Von Lucie Vorlíčková

Tutzinger Liste stellt keinen Bürgermeisterkandidaten

"Weder Partei noch Wählervereinigung mit machtpolitischen Absichten" - Transparenz oberstes Ziel Die Autorin ist Vorstandsmitglied der Tutzinger Liste e.V.

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Die Kategorie "Position" gibt Gelegenheit, eigene Standpunkte darzustellen und zu erläutern. Sie steht allen offen - Parteien, Vereinen, Unternehmen, Menschen in Tutzing, die ihre Auffassungen kundtun möchten. Die Beiträge in dieser Reihe geben die Meinung und Sichtweise derjenigen wieder, die sie verfasst haben, nicht die der Redaktion von vorOrt.news.

Lucie Vorlíčková, Vorstandsmitglied der Tutzinger Liste e.V., teilt in der ersten Folge mit, dass und weshalb ihr Bürgerverein für die Anfang nächsten Jahres anstehende Bürgermeisterwahl keinen Kandidaten aufstellen will.
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Das Bürgermeisteramt ist mit der größten kommunalen Macht ausgestattet. Nach Auffassung der Tutzinger Liste e.V. ist bürgerschaftliches Engagement nicht mit politischem Machtwillen vereinbar. Der Bürgerverein will aber gestalten und Einfluß nehmen. Sein bürgerschaftliches Engagement für Tutzing trifft dabei jedoch häufig auf Gehörlosigkeit im Rathaus. Auch engagieren sich im Ort nur wenige Bürger für politische ehrenamtliche Arbeit. Warum tut sich bürgeschaftliches Gestaltungsengagement in Tutzing so schwer? Darauf versucht dieser Artikel Antworten zu finden.

Die Tutzinger Liste stellt keinen Bürgermeisterkandidaten, weil sie ein Bürgerverein ist, dessen Mitglieder „nur“ bürgerschaftliches Engagement leisten möchten. Die Tutzinger Liste ist also weder Partei noch Wählervereinigung mit machtpolitischen Absichten. Parteien wollen politische Macht in Parlamenten und Regierungen gewinnen, um ihre politischen Ziele zu verwirklichen. Nach Überzeugung der Tutzinger Liste e.V. lässt sich altruistisches bürgerschaftliches Engagement jedoch nicht mit politischem Machtwillen vereinbaren.

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Die Tutzinger Liste e.V. gehört zum Typ der „Gestalter“

Die Bundeszentrale für politische Bildung unterscheidet vier Typen von bürgerschaftlichem Engagement. Zwei davon sind die Stützpfeiler und die Alltagshelden, zu denen typischer Weise Sportvereine, Kirchengemeinden oder die Freiwilligen Feuerwehren gehören. Diese beiden Gruppen sollen den weitaus größten Teil ausmachen. Dann kommen die Leuchttürme – mit lokalen Aktivitäten in den Bereichen Kultur, Heimat und Freizeitgestaltung. Ihr Engagement zielt auf die Stärkung der örtlichen Identität ab und möchte innerhalb des Ortes lokal-gesellschaftliche Orientierung bieten. Den kleinsten Anteil stellen die Gestalter dar: „Die Themen und Aktivitäten der Gestalter sind unmittelbar auf die gesellschaftlichen Veränderungen vor Ort gerichtet. Sie wollen umgestalten, Dinge selber machen und Einfluss nehmen.“ Dazu zählt sich der Bürgerverein Tutzinger Liste e.V., der durch sein bürgerschaftliches Engagement kommunale Defizite aufdeckt und Veränderungen herbeiführen will.

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Vier Typen des Engagements © Thünen-Institut für Regionalentwicklung/urbanizers Berlin

Tutzinger Liste will (um)gestalten und direkten Einfluss nehmen - durch Transparenz und Bürgerinitiativen

Oberstes Ziel des Bürgervereins ist es, Transparenz in die Tutzinger Kommunalpolitik zu bringen. Dazu veröffentlicht der Verein regelmäßig die Mitschriften von Gemeinderat Dr. Behrens-Ramberg aus den öffentlichen Sitzungen des Rathauses (https://www.tutzinger-liste.de/blog/category/wolfgang-behrens-ramberg/). Zudem arbeiten die Mitglieder des Vereins zum Wohle aller Tutzinger für die Entwicklung der Gemeinde Tutzing (https://www.tutzinger-liste.de/ueber-uns/was-wir-tun/). Damit aber für jede Bürgerinitiative nicht erst 1000 Unterschriften zu sammeln sind, nimmt der Verein an den Kommunalwahlen teil und ist seit 2014 mit einem Sitz im Gemeinderat (Dr. Behrens-Ramberg) vertreten. Der Sitz im Gemeinderat ermöglicht es dem Verein, seine Initiativen zeitnah und unmittelbar in den Gemeinderat zur Abstimmung zu bringen. Für den Verein steht damit die Aufdeckung von kommunalen Defiziten und deren Behebung durch Erarbeitung rationaler Sachkonzepte und deren Eingabe in den Gemeinderat im Vordergrund – also Gestaltungsengagement und nicht Politik.

Tutzinger Liste e.V. packt Tutzings Zukunft an – mit dem Doppelwumms GEK und ISEK

Bei den Kommunalwahlen 2020 haben alle Parteien hervorragend ihre Hausaufgaben gemacht und in ihren Wahlprogrammen die Defizite und Zukunftsthemen Tutzings aufgezeigt. Nur das „wie packen wir es an“, also der Lösungsansatz, fehlte. So hat die Tutzinger Liste e.V. gleich nach Beginn der zweiten Wahlperiode 2020 die mangelnde Zielorientierung an planvoller Ortsentwicklung und das nicht ausgenutzte Potenzial städtebaulicher Fördergelder in Angriff genommen. Mit Antrag vom 6.5.2020 richtete sie an Bürgermeisterin und Gemeinderat die Forderung, ein unter Einbeziehung der Bürgerschaft abgestimmtes gesamtgemeindliches Entwicklungskonzept (GEK) für die nachhaltige Ortsentwicklung unter dem Arbeitstitel „Leitziele 2030“ und ein Integriertes Städtebauliches Entwicklungskonzept (ISEK) zu erstellen und damit einen Aufwertungsprozess in Tutzing und allen seinen Ortsteilen mit Hilfe von staatlichen Fördergeldern zu erlangen. Das seit Jahrzehnten in Tutzing auf die lange Bank geschobene ISEK wurde dank dieser Initiative Ende 2022 im Gemeinderat auf den Weg gebracht. Das GEK steht nach Aussage der Ersten Bürgermeisterin noch „unter Beobachtung“: Gelegenheiten zur Integration in Tutzing

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Tutzinger Liste e.V. steht für bürgerschaftliches Gestaltungsengaggement: Die Vorstände (von links) Uli Dillmann, Lucie Vorlíčková und Dr. Wolfgang Behrens-Ramberg © Tutzinger Liste e.V.

Bürgerliches Gestaltungsengagement trifft in Tutzing auf verschlossene Rathaustüren

Man sollte meinen, dass das Engagement der Gestalter auf offene Rathaustüren trifft. Tut es aber leider nicht. So berichtet der Vorstand der Tutzinger Liste e.V., dass seine Anträge häufig entweder auf Ablehnung oder Nichtbeachtung treffen – sowohl bei Amtsbürgermeisterin als auch im Gemeinderat. Warum eigentlich wird gestalterisches Handeln von Bürgern vor Ort nicht beachtet und gar angefeindet? Die Antwort ist einfach: Verwaltungsabläufe werden vermeintlich gestört und das Engagement wird als Gefahr für das eigene Machtstreben (Wiederwahl) der Regierenden angesehen. So stellt auch die Bundeszentrale für politische Bildung fest: „...Seitens der Verwaltungen werden diese gestaltungswilligen Akteure viel zu häufig als KritikerInnen und StörerInnen der Regelabläufe wahrgenommen...ihr Veränderungshandeln (wird ) noch viel zu selten als Potenzial für die Bewältigung anstehender Transformationsprozesse (Klimawandel, Stärkung der Demokratie, Digitalisierung) wahrgenommen und genutzt. Es geht auch in den kleinsten Kommunen immer um Deutungshoheit über die Beschreibung der aktuellen Lage, um Einfluss auf die vor Ort gestaltbaren Prozesse und um den Zugang zu Ressourcen.“

Appell: Kritik und Gestaltungsvorschläge als Potenzial wahrnehmen

Im November 2022 hat die Tutzinger Liste e.V. erneut die Notwendigkeit eines Gemeindeentwicklungskonzepts erörtert (https://www.tutzinger-liste.de/blog/info-ideenabend-tutzing-wohin-praesentationsunterlagen/). Auch Tutzing muss aufgrund des demografischen Wandels (als Beispiel wurde hier der Druck auf die Gemeinden durch die Flüchtlingsströme genannt), der knappen Ressourcen (Geld und Personal) und des Klimawandels ein kommunales Entwicklungskonzept erstellen.

Tutzings Bürger haben daher mit ihrem Ideenpapier generationengerecht vorausgedacht: https://www.tutzinger-liste.de/wp-content/uploads/2022/10/wofu%CC%88r-will-tutzing-stehen_final_small.pdf Denn: Ohne aktives bürgerschaftliches Engagement kann eine Gemeinde die Probleme des 21. Jahrhunderts nicht stemmen! So auch die Bundeszentrale für politische Bildung: „...Die Gesellschaft braucht bei der Bewältigung von Umbruchsprozessen solche transformationserfahrenen Akteure. Insofern lohnt sich ein Blick auf das bürgerschaftliche Engagement und seine neuen Formen in ländlichen Räumen...“. Neben dem zu beobachtenden Widerstand aus dem Tutzinger Rathaus gibt es aber noch ein Problem: Viele Tutzinger trauen sich nicht mitzumachen oder gar ihre Meinung öffentlich zu sagen.

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Bürgerverein will Tutzing für die kommenden Generationen gestalten: 50-seitiges Ideenpapier zum Gemeindeentwicklungskonzept „Leitziele 2030“

(Nicht nur) Ärger mit den lieben Nachbarn und Gehörlosigkeit im Rathaus

Es ist Tatsache: In ländlichen Räumen fällt den Menschen vor Ort dieses Gestaltungsengagement schwer. So sind Nachbarn und andere Mitbürger oft die ersten Kritiker des eigenen Engagements. Damit gibt es im Gegensatz zu Städten in kleineren Kommunen größere Hemmschwellen, sich diesen Bewertungen auszusetzen. Insbesondere heute, wo sich kaum noch jemand traut, seine persönliche Meinung laut zu sagen. Aber auch „bürgerliche Trägheit“ und damit verbunden ein Verkennen der eigenen Möglichkeiten im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung gestalterisch eingreifen zu können, sind ein Grund für mangelndes bürgerschaftliches Engagement. Aber auch: schlechte Erfahrungen aus der Vergangenheit mit der Gehörlosigkeit im Rathaus und Angst vor negativen Reaktionen.

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Großes Interesse bei einer Gemeinderatssitzung wie auf diesem Bild gibt es gelegentlich, es ist aber selten. Die Tutzinger Liste appelliert an die Verantwortlichen im Rathaus, gestalterisches bürgerschaftliches Engagement als Potenzial wahrzunehmen und die Arbeit an einer Infrastruktur dafür zur Chefsache zu machen. © L.G.

Bürgerschaftliches Engagement ist Chefsache

Ohne den guten Willen eines souveränen Rathauschefs funktioniert Gestaltungsengagement also nicht. Der Rathauschef selbst muss sich für eine offene, kommunikative Bürgergesellschaft einsetzen. Sonst kann bürgerschaftliches Engagement nicht gedeihen. In Tutzing besteht hier jedenfalls noch Luft nach oben: die konkrete Ausgestaltung einer das Engagement der Bürger fördernden Infrastruktur und die Form der Zusammenarbeit mit dem Typ Gestalter.

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Lucie Vorlíčková

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Kommentare

Lieber Herr Laußer, danke sehr für Ihren Kommentar! Zur Erklärung: Die Tutzinger Liste e.V. beabsichtigt, einen geeigneten Kandidaten zu unterstützen und wird sich hierzu noch öffentlich positionieren. Ein „freier“ Kandidat aus der Mitte der Tutzinger Bürgerschaft wird es aber leider nicht sein - diese Suche des Bürgervereins bleibt seit ca . 1 1/2 Jahren leider erfolglos. Oder gibt es doch jemanden? Falls ja, bitte melden:-). Aber die Zeit drängt: BM-Wahl ist schon Ende 2023!
Ps: Von zentraler Bedeutung bleibt aber die Präsenz des Bürgervereins im Tutzinger Gemeinderat! Wichtig ist, dass die Tutzinger Liste e.V. bei den Kommunalwahlen 2026 dank mehr Wählerstimnen mehr Sitze erhält und so mehr direkten Einfluss auf die tatsächliche Umsetzung ihrer Arbeiten für Tutzing nehmen kann.
Vielen Dank für diese umfangreiche Positionierung. Allerdings finde ich die Kernaussage schade - keine/n eigene/n Bürgermeisterkandidat/in - im Sinne der demokratischen Wahlmöglichkeit für die Wähler und Wählerinnen. Ich hoffe aber schon , dass sich die Tutzinger Liste e.V. zumindest um einen freien (parteilosen?) Gestalter bemüht, der dann eine entsprechende Unterstützung erfährt. Immerhin sollte ja der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin als Organ fungieren, also im besten Falle überparteilich.
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