Der Umwelt-, Energie und Verkehrsausschuss des Tutzinger Gemeinderats hat sich am Dienstagmit der so genannten „Gemeinwohl-Ökonomie“ (GWÖ) befasst. Vorgestellt haben sie Brigitte Gronau, Sprecherin der Gemeinwohl-Ökonomie Gruppe in Weilheim, und Helmut Dinter, Bürgermeister der Gemeinde Wessobrunn, die sich bereits mit dieser Methode befasst.
Die Gemeinwohl-Ökonomie versteht sich als demokratische Alternative zur bestehenden Wirtschaftsordnung. Es gibt mittlerweile auch eine GWÖ-Regionalgruppe „Starnberg-Würmtal“. Die Gemeinwohl-Ökonomie soll eine Alternative zu kapitalistischer Marktwirtschaft und zentraler Planwirtschaft bieten. Im vorigen Jahr haben sich fünf Unternehmen aus der hiesigen Region unter Begleitung zweier GWÖ-Coaches in einer so genannten „Peer-Group“ zusammengefunden, um sich gegenseitig bei der Erstellung ihrer ersten Gemeinwohl-Bilanz zu unterstützen und dabei voneinander zu lernen.
Zu den Vorreitern auf diesem Gebiet im Landkreis Starnberg gehört die Machtlfinger Druckerei Ulenspiegel, die im März dieses Jahres auch Gastgeber eines ersten offenen Vorstellungs- und Gesprächsabends zu diesem Thema war. Interessenten aus Unternehmen und Organisationen haben daran teilgenommen. Die GWÖ-Aktiven von Ulenspiegel, Zukunftswerk und Öko&Fair Umweltzentrum erläuterten dabei die Grundsätze der Gemeinwohl-Ökonomie als ethische Alternative zur freien Marktwirtschaft.
Treffen der GWÖ-Regionalgruppe Starnberg-Würmtal: (von links) Tutzings Bürgermeisterin Marlene Greinwald, Anne Boldt (GWT Starnberg), Barbara Classen (Ulenspiegel Machtlfing), Regine Bausinger (GWÖ-Regionalgruppe Ammersee West), Renate Ginhold (Café Luna, Starnberg) Norbert Wurm (VR-Bank Starnberg), Klaus Drexler (Energiegenossenschaft Fünfseenland eG), Alexander Rossner (Zukunftswerk) und Christiane Lüst (Öko & Fair Umweltzentrum Gauting)
Foto: Jobst
"Eine für Mensch und Natur gesellschaftlich verträgliche Form des Wirtschaftens"
„Gemeinwohl-Ökonomie bezeichnet ein Wirtschaftssystem, das auf Werten wie Fairness, ökologischer Nachhaltigkeit und innerbetrieblicher sowie gesellschaftlicher Basisdemokratie aufbaut“, heißt es in einer Erläuterung von Ulenspiegel, und weiter: „Wir sehen die Gemeinwohl-Ökonomie daher als eine Möglichkeit, unser ganzheitliches Ökomanagement um wichtige soziale Komponenten zu erweitern und dem Mantra des permanenten Wirtschaftswachstums mit all den negativen Auswirkungen auf soziale und ökologische Strukturen eine für Mensch und Natur gesellschaftlich verträgliche Form des Wirtschaftens entgegenzusetzen.“
Folgende Kriterien werden an oberster Stelle einer Gemeinwohl-Bilanz gesehen: Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit sowie demokratische Mitbestimmung und Transparenz. Punkte werden danach vergeben, wie sich ein Unternehmen unter diesen Aspekten gegenüber Lieferanten, Geldgebern, Mitarbeitern und Eigentümern, Kunden und dem gesamten gesellschaftlichen Umfeld verhält.
„Gute“ Firmen werden belohnt, „schlechte“ bestraft - mit Plus- und Minuspunkten der „Gemeinwohl-Ökonomie“. Abzüge gibt es für „Negativ-Kriterien“: menschenunwürdige Produkte, Verletzung der Menschenrechte, Verstöße gegen Umweltauflagen, arbeitsrechtliches Fehlverhalten, Stellenabbau, Verhinderung eines Betriebsrats. Mit Punktabzügen bestraft werden auch feindliche Übernahmen, Dumpingpreise, Umgehungen der Steuerpflicht und „exzessive Einkommensspreizungen“. Gemeint ist damit das Verhältnis zwischen den niedrigsten und höchsten Bezahlungen von Mitarbeitern. 1 zu 6000 waren nach den damaligen Angaben die bisher größte Einkommensspreizung in Deutschland - und 1 zu 50 000 die größte in den USA. 1 zu 3 bei Kleinunternehmen und 1 zu 6 bei Großunternehmen seien üblich.
Als positives Beispiel genannt wird beispielsweise „Premium-Cola“: Da zahle der Abnehmer der geringsten Mengen den niedrigsten, nicht etwa den höchsten Preis. So versuche das Unternehmen, kleine Strukturen zu erhalten. Ulenspiegel-Geschäftsführer Christoph Merk formuliert es so: „Mir ist wichtig, dass wir die Leute nicht ausbeuten.“
Wessobrunns Bürgermeister Dinter sagte in Tutzing allerdings auch offen, dass es in seiner Gemeinde keine einhellige Zustimmung zur Gemeinwohl-Ökonomie gegeben hat. So hätten Vertreter der CSU und des Bauernverbands massiv gegen sie Stellung bezogen. Von "Kommunismus pur" bis zu Enteignung der Bauern habe die Kritik gereicht. "Lauter so'n Käse", kommentierte er.
Vorreiter ist der österreichische Attac-Spitzenfunktionär Christian Felber
Populär gemacht hat die Gemeinwohl-Idee besonders der Österreicher Christian Felber, Spitzenfunktionär der „Attac". Selbstdarstellung: „Attac ist die Abkürzung für den französischen Ausdruck ‚Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen‘ (association pour une taxation des transactions financières pour l'aide aux citoyens). Ausgehend von der ursprünglichen Forderung, die so genannte Tobin-Steuer (eine Steuer zur Eindämmung kurzfristiger Börsenspekulation) international einzuführen, befassen wir uns inzwischen mit der gesamten Bandbreite der Probleme neoliberaler Globalisierung. Als Bildungsbewegung mit Aktionscharakter und Expertise bieten wir dazu fundierte Analysen sowie klare und vermittelbare Forderungen.“
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