Von Lorenz Goslich

Verdrehte Berichte über Akademiechefin

Münch äußert sich anerkennend und kritisch über Söder - aber für viele Medien zählt vor allem die Kritik

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Prof. Ursula Münch öffnet ihre Tür gern für Journalisten - aber richtig zitiert werden würde sie bestimmt auch gern © Akademie für politische Bildung

Viel Resonanz finden Äußerungen der Tutzinger Akademiechefin Prof. Ursula Münch über den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Was die Direktorin der Akademie für politische Bildung gesagt hat, wird aber in den meisten Berichten erstaunlich einseitig widergegeben.

In einem Interview mit der „Augsburger Allgemeinen“ hatte sich Münch sehr abwägend und vorsichtig geäußert. Dabei hatte sie viel Verständnis für die Politiker in der Corona-Krise gezeigt.

„Vielleicht muss man unseren Politikern nicht applaudieren, aber ich denke schon, dass sie Anerkennung und Respekt verdienen“, sagte die Politikwissenschaftlerin.

Doch dann bohrten die Journalisten der „Augsburger Allgemeinen“ nach: Sie verwiesen auf die Kritik von anderen Ministerpräsidenten, weil Bayerns Regierungschef ohne Absprache mit weitreichenden Anordnungen für den Freistaat vorgeprescht sei. Schließlich stellten sie eine Frage, die sie gleich mit einer Unterstellung verknüpften: „Ist das jetzt doch wieder der unstete, kaum berechenbare Söder, den man von früher kennt?“

Münch sagte über Söder: „Ich finde, sachlich war seine Entscheidung richtig“

Auf diese Frage ließ sich die Tutzinger Akademiechefin nicht beirren. „Ich finde, sachlich war seine Entscheidung richtig“, antwortete sie: „Gerade, wenn wir uns die dramatische Entwicklung in Österreich und Italien anschauen.“ Diese Länder seien Bayern geografisch nun einmal näher als dem Land Mecklenburg-Vorpommern. „Ich bin froh, dass wir uns dadurch zwei Tage mit Corona-Partys gespart haben“, sagte Münch und fügte hinzu: „Ich glaube, dass die Warnung bei den Leuten jetzt auch angekommen ist.“

Erst nach diesen klar anerkennenden Worten ließ Münch einige kritische Anmerkungen über Markus Söder folgen: „Was das Prozedere und die fehlende Abstimmung mit seinen Kollegen in den anderen Ländern betrifft, ist dann doch ein bisschen der Gaul mit ihm durchgegangen.“ Da sei „der alte Markus Söder“ durchgeschimmert: „Ich weiß es halt besser und dann mache ich’s auch.“ Genau dieses ,Bavaria first’ hätten ihm „die anderen Ministerpräsidenten, die dann doch ein bisschen blöd dastanden, auch vorgeworfen“. Das hätte er sich durchaus sparen können, meinte Münch in dem Interview: „Besser wäre es gewesen, er hätte Überzeugungsarbeit geleistet und dargelegt, dass es bei uns schneller gehen muss, weil Bayern näher an den Krisenherden liegt.“ Allerdings wäre es „ja fast schon unmenschlich, wenn er es geschafft hätte, eben diesen alten Söder vollständig zu Hause in den Schrank zu sperren“

Aus diesen sehr vorsichtigen und zudem mit Augenzwinkern vorgebrachten Äußerungen versuchen nun mehrere Redaktionen eine scharfe Kritik von Ursula Münch an Söder zu konstruieren. Eine wesentliche Rolle spielt bei dieser manipulativ wirkenden Darstellung offenkundig die Nachrichtenagentur dpa/lby. Aber auch die "Augsburger Allgemeine" selbst trägt durch ihre eigene Berichterstattung, mit der sie ihr Interview begleitet, zu dieser Einseitigkeit bei.

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Journalisten legen ihre eigene Formulierung Münch in den Mund

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Ein wenig verdreht im Blickpunkt der Medien: Die Akademie für politische Bildung in Tutzing © Akademie für politische Bildung

Etliche Zeitungen haben, wie zu erkennen ist, eine Formulierung von dpa/lby übernommen. Die sehr abwägenden, zurückhaltenden Formulierungen von Münch im Originalinterview kommen in den meisten Schlagzeilen nicht vor. In den Berichten wird zwar kurz erwähnt, dass Münch Söders Entscheidungen "sachlich richtig" finde. Doch in den Titeln wird meist nur einseitig die Kritik an Söder herausgestellt.

Während Münch im Originalinterview den positiven Aspekten der Entscheidungen viel Bedeutung beimisst und sie sorgfältig mit den kritischen Hinweisen abwägt, kommen die positiven Aspekte in vielen Berichten der Medien nur sehr kurz vor. Damit wirken diese Berichte so, als habe Münch Söder fast nur kritisiert. „Expertin kritisiert ‚Bavaria-first‘-Politik in Corona-Krise“ - so lautet in einer Reihe von Medien die Überschrift. Etliche der Berichte beginnen etwa so: "Im Kampf gegen die Corona-Krise hat die Chefin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch, Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine „Bavaria-first“-Politik vorgeworfen.“ Eine offenbar bewusste Verdrehung ihrer diesbezüglichen Äußerung: Tatsächlich hatte sie darauf hingewiesen, dass ihm „die anderen Ministerpräsidenten“ dies vorgeworfen hätten.

Die „Augsburger Allgemeine“ selbst stellt in ihrem Bericht, der das Interview begleitet, allein den kritischen Aspekt in die Schlagzeile: „Tutzinger Akademiechefin Münch kritisiert Söders Stil in Corona-Krisenpolitik“. Dass Münch Söders Entscheidung in dem Interview zuerst ausdrücklich als richtig bezeichnet hat, ist der Augsburger Allgemeinen keine Erwähnung in der Überschrift wert. In ihrem Bericht dreht sie Münchs Argumentationskette sogar um: Die Professorin habe „das Vorpreschen“ des bayerischen Ministerpräsidenten kritisiert - ein Wort, das Münch überhaupt nicht benutzt hat, sondern das die Journalisten selbst in ihrer Fragestellung verwendet haben, ohne dass Münch es wiederholt hat. Erst am Schluss des Berichts erwähnt die Augsburger Allgemeine, dass Münch sich „inhaltlich“ klar hinter Söders Maßnahmen gestellt habe. Münch hatte dagegen in dem Interview, wie oben beschrieben, auf die überspitzt kritische Frage nach dem "unsteten, kaum berechenbaren" Söder zunächst offenkundig sehr bewusst ihre positive Beurteilung der Entscheidung in den Vordergrund gestellt und erst dann die kritischen Aspekte folgen lassen. Also genau die umgekehrte Vorgehensweise, mit der sie klar erkennen ließ, was sie selbst für bedeutsamer hält.

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Ist es nicht generell ein Problem jeglicher Publikationstätigkeit, dass Zusammenhänge überspitzt, vereinfacht, aus dem Zusammenhang gerissen und plakativ dargestellt werden? "Wir dürfen unsere Leser nicht überfordern" ist immer wieder zu hören, "der Text ist viel zu lang", so dass gar zu oft differenzierte Abwägungen auf Ja-/Nein- oder Zustimmung-/Ablehnungs-Aussagen heruntergebrochen werden.

Angeblich ertragen die Menschen Ambivalenzen nicht gut. Dabei gehört es zu unser aller Lebenserfahrung, dass neben dem persönlichen auch das politische Leben überwiegend aus Ambivalenzen besteht und es eindeutige Antworten nur rechtsaußen und unter Preisgabe der bürgerlichen Freiheiten gibt.

Aber die gute Nachricht ist doch die: Wer es genauer wissen will, hat die Möglichkeit sich den entschleunigten Qualitätsjournalismus ins Haus zu holen, etwa über die Wochenzeitung DIE ZEIT oder digital die vielen ausgezeichneten, auf Sorgfalt der Analyse setzenden Podcasts der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Auch die Vorort-News schauen lokal hier und da sehr genau hin und bieten dem Leser eine Kommentarfunktion und zudem noch die Möglichkeit, selber zum Redakteur, zum Korrektiv zu werden.

Jedenfalls geht es uns so lange gut, wie Majestätsbeleidigungen aller Art möglich und selbstverständlicher Teil des demokratischen Diskurs' bleiben – ohne dass man um die Sicherheit von Leib und Leben fürchten muss. Unabhängig davon, ob die Majestät nun Münch oder Söder heißt, die werden es schon aushalten. Und vielleicht lernen sie ja auch daraus.
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