Verkehr
11.3.2020
Von Lorenz Goslich

ADAC-Präsident will Alternativen zum Auto

Spitzentreffen in Tutzing: Vertreter des Auto- und des Fahrradclubs plädieren für Mobilitätswende

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Ein "Traumpaar der Diskussion" in Tutzing: August Markl und Bernadette-Juliane Felsch mit Akademiedirektor Udo Hahn (v.li. am Podium) in der Rotunde © L.G.

Ein „Traumpaar der Diskussion“ war es für einen Besucher: Zu Gast in der Evangelischen Akademie Tutzing waren am Montag der Präsident des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC), Dr. August Markl, und die bayerische Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), Bernadette-Juliane Felsch. Auf Einladung der Akademie und des Rotary-Clubs Tutzing diskutierten sie bei der „9. Tutzinger Rede“ über „Die Zukunft der Mobilität“. Da sich Verfechter des Autos und des Fahrrads bei diesem Thema nicht unbedingt einig sind, war wohl eher ein Traumpaar hoher Streitkultur gemeint. Immerhin war der ADFC vor 30 Jahren als Gegengewicht zum ADAC gegründet worden, wie Akademiedirektor Udo Hahn bemerkte.

Doch die beiden Referenten gingen keineswegs aufeinander los. Die Veranstaltung verlief ganz im Gegenteil recht harmonisch, die Formulierungen waren beidseits fast schon betont vorsichtig. „Manche werfen uns vor, wir seien gegen das Auto“, sagte beispielsweise die ADFC-Landeschefin, deren Vater einst „Crashtester“ beim ADAC war: „Aber das ist nicht der Fall“, versicherte sie. Allerdings wünsche sich der ADFC eine andere Mobilität als die, die heute existiere: „Eine Mobilitätswende ist dringend nötig.“ Der ADAC-Präsident wiederum sagte, die Mobilität sei ein Grundbedürfnis der Menschen. Doch: „Als Rede und Gegenrede funktionieren Auto und Fahrradverkehr nicht mehr.“ Generell wandte er sich gegen „ideologische Grabenkämpfe“: „Sie gehören der Vergangenheit an.“

"Freie Fahrt für freie Bürger": Markl will weg von alter ADAC-Forderung

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ADAC-Präsident Dr. August Markl plädiert dafür, die Mobilität in den Städten zu überdenken © ADAC

Es war schon fast pikant: Der Präsident des Automobilclubs vermittelte den Eindruck, dass er weg will vom reinen Auto-Image. „Für das Auto müssen ausreichend Alternativen entwickelt werden“, forderte er, und: „Ich bin dafür, dass man die Mobilität in den Städten überdenkt.“ Der ADAC setze sich für die bestmögliche Mobilität ein - zu Fuß, mit Rad oder Pedelec, Mofa, Auto oder Flugzeug, „wenn es nicht anders geht“.

Dass in dieser Hinsicht das Fahrrad in Zukunft eine größere Rolle spielen sollte als bisher, darin schienen sich alle einig zu sein. Die bayerische ADFC-Vorsitzende pries das Rad als effizientestes, kostengünstigstes und umweltfreundlichstes aller Verkehrsmittel an. Schon beim Parken benötige das Auto elf Mal mehr Fläche als ein Fahrrad, in Bewegung noch viel mehr. Radfahren sei flexibel, fördere die Selbstständigkeit, auch bei Kindern, und die Gesundheit. Menschen, die viel zu Fuß gehen und mit dem Rad fahren, wiesen weniger Fehltage in der Arbeit und eine höhere Lebenserwartung auf. Mit den so genannten Cargo-Bikes werde auch der Transport mit Fahrrädern erleichtert.

Der ADAC-Präsident nannte sich selbst einen leidenschaftlichen Fußgänger und Radfahrer („Wenn auch mit Pedelec, meinem Alter geschuldet“). Was er sagte, klang über weite Strecken so, als versuche er die ADFC-Vertreterin regelrecht zu bestärken. Sogar die Formulierungen waren ähnlich. So plädierte Felsch für eine deutlich bessere Rad-Infrastruktur, und Markl mahnte eine bessere und emissionsärmere Mobilitäts-Infrastruktur an. Die vom ADAC 1974 ausgerufene Parole „Freie Fahrt für freie Bürger“ will er nicht mehr verwenden. „Ich sehe Fridays for future mit Bewunderung und Respekt“, fügte er hinzu. Es sei positiv, dass sich die junge Generation so sehr für den Klimaschutz engagiere. Der ADAC habe den Klimaschutz in diesem Jahr explizit in seiner Satzung erfasst. Ob der Club damit eher spät dran ist, das thematisierte er nicht. Er betonte aber: „Auch für den ADAC sind Investitionen in Radwege ein echtes Anliegen - da ziehen wir an einem Strang.“

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Bernadette-Juliane Felsch kritisiert "unsinnige Autofahrten"

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Bayerns ADFC-Landesvorsitzende Bernadette-Juliane Felsch fordert ein flächendeckendes Radwegenetz © ADFC

Die ADFC-Landeschefin sprach demgegenüber von „recht unsinnigen Autofahrten“: In Deutschland würden 81 Millionen Autofahrten über weniger als fünf Kilometer und 113 Millionen Autofahrten über weniger als zehn Kilometer zurückgelegt. Auch das schien Markl ganz ähnlich zu sehen: Es sei fraglich, „ob man wirklich für eine Ausfahrt am Wochenende das Auto eine ganze Woche lang stehen lassen muss“.

Ein Besucher forderte 50 Prozent weniger Autos als heute. In den Städten könne man sich kaum noch bewegen, in Hamburg beispielsweise parkten die Autos die Gehwege zu: „90 Prozent der Privatautos stehen zu mehr als 90 Prozent herum.“ Für Bayerns ADFC-Chefin wird viel zu viel Geld ins Auto und in Straßenbauten gesteckt. Sie plädierte nachdrücklich für ein flächendeckendes Radwegenetz, so wie das in etlichen anderen Regionen und Städten der Welt schon längst vorgemacht werde. Sie nannte Beispiele wie die Niederlande, Skandinavien, Barcelona, Kopenhagen oder Helsinki. Auch Sperrungen von Innenstädten für motorisierten Verkehr hätten sich positiv ausgewirkt, sogar auf die Umsätze des Handels.

Kritische Schärfe brachten mehr als die Referenten einige Besucher der Veranstaltung ein. Die mächtige Autoindustrie in Deutschland habe „eine bestimmte Politik gemacht“, sagte einer, der dem ADAC-Präsidenten sogar vorhielt: „In den letzten 40 Jahren waren Sie das Sprachrohr der Industrie.“ Das wollte Markl aber nicht auf sich sitzen lassen. „Ich bin seit sechs Jahren dabei“, erwiderte er, „seitdem stimmt das nicht mehr.“ Er habe nicht mit der Autoindustrie „gekuschelt“. Er bestätigte zwar, dass die Autoindustrie eine Schlüsselindustrie sei und dass der ADAC über lange Zeit als Automobilclub agiert habe. Doch inzwischen ist die Strategie nach seiner Darstellung eine ganz andere: „Jetzt sind wir ein Mobilitätsclub, wir sind nicht mehr der Club allein für die Autofahrer.“

Udo Hahn fragt vorsichtig nach Mobilitäts-Einschränkungen

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Akademiedirektor Udo Hahn leitete die Diskussion gekonnt © eat

Dass die Diskussion sachlich verlief, hatte viel mit der gekonnten Moderation durch Akademiedirektor Udo Hahn zu tun. Zu Beginn bezeichnete er Mobilität als „ein Muss in der modernen Gesellschaft“. Eine eher schwierige Frage stellte er - vorsichtig, als sei es ein heißes Eisen - erst gegen Schluss: „Könnten wir nicht auch mit weniger Mobilität auskommen?“ Alles sei auf Wachstum ausgelegt: „Wir wollen uns eigentlich gar nicht einschränken.“ Auch mit dieser Frage beschäftige sich der ADAC, sagte Markl. Aber es hänge davon ab, wo man sich befindet. Bei weniger Mobilitätsangeboten auf dem Land hätte er Bedenken, sagte er: „Zum Beispiel einen Handwerker mit schweren Maschinen auf einem Cargo-Fahrrad stelle ich mir schwierig vor.“ Mobilität müsse deshalb möglich bleiben. Für die ADFC-Landesvorsitzende Felsch ist Konsumverzicht immer eine Option. „Die meisten unserer Mitglieder haben kein Auto“, sagte sie, „sie verzichten schon.“

Wahrscheinlich gehe es nur über den Geldbeutel, fügte Felsch hinzu. 30 Euro für ein ganzes Jahr parken wie in Teilen von München führe nur zu Auswüchsen. So habe sie ein Auto „voller Plunder“ gesehen, das ein Jahr nicht bewegt worden sei: „Das wird als Lagerraum genutzt.“ Wenn die abgestellten Autos aus den Städten entfernt würden, dann gäbe es deutlich mehr Platz. Wenn ein Parkhaus für Räder am Münchner Hauptbahnhof gefordert werde, erhalte man schnell die Antwort, die Leute führen doch sowieso nicht mit dem Rad zum Bahnhof, sagte sie. Aber vielleicht sei es genau umgekehrt: Die Menschen führen vielleicht gerade deshalb nicht mit dem Rad, weil sie wüssten, dass es am Bahnhof keinen sicheren Parkplatz für ihr Rad gibt.

Einmal am Tag um 13.49 Uhr fährt ein Bus nach Lenggries

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Von so einem Mobilitätsangebot können viele Bewohner ländlicher Regionen nur träumen © L.G.

Allerdings warnte Markl vor „überbordenden Regeln“. Und man dürfe bei all dem die ländliche Bevölkerung nicht vergessen: „Auf dem Land fühlen sich viele abgehängt.“ Es gebe Menschen, die ihr Auto täglich bräuchten. Was informationstechnisch möglich sei, das sei heute nur für einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung umsetzbar. Home-Office beispielsweise gebe es für die meisten Menschen nicht. „Welche Einschränkungen können wir der Bevölkerung zumuten ohne soziale Verwerfungen?“

Eine Besucherin aus Pähl schilderte ihr persönliches Beispiel. Sie arbeitet im Münchner Westend, und bei ihr gehe es schlicht um die Frage: „Will ich meine Kinder sehen?“ Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln benötige sie - auch weil Verbindungen nicht klappten – deutlich länger als mit dem Auto. Der Tutzinger Bahnhof ist für sie „ein Abbild des Münchner Bahnhofs“ - die Parkplätze für Fahrräder und Mopeds seien „katastrophal“, die Fahrzeuge stünden „mehr oder weniger übereinander“.

Ausgaben für die Infrastruktur seien zwingend, sagte Markl: „Aber Sozialausgaben haben oft höheres Gewicht.“ Er selbst wohne in einem kleinen Bauerndorf im Tegernseer Tal, erzählte Markl. Dort halte drei Mal am Tag ein Bus. Zwei Mal handele es sich um einen Schulbus, mit dem er nicht fahren dürfe, einmal sei es ein öffentlicher Bus. „Ich muss aber nicht jeden Tag um 13.49 Uhr nach Lenggries und samstags um 7.39 Uhr nach Bad Tölz.“

Auch bei der Elektromobilität gibt es noch ungelöste Probleme

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Elektroladesäulen an der Autobahn: Raststätte Wilsdruff Nord westlich von Dresden © "obs/Autobahn Tank & Rast/Oliver Killig"

Die Elektromobilität bezeichnete der ADAC-Präsident als eine faszinierende Entwicklung, der ADAC engagiere sich dabei stark. Doch es gebe noch etliche ungelöste Probleme, so in der Batterieproduktion. „Vielleicht werden sich andere Antriebe als wesentlich zukunftsträchtiger erweisen“, sagte er. Auch der Verbrennungsmotor könne in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, so mit synthetischen Kraftstoffen oder Wasserstoff. Ein Besucher wies darauf hin, dass bei Verbrennungsmotoren nur 20 Prozent der Energie auf der Straße, 80 Prozent aber in der Luft landeten. Bei der Elektromobilität sei die Effizienz viel besser, bei ihr gingen 90 Prozent auf die Straße. Und Wasserstoff müsse man erst mit hohem Energieaufwand herstellen.

Zur Elektromobilität erwiderte Markl: „So lange der Strom aus der Steckdose kommt und ich nicht weiß, woher er kommt, sind wir noch weit davon entfernt, ökologisch zu sein.“ Alle wollten nach Umfragen ökologisch unterwegs sein - aber wenn es teurer und weniger leistungsfähig sei, dann wollten sie es lieber doch nicht. Licht und Sonne müssten aufgefangen werden, sagte der kritische Besucher. „Satelliten fliegen alle mit Photovoltaik – wir auf der Erde sind Steinzeitmenschen.“ Markl sprach sich für Technologie-Offenheit aus - man dürfe keinesfalls alles auf eine Karte setzen.

Tempolimit: Markl überrascht von Scheuers Äußerungen über den ADAC

Zu Beginn dieses Jahres hat der ADAC seinen Widerstand gegen ein Tempolimit aufgegeben. Dazu sagte Markl, die Reaktion von Bundesverkehrsminister Scheuer habe ihn überrascht: „Sich bei unseren Mitgliedern erkundigen, ob sie noch im richtigen Club sind - so etwas macht man nicht.“ Den Politikern warf Markl auch vor, dass sie bestimmte Forderungen nicht ernst nähmen, so nach verpflichtenden Assistenzsystemen fürs Abbiegen. "Noch zu wenig Sicherheit für Radfahrer"

Wird die IAA in München zur "Munich Mobility Show"?

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Mobilität der Zukunft: Sieht sie so aus - und kann die bisherige IAA sie widerspiegeln? © Avis Budget Group

Aus aktuellem Anlass bat Akademiedirektor Udo Hahn auch um Kommentare zur Aufsehen erregenden Verlegung der Internationalen Automobil-Ausstellung IAA von Frankfurt am Main nach München. Da bestand unter den Referenten und auch Zuhörern Einigkeit: Die Vernetzung aller Verkehrsmittel müsse im Mittelpunkt stehen. Eine Umbenennung in „Internationale Mobilitäts-Ausstellung“, also IMA, wäre angebracht, sagte Felsch - jedes Jahr eine Messe für Autos mit immer mehr Gewicht und lauter Verbrennungsmotoren sei „anachronistisch“.

Auch ein Vertreter der Münchner Messegesellschaft war anwesend, der mit den Vorbereitungen des IAA-Umzugs befasst war. Schon bei der Bewerbung sei völlig klar gewesen, sagte er, dass für die Verantwortlichen der Münchner Messe eine Neuausrichtung unumgänglich ist. Er nannte das Stichwort „Munich Mobility Show“. Von der ADFC-Landesvorsitzenden wollte er wissen, was zu tun sei, damit der Fahrradclub die IAA endlich „umarme“. Ihre Antwort: Die Messe müsse die verschiedenen Mobilitätsformen gleichberechtigt präsentieren. Alternative Angebote dürften nicht nur ein „Feigenblatt“ sein. „Wir wollen auf der IMA auch Fahrräder sehen“, sagte sie. Aber die Integration einer Fahrradmesse, auf der auch ein paar Helme gezeigt würden, reiche nicht aus.

"Fahrradstädte" Erlangen und Kopenhagen

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In kaum einer anderen Stadt der Welt fahren so viele Menschen Rad wie in Kopenhagen © obs/ZDF/Nikola Krivokuca

Fasziniert zeigte sich die ADFC-Landesvorsitzende vom "Umbau" von Kopenhagen zu einer Fahrradstadt. Ähnlich beeindruckt schilderte Udo Hahn, wie ein Bürgermeister die Stadt Erlangen, in der der Akademiedirektor studiert hat, zur Fahrradstadt machen wollte und wie das gelungen ist: „Heute ist es die Stadt mit dem höchsten Radverkehr.“

Hahn vermutete: „Wo sich keiner dafür interessiert, passiert nichts.“ Felsch wies darauf hin, dass es schon in zehn bayerischen Städten so genannte Rad-Entscheide gegeben habe: „Das hat viel Druck gemacht.“ Doch es gebe auch Menschen, die um ihre „Pfründe“ fürchteten. Mancher Autofahrer bekomme einen „roten Kopf“, wenn er einen Fahrradfahrer auch nur von Weitem sehe: „Solche Leute fürchten, sie müssten etwas abgeben.“ In Luxemburg könnten die Menschen umsonst den öffentlichen Personennahverkehr nutzen, der ohnehin zu 60 Prozent steuerfinanziert werde, sagte ein Besucher. Und in Wien sei vor einer Baustelle zuerst eine neue U-Bahn-Linie gebaut worden, so dass die Arbeiter dann mit ihr zu ihrem Einsatzort fahren konnten.

Im Vergleich mit anderen Regionen sei Deutschland bei solchen Themen Entwicklungsland, kritisierte ein anderer Teilnehmer: „Österreich gibt vier Mal soviel, die Schweiz sechs Mal soviel für den Schienenverkehr aus wie Deutschland.“ Er fragte, weshalb bei der „Tutzinger Rede“ kein Vertreter des Schienenverkehrs anwesend gewesen sei. Einer war aber doch dabei: Als Vertreter des Bundesverbands Führungskräfte deutscher Bahnen stellte er sich vor. Und er mahnte andere politische Prioritätensetzungen an. Es gebe „fürchterlich lange“ Planungszeiten, so beim Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke in München: Der Bau selbst dauere vielleicht zehn Jahre, alles zusammen aber 30 bis 40 Jahre.

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Gegeneinander? Miteinander? © obs/Motor Presse Stuttgart, AUTO MOTOR UND SPORT
Quelle Titelbild: obs/Motor Presse Stuttgart/AUTO MOTOR UND SPORT
ID: 2780
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Lorenz Goslich

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Kommentare

"Wahrscheinlich gehe es nur über den Geldbeutel, fügte Felsch hinzu." So das Zitat.
Das scheint ein weit verbreiter Konsens in unserer Gesellschaft zu sein.
Mal abgesehen davon, dass die Verkehrsalternative zuerst da sein sollte, bevor man das Bisherige verbietet oder zumindest schwer bezahlbar macht.

Ich widerspreche der genannten These!
Für eine liberale und demokratische Gesellschaft ist diese Einstellung eine Bankrotterklärung! Bedeutet sie übersetzt doch nicht weniger als: Wir alle insgesamt als Gesellschaft sind zu dumm, zu uneinsichtig, zu unvernünftig, zu verantwortungslos und zu egoistisch um unser Verhalten aus eigener Einsicht den Notwendigkeiten der Zukunft anzupassen. Immerhin zwingen die Anhänger der Geldbeutel-These die Menschen nicht mehr wie in früheren Jahrhunderten mit Knute & Schwert zum Wohlverhalten, sondern „human“ über den Geldbeutel.
Aber was bedeutet dies in der Realität? CO-Steuer auf Benzin & Diesel (zusätzlich zur bereits vorhandenen Ökosteuer), Parkgebühren erhöhen, Fahrverbote für veraltete Fahrzeuge, evtl. eine Straßen- oder Citymaut einführen, etc. Und der ökologische Lenkungserfolg? Hat die Einführung der Ökosteuer vor 21 Jahren die erwünschte Wirkung gehabt? Teils/teils. Viele Bürger haben tatsächlich beim Autokauf brav auf niedrigeren Verbrauch und geringeren Schadstoffausstoß geachtet; und wurden dabei oft von der Industrie betrogen. (Von der gleichen Industrie übrigens, die ihrerseits vom Zugriff der Ökosteuer großflächig geschützt wurde.) Aber gleichzeitig florierte in all' diesen Ökosteuer-Jahren auch der Markt für große, extrem leistungsstarke Automobile mit entsprechend kritischer Ökobilanz.
Zusammengefasst funktioniert Verhaltensbeeinflussung über den Geldbeutel v. a. bei unteren & mittleren Einkommen. Wer es sich aber leisten kann, kann sich einfach davon freikaufen.

Ist das wirklich unsere Vorstellung für Tutzing/Bayern/Deutschland/Europa von einer liberalen und demokratischen Gesellschaft?
Als Alternative sehe ich den langen aber nachhaltigen Weg der Geduld, der Aufklärung, der Vernunft und der Verantwortung für das eigene Verhalten.

Mal ein ganz schräger Vergleich: Rauchen...
Wir als Gesellschaft versuchen seit Jahren das Rauchen mühsam herunter zu fahren. (Über die Gründe müssen wir hier nicht diskutieren.) Dabei arbeiten wir teilweise auch mit Rauchverboten. Aber hat die Tabakindustrie Zwang gearbeitet? „Entweder Du rauchst jetzt, oder wir bestrafen Dich!“ Nein, das gab's natürlich nicht, denn eine solch plumpe Aktion hätte unweigerlich eine breite Trotzreaktion provoziert.
Die Tabakindustrie hat über Jahrzehnte und weltweit sehr erfolgreich mit Verlockung gearbeitet! Werbung, Vorbilder und Informationen (genauer gesagt falsche Informationen über die gesundheitlichen Risiken). Extrem erfolgreich. Übrigens in allen Kulturen!
Damit hat uns die Tabakindustrie in der Realität unbestreitbar bewiesen, wie effizient und wirksam auch richtige Aufklärung sein könnte.
(Bearbeitet)
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