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Eine „Kinderbewahranstalt“ war der Anfang

Geschichte und aktuelle Arbeit der Tutzinger Missions-Benediktinerinnen – Ausstellung im Rathaus

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Das "Klösterl" wurde 1891 durch Anbau einer Kapelle und einer Priesterwohnung erweitert

Die Geschichte der Missions-Benediktinerinnen in Tutzing begann mit der Einrichtung eines Kindergartens. Genau geschildert wird dies in einer umfangreichen Ausstellung über die Missions-Benediktinerinnen im Tutzinger Rathaus, die dieser Tage begonnen hat. Emilie, Marie und Bettina, die Töchter des Münchner Arztes Professor Johann Nepomuk von Ringseis, des Leibarztes von König Ludwig I., ließen 1887 die ersten Schwestern in ein kleines Haus am Rande ihres Anwesens einziehen, um dort unter der Obhut der Schwestern eine „Kinderbewahranstalt“ einzurichten. 1890 wurde das Anwesen zum Klösterl „Maria Hilf“ erweitert. 1891 wurde dort der erste Kindergarten eingeweiht. Das Klösterl beherbergte im Lauf der Jahre nicht nur Schwestern und den Kindergarten, sondern bis 1968 auch die Apotheke des Krankenhauses. 1941 wurde der Kindergarten den Schwestern von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt weggenommen und in einem Haus in der Hallberger Allee weiter betrieben. 1945 öffnete der Kindergarten wieder im Klösterl unter der Leitung der Schwestern. 1970 baute die Gemeinde Tutzing auf Kirchengrund in der Graf-Vieregg-Straße einen neuen Kindergarten, und die Schwestern übertrugen die Trägerschaft auf die Pfarrei St. Joseph. 1976 übergaben sie die pädagogische Verantwortung an weltliche Erzieherinnen.

Dies ist nur eines von vielen Details aus der Geschichte und der Arbeit der Tutzinger Missions-Benediktinerinnen, die in der aufwändig gestalteten Ausstellung beschrieben und mit Bildern reichhaltig illustriert werden. Ein Team der Schwestern hat dabei eng mit der Gemeinde zusammengearbeitet.

"Hilfe und Solidarität - Grundpfeiler einer funktionierenden Ortsgemeinschaft“

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Ankerplätze der Unterstützung: Das Tutzinger Kloster auf einem Luftbild in der Ausstellung

Bürgermeisterin Marlene Greinwald verwies darauf, dass die Ausstellungsflächen des Rathauses seit Beginn der laufenden Amtsperiode absichtsvoll
als ein „Bürgerforum“ für wichtige, das Zusammenleben diesem Ort betreffende Themen genutzt werde: „Immer, wenn wir diese Ausstellungen eröffnen, begegnen sich dabei Bürger und Bürgerinnen unterschiedlichsten Alters und verschiedenster Berufsgruppen und Interessen - das ist wichtig für eine Gemeinde.“

So würden die Rathausflure zu „Lernorten“ für Geschichte, zu Orten der Weiterbildung und der Meinungsbildung sowie zu Begegnungsräumen der Bürger. Die Bürgermeisterin erinnerte an Ausstellungen zur Ortsgeschichte und zu Tutzings denkmalgeschützten Häusern im Jubiläumsjahr, zu Umweltschutz und Integration oder zu Präsentationen von Vereinen und Schulprojekten.

Kulturreferentin Brigitte Grande erwähnte bei der Eröffnung Einrichtungen und Leistungen der Missions-Benediktinerinnen wie den Kindergarten St. Joseph, die Realschule, die Ambulante Krankenpflege und das Krankenhaus. „Die Ordensfrauen schufen mit diesen Einrichtungen ‚Ankerplätze der Unterstützung‘ und Fürsorge in Zeiten, in denen staatliche, kommunale Hilfssysteme noch nicht ausreichend entwickelt waren oder familiäre Hilfe überfordert war“, sagte Grande und fügte hinzu: „Weil die Missions-Benediktinerinnen diese Ankerplätze schufen, waren sie „ein Segen für Tutzing“ - so lautet der Titel der Ausstellung. Bürgermeisterin Greinwald sagte, dies vergegenwärtige, „dass Hilfe und Solidarität auch gegenwärtig noch zu den Grundpfeilern einer funktionierenden Ortsgemeinschaft gehören“.

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"Der Reichtum einer Gesellschaft bemisst sich nicht nur an Dax-Werten"

Die Kulturreferentin ging gleichzeitig auf Klagen über schwindenden gesellschaftlichen Zusammenhalt und Bedeutungsverlust etablierter Formen des Engagements in Parteien, Gewerkschaften, Vereinen und Kirchen ein. „Dabei ist uns doch allen klar“, sagte sie, „dass sich der Reichtum einer Gesellschaft nicht nur am Bruttosozialprodukt und Dax-Werten, an Einkommen, Besitz oder Karriere messen lässt, sondern auch am Miteinander der Menschen, daran, ob und wie wir füreinander einstehen, ob wir zulassen, dass Marktmechanismen jede Entwicklung diktieren oder ob wir stattdessen gemeinsam ‚Ankerplätze des Miteinanders‘ schaffen und schützen können.“ Die Missions-Benediktinerinnen hätten solche Ankerplätze geschaffen und sie in Tutzing lange Jahre beschützt.

Für die Schwestern ist auch Deutschland ein wichtiges Missionsgebiet geworden

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Viele aktuelle Herausforderungen sehen (von links) Brigitte Grande, Ruth Schönenberger und Marlene Greinwald

Ruth Schönenberger, die Priorin des Tutzinger Klosters, verband in ihrer Ansprache die historische Entwicklung mit vielen aktuellen Herausforderungen. „Für uns ist heute auch Deutschland wichtiges Missionsgebiet geworden“, sagte sie zum Beispiel: „Ich denke, warum dem so ist, muss ich hier nicht näher erläutern.“ Als eines der wichtigen Anliegen bezeichnete sie den Austausch von Alt und Jung: „Wir leben in einer heute modernen Form, nämlich als Mehrgenerationenhaus.“ Weiter die Menschen, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind: „Wie gut, hier in einer Gemeinde zu leben, die für diese Menschen ein herzliches Engagement an den Tag legten - und das nicht nur wenige Tage, sondern über Jahre hindurch.“ Für die Missions-Benediktinerinnen sei es keine Frage, mitzumachen: „Wir haben uns gerne auf vielerlei Weise eingesetzt und das bis heute.“

Warum die Schwestern mittlerweile zum Protestieren auf die Straße gehen

Recht deutlich wurde die Priorin, als sie über den Staat sprach. Es würden Gesetze und Regelungen erlassen, die viel Einsatz brauchten, um sie zu verstehen und damit umzugehen: „Wir erleben dabei immer wieder, dass der Mensch dabei nicht im Vordergrund der Regelungen steht, um es dezent auszudrücken. Das macht einen traurig bis wütend.“ So habe man sich im Kloster entschlossen, Frauen ins Kirchenasyl aufzunehmen: „Und bis jetzt wurde keine dieser Frauen abgelehnt.

„Wir haben auch angefangen, um der Würde von Menschen willen mit anderen zusammen auf die Straße zu gehen und dagegen zu protestieren, wie mit Menschen umgegangen wird“, fügte sie hinzu. Es seien viele Themen – angefangen vom Umgang mit Asylanten über Mietwucher und Altersarmut bis zum Rechtsradikalismus. „Vor wenigen Jahren noch wäre es mir nicht in den Sinn gekommen, dass ich das in unserem Land einmal für nötig halten würde“, sagte Ruth Schönenberger. Sie erwähnte auch eine Gruppierung „Ordensfrauen für Menschenwürde“, die sich in den vergangenen Monaten aus Schwestern mehrerer Ordensgemeinschaften gebildet habe: „Da machen wir mit.“

"Menschen werden überfordert und leben in dauernder Anspannung"

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Gut 100 Gäste kamen zur Eröffnung der Ausstellung im Tutzinger Rathaus © Bilder: Ausstellung/L.G.

Menschen würden heute überfordert und lebten in dauernder Anspannung, sagte Ruth Schönenberger: „Mit unserer Lebensform beugen wir dem vor: Wir versuchen es mit Maß und Wechsel.“ Konkret erwähnte sie beispielhaft den Wechsel von Gebet und Arbeit, von Alleinsein und Gemeinschaft, von Reden und Schweigen. Das alles könne Menschen unserer Zeit hilfreiche Impulse geben. Interessanterweise höre man heute von Unternehmen, die einen Raum zum Chillen für Mitarbeiter einrichteten: „Es wird allmählich immer deutlicher, dass man Menschen nicht ungestraft dauernd überfordern darf.“ Der Körper rühre sich dann und wohl dem, der darauf hört.

1295 Schwestern aus 27 Nationalitäten

Die hochengagierte internationale Tätigkeit der Missions-Benediktinerinnen hatte schon in den 1880er Jahren begonnen. 1888 sind die ersten Brüder und Schwestern von St. Ottilien Als weitere Stationen erwähnte Priorin Ruth Schönenberger beispielhaft Brasilien (1903), die Philippinen (1906), Bulgarien (1914), Südwestafrika, das heutige Namibia (1920), Südafrika (1922), Nebraska in den USA (1923) und sogar Nordkorea (1925) „mit seiner ganz eigenen Geschichte und der Zerstörung 1949“.

Heute sind es weltweit 1295 Schwestern aus 27 Nationalitäten. Sie leben in 134 verschiedenen Gemeinschaften und in 16 Ländern. Global Players und Global Prayers - ein Wortspiel, das Schwester Ruth gefällt: Global agieren - global beten. Dabei sind die Missions-Benediktinerinnen nach ihren Worten vielfältig mit im Spiel: im Bildungsbereich, in Erziehung und Schule, im Gesundheitswesen, in der Pastoralarbeit, in der Sorge für Arme und in vielen weiteren Aktionsfeldern. „Wenn man sich in den einzelnen Prioraten umschaut, dann führen unsere Mitschwestern kleine und überschaubare Einrichtungen“, sagte die Priorin, „sie erfüllen aber auch sehr anspruchsvolle Aufgaben und leiten zum Teil sehr große Einrichtungen mit gutem Ruf.“ Und sie fügte hinzu: „Wir Frauen sind also in der Lage, in Kirche Führungsämter zu übernehmen, nicht erst heute, sondern schon lange.“

Die kompletten Ansprachen von der Ausstellungs-Eröffnung:

  Priorin-Ruth-Scho-nenberger.pdf herunterladen

Begleitprogramm zur Ausstellung:

Gesprächsabend „Was ich immer schon einmal fragen wollte“, 18. Juli um 19 Uhr im Kapitelsaal des Klosters, Bahnhofstraße 3, 82327 Tutzing

Tag der offenen Tür im Kloster, 22. September ab 14.30 Uhr, Abschluss mit der Vesper um 17.45 Uhr

Finissage mit Vortrag und Diskussion: „Freiheit und Bindung im Ordensleben“, 30. Oktober um 19 Uhr auf der Rathaustenne

Weitere Informationen unter 08158/2502-22

Öffnungszeiten der Ausstellung

zu den Öffnungszeiten des Tutzinger Rathauses:
Montags, dienstags, donnerstags und freitags von 8 bis 12 Uhr, dienstags auch von 14 bis 18 Uhr
Mittwochs ist das gesamte Rathaus für den Parteiverkehr geschlossen

Quelle Titelbild: L.G.
ID: 1919
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