Radfahren gegen Einbahnregelungen? So geschieht es schon lange auf vielen Straßen, auch wenn es nicht offiziell genehmigt ist. Mehr und mehr folgen die behördlichen Anordnungen aber in Tutzing der Realität: Auf verschiedenen Straßen wird das Einfahrverbot für Radfahrer beseitigt. So geschehen schon vor längerer Zeit in der unteren Traubinger Straße, zwischen Oskar-Schüler-Straße und Hauptstraße, in der Bahnunterführung an der Kustermannstraße und vor ein paar Wochen auch in der Greinwaldstraße.
Dr. Toni Aigner von den Freien Wählern, von dem ein entsprechender Antrag stammte, wollte im Verkehrsausschuss des Gemeinderats eigentlich noch viel mehr erreichen: Radfahrer sollten nach seiner Auffassung in Zukunft generell alle gemeindlichen Einbahnstraßen in beiden Fahrtrichtungen nutzen können. Doch da hatte die um eine Stellungnahme gebetene Starnberger Polizeiinspektion etwas einzuwenden. Sie hält beispielsweise die Midgardstraße für zu eng, weil dort im Sommer die Autos am Straßenrand parkten. Auch in der Hallberger Allee gilt die Einbahnregelung bisher für Radfahrer weiter, obwohl so manche von ihnen dies ignorieren und viele auch dort eine Aufhebung des Verbots befürworten würden. Die Tendenz geht klar in diese Richtung. „Es gibt eine ganze Reihe von Gemeinden, die alle Einbahnstraßen für Radfahrer geöffnet haben“, sagte ein Vertreter der Gemeindeverwaltung kürzlich im Verkehrsausschuss. Er berichtete über Umfragen, in denen solche Regelungen gelobt und schon fast als Selbstverständlichkeit beurteilt würden.
Unkorrekte Autofahrer, unvernünftige Radfahrer
Ob diese Lösung immer richtig ist, darüber gehen die Ansichten allerdings mittlerweile recht deutlich auseinander. Vor erheblichen Gefahrensituationen wurde bei einer Versammlung der Aktionsgemeinschaft Tutzinger Gewerbetreibender (ATG) gewarnt, seit die neue Regelung in der Greinwaldstraße eingeführt worden ist. Der Geschäftsmann Arnold Walter zeigte sich ziemlich entsetzt über seine Beobachtungen. Viele Autofahrer fahren nach seinen Worten nicht korrekt, parken zum Beispiel unerlaubt. Gleichzeitig seien viele Radfahrer zu schnell und vielfach unvernünftig unterwegs, mal führen sie links, mal rechts. Viele von ihnen, sagte er, „donnern“ regelrecht die Straße hinunter.
Gegenseitige Beschimpfungen
Andere halten die Greinwaldstraße für breit genug. "Nur das kleine kurze Stück unten ist etwas schmäler", so Gerd Vahsen (siehe Kommentar unten). Nach Walters Meinung aber kann es kritisch werden, wenn von unten gleichzeitig an der recht engen Einmündung ein Auto einbiege, dessen Fahrer wegen der Einbahnregelung nicht mit entgegenkommenden Fahrzeugen rechne. Dann seien Unfälle vorprogrammiert, sagte er bei der ATG-Versammlung: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es knallt.“
Tatsächlich steht ein Schild mit Hinweis auf möglicherweise entgegenkommende Radfahrer nur auf der einen Seite, so dass von Norden in der Hauptstraße kommende Autofahrer auf sie aufmerksam gemacht werden. Wer auf der Hauptstraße von Süden kommt, sieht nur ein Schild "Einbahnstraße", das die Greinwaldstraße hinauf zeigt.
Da reagiert mancher Autofahrer recht überrascht, wenn ihm plötzlich doch ein Radfahrer entgegenkommt. Gegenseitige Beschimpfungen sind nicht selten die Folge, wie Walter berichtete, denn in solchen Situation fühlt sich jeder im Recht.
Zwischen den parkenden Autos wird es eng
Auch die Parksituation in der Greinwaldstraße war bei der Versammlung ein Thema. Wenn auf beiden Seiten der Straße Autos stehen, wird es zwischendrin eng - was die Polizei im Gegensatz zur Midgardstraße nicht gestört zu haben scheint. Häufig parken die Autos auch noch recht weit vom Gehweg weg, so dass die Durchfahrt immer schmaler wird. Autos und Radfahrer kommen in solchen Fällen kaum aneinander vorbei. Walter plädierte dafür, die Erlaubnis für Radfahrer, entgegen der Einbahn zu fahren, wieder aufzuheben.
Bürgermeisterin Marlene Greinwald, die bei der ATG-Versammlung anwesend war, berichtete tags darauf im Verkehrsausschuss von dieser Diskussion. Fast „erschreckend“ sei es für sie gewesen, wie die Gefahrensituationen beschrieben wurden. Die Rathauschefin ist selbst viel mit dem Rad unterwegs, und sie schien das alles kaum fassen zu können. Auch Fahrradfahrer müssten sich an die Verkehrsregeln halten, und sie müssten vorausschauend fahren, sagte sie: „Wenn es eng wird, steig' ich halt ab und schieb das Radl auf der Seite.“ Schon aus reinem Selbsterhaltungstrieb müssten Radfahrer aufpassen.
Kinder fahren in ansehnlichem Tempo über Ein- und Ausfahrten hinweg
Anwohner der Greinwalstraße haben auch mit jungen Leuten bemerkenswerte Erfahrungen gemacht. Bis zum vollendeten achten Lebensjahr dürfen Kinder nach der Straßenverkehrsordnung nicht auf der Fahrbahn fahren, sie müssen den Gehweg benutzen, falls es einen solchen gibt. Seit ein paar Jahren darf auch eine erwachsene Begleitperson auf dem Gehweg mitfahren. Auf dem Gehweg der abschüssigen Greinwaldstraße fahren Kinder aber nicht selten in ansehnlichem Tempo - und zwar oft recht rasant über Einfahrten und Straßeneinmündungen hinweg, ohne ihre Geschwindigkeit zu verlangsamen. Mütter und Väter fahren in solchen Situationen gelegentlich auf der Straße nebenher und ermuntern ihre Kinder noch dazu, etwa nach dem Motto: Die Autofahrer müssen ja aufpassen. Aber selbst äußerst langsam aus den Einfahrten nahende Autofahrer können manchmal nur durch eine Vollbremsung einen Aufprall verhindern, wenn plötzlich so ein Kind vorbeirast. Dass es fast geknallt hätte, merkt der oder die junge Radfahrer(in) häufig gar nicht.
Radfahrer werden von Autofahrern gern "übersehen"
Umgekehrt haben Radfahrer oft ihre lieben Sorgen mit den Autofahrern. Mit dem Zweirad glauben viele von ihnen schlicht nicht als vollwertige Verkehrsteilnehmer anerkannt zu werden.
Auf der engen Kirchenstraße beispielsweise, die bei parkenden Fahrzeugen auf einer Seite die Durchfahrt nur für ein Auto erlaubt, pressen sich nicht wenige Autofahrer trotzdem an Radfahrern vorbei, was sie bei Autos nie tun würden.
Ähnlich werden eine Straße entlang kommende Radfahrer von Autofahrern, die aus einer Nebenstraße einbiegen wollen, gern „übersehen“, auch wenn sie schon sehr nah sind.
Bürgermeisterin Greinwald liebäugelt mit "Shared Space"
Bürgermeisterin Greinwald vermittelte im Ausschuss den Eindruck, dass sich im Verkehrsgeschehen etwas verändert hat. Speziell über manche Radfahrer wunderte sie sich. „Was ist los mit unseren Radlfahrern, dass sie nicht mehr aufpassen?“ fragte sie und fügte hinzu: „Ich sehe Radfahrer, die fahren wie die Wilden und überfahren Fußgängerampeln.“
Angesichts der zurzeit verbreiteten Plädoyers fürs Radfahren ziehen solche Bemerkungen schnell Widerspruch auf sich. So war es auch im Verkehrsausschuss. Vor allem Christine Nimbach (Grüne) und Toni Aigner wehrten sich gegen Pauschalkritik. Viele Radfahrer verhalten sich nach ihrer Überzeugung vernünftig. Die negativen Erlebnisse seien einer oder zwei Fälle von 100, sagte Aigner, das werde alles hochgespielt.
Viel mehr gegenseitige Rücksichtnahme hält Bürgermeisterin Greinwald auf alle Fälle für wünschenswert. Sie liebäugelt für Tutzing mit dem Konzept „shared space“. Bei dieser aus Holland stammenden Planungsphilosophie sind alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt.
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Kommentare
Heute nun werden als Hinderungsgrund für eine Öffnung dieser ca. 200 m Midgardstraße für Radfahrer im Gegenverkehr im Sommer dort parkende Autos genannt. Ein Zustand, gegen den man eigentlich berechtigt vorgehen müsste. So ist der gesamte Bereich bis zur Hauptstraße mit einem sog. "Stationierungsverbot" nach § 12 StVO belegt und mehrfach mit Zeichen 238 (absolutes Halteverbot) in Verbindung mit dem Hinweis "Feuerwehranfahrtszone" so gekennzeichnet. Sollten hier, wenn dem tatsächlich so ist, Parkrowdys sowie die ihnen berechtigt anzulastenden Ordnungswidrigkeiten als akzeptierbarer bewertet werden als die Sicherheit von Radfahrern?
Vielleicht sollte mancher der Kritiker erst mal selber Rad fahren um das beurteilen zu können. Und vielleicht sollten Autofahrer einsehen, daß Straßen nicht ihnen alleine gehören, sondern allen Verkehrsteilnehmern.
Mit gegenseitiger Rücksichtsnahme sollten sich doch die Probleme gar nicht erst ergeben.