
Mehrere Tutzinger Einbahnstraßen wären fürs Radfahren auch in der Gegenrichtung geeignet. Diese Überzeugung haben Verantwortliche der Tutzinger Ortsgruppe im Fahrradclub ADFC am Montag bei einer Besichtigung vertreten. Mit von der Partie waren sowohl der Kreisvorsitzende Anton Maier aus Feldafing als auch der Sprecher der Tutzinger Ortsgruppe, Martin Held, und sein Stellvertreter Claus Piesch. Auch fünf der neun neuen Gemeinderäte haben teilgenommen, nämlich außer Piesch, der den Freien Wählern angehört, Caroline Krug (ÖDP), Florian Schotter (CSU), Dr. Joachim Weber-Guskar (FDP) und Flora Weichmann (Grüne). Flora Weichmann ist im Gemeinderat die neue Mobilitätsreferentin, Florian Schotter der neue Referent für Verkehrssicherheit.
Aigner hat sich im Verkehrsausschuss "auf verlorenem Posten" gefühlt

Ebenso mit dabei war ein ehemaliger Gemeinderat: Dr. Toni Aigner. Von ihm stammte in der vorigen Amtsperiode ein Antrag, alle Einbahnstraßen in beiden Richtungen für Radfahrer freizugeben. Dieser Antrag, erzählte er zu Beginn, sei relativ kurz abgehandelt worden. Die Polizei habe Einwände gehabt. Mit seinem Plädoyer habe er sich einigermaßen „auf verlorenem Posten“ gefühlt, fügte er hinzu - und im zuständigen Umwelt-, Energie- und Verkehrsausschuss „wie in einem Autofahrer-Interessensclub“.
Die Besichtigung führte zu etlichen Tutzinger Stellen, die immer wieder für Diskussionen sorgen. Dabei hatten die Teilnehmer Gelegenheit zu regem Gedankenaustausch auch zu vielen anderen Aspekten der Mobilität. In mancher Hinsicht wurde das Tutzinger Verkehrsgeschehen auf den Prüfstand gestellt.
"Shared Space": Alle Verkehrsteilnehmer sind gleichberechtigt

Der ADFC-Kreisvorsitzende Maier empfahl zum Beispiel, nicht immer nur „eindimensional“ in Gehwegen und Fahrbahnen zu denken. Man könne etwa auch abschnittsweise gut Shared-Space-Räume gestalten. In solchen Bereichen versucht man eine Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer zu erreichen. Für einen Aufsehen erregenden Versuch dieser Art ist die niedersächsische Kleinstadt Bohmte bekannt geworden: An einer viel genutzten Ortsdurchfahrt hat sie alle Verkehrsschilder, Ampeln, Bordsteine und Radwege entfernt. Die Ergebnisse sind durchaus umstritten, doch nicht wenige Beobachter fühlen sich bestätigt: Alle verhielten sich rücksichtvoller und vorsichtiger.
Hinweise auf entgegenkommende Radler vermisst
Der neue FDP-Gemeinderat Weber-Guskar meinte, man könne auf viele Einbahnstraßen ganz verzichten. Als er das sagte, stand die Gruppe oberhalb der recht schmalen Bahnunterführung an der Kustermannstraße, die an dieser Stelle eine Einbahnstraße, für Radler aber in beiden Richtungen befahrbar ist. Je enger es werde, umso mehr passten die Fahrer auf, argumentierte Weber-Guskar - ein Argument wie in Bohmte. Von oben auf die Bahnunterführung blickend, wünschte sich der ADFC-Kreisvorsitzende Anton Maier zumindest einen deutlicheren Hinweis auf von unten entgegenkommende Radfahrer.
Fragen nach der Berechtigung mancher Einbahnstraßen

Weiter ging es zur unteren Traubinger Straße. Sie ist eine Einbahnstraße, aber für Radler beidseits geöffnet. Dort gab es Fragen, warum sie eigentlich eine Einbahnstraße sei. Weil sie für Autofahrer zu unübersichtlich sei, sagte Claus Piesch, der auch stellvertretender Tutzinger ADFC-Ortssprecher ist.
Die Zufahrt von der Traubinger Straße zum Parkplatz auf dem Grundstück der ehemaligen TSV-Halle ist Tutzings kürzeste Einbahnstraße, bemerkte Piesch. Er sähe kein Problem, diese Zufahrt für Radler in Gegenrichtung, also auf die Traubinger Straße hinaus, zu öffnen.

Sanierung der Hauptstraße bringt Chancen für Neugestaltungen

Auch in der Greinwaldstraße, die für Autos zur Hälfte eine Einbahnstraße ist, dürfen Radfahrer bereits in beiden Richtungen fahren. Ein entsprechendes Hinweisschild oben ist allerdings verschwunden, wie die Teilnehmer der Besichtigung feststellten.
Diskussionen gab es wegen des Zebrastreifens und zweier Poller vor der Grund- und Mittelschule. Ein erhöhter Zebrastreifen oder Bodenwellen, meinten mehrere Teilnehmer, würden zur Verkehrsverlangsamung bessere Dienste leisten. Manche Autofahrer schienen sich durch die Poller eher zum Beschleunigen veranlasst zu sehen.
Noch mehr Sorgen klangen wegen der engen Einmündung in die Hauptstraße durch. Auf Verbesserungen hofft ADFC-Ortssprecher Martin Held im Zuge der bevorstehenden Straßensanierung. So könne man beispielsweise den untersten Parkplatz nur für Motorräder oder Radlständer vorsehen und die weiteren Parkplätze etwas von der Straße weg rücken, um mehr Raum zu schaffen.
Die im August startende Sanierung der Hauptstraße ist Sache des Staatlichen Bauamts. Aber im Zuge dieses Großprojekts wird schon lange über die Möglichkeit von Neugestaltungen im Umfeld und im Ortszentrum insgesamt diskutiert, so auch besonders an den von der Hauptstraße abzweigenden Gemeindestraßen. Der stellvertretende ADFC-Ortssprecher Claus Piesch hält es für sinnvoll, dass die mit den Sanierungsmaßnahmen befassten Verkehrs- und Landschaftsplaner Verbesserungen der Straßeneinmündungen gleich mit als Aufgabe bekommen.

Eignung der Hallberger Allee fürs Radeln in beiden Richtungen umstritten

Als die Gruppe in der Hallberger Allee anlangte, war deren Eignung für gegenläufigen Radverkehr etwas umstritten. Auch wenn dort längst nicht wenige Radfahrer gegen die Einbahnrichtung hinunter fahren, betrachtet ADFC-Ortssprecher Held die derzeitige Gestaltung als nicht passend. Eine Fußgängerin, erzählte er, wäre dort fast von einem Radfahrer „über den Haufen gefahren worden". Er hofft auf städtebauliche Maßnahmen, so eine Erweiterung der Einmündung im Zuge der Hauptstraßen-Sanierung und des Umbaus am Andechser Hof. Toni Aigner meinte dagegen, man könne die Hallberger Allee schon jetzt für Radfahrer öffnen.
Bräuhausstraße vor Bewährungsprobe als Umleitungsstrecke
Die Bräuhausstraße ist für Radfahrverkehr in beiden Richtungen freigegeben und auch geeignet, wie Held sagte. Ihre Bewährungsprobe als Umleitungsstrecke während der Anfang August beginnenden Sanierungsarbeiten an der Hauptstraße steht aber erst noch bevor. Anwohner halten laut Held die derzeitige Parkregelung auf der einen Seite für ungeeignet.
ADFC widerspricht der Polizei: Mühlfeld- und Midgardstraße nicht zu eng

Zu eng fürs Radeln in beiden Richtungen ist nach Auffassung der Starnberger Polizeiinspektion die von der Hauptstraße zur Brahmspromenade führende relativ schmale Mühlfeldstraße. Das ist im Verkehrsausschuss berichtet worden, als Aigners Antrag zur Debatte stand. ADFC-Ortssprecher Held hält die Ansicht der Polizei für falsch. Um dies zu belegen, hatte er am Montag extra einen Zollstock mitgebracht. Er maß nach: 3,50 Meter breit sei die Straße – und das reiche für ein Auto und einen Radfahrer nebeneinander aus. Die Von-Kühlmannstraße, die gegenüber den Berg hinauf führt, sei nicht als Einbahnstraße ausgewiesen – und auch dort funktioniere es, obwohl diese Straße nur 3,20 Meter breit sei. Genauso könne die Midgardstraße, auf der man in Fortsetzung der Mühlfeldstraße wieder zur Hauptstraße hinauf gelangt, für Radler in beiden Richtungen freigegeben werden.

Maßnahmen gegen "Radl-Rowdys" an der Seepromenade
An der Brahmspromenade wunderten sich alle Teilnehmer über Fußgängerschilder an solchen Wegen, auf die eigentlich Radfahrer verwiesen werden, so am oberen Seeweg auf Höhe des Midgardhauses. Vor dem Spielplatz, wo sich der Weg teilt, könnten Schilder „nach Feldafing und Starnberg“ den Radlern in die richtige Richtung verhelfen, schlug jemand vor. Einige Maßnahmen gegen „Radl-Rowdys“, die zurzeit für hitzige Diskussionen sorgen, hat die Gemeinde schon ergriffen. So hat sie etwas weiter nördlich, zwischen Midgardhaus und Nordbad, kurze, aber steile Hänge gesperrt, die gern fürs „Mountainbiken“ der besonderen Art genutzt wurden.
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Kommentare
Da wird dann offenbar die Frage der Verkehrssicherheit ganz ausgeblendet."
Daran zeigt sich, dass der ADFC eben eine typische Lobbyisten-Truppe ist (wie viele andere auch), die sich bei ihren Argumenten opportunistisch jeweils das herausgreifen, das ihnen für die Interessen ihrer eigenen Klientel gerade hilfreich erscheint. Das mag mal die ökologische Verkehrswende sein, mal die Verkehrssicherheit, und manchmal die Freiheit gegen die Einbahnrichtung zu fahren.
Sarkasmus beiseite: Eventuell sollten wir alle nochmal die STVO §1 verinnerlichen und überlegen, wie dies innerorts zu interpretieren ist. Ich muss jederzeit und überall mit Fußgängern oder anderen Verkehrsteilnehmern rechnen, und sei es das spielende Kind hinter dem Ball. Da können wir noch so viele Haare über Detailregeln und Zentimeter spalten. Und übrigens gilt auch diese für alle Verkehrsteilnehmer!
* ohne statistischen Nachweis basierend auf persönlichem "Gefühl" sind dies zum Beispiel der allzeit bereite Audi Q7 (2,18 m inkl. Außenspiegel), der vielseitige VW Bus California (2,30 m), und ja auch der Alhambra für die große Familie (mit immer noch 1,90 m)
Interessante Frage. So wie ich diese Neuregelung in der STVO verstanden habe, gilt das primär für Überholvorhaben, aber gewiss auch wenn man einem Radfahrer begegnet und - aus welchem Grunde auch immer - auf dessen Fahrspur wechseln möchte. Mind. 1,5 Meter Abstand halten innerorts, außerorts 2,0 Meter.
Was aber, wenn Straßen so schmal sind, dass der Raum für 2 getrennte und ausgewiesene Fahrspuren fehlt? In den o. g. Beispielen 3,20 bzw. 3,50 Meter. Überholvorgänge sind dann folgerichtig nicht erlaubt; PKW, Sprinter, LKW und Busse müssen hinten bleiben, ohne zu drängeln! Im Begegnungsverkehr sollten beide aus Vorsicht und aus Rücksichtnahme auf den jeweils Anderen ihr eigenes Tempo reduzieren, sowie das Rechtsfahrgebot strikt befolgen.
(Herr Schotter möge mich ggf. korrigieren.)
Übrigens: Ein Radfahrer selbst ist - je nach Gefährt und eigener Körperlichkeit - 60-100 cm breit, für den Sicherheitsabstand zum Straßenrand, Zaun, Hecke etc. sollte man gewiss nochmals ca. 30 cm einplanen... und das korrekt in der Einbahn-Richtung entgegenkommende KFZ braucht seinerseits rechts auch einen eigenen Sicherheitsabstand zum Straßenrand. All' das muss man wohl in die Berechnungen mit einbeziehen. Da wird der Platz rasch knapp.
Auf der einen Seite werden richtigerweise Fahrradschutzstreifen gefordert um die Verkehrssicherheit zu erhöhen um dann auf der anderen Seite die Forderung zustellen, Einbahnstraßen gegen die Fahrtrichtung fahren zu dürfen.
Da wird dann offenbar die Frage der Verkehrssicherheit ganz ausgeblendet.