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Scholz plädiert für mehr Demokratie

In Tutzinger Rede wünscht sich der Kanzler eine "multilaterale Welt" - Andere warnen: Immer mehr Autokratie

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Plädoyer für Demokratie: Bundeskanzler Olaf Scholz am Freitagabend in der Evangelischen Akademie Tutzing © Ulrich Wagner

Mit hochkarätiger Besetzung veranstaltet die Evangelische Akademie Tutzing an diesem Wochenende die diesjährige Sommertagung ihres Politischen Clubs. Bei der Eröffnung hat Bundeskanzler Olaf Scholz am Freitagabend für mehr Demokratie plädiert. Unter den weiteren Teilnehmern sind auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth.

Es war der erste öffentliche Auftritt von Scholz nach seiner Reise in die Ukraine. Mit Italiens Regierungschef Mario Draghi, Rumäniens Präsident Klaus Johannis und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron habe er die Ukraine für eine Perspektive in Europa ermutigt, sagte der Kanzler in Tutzing. In Kiew hatte er kurz zuvor versichert, die Ukraine gehöre zur "europäischen Familie". Deutschland setzt sich dafür ein, dass die Ukraine und die Republik Moldawien den Status von EU-Beitrittskandidaten bekommen. Die EU-Kommission hat sich mittlerweile dafür ausgesprochen, beide Staaten offiziell zu EU-Beitrittskandidaten zu ernennen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat dies als eine historische Entscheidung für Europa bezeichnet. Er sieht darin die Chance, "endlich die Grauzone zwischen der EU und Russland in Osteuropa beseitigen". Die Ukraine, sagte er, sei seit ihrer Unabhängigkeit noch nie so nah an die Europäische Union herangerückt.

In Tutzing sagte Bundeskanzler Scholz aber auch deutlich, dass sich kein Ende des Krieges abzeichne. Voller Verständnislosigkeit äußerte er sich über die Brutalität des Krieges. Die durch den Krieg angerichteten Zerstörungen verdeutlichten eine Zäsur. Man frage sich, wohin sie führen solle. Hier gehe es um Macht und Größe. Man hatte eigentlich gehofft, so etwas überwunden zu haben.

Scholz: Man muss die "Bruchlinien" erkennen, um die Veränderungen der Welt zu verstehen

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Treffpunkt zahlreicher aktueller und früherer Politiker an diesem Wochenende: Tutzing und die Evangelische Akademie im Schloss (links unten) - eine Aufnahme aus der Zeit, als der Dampfersteg (Bildmitte) noch nicht verlängert war © Laurin Biersack / Evangelische Akademie Archiv

„Die Zukunft unserer Demokratie“ - so lautet das Thema der Tutzinger Tagung an diesem Wochenende. Sie findet in Kooperation mit der Theodor Heuss Stiftung statt und gehört zu einer Reihe besonderer Veranstaltungen anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Evangelischen Akademie Tutzing in diesem Jahr. https://www.ev-akademie-tutzing.de/vorausdenken-schwerpunkt-zum-75-jubilaeum-der-evangelischen-akademie-tutzing/ Zu den Teilnehmern der Tagung gehören auch aktuelle und frühere Politiker wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Gesine Schwan und Cem Özdemir, die Klima-Aktivistinnen Anja Paolucci und Merit Willemer von Fridays for Future, Publizisten wie Roger de Weck und namhafte Wissenschaftler wie Christoph Möllers, Herfried Münkler, Rupprecht Podszun, Wolfgang Schön, Tine Stein und Michael Zürn.

Bundeskanzler Scholz bezeichnete in seiner Tutzinger Rede am Freitagabend eine "multilaterale Welt" auf der Grundlage der Demokratie als wünschenswert. Dabei müssten sich die Länder des Westens nicht vor dem Aufstieg der Länder des globalen Südens bedroht fühlen. Man müsse die "Bruchlinien" erkennen, um die Veränderungen der Welt zu verstehen und um das Zerbrechen einer europäischen und internationalen Friedensordnung auf Dauer zu verhindern, sagte der Kanzler.

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Ist die Demokratie eine Erfolgsgeschichte oder verliert sie an Boden?

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Erstmals seit 2004 gibt es wieder mehr autokratische als demokratische Staaten, warnen Udo Hahn, Wolfgang Thierse und Ludwig Theodor Heuss (von links) © www.ev-akademie-tutzing.de/ www.thierse.de

Die Organisatoren der Tutzinger Tagung hatten die Diskussion mit besorgten Bemerkungen angekurbelt. Zwar sei die parlamentarische Demokratie auf der einen Seite eine „Erfolgsgeschichte“ - doch auf der anderen Seite verliere die Demokratie im internationalen Maßstab an Boden, warnten die Veranstalter, Akademiedirektor Udo Hahn, der frühere Bundestagspräsident und Leiter des Politischen Clubs, Dr. Wolfgang Thierse, und Prof. Dr. Ludwig Theodor Heuss, der Vorsitzende der Theodor Heuss Stiftung. Nach dem "Transformationsindex" der Bertelsmann-Stiftung gebe es erstmals seit 2004 mehr autokratische - also von Alleinherrschern regierte - als demokratische Staaten. Von 137 untersuchten Ländern seien es nur noch 67 Demokratien, während die Zahl der Autokratien auf 70 gestiegen sei.

Scholz mahnte in seiner Rede umso mehr solidarisches Handeln an. Dabei verwies er auf Furcht vor Problemen wie Hungerkrisen und hohen Energiepreisen in vielen Ländern. Jede Demokratie sei "ein Unikat", und nicht jede Demokratie funktioniere reibungslos. Doch solche Länder, die die Demokratie zu ihrer Grundlage machten, gewännen neue Spielräume - so auch für Oppositionen, die Lücken zwischen Anspruch und Realität aufdecken könnten. Inwieweit sich die Demokratie auf der Welt ausbreitet oder eingeschränkt wird, das hat nach Überzeugung des Kanzlers auch entscheidende Konsequenzen für Länder wie Deutschland, die nicht allein auf dieser Welt seien. Vor diesem Hintergrund erklärte er auch die Einladung von führenden Vertretern solcher Staaten wie Indien, Indonesien, Südafrika, Senegal oder Argentinien zum Gipfeltreffen der G7-Staaten in Elmau nächste Woche. Mit solchen Regionen sei eine viel intensivere Zusammenarbeit des Westens als bisher nötig.

Zwischen Risiken und Hoffnungen

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Kontakte zu Prominenten sucht die Evangelische Akademie seit Jahrzehnten. Links bei einem Besuch in Tutzing Bundeskanzler Konrad Adenauer (M.) mit Bayerns Ministerpräsident Alfons Goppel (li.) und Landesbischof Hermann Dietzfelbinger, rechts eine Delegation des Politischen Clubs in Washington bei Präsident John F. Kennedy. © Evangelische Akademie Archiv

Die Veranstalter der Tagungen sehen demgegenüber große Risiken in Entwicklungen, die die Demokratie nicht nur herausforderten, sondern sie auch bedrohen könnten: „So verlieren zum Beispiel nationale, gewählte Parlamente und Regierungen durch Globalisierung von Politik und Wirtschaft an Einfluss.“ Manche Menschen seien auch in Deutschland mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden: „Populistische Kräfte, die undemokratische Positionen vertreten, finden Zustimmung.“ Klimawandel, digitale Revolution, Globalisierung, Spannungen und Konflikte stellten die Demokratie auf eine ernste Probe.

Scholz gab sich aber trotz aller Probleme zuversichtlich: Die Wünsche der Menschen könnten die Machthaber in Demokratien auf Dauer nicht so einfach ignorieren. Auch Hahn, Thierse und Heuss sehen bei aller Skepsis auch Entwicklungen, die hoffnungsvoll stimmten. „Einheitlich betrachtet sind die Menschen nicht weniger zufrieden mit der Demokratie als zuvor“, betonen sie. Den meisten sei es wichtig, in einer Demokratie zu leben. Vor allem die junge Generation nutze verstärkt andere Mittel als Wahlen, um sich politisch zu beteiligen. Einen Lichtblick biete zudem zivilgesellschaftliches Engagement, das sich vielerorts gegen den Abbau demokratischer Standards und wachsende Ungleichheit richte. Die deutsche Demokratie sei als „wehrhafte“ Demokratie mit Gewaltenteilung und -verschränkung angelegt, um ihre Selbstabschaffung zu verhindern. Sie erinnern an einen Appell von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: „Die Zukunft der Demokratie liegt also in unseren Einsatz für die Demokratie der Zukunft.“

Warnung von höchster Stelle vor allzu vielen Verfassungsänderungen

Vor allzu vielen Änderungen der Verfassung hat in Tutzing auf der selben Tagung der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth gewarnt, der online zugeschaltet war. Ein beträchtlicher Anteil der Verfassungsänderungen habe mit dem Verhältnis von Bund und Bundesländern und mit finanziellen Erwägungen zu tun, sagte er. Recht kritisch merkte Harbart an, Würde und Klugheit des Verfassungstextes hätten dabei nach seinem Eindruck nicht immer gewonnen. Deshalb mahnte er bei Plänen für weitere Änderungen der Verfassung jeweils eine sorgfältige Abwägung an, ob die Maßnahmen wirklich zu Verbesserungen führen würden.

Weitere Berichte zur Tagung:
https://www.ev-akademie-tutzing.de/die-zukunft-unserer-demokratie-entscheidet-sich-nicht-bei-uns-allein/

Kommentar:
Olaf und seine Freunde

ID: 4918
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