Planänderung beim vorgesehenen Tutzinger Bürgersolarkraftwerk neben der Bundesstraße 2 am Oberen Hirschberg; Dort soll nun eine Agri-Photovoltaik-Anlage entstehen. Darunter versteht man ein Verfahren zur Nutzung landwirtschaftlicher Flächen sowohl für die Stromerzeugung als auch für die Nahrungsmittelproduktion. Der Tutzinger Gemeinderat hat eine Änderung der Konzeption von einer regulären PV-Anlage zu einer Agri-PV-Anlage einstimmig befürwortet.
Präsentiert wurde das neue Konzept von der Energiegenossenschaft Fünfseenland (EGF) und von „Tutzing klimaneutral 2035“. Das Konzept für das Solarkraftwerk ist bereits mit dem Ziel einer Agri-PV-Anlage überarbeitet worden, sagte Dr. Marco Lorenz, der in Doppelfunktion sowohl für "Tutzing klimaneutral 2035" als auch für eine "Projekt-Management-Organisation EGF" auftrat. Man habe zuvor sechs Anbieter eingeladen: Bayern-Natur, Naturstrom, Lena Service, Sinn, Baywa und Vispiron. Ausgewählt worden sei die Münchner Firma Vispiron. Sie hat sich nach eigenen Angaben darauf spezialisiert, „mit Bürgerbeteiligungen lokale und nachhaltige Infrastrukturprojekte zu finanzieren, um somit eine lebenswerte und nachhaltige Welt durch 100 % erneuerbare Energien zu schaffen“.
"Ein wichtiges Projekt für die Energiegenossenschaft und für die Bevölkerung von Tutzing"
Barbara von der Ropp, Vorstandsmitglied der Energiegenossenschaft Fünfseenland, wirbt für eine möglichst schnelle Realisierung des Bürgersolarkraftwerks. Sie verwies auf „massive Veränderungen in gigantischer Geschwindigkeit“, so bei der Förderung von Energieanlagen. Sowohl für die Bevölkerung von Tutzing als auch für die Energiegenossenschaft sei es ein wichtiges Projekt, sagte sie im Gemeinderat.
Zwei Bauabschnitte gelten am Oberen Hirschberg als möglich. Ladestationen für Elektroautos, über die in einer früheren Gemeinderatssitzung mit großem Interesse diskutiert wurde, werden derzeit als „optional“ bezeichnet. Der Grundeigentümer stellt derzeit 20 Hektar zur Verfügung, sagte Marco Lorenz. Etwa 13 bis 14 Hektar der verfügbaren Fläche gelten als geeignet. 6 bis 7 Hektar liegen nach seinen Angaben im Landschaftsschutzgebiet zu exponiert, um mit Photovoltaik genutzt zu werden.Sie stünden aber als mögliche Ausgleichsflächen zur Verfügung. Auch Flächen für einen zweiten Bauabschnitt sind nach den Worten von Lorenz verfügbar.
Flächenkonkurrenz oder zusätzliche Einkommensquelle für die Landwirtschaft
Die „Flächenkonkurrenz“ zwischen landwirtschaftlicher Produktion und regenerativer Energieerzeugung stand einer stärkeren Verbreitung der Agri-PV bisher entgegen. Kritiker einer solchen Doppelnutzung landwirtschaftlicher Flächen befürchten, dass damit fruchtbarer Ackerboden verlorengeht und schlechtere Erträge drohten. Befürworter sehen Agri-PV dagegen sogar als zusätzliche Einkommensquelle für die Landwirtschaft, zudem verweisen sie auf zusätzlichen Nutzen wie Hagelschutz oder auf Verschattung bei hoher Sonneneinstrahlung.
Im Rahmen eines Forschungsprojekts „Modellregion Agri-Photovoltaik für Baden-Württemberg“ sind zum Beispiel unter Beteiligung des Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) Pilot-PV-Anlagen für verschiedene Obst- und Beeren-Kulturen untersucht worden. In einer Pressemitteilung über die Einweihung einer Agri-PV-Pilotanlage auf dem Obsthof Bernhard in Kressbronn am Bodensee schwärmte die baden-württembergische Landesregierung von "Sonnenstrom und sonnengereiften Äpfeln". Auch Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen haben dafür gesorgt, dass dieses Thema mittlerweile an Aufmerksamkeit gewinnt. In der Raumordnung und in der Bauleitplanung sind allerdings komplexe Bedingungen zu beachten.
Die Kosten für den ersten Bauabschnitt bezifferte Lorenz auf Fragen mit etwa 10 Millionen Euro. Eine breite Bürgerbeteiligung soll nach Angaben von Lorenz durch mehrere Finanzierungsangebote erleichtert werden. Eine Variante ist eine unternehmerische Beteiligung, bei der man einen Geschäftsanteil an der Projektgesellschaft erwerben kann. Eine zweite Variante ist eine genossenschaftliche Beteiligung durch Mitgliedschaft bei der Energiegenossenschaft durch Erwerb eines Anteils ab 200 Euro. Als dritte Variante wurde ein „Klima-Sparbrief“ vorgestellt. Die Renditechancen und die Risiken bei den verschiedenen Modellen sind unterschiedlich. Auf Fragen versicherten EGF-Vorstandsmitglied Barbara von der Ropp und Marco Lorenz, dass Beteiligungsmöglichkeiten zuerst der Tutzinger Bevölkerung angeboten werden soll. Erst später werde man die Beteiligungsmöglichkeiten für alle Mitglieder der Energiegenossenschaft öffnen. In einer Präsentation werden noch etliche weitere denkbare Finanzierungspartner erwähnt, so institutionelle Anleger, Banken sowie Geldgeber, die über Crowdfunding, über Private Equity oder andere Modelle gefunden werden können.
"Grauspeicher" statt "Grünspeicher": "Da kann man zu bestimmten Zeiten richtig viel Geld verdienen"
Das Kraftwerk mit Agri-PV-Technik soll laut Lorenz 8 bis 9 Megawattpeak (maximale Leistungskapazität) haben. „Da ist mehr Leistung, als wir einspeisen können“, sagte er. Das Maximum werde aber nur erreicht werden, wenn die Sonne im Sommer „prall“ scheine, meist würden es nur 4 Megawatt sein. Deshalb sei eine Überbauung im geplanten Umfang zu rechtfertigen.
Im Tutzinger Ortsteil Monatshausen hat der Netzbetreiber für die Anlage einen Anschlusspunkt mit 4 Megawatt Stärke zugewiesen, wie Lorenz sagte. Dort soll auch ein Speicher installiert werden, mit dem die Anlage kombiniert werden soll. Man habe sich nicht für einen „Grünspeicher“, sondern für einen „Grauspeicher“ – also mit fossilen Energien - entschieden, um auch negative Preise nutzen zu können: „Das heißt, man kriegt etwas bezahlt, wenn man Strom aus dem Netz holt.“ Zu bestimmten Zeiten im Jahr könne man so „richtig viel Geld verdienen“, sagte Lorenz, „weil dringend Überschuss abgebaut werden muss.“
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Tatsache ist doch, dass die Anlage gerade dann eine große Menge Energie erzeugt, wenn ohnehin schon zu viel produziert wird. Möglich ist dann auch dass der Energieabnehmer den Produzenten abschaltet und man nicht einspeisen kann, so wie es bei manchen Windrädern schon geschieht oder man muss den eigenen Strom und nicht fremden speichern. Hoffentlich ist das in der Kalkulation berücksichtigt, nicht dass mit dem „richtig viel Geld verdienen“ nichts daraus wird.