Tutzing steht ein schwieriges Thema bevor: Das Unternehmen W.A.F. will seine Fläche im Ortsteil deutlich erweitern - aber das dafür vorgesehene Grundstück an der Blumenstraße befindet sich im Landschaftsschutzgebiet und im planungsrechtlichen Außenbereich. Die betreffende Fläche, auf der drei Neubauten mit rund 4000 Quadratmetern Nutzfläche entstehen sollen, ist im Flächennutzungsplan bisher für landwirtschaftliche Nutzung vorgesehen. Für eine „Herausnahme“ aus dem Landschaftsschutzgebiet wäre dies der erste Fall, sagte Bauamtleiter Christian Wolfert. Eine solche Herausnahme gilt zwar generell als möglich - darüber muss der Starnberger Kreistag oder Kreisausschuss entscheiden. Doch so etwas wird sehr restriktiv gehandhabt darauf ist gestern im Tutzinger Gemeinderat gleich hingewiesen worden, als das Vorhaben zur Debatte stand.
In einer ausführlichen Diskussion zeichnete sich dennoch eine positive Haltung der Tutzinger Kommunalpolitiker zum Erweiterungsplan von W.A.F. ab. Die meisten von ihnen wollen das auf Seminare für Betriebsräte spezialisierte Unternehmen, das mit derzeit 3,3 Millionen Euro fast die Hälfte zum gesamten Tutzinger Gewerbesteuer-Aufkommen von 8 Millionen Euro beisteuert, unbedingt in Tutzing halten. Sollte es nämlich nicht zu den Erweiterungsbauten kommen, dann würde W.A.F. wahrscheinlich anderswo nach Expansionsmöglichkeiten suchen.
Gegen vier Stimmen beschloss die Gemeinderatsmehrheit eine vierte Änderung des Bebauungsplans Nr. 37 „Erweiterung Gewerbegebiet Kampberg“, Teilbereich 2, sowie die 32. Änderung des Flächennutzungsplans. Die Begleitung von Unternehmen in Tutzing sei ein wichtiges Signal, sagte Bürgermeister Ludwig Horn. „Wir würden Tutzing einen Bärendienst erweisen, wenn wird es nicht zumindest probieren würden!“, sagte Stefan Feldhütter (Freie Wähler). Es gelte, den Bedarf eines potenten Gewerbesteuerzahlers zu sichern. „An einem Ziel kommt man sicher nicht an, wenn man gar nicht erst losgeht“, fügte er hinzu. Thomas Parstorfer (CSU) setzte sich dafür ein, dieses Vorhaben bevorzugt zu verfolgen: „Wir brauchen die Gewerbesteuer – und mit Geld kann man auch Umweltprojekte realisieren.
Tochtergesellschaft hat Grundstück bereits erworben
Es gab aber auch Warnungen vor negativen Folgen der Erweiterungsbauten, nämlich durch Versiegelung in einem schützenswerten Bereich. In der Nähe gibt es Biotope und offenbar auch Fledermäuse. „Wir sollten nicht so viele Flächen versiegeln – das hat das letzte Wochenende gezeigt“, mahnte Bernd Pfitzner (Grüne). Er empfahl, zunächst auf die Einschätzung durch die Naturschützer zu warten. Die Bauten würden auch neue Anforderungen in der Infrastruktur nach sich ziehen, so in den Kindergärten und Schulen.
Christine Nimbach (fraktionslos) und Caroline Krug (ÖDP) erkundigten sich nach einer Erhöhung der bestehenden Gebäude statt Erweiterungen auf einer neuen Fläche. Diese seien dafür nicht geeignet, sagte W.A.F.-Vorstand Christian Lütgenau. Der erste Bau sei in Holzständerbauweise errichtet und müsse dann komplett abgerissen werden. Die Eweiterungsbauten seien in Beton errichtet, statisch aber nicht für weitere Stockwerke ausgelegt. Lütgenau bezweifelte auch, ob Gebäude mit sechs oder sieben Stockwerken im Sinn von Tutzing seien. Bauamtleiter Wolfert erinnerte daran, dass der Gemeinderat bei der Ansiedlung von W.A.F. in Kampberg eine niedrigere, moderate Bebauung gewünscht habe. Claus Piesch (Freie Wähler) beurteilte das Vorhaben positiv, plädierte aber für Ausgleichsflächen und Entsiegelung von Verkehrsflächen. Für Ausgleichsflächen gibt es nach Angaben von Wolfert schon Ideen, so im Zuge der Ortsrandeinbindung. Man müsse noch mit den betreffenden Eigentümern sprechen.
Vorstand erwartet weiteres deutliches Wachstum
W.A.F. hatte sein Unternehmen in Kampberg bereits vor zwei Jahren erweitert. Die W.A.F.-Tochtergesellschaft Hadron Business-Services AG hat das für die Neubauten vorgesehene Grundstück mittlerweile erworben. Einige Ratsmitglieder kritisierten diesen Kauf vor Gesprächen mit der Gemeinde. Die Erweiterung ist zwar erst für das Jahr 2030 geplant, wie Vorstandsmitglied Christian Lütgenau sagte. Doch angesichts der schwierigen Diskussionslage will das Unternehmen rechtzeitig die Weichen stellen.
Lütgenau verwies auf relativ starkes Wachstum. Ein besonderer Schub kommt dabei üblicherweise alle vier Jahre mit den Betriebsratswahlen. Die Belegschaft habe beim Umzug nach Tutzing 45 Beschäftigte umfasst, heute seien es 95 Personen, eine weitere Steigerung auf 125 Personen sei abzusehen. Sowohl die Logistik als auch die Lagerfläche, das Atrium und das Kasino würden dafür zu klein. W.A.F. hält in Tutzing keine Seminare ab – sie finden in ganz Deutschland meist in Hotels statt. Aber die gesamte Verwaltung wird in Tutzing abgewickelt.
Schwerpunkt der Neubauten soll ein Logistikzentrum sein. „Das können wir nicht irgendwo anders ansiedeln“, sagte Lütgenau, „wenn es dort nicht möglich sein sollte.“ Man habe sich schon denkbare andere Standorte angesehen, so beispielsweise Rothenfeld bei Andechs, doch dann müsse der Arbeitsablauf komplett anders gestaltet werden.
Da es recht unsicher ist, ob die Herausnahme der betreffenden Fläche aus dem Landschaftsschutz genehmigt wird, plädierte Dr. Joachim Weber-Guskar (FDP) für einen „Plan B“ - nämlich die Suche nach einem anderen für eine Erweiterung des Unternehmens geeigneten Grundstück in Tutzing, um eine Abwanderung von W.A.F. zu vermeiden.
Erinnerungen an gescheiterte Expansion von Boehringer-Mannheim in Tutzing
Dr. Thomas von Mitschke-Collande (CSU) fühlte sich an den Fall Boehringer-Mannheim erinnert. Das Pharmaunternehmen, das sich nach dem Krieg mit einem Teil seiner Aktivitäten in Tutzing angesiedelt hatte, wollte vor Jahrzehnten in dieser Gemeinde Neubauten errichten. Dafür wurden gerade Flächen im Bereich Kampberg bis Diemendorf geprüft. Doch diese Planung stieß damals auf energische Widerstände. Als Argument gegen sie wurden schließlich fehlende Abwassereinheiten angeführt. Daraufhin entschloss sich Boehringer-Mannheim 1972 zu Neubauten in Penzberg. Dort, im „Nonnenwald“, beschäftigt der Roche-Konzern, der Boehringer-Mannheim in den 1990er Jahren übernommen hat, heute etwa 7730 Personen aus 80 Nationen. Für Tutzing war die Entscheidung von Boehringer-Mannheim, nach Penzberg zu gehen, der Anfang vom Ende der Aktivitäten. Das frühere Gelände von Boehringer-Mannheim in Bahnhofsnähe ist bis heute nur zum Teil neu bebaut.
Den Bebauungsplan soll nach dem Gemeinderatsbeschluss das Büro Terrabiota Landschaftsarchitekten und Stadtplaner GmbH bearbeiten. Horn erwartet „ein immens umfassendes, kostenintensives Verfahren". Laut Wolfert muss die gesamte Bauleitplanung praktisch bis zum Status der Planreife fertig gemacht werden, samt Anhörung aller „Träger öffentlicher Belange“ – erst anschließend könne man beim Landratsamt die Herausnahme aus dem Landschaftsschutz beantragen. Das Landratsamt werde dann seinerseits nochmals die Träger öffentlicher Belange beteiligen: „Am Ende steht dann die Herausnahme aus dem Landschaftsschutz – oder nicht.“
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