Politik
29.4.2024
Von Lorenz Goslich

„Mit der AfD darf man nicht koalieren"

Die Tutzinger Politikwissenschaftlerin Ursula Münch vermisst eine „seriöse Regierungspolitik“

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Die FDP-Veranstaltung mit Prof. Ursula Münch im Obergeschoss des Tutzinger Golf-Club-Restaurants fand viel Interesse © L.G.

Wie verlässlich ist die demokratische Mitte? Wieviel Verlass ist auf die demokratische Mitte? Immer wieder wurde diese Frage kürzlich besorgt bei einer Veranstaltung der Tutzinger FDP im Restaurant auf dem Tutzinger Golfclub-Gelände gestellt. Die FDP hatte dazu Prof. Ursula Münch eingeladen, die Direktorin der Akademie für politische Bildung. Die Politikwissenschaftlerin sparte nicht mit Kritik. Dabei hatte sie besonders die AfD im Visier, doch auch andere Parteien bekamen ihr Fett weg - samt der FDP, der Gastgeberin.

Geboren worden sei die Idee für die Veranstaltung Anfang des Jahres, berichtete Paul Friedrich, der stellvertretende Ortsvorsitzende der Tutzinger FDP, der seit diesem Jahr zusammen mit der Gautingerin Britta Hundesrügge den Vorsitz der Kreis-FDP inne hat. Den Anstoß gegeben haben nach seinen Worten die zahlreichen Demonstrationen für Demokratie, für Rechtstaatlichkeit und für Freiheit, „kurzum für die Werte des Liberalismus, gegen Rechtsextremismus“, fügte er hinzu. Auch die FDP im Landkreis Starnberg hat nach seinen Worten einige Demonstrationen mitorganisiert, in Seefeld sogar angestoßen. Doch darüber hinaus habe man dies als Anlass für den Beginn einer politischen Debatte gesehen.

Die AfD spricht offen über Remigration, vergiftet damit das gesellschaftliche Klima und macht unser Land unattraktiver für dringend benötigte ausländische Fachkräfte Paul Friedrich, stellvertretender Vorsitzender der FDP Tutzing

Friedrich bezeichnete dies als Aufgabe eines jeden Demokraten: „Denn Demokratie kann man nicht konsumieren, man muss sie leben.“ Das sei gerade das Schöne: „Niemand ist Zuschauer, jeder ist Protagonist.“ Wie in jedem Film gebe es aber auch hier einen Schurken. „Die AfD spricht offen über Remigration, vergiftet damit das gesellschaftliche Klima und macht unser Land unattraktiver für dringend benötigte ausländische Fachkräfte“, kritisierte Friedrich. Die AfD schwärme vom „Dexit“. Damit nehme sie nicht nur Angenehmes wie eine gemeinsame Währung und die Reisefreiheit, sondern sie gefährde die Exportnation und die außenpolitische Bedeutung Deutschlands weltweit.

Die AfD beschäftige in ihrer Bundestagsfraktion Rechtsextreme, lasse sich aus Russland finanzieren und delegitimiere damit die Demokratie als solche, sagte Friedrich:. „Damit ist sie der extremste Gegenentwurf, den es zu uns Liberalen geben kann, denn wir sind nicht nur die Partei von wirtschaftlicher Freiheit - wir sind vielmehr die Partei der europäischen Integration, von Bürgerrechten und gesellschaftlicher Vielfalt, wir sind nicht links, wir sind nicht rechts – wir sind liberal und damit das Sinnbild für die demokratische Mitte." Sein Fazit: „Es ist deshalb gerade von uns nicht nur als Demokraten, sondern vielmehr als Freie Demokraten die Frage zur Stärke der demokratischen Mitte zu stellen.“ Dabei kursierten immer wieder verschiedenste Ideen, wie man die Demokratie resistenter aufstellen könne - ob in Bezug auf das Bundesverfassungsgericht, ob es um Bürgerräte oder ganz aktuell um das Demokratiefördergesetz gehe.

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„Eine Demokratie ist kein Schlaraffenland“, sagt die Politikwissenschaftlerin

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Die Gastgeber von der FDP vertrugen auch Kritik an ihrer eigenen Partei: (von links) Britta Hundesrügge, Prof. Ursula Münch und Paul Friedrich © L.G.

Was Ursula Münch zu all dem sagte, klang nur begrenzt ermutigend. „Eine Demokratie ist kein Schlaraffenland“, betonte die Politikwissenschaftlerin. Sie sehe eine zunehmende Entfremdung der Bürger von der Politik. Das Gefühl, die Politik versuche immer mehr vorzuschreiben, wie die Menschen ihr Leben zu führen haben, habe in einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach „eine kleine, aber signifikante Mehrheit“ bestätigt. Es gebe das Gefühl, bevormundet zu werden. "Die AfD sieht das tatsächlich als unzumutbaren Eingriff in die eigene Lebensführung“, sagte Münch.

Aber die AfD sei eine restriktive Kraft, die sich nicht kritisch mit den Regeln des demokratischen Diskurses auseinandersetze, sondern sich außerhalb stelle: „Das ist der Unterschied.“ Viele Gesetze seien in Deutschland konsensual zustande gekommen: „Das hat sich durch die destruktive Oppositionskraft verändert“, erklärte sie und fügte hinzu: „Durch diese Schurken.“ Als Beispiel nannte sie den Krieg: „Die stellen alles in Abrede – dann wird der politische Diskurs ausgesprochen schwierig.“ Die Grundannahmen würden bestritten. Es gebe eine Spaltung zwischen zwei politischen Lagern. Bei den Themen Migration und Ukraine-Krieg sehe man dies besonders.

„Wir haben einen gewissen Bodensatz an Extremen, der sich ausweitet“, sagte Münch. Der „Verschwörungsglaube“ habe sich durch Corona massiv verstärkt: „Da haben sich Menschen mit durchaus moderaten Einstellungen radikalisiert.“ Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer spreche vom „Milieu der verlorenen Bürgerlichkeit“. Am meisten für die AfD empfänglich seien danach frühere Nichtwähler, Menschen aus dem früheren Arbeutermilieu und autoritär geprägte Personen. „Typisches FDP-Klientel“, folgerte Münch. Dahinter werde ein Jargon der Verachtung gepflegt gegenüber Migranten und Minderheiten jeglicher Art: „Das ist das Milieu, wo man Mitte vermuten würde.

Noch nie war das Misstrauen in die Regierungen weltweit so hoch wie jetzt. Prof. Ursula Münch

„Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht zu sehr auf diese Mitte verlassen, mahnte Münch. Es stelle sich die Frage, wie empfänglich die Mitte für radikale Positionen sei. Ganz beliebt sei zurzeit Bürokratiekritik. „Das sind alles Einfallstore“, sagte sie, „denn viele sagen, da ist ja überall was dran…“ Und Vieles treffe ja tatsächlich zu. „Die Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist ja in vielen Teilen berechtigt“, fügte sie hinzu.

Heftig widersprach Münch aber der weit verbreiteten Behauptung, heutzutage dürfe man nicht mehr alles sagen: „Nein! Es wird zunehmend viel mehr sagbar!“ Es sei wichtig, nicht ständig den Zusammenhalt zu beschwören. Das sei eine falsche Einschätzung: „Unser Pluralismus ist das Zentrale, nicht der Zusammenhalt.“ Konflikt bedeute Freiheit.

„Unsere Verfassung kann uns nicht schützen“, sagte Münch ausdrücklich in Hinblick auf das bevorstehende Jubiläum zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes: „Aber wir können die Verfassung schon schützen.“ Das Vertrauen in die Regierungen sei jedoch besorgniserregend schlecht: „Noch nie war das Misstrauen in die Regierungen weltweit so hoch wie jetzt.“ Erstaunlich groß sei dagegen das Vertrauen in die Wirtschaft und auch in den eigenen Arbeitgeber.

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Nachdenklich, kritisch, engagiert: Prof. Ursula Münch bei ihrem Vortrag © L.G.

"Eine unseriöse Partei, weil sie sich nicht an die Spielregeln hält"

Die frühere FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bat um Rat. Viele Landtags-Wahlkämpfe stünden an: „Wie soll man mit der AfD umgehen?“ Nur sie zu negieren, werde nicht viel nützen, „weil die ihre Geschichten, Diffamierungen und Desinformationen offensiv verbreiten.“ In dieser Hinsicht konnte auch Münch nur begrenzt weiterhelfen. Das Ausgrenzen allein sei nicht der Weisheit letzter Schluss, bestätigte sie. Versuche, die AfD auszugrenzen, seien nicht besonders erfolgreich gewesen. Sie sei eine unseriöse Partei, weil sie sich nicht an die Spielregeln halte. Der „High-talk“ sei dem „Basic-talk“ nicht gewachsen.

Eine Besucherin wunderte sich dennoch, dass die etablierten Parteien Koalitionen mit der AfD ablehnten. Schließlich sei die AfD demokratisch gewählt. Münch erwiderte: „Diese Partei ist eine extremistische Partei – sie steht nicht auf demokratischer Grundlage.“ Leutheusser-Schnarrenberger sagte dazu, eine Koalition mit der AfD sei ihrer Meinung nach zum Scheitern verurteilt. Daraufhin bekräftigte es Münch: „Nein, man darf mit der AfD nicht koalieren.“ In der deutschen Geschichte habe sich gezeigt, dass man eine nationalsozialistische Partei nicht integrieren könne, um sie harmloser zu machen. „Wenn man mit ihr koaliert, kann man nicht mehr sagen, es ist eine rechtsextremistische Partei.“, warnte sie: „Man verliert die eigene Glaubwürdigkeit.“

Ob es eine Möglichkeit gebe, die Menschen wieder mehr Vertrauen in die Politik finden zu lassen, wollte der Tutzinger FDP-Vorsitzende Dr. Joachim Weber-Guskar wissen. Das bezeichnete Münch als die zentrale Frage. Zu einer freiheitlichen Demokratie gehöre auch ein „diffuses“ Vertrauen: Die machen zwar nicht alles perfekt, aber irgendwie werden sie es schon schaffen.

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"Ausgrenzen allein ist nicht der Weisheit letzter Schluss": Auf der Plakatwand neben dem Tutzinger Rathaus haben alle ihren Platz © L.G.

Gesucht: "Ein Kanzler, der nicht die Arroganz besitzt, den Leuten zu vermitteln, er wisse alles und wolle es nur nicht sagen"

Sie selbst sei ein optimistischer Mensch, sagte Münch. Das beste Rezept gegen die AfD sei gute Politik. Eine gewisse Grundskepsis müsse man zwar haben, so auch besonders bei den digitalen Kommunikationsmöglichkeiten, die sie ebenso als grandiosen Zugewinn wie als enorme Herausforderung sieht. Doch sie habe die Sorge, dass sich die Skepsis gegen alles wende: „Die Leute glauben nichts mehr.“

Die Handlungsfähigkeit der Regierung sei aber eingeschränkt durch schwierige parlamentarische Mehrheiten. „Das wird sich auch nicht mehr so drastisch ändern", meinte sie. Es gebe Unzufriedenheiten, die Menschen suchten den Ausweg in kleineren Parteien. Eine „seriöse Regierungspolitik“ wäre nach ihrer Auffassung „schon mal ein Grundstock - mit einem Kanzler, der nicht die Arroganz besitzt, den Leuten zu vermitteln, er wisse alles und wolle es nur nicht sagen.“ In ihre kritische Analyse bezog Münch auch die FDP ein, die glaube, dass sie „die allerbeste Partei in der Regierung“ sei: „Das wollten die Leute nicht hören.“ Münchs Schlussfolgerung: „Wir bräuchten eine bessere Politik – aber das ist extrem schwer umzusetzen.“

Nicht nur das Vertrauen in die Politik müsse berücksichtigt werden, sondern auch die Erwartungshaltung an die Politik, meinte Britta Hundesrügge, die Co-Vorsitzende der Kreis-FDP. „Auch in der Kommunalpolitik wird immer erwartet, dass ein Gemeinderat oder Kreisrat individuelle Lösungen schaffen kann“, sagte die Gautingerin, die auch dem Gemeinderat angehört. Da werde schnell gefordert: „Macht doch mal die Kasse auf!“ Sie vermisse bei vielen Menschen den Willen zur Selbsthilfe „Die Erwartungshaltung ist meines Erachtens ein großer Nährboden“, folgerte sie.

Münch sagte dazu, sie sei eine große Verfechterin der Volksparteien: „Union und Sozialdemokraten sind beide Sozialstaatsparteien – sie haben den Sozialstaat aufgebaut, dabei aber eine erhebliche Erwartungshaltung produziert.“ Auch die FDP sei eine Sozialstaatspartei, „die das aber mit Wohlfahrtschauvinismus verbindet.“

„Es ist nicht alles der Weisheit letzter Schluss, was um 20 Uhr im ersten Fernsehprogramm kommt.“
Prof. Ursula Münch

Verbot einer Partei "nicht so einfach"

Ein Besucher bezeichnete es als ermüdend, die AfD als Feindbild zu sehen. „Ich spüre hier eine gewisse Ratlosigkeit“, kommentierte er. Dabei stehe man vor großen Zukunftsaufgaben, beispielsweise bei der Rente. Er forderte klare Kommunikation, welche Konzepte es für die Zukunft gebe. Es nerve, wenn eine gesamte Gesellschaft mit einem Warnstreik lahmgelegt werde. „Ich fand auch das Maß weit überschreitend“, sagte Münch zu den Streiks: „Da sind wir mitten drin im Thema, ob das noch Mitte oder schon Extremismus ist.“

Von unterschiedlichen Medien würden die Menschen aber mit „unterschiedlichen Wahrheiten“ bedient, sagte Münch kritisch: „Die Trennung von Kommentar und Nachricht wird nicht von allen Journalisten beherzigt.“ Ausgewogen sein müse bei den öffentlich-rechtlichen Medien zwar nicht unbedingt jeder einzelne Beitrag, das „Gesamte“ aber schon: „Da sollte es insgesamt einen Binnenpluralismus geben.“ Recht deutlich fügte sie hinzu: „Es ist nicht alles der Weisheit letzter Schluss, was um 20 Uhr im ersten Fernsehprogramm kommt.“

Viele Menschen seien heimatlos, meinte ein Besucher, weil viele Parteien „ein bisschen ausgefranst“ seien. So habe er den Eindruck, dass die Union „ein bisschen sozialdemokratisiert“ sei – und damit eine Fläche für die AfD frei gemacht habe. Dabei verwies er auf die bekannte Äußerung von Franz Josef Strauß, rechts von CDU/CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben. „Das ist die Position der CSU gegenüber ihrer Schwesterpartei seit 2015“, erwiderte Münch. Auch Ministerpräsident Söder reagiere wieder mit Positionen rechts der Mitte. Tatsächlich hat Strauß 1987 von „CDU/CSU“ gesprochen. https://www.swr.de/swrkultur/wissen/archivradio/franz-josef-strauss-1987-rechts-von-der-csu-102.html

„Sollte man die AfD zum Schutz der Demokratie nicht verbieten?“ fragte ein Besucher. Münch zeigte sich skeptisch, ob dies Erfolg hätte. Die AfD-Wähler würden sich dadurch ja nicht in Luft auflösen. Ob das Bundesverfassungsgericht mit seiner Ausrichtung noch richtig sei, hakte der Besucher nach. Das Parteiverbot nach Artikel 21 des Grundgesetzes werde häufig missverstanden, sagte Münch dazu. Es sei genau umgekehrt: Das Parteienprivileg schütze die Parteien. Es sei nicht so einfach, eine Partei zu verbieten.

Artikel 21 des Grundgesetzes

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
ID: 6765
Über den Autor
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Lorenz Goslich

Wirtschafts- und Lokaljournalist, Diplom-Kaufmann, Dr. oec. publ. Schreibt für diverse Medien und liebt seinen Heimatort Tutzing.

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Kommentare

Schön zusammengefasst, Herr Rekus. Ich möchte aber noch einen Aspekt ergänzen: Die Notwendigkeit einer starken liberalen Partei in Deutschland ist heute dringender denn je. Freiheit ist die Grundlage für eine wirksame Abwehr innerer und äußerer Gefahren.

Leider schließt die heutige FDP diese Lücke in der politischen Landschaft nicht. Die Lindner-Truppe vertritt mit ihren politisch unreflektierten Forderungen einen verkürzten, egoistischen und regelrecht primitiven Freiheitsbegriff.

Freiheit ist jedoch eine komplexe Angelegenheit, und sie ist voraussetzungsvoll. Das Grundgesetz betont zu Recht die Autonomie des Individuums und das Spannungsverhältnis zwischen individueller Freiheit und gesellschaftlicher Verantwortung. Das Bundesverfassungsgericht hat dies treffend formuliert, indem es das "selbstherrliche Individuum" als der Gemeinschaft „vielfältig verpflichtet“ beschrieb.

Die heutige FDP ist bedauerlicherweise zu einer Porschefahrer-Partei verkommen, in der unerwachsen wirkende Karrieristen, meist männlich, eine überholte Finanz- und Verkehrspolitik vorantreiben. Ihr 12-Punkte-Wirtschaftsprogramm bleibt diffus und konzentriert sich im wesentlichen darauf, die Umverteilung von unten nach oben zu fördern. Professor Marcel Fratzscher, Präsident des DIW, spricht daher von einer „Sozialstaatswende“, die die FDP damit einleitet, anstatt einer Wirtschaftswende. Dadurch zündelt sie mit der Frage der sozialen Gerechtigkeit und spielt erneut den Rechtsradikalen in die Hände.

Es wäre wichtig gewesen, dass Ursula Münch im Golfclub mehr distanzierte Klarheit an den Tag gelegt hätte. Stattdessen wirkt sie immer öfter wie ein Mitglied der politischen Klasse, das sich mit einem zu viel an Nähe durchaus wohl fühlt. Eine substanzielle und kritische Auseinandersetzung mit dem politischen Betrieb, fernab von oberflächlichen Floskeln, bleibt bei ihren öffentlichen Auftritten leider immer häufig auf der Strecke.
Man kann es auch kurz & bündig formulieren:
Die FDP ist & bleibt auf der parlamentarische Arm der neoliberalen Ideologie; auf Gedeih & Verderb.
Je höher die bespielte Politikebene, desto absoluter; auf Bundesebene nahezu in Reinkultur.
Es ist erfreulich zu sehen, dass es in Tutzing einen lebendigen politischen Austausch gibt, der zudem noch auf den vorOrt.news ausführlich dokumentiert wird. Das ist großartig. Allerdings muss man inhaltlich Einspruch erheben. Denn die FDP bildet in ihrer aktuellen Verfassung keineswegs einen Gegensatz zur AfD.

Sie nähert sich ihr durch ihr Verhalten in der Regierung, das dem einer Oppositionspartei gleicht, eher immer weiter an. Das geschieht zum Beispiel durch die fortwährende Aufkündigung vorab getroffener verbindlicher Beschlüsse, sogar auf EU-Ebene. Und von der AfD kennt man ebenfalls die Verleugnung der Klimakatastrophe, was die FDP, besonders ausgeprägt durch ihren Vorsitzenden und den Bundesverkehrsminister, in politisches Handeln umsetzt – bis hin zur Inkaufnahme des Bruchs völker- und verfassungsrechtlicher Vertragspflichten im Bereich des Klimaschutz‘.

Die FDP hat sich in den letzten zwei Jahren, unter dem Schutz des bürgerlichen Mäntelchens einer früheren Volkspartei, eines zentralen Stilmittels aller rechtsextremen Parteien bedient: des politischen Wahnsinns. Als Rund-um-die-fünf-Prozent-Partei hat sie es durch die oben genannten Verhaltensmodalitäten geschafft, in der Ampelregierung den Irrsinn auf die Regierungsbank zu holen. Und mit Hilfe der Boulevardpresse leichtfertig das ganze Land zu infizieren. So steht die FDP mitnichten in der und für die gesellschaftliche Mitte, sondern sie rückt ihrer österreichischen Rechtsaußen-Variante, der FPÖ, stilistisch und inhaltlich immer näher.

Und Paul Friedrich möchte man bitten, sich die begrifflichen Euphemismen der AfD nicht zu eigen zu machen und in aller Klarheit von brutaler Deportation zu sprechen, wo Rechtsradikale die Verschleppung und Verbannung deutscher Staatsbürger planen. Indem Friedrich deren beschönigenden Begriff verwendet, bagatellisiert er dieses schier unfassbare Geschehen.
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