Sport
27.7.2018
Von Lorenz Goslich

"Absurde Selbstüberhöhung"

Im Tutzinger Roncalli-Haus stand der Fußball am Pranger

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Schön, aber kaputt: Sportjournalisten mit Sportschuhen und ein Ball © L.G.

Passend zum Thema hatten sie beide Sportschuhe an: Claudio Catuogno und Thomas Kistner, beide Sportjournalisten der „Süddeutschen Zeitung“, waren am Donnerstag im Tutzinger Roncalli-Haus zu Gast. „Unser Fußball: schön, aber kaputt?“ - so lautete ihr Thema. Die gut - auch von vielen jungen Menschen - besuchte Veranstaltung war eine Premiere: Erstmals hatten sich das Roncalli KulturForum und die Fußballabteilung des TSV Tutzing bei der Organisation zusammengetan. Als ausgesprochen kenntnisreich in Sachen Fußball erwies sich Tutzings katholischer Pfarrer Peter Brummer, der die Veranstaltung für das Roncalli-Kulturforum moderierte. Bei Wetten während der Weltmeisterschaft hat er ein paar Mal gewonnen, wie er erzählte. Er hat zum Beispiel auf Siege von Mexiko und Südkorea gegen Deutschland getippt.

In Tutzing war auch der Mann, der Sepp Blatter gesperrt hat

In Tutzing mit dabei war auch der Mann, der den ehemaligen Fifa-Präsidenten Sepp Blatter gesperrt hat: Hans-Joachim Eckert, Jurist, früher Vorsitzender Richter einer Großen Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht München und von 2012 bis 2017 Vorsitzender der rechtsprechenden Kammer der Fifa-Ethikkommission.

Unter Eckerts Vorsitz hat die Kammer 2015 eine vorläufige Sperre gegen Blatter, Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke sowie Uefa-Präsident Michel Platini verhängt und die Verfahren gegen sie eingeleitet, die zu Sperren und Strafen führten. Die Folge: Eckerts Entlassung wurde erfolgreich betrieben.

In Tutzing gab sich Eckert sehr zurückhaltend. Ob solche Veranstaltungen im Lokalbereich hilfreich seien? Diese Frage, die wir von vorOrt.news ihm anschließend stellten, bejahte er. Aber viel mehr wollte er nicht sagen, über ihn könne man ja alles im Internet nachlesen.

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"Ein Spielerhändler zwängt der Gesellschaft eine Debatte über Rassismus auf"

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"Mit der Mannschaft ist etwas passiert": Thomas Kistner © L.G.

Eigentlich mögen sie den Fußball alle. Kistner, bekannt für investigative Enthüllungsgeschichten zum Thema Sport, hat früher in einer Amateurliga gespielt, wie er erzählte. Catuogno, stellvertretender Ressortleiter Sport bei der "Süddeutschen Zeitung", war nach eigener Aussage Hobbytorwart. Ein Ball lag plakativ neben den beiden Referenten auf dem Boden, und sie zogen tatsächlich vom Leder. Mesut Özil, Fußball-Weltmeisterschaft, Katar, Doping: An kritischen Themen mangelte es ihnen nicht.

Kistner vermutete, dass das gesamte Verhalten von Özil - vom Fototermin beim türkischen Präsidenten Erdogan über seine Entscheidung, nicht zum Bundespräsidenten zu gehen bis zu den Vorwürfen gegen den DFB-Präsidenten Grindel - von seinen Beratern gesteuert worden ist. Und bei denen handele es sich um die selbe Agentur, die auch Bundestrainer Joachim Löw berät.

„Es ist ein Berater, ein Spielerhändler, der der Gesellschaft eine Debatte über Rassismus aufzwängt“, sagte Catuogno und fragte verständnislos, weshalb der Deutsche Fußball-Bund (DFB) „unfähig“ sei, angemessen darauf zu reagieren.

Beide Journalisten sahen interessante Unterschiede zur schwedischen Nationalelf: Als einer ihrer Spieler, der türkische Wurzeln hat, wegen eines Fouls im Spiel gegen die Deutschen kritisiert wurde, hätten alle anderen schwedischen Spieler zu ihm gehalten. „In Sachen Özil gibt es kein einziges Bekenntnis zu ihm“, sagte Kistner, „es gibt keine Solidarität.“

Catuogno befürchtete schon Folgen bis in die örtlichen Vereine hinein: „Auch in der Kreisliga wird man irgendwann den Mehmet nicht mehr dabei haben wollen.“ Das Thema Özil habe bei der Fußball-Nationalelf den „Betriebsfrieden“ gestört, sagte Kistner: „Die Mannschaft ist während der WM nicht klar gekommen.“ Mit der Mannschaft sei etwas passiert ist, was bis heute nicht bekannt sei. Bisher sei dies noch nicht öffentlich thematisiert worden. Kistner erwartet: „Das kommt wahrscheinlich demnächst.“

Korruption, Doping und Mafia-Methoden

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"Die Fifa führt die Dopingtests selbst durch": Claudio . Catuogno © L.G.

Die beiden Journalisten zeichneten auch sonst ein recht negatives Bild vom Fußball. Nach ihren Ausführungen hatte man das Gefühl, das Geschehen sei in vieler Hinsicht von Korruption, Doping und Mafia-Methoden verseucht. Auf konkrete Fragen von Pfarrer Brummer bezeichete Kistner Kroatien als eines der korruptesten Länder im europäischen Fußball - mit einem regelrechten Ausverkauf der Spieler.

Zum Doping sagte Catuogno, der Fußball-Weltverband Fifa habe nach der Weltmeisterschaft bekannt gegeben, es gebe keine positiven Dopingtests. „Warum?“, fragte er und gab gleich die Antwort: „Weil die Fifa die Tests selbst durchführt.“ Sie sei so mächtig, dass sie dafür sorgen könne, die Welt-Antidopingagentur nicht dabei haben zu wollen. Nach früheren Untersuchungen des europäischen Fußballverbands Uefa gibt es bei den Spielern eine Doping-Verdachtquote von sieben bis acht Prozent, sagte Kistner. „Da müsste bei jedem Spiel einer dabei sein“, folgerte er. Aber die betreffende Studie sei sofort in der Schublade verschwunden.

Massiv misssbraucht werden nach Kistners Worten Schmerzmittel. Sie würden nach einer Studie von 90 Prozent der Spieler und mehr verwendet. Doch auch solche Studien würden sofort „kassiert“.

Sommermärchen 2006: "Überall wird ermittelt - nur in Deutschland nicht"

Kistner sprach von einer „absurden Selbstüberhöhung“ des Fußballs. Im Sport gebe es eigentlich nur noch zwei Säulen: den olympischen Sport mit all seinen Verzweigungen und den Fußball „als alles überwältigende Sportart, die es geschafft hat, einen fast schon religiösen Status zu erreichen“. Der Fußball habe alles durchdrungen, bis hin zur Sprache mit Begriffen wie „Steilvorlage“ oder „rote Karte“, die auch in anderen Zusammenhängen gebraucht würden. Das Endspiel einer Fußball-Weltmeisterschaft sei das einzige Event, für das sich Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt interessierten.

Nur der Deutsche Fußball-Bund habe auch jederzeit Zugang zum Bundespräsidenten, so zuletzt in Sachen Özil: „Die Wasserballer hätten das wahrscheinlich nicht geschafft.“ Auf der anderen Seite der Umgang mit dem Sommermärchen“ 2006: „Da wird überall ermittelt, so in der Schweiz oder in den USA, zum Beispiel gegen Beckenbauer - nur nicht in Deutschland.“ Den Grund dafür glaubt Kistner zu kennen: Das Sommermärchen sei ein gigantisches Werbemittel für die Nation gewesen: „So etwas beschädigt zu sehen, das ist ein Thema, das bis ins Kanzleramt geht.“ Auch Bundeskanzlerin Merkel bemühe sich um Kontakt zu den Fußballern.

25-Milliarden-Dollar-Angebot: "Das stinkt zum Himmel"

Jetzt aber glaubt Kistner zum ersten Mal seit zwölf Jahren eine Situation zu erkennen, „dass die Geschichte an die Wand zu fahren droht“. Eines der Probleme dabei für ihn: „Es gibt keine Kontrollinstanz.“ Und die Verantwortlichen versteckten sich, alle seien in Urlaub. Am 24. August werde Löw sein neues Konzept vorlegen, aber schon kurz darauf werde die neue Bundesligasaison angepfiffen.

„In vier Jahren bei der WM in Katar wird das Ganze nochmal eine Nummer verschärft werden“, prognostizierte Catuogno. „Bis dahin wird es wahrscheinlich 8000 verstorbene Wanderarbeiter geben“, fügte er drastisch hinzu und fragte, ob Ex-Nationalspieler Lothar Matthäus auch dann wohl von einem der besten World Cups aller Zeiten sprechen werde wie gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Es gebe genug Hinweise, dass die WM gekauft worden sei, sagte Kistner. Was für ein gigantisches finanzielles Rad da gedreht wird, zeigt sich für ihn am Angebot von 25 Milliarden US-Dollar für zwei Fußball-Clubwettbewerbe, das dem Fußball-Weltverband Fifa von einem Konsortium aus dem Nahen Osten vorliegen soll. „Dass das zum Himmel stinkt, ist selbstverständlich“, kommentierte er.

Zweifel an den Regulierungsversuchen des Europarats

Die Besucher der Tutzinger Veranstaltung zeigten sich in ihren Diskussionsbeiträgen nachdenklich und gut informiert. Einer erkundigte sich zum Beispiel nach dem Regulierungsversuch, den der Sportausschuss des Europarats eingeleitet hat. Unter Vorsitz seiner Präsidentin Anne Brasseur hat sich der Ausschuss dafür ausgesprochen, eine politische Aufsicht über internationale Sportverbände zu schaffen.

„Frau Brasseur hat einen wunderbaren Bericht vorgelegt“, sagte Kistner dazu. Er meldete aber sogleich Zweifel an, dass daraus wirklich etwas wird: „Ich kann’s mir nicht vorstellen.“ Das wäre nach seinen Worten „das erste Mal, dass die Politik auf breiter Front dem Lobbyismus der Fußballbranche widersteht“. Im Kontext mit der Fifa-Wahl im nächsten Jahr aber, meinte er, könne vielleicht doch ein Druck entstehen, „der die Politik bewegt, Nägel mit Köpfen zu machen“.

Die "Süddeutsche Zeitung" steht selbst in der Kritik

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Drei kritische Fußballfans: Claudio Catuogno, Pfarrer Peter Brummer und Thomas Kistner (von links) © L.G.

Die Veranstaltung deckte aber schließlich auch auf, dass Pressorgane wie die „Süddeutsche Zeitung“ selbst zu der Entwicklung beitragen, die ihre Mitarbeiter in Tutzing beklagt haben. Den Ansatz lieferte Pfarrer Brummer, als er kritisch zunächst die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ins Gespräch brachte: „Was gibt ARD und ZDF das Recht, Riesenmilliardensummen für eine WM auszugeben, die in Frage zu stellen ist?“ Damit eröffnete er eine Diskussion über die Medien, bei der schnell auch gewisses widersprüchliches Verhalten der „Süddeutschen Zeitung“ zu Tage trat.

Catuogno musste offen zugeben, dass diese Zeitung selbst von Lesern immer wieder mit derartiger Kritik konfrontiert wird: Dem Fußball wird allzu viel Gewicht beigemessen. Der stellvertretende Sportressortchef gab sich Mühe, das zu erklären: „Auch wir können nicht am Masseninteresse vorbei schreiben.“ Dabei war ihm anzusehen, wie er angesichts dieser eigenen Verhaltensweise selbst in Konflikte gerät, wenn er gleichzeitig durch die Lande zieht und zusammen mit Thomas Kistner die Übermacht des Fußballs anprangert.

Eilig wies Catuogno darauf hin, dass seine Zeitung immer wieder auch über viele andere Sportarten berichte: Fechten, Bob, Rodeln, Ski, und dass man ausgiebige Berichte über derartige und viele andere Disziplinen auch - gerade im Winter – in den öffentlich-rechtlichen Sendern sehen könne. Gerade am Tag des Besuchs in Tutzing habe die Süddeutsche große Berichte über die Tour de France und Frauen-Basketball veröffentlicht.

Diese Antwort reichte aber nicht allen Besuchern aus. Die Tutzingerin Sigrid Gottstein sprach es offen aus: „Wenn Sie mehr über andere Sportarten berichten würden, dann wäre auch das Interesse an diesen Sportarten größer.“ Die Antwort von Catuogno klang angesichts der vielen zuvor erhobenen Vorwürfe erstaunlich zurückhaltend: „Ich würde meine Rolle überschätzen, wenn ich glauben würde, eine Massenbewegung für Curling erzeugen zu können.“ Das eigentliche Problem aber schien Kistner eher bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern zu sehen: „ARD und ZDF gehen nur auf Quote.“ Sie würden seiner Meinung nach „alles bringen“ - sogar Topfschlagen.

In einer Hinsicht schienen sich an diesem Abend alle einig zu sein. Pfarrer Brummer formulierte es so: "Wir lassen uns die Freude am Fußball nicht nehmen - aber kritisch nachfragen dürfen wir trotzdem."

Quelle Titelbild: L.G.
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Lorenz Goslich

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Kommentare

Danke, ein toller, sehr informativer Bericht. Und danke an Pfarrer Brummer, der die entscheidende - leider unbeantwortete - Frage stellte: "Was gibt ARD und ZDF das Recht, Milliarden für eine WM auszugeben..." Oder besser: wer statt was? Ein Blick ins alte Rom zeigt, dass wir uns in 2000 Jahren nicht verändert haben: Zwar heißt es jetzt nicht mehr "Brot und Spiele" sondern "Bitburg und Spiele", doch die "Erlaubnis" kam und kommt von der Regierung - und die Massen haben ihren Spaß. So haben sie wenigstens kein Zeit, sich Gedanken über die Politik zu machen.
Helge Haaser Passau