Ich bin ein Mikrofon. Streng genommen sind wir zwei Mikrofone. Wir gehören zu einer Lautsprecheranlage im Sitzungssaal des Tutzinger Rathauses. Die ist angeschafft worden, damit die Leute, wenn sie reden, besser zu hören sind. Denn besonders hinten im Saal versteht man Vieles nicht richtig. Manche Mitglieder des Gemeinderats und seiner Ausschüsse reden zwar laut und deutlich, aber andere eher relativ unverständlich und zudem noch nach „vorn“, zum Bürgemeister hin – und damit vom Publikum weg. Einige Ratsmitglieder sitzen sogar mit dem Rücken zum Publikum, da wird es besonders schwierig. Aber genau dafür sind wir Mikrofone da.
Das funktioniert auch recht gut – jedenfalls bei meinem Partner, dem anderen Mikrofon. Bürgermeister Horn hält es oft fest in der Hand, weil er ja viel zu sagen hat. Deshalb ist er auch immer gut zu verstehen, auch hinten im Publikum. Wenn andere, die vorn neben ihm sitzen, zu Wort kommen, reicht er das Mikrofon auch immer an sie weiter.
Aber bei mir ist es ganz anders. Manchmal werde ich zwar benutzt, aber das ist sehr selten. Die meiste Zeit liege ich einfach auf dem Tisch, und niemand nimmt mich zur Kenntnis. Rundherum sitzen zwar etliche Ratsmitglieder, die auch immer wieder das Wort ergreifen - aber mich leider nicht. Sie sprechen einfach drauf los – aber gelegentlich nicht gerade laut und verständlich.
Weil ich ja meist nicht benutzt werde und deshalb Zeit habe, kann ich darauf achten, was die Leute im Publikum so sagen. Sie ärgern sich oft darüber, dass Vieles nicht so richtig zu verstehen ist, sie fragen andere, die neben ihnen sitzen, ob sie das verstanden hätten, doch die können meist auch nicht weiter helfen. Besonders ärgern sich die Presseleute. Sie sollen möglichst korrekt berichten, sagen sie - aber wie sollen sie das, fragen sie, wenn sie gar nicht oder nur bruchstückhaft verstanden haben, was gesagt worden ist?
Darüber wundere ich mich dann immer, denn genau dafür wäre ich eigentlich da. Ich würde so gern benutzt werden, wenn die Leute im Gemeinderat oder in den Ausschüssen etwas sagen. Ich weiß nicht, warum sie das nicht machen. Vielleicht mögen sie keine Mikrofone. Ich fühle mich jedenfalls meistens ziemlich einsam, wenn ich so sinnlos auf dem Ratstisch liege. Und auf meinen Partner, das andere Mikrofon, das ständig genutzt wird, bin ich ehrlich gesagt ziemlich eifersüchtig.
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Comments
Vielleicht genügt es zukünftig schon, den Verstärkerpegel nur etwas höher zu regeln ;-)
Da hilft es mir, das ungewohnte Handmikrofon ein wenig wie ein Handy zu betrachten und handzuhaben. Beim Handy sind wir gewohnt zuverlässig ins Mikro zu sprechen.
Oder man übt die automatische Handhaltung zu Hause ohne Augen- & Ohrenzeugen mit einer Banane?
Technisch könnte man zwar die Handmikros auch so abstimmen, dass man sie nicht ganz so direkt in den Schallkegel vor den Mund halten muss, dann nimmt man allerdings auch viele Nebengeräusche mit auf; das wäre am Ende noch schlechter.
Wer in das Mikrofon spricht, muss seine Aufmerksamkeit teilen und bringt damit ein Opfer. Das Mikrofon will gerade gehalten werden, der Mund muss gegenüber dem Mikrofon auch beim Drehen des Kopfes an einer festen Position bleiben. Und man muss mit dem Echo klarkommen, weil man einerseits die Schallquelle ist und sich gleichzeitig über die Lautsprecher hört. Das ist also etwas, was im Stress nicht ganz leicht fällt. Wer das gut hinbekommen will, muss die Zuhörer mitdenken. Und man muss ihnen hinreichende Wichtigkeit zusprechen, so dass es einem gelingt, für den Moment aus den automatisierten Verhaltensweisen herauszutreten.
Es ist großartig, dass das zweite Mikrofon mit diesem Text an Sie herangetreten ist, Herrn Dr. Goslich! Denn das ist nun schon der zweite Beitrag auf den vorOrt.news, der Hinweise auf strukturelle Mängel der Bürgerbezogenheit in unserem Gemeindeparlament zur Sprache bringt. Sie hatten schon vor einiger Zeit die ungeeignete Sitzordnung im Rathaussaal zur Sprache gebracht, die eine gewisse Abgehobenheit und Abgeschlossenheit der Räte verkörpert. Selbst wenn die so gar nicht beabsichtigt wäre. Und Mikro 2 äußert sich nun in dieselbe Richtung: es fordert von den Gemeinderäten zusätzliche Bürgernähe. Die in diesem Fall auch noch ziemlich einfach realisiert werden kann. Noch einfacher vielleicht mit Tischmikrofonen.
Mit lieben Grüßen Caroline Krug