niemand nix / was ich kann, gehört dem Team / was meine Mitspieler nicht können, verpflichtet mich / miteinander gewinnen und verlieren, lachen und weinen, absteigen und aufsteigen / im Fußball halten wir zamm – trotz Eigentor, verschossnem Elfer, Fehlpass und Ballverlust. Niemand kommt an den Pranger als Sündenbock. Fußball schult das Leben – inteam, kreativ, solidarisch. „Fußball ist die letzte heilige Handlung“ (Pasolini). You’ll never walk alone! Futuremaker steht auf dem Trikot vom FC Liverpool.

Dr. phil. Jochen Wagner

geboren am 20. Oktober 1957 in Nürnberg

Aufgewachsen in Nürnberg, Falkenheim, zwischen Südfriedhof/Rangierbahnhof und Altem Kanal

1960 erster Fußball, rot und aus Plastik
1964 – 1968 Volksschule Saarbrückener Straße, Nürnberg

1967 erste Fußballschuhe adidas Uwe aus dem Sportgeschäft Max Morlock

Ab der Jugend Fußball beim TSV Falkenheim, u. a. Trainer in der A-Jugend und später Mitspieler, Siegfried Maul, Spieler beim 1. FC Nürnberg – A-Klasse

1968 bis 1977 mathematisch-naturwissenschaftliches Pirckheimer Gymnasium in Nürnberg

Ab 1970 bis 1984 Ferienarbeiter bei VW-AUDI, Post, Handel, Bau, Daimler-Benz Sindelfingen

1977 bis 1984 Studium der Evangelischen Theologie und der Philosophie an der Augustana Hochschule Neuendettelsau, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen

Nach dem Examen 1984 bis 1986 Vikar in der Evangelischen Kirchengemeinde in Garmisch-Grainau

Ab 1986 Fußball beim 1. FC Garmisch-Partenkirchen – A-Klasse

1986 bis 1988 Pfarrer z. A. in der Evangelischen Kirchengemeinde Bayreuth t. Johannis

1988 bis 1994 Wissenschaftlicher Assistent für Systematische Theologie und Philosophie an der Augustana Hochschule Neuendettelsau

1990 Beginn mit der Promotionsarbeit in Philosophie, betreut von Prof. Dr. Rolf Denker, Universität Tübingen, und Prof. Dr. Thomas Leithäuser, Universität Bremen

1988 bis 1994 Fußball beim TSC Neuendettelsau – Bezirksliga Süd

Vom 1. Oktober 1994 bis zum 30. September 2023 Studienleiter für ‚Theologie und Gesellschaft, Religion, Philosophie und Recht‘ an der Evangelischen Akademie Tutzing und Leiter des gesellschafts- und humanwissenschaftlichen Referats: Theologie und Gesellschaft, Religion, Philosophie und Recht

Seit Oktober 1994 Fußball beim TSV Tutzing, von C-, B-, A-Klasse über Kreisklasse, Kreisliga bis zur höchsten bayerischen AH-Klasse; nebenbei 2000 – 2002 E-Jugend-Trainer und 2009 bis 2011 Spieler-Trainer AH und Spieler der 2. Mannschaft bis 2012; 2012 - 2014 im Vorstand des TSV Tutzing, aktiv AH bis 2019. 2015 Kreuzband rechts, 2016 Kreuzband links, 2017 Bandscheibe – drei OPs: Ende 2019 nach über 50 Jahren Fußball ‚Verschleißopfer‘

1996 Heirat mit Pfarrerin Mag. Päd. Ulrike Fries-Wagner – Geburt von Janus am 16. November 2001 und Raphael, geboren am 4. Dezember 2004

2000 Promotion in Philosophie zum Dr. phil. mit einer Arbeit zum Thema ‚Mythos Topform‘ über Walter Benjamin: „Vom Mythos unversehrter Leiblichkeit“, scl

1996 bis 2005 Mitglied des Kultur-Forums der Süddeutschen Zeitung

1998 bis 2021 Fortbildungen in Psychotherapie, Supervision, Konfliktmanagement

Seit 2003 Gründungsmitglied er der Akademie für Fußball-Kultur in Nürnberg

Seit 2005 Mitglied im Arbeitskreis ‚Wirtschaft und Kirchen‘, Wirtschaftsbeirat der Union

Seit 1998 freier Autor für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und Magazine, u.a. für Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine / Sonntags Zeitung, Frankfurter Rundschau, Welt//Welt am Sonntag, MOTORRAD, MO-Motorradmagazin, Programmbücher Bayerische Staatsoper u.a., Redner und Disputant auf Foren, Podien, kulturellen, politischen Einrichtungen, Museen, Universitäten, Wirtschaft und Medien, z.B. zdf-nachtstudio, BR2/BR- bzw. ARD-alpha ‚Tagesgespräch‘, z.B. Eröffnung der Münchner Allianz-Arena, Neue Darmstädter Theatergespräche … . Nebenbei testet er Autos und Motorräder …
2006 bis 2018 stv. Vorsitzender der Mitarbeitendenvertretung der Evangelischen Akademie Tutzing
Über 300 Tagungen zu aktuellen Gegenwartsfragen, u.a. zum ‚König Fußball‘

https://www.ev-akademie-tutzing.de

Interview: Lorenz Goslich
Fotos: Evangelische Akademie, Archiv Jochen Wagner, L.G.

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