Kirche
3.1.2019
Von vorOrt.news

Aufsehen erregender Tutzinger Vorstoß

Im Missbrauchsskandal richtet der Pfarrgemeinderat einen flammenden Appell an Kardinal Marx

Einen Aufsehen erregenden Vorstoß hat der Pfarrgemeinderat der katholischen Kirche in Tutzing gestartet. Aufgrund der Missbrauchsskandale in der Kirche richtet er in einem Brief einen flammenden Appell an Kardinal Reinhard Marx, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz: Die in der Erklärung der Bischofskonferenz aufgeführten Schritte müssten konsequent in die Tat umgesetzt werden. Die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche geht nach Auffassung der Tutzinger nämlich bisher nicht weit genug.

Den Brief, an dem alle Tutzinger Pfarrgemeinderäte mitgearbeitet haben und der auch in der Pfarrkirche St. Joseph ausliegt, veröffentlicht vorOrt.news hier im Wortlaut:

Der Brief an Kardinal Reinhard Marx

  Brief-des-Pfarrgemeinderats.pdf herunterladen

Die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz

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Die Deutschen Bischöfe hatten zu den Ergebnissen der Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ anlässlich ihrer Herbst-Vollversammlung am 27. September 2018 in Fulda eine Erklärung veröffentlicht. Sie bestätigten darin „institutionelles Versagen“ und versicherten: „Wir Bischöfe stellen uns dem Ernst der Stunde.“ Sie versprachen, die Empfehlungen des Forschungskonsortiums der Studie zur Grundlage ihres weiteren Handelns zu machen. Dabei machten sie allerdings auch Eischränkungen. So vertraten sie die Auffassung, dass manche der Empfehlungen „längerer Klärungsprozesse“ bedürften. Konkret verpflichteten sich die Bischöfe zu einer Reihe von Schritten. So würden sie mehr als bisher die Begegnung mit den Betroffenen suchen, eine Standardisierung in der Führung der Personalakten der Kleriker herbeiführen und zusätzlich zu diözesanen Ansprechpersonen für Fragen sexuellen Missbrauchs externe, unabhängige Anlaufstellen anbieten. Darüber hinaus kündigten sie ein verbindliches überdiözesanes Monitoring für die Bereiche der Intervention und der Prävention sowie eine „unabhängige Aufarbeitung“ an. „Wir wollen klären, wer über die Täter hinaus institutionell Verantwortung für das Missbrauchsgeschehen in unserer Kirche getragen hat“, erklärten die Bischöfe. Nötig sei „ein neues Miteinander in der Kirche“.

Hier die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz vom September 2018 im Wortlaut:

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Die Tutzinger erhalten viel Zuspruch auch aus anderen Pfarreien

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Im Mittelpunkt kritischer Diskussionen über den Missbrauchsskandal: Die Pfarrkirche St. Joseph und das Roncalli-Haus © L.G.

An wirklich durchgreifenden Folgerungen der katholischen Kirche im Missbrauchsskandal werden aber mittlerweile immer wieder Zweifel geäußert. Viele Menschen wirken verunsichert. Umso mehr zieht der Vorstoß des Tutzinger Pfarrgemeinderats nun Kreise. Auch aus Pfarreien in anderen Gemeinden erhalten die Tutzinger Zuspruch und Anerkennung für ihre Vorgehensweise.

Dabei geht es nicht nur um den Brief an Kardinal Marx. Bei eigens angesetzten Treffen ist im Tutzinger Roncalli-Haus schon sehr kritisch über die Missbrauchsthematik diskutiert worden. Dabei haben Teilnehmer – auch von auswärts – teils sehr emotional argumentiert und auch viele persönliche Erfahrungen eingebracht. Scharfe Kritik wurde dabei auch an der Arbeit der Ermittler geäußert. Nicht wenige der Missbrauchsopfer würden regelrecht „abgebürstet“, klagte ein Besucher. Die Fragen von Anwälten seien oft eine Zumutung, die Glaubwürdigkeit von Opfern werde immer wieder bezweifelt. Der Opferschutz komme nach wie vor viel zu kurz, es sei immer noch alles eine „Täterschutz-Veranstaltung“, und immer wieder höre man beschwichtigende Aussagen wie: „Ja mei, das ist halt passiert.“

Gemeinschaftsarbeit aller Tutzinger Pfarrgemeinderäte

Der Brief an Kardinal Reinhard Marx ist eine Gemeinschaftsarbeit aller Tutzinger Pfarrgemeinderats-Mitglieder: Waltraud Brod, Theresa Feldhütter, Lieselotte Garke, Sigrid Gottstein, Konrad Hecht, Martin Held, Dr. Max Körte, Hanna Krause, Rita Niedermaier, Schwester Katharina Rohrmann, Christoph Scholz, Markus Schuster, Karin Thiele-Lucas, Karsten Thost, Stefan Ullrich und Christoph Graf von Westphalen.

Quelle Titelbild: L.G.
ID: 1485
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Kommentare

Chapeau - Tutzinger Pfarrgemeinderat übernimmt Vorreiter-Funktion in der längst überfälligen Diskussion über die Rolle der Kirche in der heutigen aufgeklärten Zeit und bringt mit einem aufrüttelnden Appell zum Ausdruck, was viele von uns als dringend notwendig erachten. Kirche von heute braucht in der Tat ein wertschätzendes Miteinander auf Basis der christlichen Ethik, wie dies bereits hier praktiziert wird. Vielleicht sollten die beiden renommierten Akademien am Ort ein Diskussionsforum für noch unentschlossene Eminenzen anbieten ? "Aloisius" als dienstältester Zusteller der Anweisungen von höchster Instanz könnte als Sommelier für Getränke-Nachschub sorgen.
Gut beraten ist, wer eine Krise auch als Chance wahrnehmen kann.

Olga Lechner
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