Gemeinde
5.12.2024
Von vorOrt.news

Erhöhung des Gewerbesteuer-Hebesatzes abgelehnt

Die Tutzinger Grünen hatten eine Anhebung auf die Höhe des „Nivellierungshebesatzes“ beantragt

Der Tutzinger Gemeinderat hat am Dienstag eine Erhöhung des Gewerbesteuer-Hebesatzes von bisher 300 Prozent auf 310 Prozent abgelehnt. Die Grünen hatten beantragt, den Hebesatz grundsätzlich auf die Höhe des „Nivellierungshebesatzes“ festzusetzen.

Die so genannten Nivellierungssätze dienen zur Berechnung der kommunalen Steuerkraft, um diese vergleichbar zu machen und feststellen zu können, ob eine Gemeinde eher „reich“ oder eher „arm“ ist. Das Bayerische Finanzausgleichsgesetz (BayFAG) legt als „Steuerkraftzahl“ bei der Gewerbesteuer die Grundbeträge mit 310 Prozent fest – das gilt als Nivellierungshebesatz.

Die Grünen argumentierten in ihrem Antrag, dass die von der Gemeinde an den Landkreis Starnberg abzuführende Kreisumlage anhand der Umlagekraft der Gemeinde bemessen werde. Wenn der Gewerbesteuer-Hebesatz niedriger sei als der Nivellierungshebesatz, dann werde der Nivellierungshebesatz als Basis zur Bemessung der Umlagekraft herangezogen. „Das heißt, Gemeinden, die einen niedrigeren Gewerbesteuerhebesatz als 310 % festsetzen, subventionieren Gewerbebetriebe“, so die Grünen. Angesichts ihrer finanziell engen Lage könne sich die Gemeinde Tutzing dies nicht mehr leisten, sagte Bernd Pfitzner, Gemeinderat der Grünen.

Gewerbesteuer der Gemeinde Tutzing

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© Haushalt 2024 der Gemeinde Tutzing
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Grüne warnen vor Verschleppung notwendiger Sanierungen

Bei einem Gewerbesteuer-Aufkommen von 8 Millionen Euro bringe eine Erhöhung des Hebesatzes von 10 Prozent eine Mehreinnahme von mehr als 266 000 Euro, rechneten die Grünen in ihrem Antrag vor. Eine Erhöhung des derzeit geltenden Hebesatzes von 300 Prozent um 10 Prozent würde eigentlich eine Anhebung auf 330 Prozent bedeuten, aber davon war im Antrag der Grünen nicht die Rede. Die Erhöhung, argumentierten sie, würde dem Tutzinger Gemeindehaushalt voll zugutekommen: „Das ist ein Betrag, auf den Tutzing nicht verzichten kann.“ Die Einnahmen im Verwaltungshaushalt reichten nicht aus, um die Ausgaben zu decken, geschweige denn eine freie Finanzspanne für Investitionen bzw. die Aufnahme von Krediten zu ermöglichen. Das habe zur Folge, dass die Gemeinde Tutzing dem Verwaltungshaushalt Einnahmen aus dem Vermögenshaushalt – zum Beispiel aus dem Verkauf von Liegenschaften – zuführen müsse, um die laufenden Ausgaben zu decken.

Eine weitere Reduzierung der Ausgaben scheine kaum mehr möglich, meinten die Grünen. „Die Verschleppung von dringend notwendigen Sanierungen von Straßen, Brücken, Gebäuden kommt die Gemeinde teuer zu stehen“, warnten sie in ihrem Antrag. Freiwillige Leistungen, die für den sozialen Zusammenhalt in der Gemeinde wichtig seien, würden immer weiter gekürzt. Es sei daher nicht einzusehen, dass die Gemeinde Tutzing weiterhin gewinnbringende Gewerbebetriebe subventioniere. Wenn der Hebesatz angehoben werde, dann könne vielleicht die „Kürzungsorgie“ bei den in der nächsten Woche beginnenden Haushaltsberatungen etwas geringer gehalten werden, sagte Pfitzner.

Hebesätze im Landkreis Starnberg

Mitschke-Collande: Erhöhung der Gewerbesteuer falsches Signal

Von gleich mehreren Seiten schlug den Grünen Widerspruch entgegen. Dr. Thomas von Mitschke-Collande (CSU) bezeichnete die Behauptung als falsch, die Einnahmen im Verwaltungshaushalt reichten nicht aus, um die Ausgaben zu decken: „In den letzten zehn Jahren haben wir im Verwaltungshaushalt immer ein positives Ergebnis erzielt.“ Er könne sich auch nicht an Kürzungen der freiwilligen Leistungen erinnern. Eine Erhöhung der Gewerbesteuer sei ein falsches Instrument, sagte Mitschke-Collande.

Zur Erhöhung der Gewerbesteuer-Einnahmen dürfe man nicht diejenigen Gewerbebetriebe bestrafen, die Gewinne erzielen, sondern man müsse versuchen, die Voraussetzungen für eine gute Entwicklung und für Wachstum der Betriebe zu schaffen sowie Tutzing attraktiv zu gestalten und so neues Gewerbe anzulocken. „Wir laufen in eine Wirtschaftskrise hinein“, sagte Mitschke-Collande, „da ist eine Erhöhung der Gewerbesteuer genau das falsche Signal.“ Als falsch kritisierte er zudem eine Steuererhöhung anzustreben, ohne zu sagen, wofür das Geld ausgegeben werden soll. Erst müsse der Bedarf ermittelt und festgestellt werden, ob man dies wirklich brauche.

Dr. Wolfgang Behrens-Ramberg (Tutzinger Liste) schloss sich der Argumentation von Mitschke-Collande an. Der Gemeinderat sei das falsche Gremium, und es sei der falsche Zeitpunkt: Am kommenden Dienstag fingen die Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuss an, die im Zeitraum Januar bis März 2025 zu einem Beschluss führen würden. Zu diesen Beratungen gehöre auch der Gewerbesteuer-Hebesatz. „Wie kriegen wir mehr Gewerbesteuer?“ fragte Behrens-Ramberg. Dies gelinge über eine Erhöhung der Bemessungsgrundlage, indem es den Unternehmen besser gehe.

Michael Ehgartner von den Grünen warf ein, dass es durchaus schon Kürzungen der freiwilligen Leistungen gegeben habe. Das bestätigte Bürgermeister Ludwig Horn. Es habe sich um Kürzungen von rund 4000 Euro gehandelt. Einzelheiten wurden hierzu nicht genannt.

Weber-Guskar: Es kann nur ausgegeben werden, was man auch eingenommen hat

Dr. Joachim Weber-Guskar (FDP) stimmte den Ausführungen von Mitschke-Collande und Behrens-Ramberg zu. Es sei der falsche Zeitpunkt und eine falsche Reihenfolge: „Es muss klare Ziele geben.“ Weber-Guskar argumentierte speziell mit der Kreisumlage. Sie werde als „unumstößlich“ dargestellt, doch für unumstößlich halte er sie nicht. Die Tutzinger sollten als Gemeinderäte und als Kreisräte ihre Möglichkeiten nutzen, um auf die Kreisumlage Einfluss zu nehmen, empfahl er: „Sie kann nicht immer weiter steigen.“

Die Kreisumlage, die die Gemeinde Tutzing an den Landkreis zu zahlen hat, ist seit dem Jahr 2003 von damals 3,6 Millionen Euro auf zuletzt 8,8 Millionen Euro gestiegen. Damit ist sie unter den Ausgaben im Tutzinger Verwaltungshaushalt mit Abstand der größte Posten vor den Personalausgaben (5,8 Millionen Euro) und den Kindertageseinrichtungen (4,4 Millionen Euro). Nicht nur bei den Einnahmen, sondern auch bei den Ausgaben müsse sich etwas ändern, mahnte Weber-Guskar: „Es kann nur ausgegeben werden, was man auch eingenommen hat.“

Bernd Pfitzner widersprach mit der Bemerkung: „Der Zeitpunkt ist genau richtig.“ Bei den Haushaltsberatungen werde man anfangen zu kürzen. Auf den Bedarf ging er mit beispielhaftem Hinweis auf das Rathaus ein. Man könne dessen Fenster auswechseln: „Da sparen wir Heizkosten ohne Ende.“ Man könne das Rathaus auch endlich barrierefrei gestalten. Mit 260 000 Euro habe man auf alle Fälle „mehr Manövriermasse“.

Feldhütter: Es gibt Unternehmer, die schon über einen Wegzug von Tutzing nachdenken

Auch Stefan Feldhütter (Freie Wähler) hielt aber entgegen, es sei der falsche Zeitpunkt und die falsch Folge. Eine Erhöhung des Gewerbesteuer-Hebesatzes werde Tutzing als Gewerbestandort sicher nicht attraktiver machen. Aufgrund persönlicher Gespräche sagte Feldhütter, es gebe Unternehmer, die schon über einen Wegzug von Tutzing nachdächten. Der von den Grünen erhoffte „Vorteil“ durch eine Gewerbesteuer-Erhöhung könne so schnell konterkariert werden. Mit so einer Maßnahme könne man bestehende Gewerbesteuerzahler „vergrätzen“, warnte Feldhütter.

Daraufhin bat Pfitzner die Mitglieder des Gemeinderats, mal kurz ihre Augen zu schließen und sich die Gebäude der drei größten Gewerbesteuerzahler von Tutzing vorzustellen: „Sie meinen doch nicht ernstlich“, fragte er, „dass die wegen zehn Prozent Gewerbesteuer-Erhöhung Tutzing verlassen werden?“ Er glaube auch nicht, dass der Gewerbesteuersatz für Ansiedlungen so entscheidend sei. Bedeutsamer seien andere Aspekte wie eine gute Infrastruktur, bezahlbares Wohnen, eine angenehme Atmosphäre für Beschäftigte, gute Schulen und ähnliches. Wenn die Höhe der Gewerbesteuer so entscheidend wäre, sagte Pfitzner, „dann würden Bernried, Starnberg und München keine zusätzlichen Gewerbebetriebe bekommen.“

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Aus Tutzing verschwundene Unternehmen: (oben von links) Hotel Seehof, Kohlen-Müller und Edeka-Filiale Ortsmitte, Textilhersteller Steinmüller, (unten von links) Andechser Hof, Roche, Himmel. Die Gründe sind unterschiedlich. Ob der Gewerbesteuer-Hebesatz bei Firmen-Abwanderungen und -Ansiedlungen eine Rolle spielt, ist umstritten. © L.G.

Bis 30. Juni 2025 kann Erhöhung des Hebesatzes rückwirkend zum Jahresanfang beschlossen werden

Bürgermeister Horn wies abschließend darauf hin, dass die Gemeinde bis zum 30. Juni eines Jahres die Höhe des Hebesatzes rückwirkend zum Jahresanfang beschließen könne. Wenn also beispielsweise bis zum 30. Juni nächsten Jahres eine Erhöhung des Gewerbesteuer-Hebesatzes beschlossen werde, dann könne dieser höhere Satz für das ganze Jahr 2025 gelten.

Der Antrag der Grünen wurde mit der Mehrheit der Stimmen abgelehnt. Ob dies bedeutet, dass der Gewerbesteuer-Hebesatz der Gemeinde Tutzing weiterhin bei 300 Prozent bleibt, ist dennoch offen. Wegen der Finanzschwäche der Gemeinde ist eine erneute Diskussion über seine Höhe bei den bevorstehenden Haushaltsberatungen nicht auszuschließen. Eine Neufestsetzung des Grundsteuer-Hebesatzes hatte der Gemeinderat im November bereits beschlossen, und zwar sowohl für die „Grundsteuer A“, die landwirtschaftliche Betriebe zu zahlen haben (bisher 330 Prozent) als auch für die „Grundsteuer B“, die für alle anderen bebauten und unbebauten Grundstücke gilt (bisher 340 Prozent). Das führt für die Gemeinde zu einer leichten Erhöhung der Grundsteuer-Einnahmen. Hintergrund für die schnelle Entscheidung noch vor den Haushaltsberatungen war in diesem Fall aber ein Bundesverfassungsgerichts-Urteil von 2018. Die dadurch veranlasste Neuregelung zur Grundsteuer tritt am 1. Januar 2025 in Kraft.

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In Tutzing zeigt sich ein ähnliches Muster wie auf Bundesebene: Eine langjährige, konservative Mehrheit im Gemeinderat hält durch ihre Steuerpolitik die Kommune in einem finanziellen Würgegriff. Statt zukunftsorientierte Lösungen zu entwickeln, werden kommunale Vermögenswerte veräußert. Kritische Stimmen, insbesondere von den Grünen, werden als ideologisch motiviert abgetan, obwohl sie auf fundierten Analysen und Zahlen basieren. Es ist an der Zeit, diese Dynamik zu hinterfragen und einen offenen Dialog über nachhaltige Finanzstrategien für Tutzing zu führen, die allen Bürgern zugutekommen.
Als damals zu Beginn der Industrialisierung die einfachen Arbeiter regelrecht ausgebeutet wurden, haben sie sich solidarisch zu Gewerkschaften zusammengeschlossen. Im Rückblick ist unbestreitbar, dass dies damals der Wendepunkt war für ein besseres Leben.
Übrigens für uns alle, denn wo stünde unsere Wirtschaft heute ohne die Wirtschaftskraft und den Konsum der Mittel- & Unterschicht?

Nutzen die Städte & Gemeinden ihre Plattformen für ganz ähnliche Initiativen?
Beispielsweise im Kreistag bzw. auf Kreisebene... Da dringen so selten Inhalte, laufende Diskussionen und Entscheidungen nach außen.
Mittlerweile kommen sogar aus Pöcking unverblümte Klagen & Warnungen, dass die Gemeinden jegliche Entscheidungspielräume verlieren, wenn sich nicht die kommunale Finanzierung verbessert.
Könnte man sich nicht mal solidarisch zusammentun ... mir geht's schlecht, dir geht's schlecht, wir alle stehen mit dem Rücken zur Wand. Lass uns alle unseren Steuersatz moderat um 5 Punkte (oder 10 Punkte) erhöhen; gemeinsam, damit man uns nicht gegeneinander ausspielen kann?
Auf Kreisebene könnte man so vielleicht doch mal Geschlossenheit & Einigung erzielen?

Schwieriger wird es auf der großen Ebene, beispielsweise beim Deutscher Städte- & Gemeindebund.
Aber wenn der Leidensdruck groß genug ist, wären 70%, 80% oder gar 90% Zustimmung nicht grundsätzlich unerreichbar?
Wäre doch den Versuch wert? Druck aufbauen. Dicke Bretter bohren?
Übrigens: Gesunde Kommunen, die investieren können (statt nur den Mangel zu verwalten), wären auch wieder ein positiver Impuls für die heimische Wirtschaft & und für die Bürger!

Wer sich zusammenschließt muss Kompromisse eingehen, wer sich aber spalten lässt, der steht allein und wird von anderen herumgeschubst!
Das galt damals, und das gilt erst recht jetzt in unserer globalen Welt.
(Bearbeitet)
Kein einziger Euro mehr von den Tutzinger Grundstückseigentümern, deren Immobilienwerte in den letzten Jahren in schwindelerregende Höhen gestiegen sind. Kein einziger Euro mehr aus der Gewerbesteuer, obwohl die Einnahmen dringend gebraucht würden. Stattdessen: eine Nullrunde bei den Einnahmen – während Millionen für den Umbau der Mittelschule auf uns zukommen. Wie soll das funktionieren?

Wer glaubt, dass diese Rechnung aufgeht, ignoriert entweder die Realität oder nimmt bewusst in Kauf, dass die Gemeinde finanziell an die Wand fährt. Solche Entscheidungen sind nicht nur kurzsichtig, sie sind unverantwortlich.

Dabei wird ein Muster sichtbar: Statt die Einnahmenseite zu stärken und alle – auch Vermögende – angemessen zu beteiligen, wird offenbar darauf gesetzt, das Problem später durch den Verkauf von kommunalem Eigentum zu lösen. Ein Eigentum, das allen gehört, soll Stück für Stück in private Hände wandern. Und wer profitiert am Ende? Genau diejenigen, die vorher von einer fairen Grundsteuer verschont geblieben sind.

Das ist keine Finanzpolitik im Interesse der Gemeinde. Das ist eine Politik, die Vermögen schützt und Lasten auf die Allgemeinheit abwälzt. Was hier geschieht, ist nichts anderes als eine Umverteilung von unten nach oben – zugunsten weniger und auf Kosten vieler. Es ist höchste Zeit, dass wir diese Entwicklung kritisch hinterfragen und Alternativen diskutieren, die das Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellen.