Von vorOrt.news

Akademie übertrifft bisherige Bestmarken

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"Solche Rückzugsorte werden gebraucht": Udo Hahn © Evangelische Akademie

Seit 70 Jahren ist die Evangelische Akademie eine Institution in Tutzing. Innerhalb der Schlossmauern vollzieht sich manch tiefgreifender Wandel. Im Interview mit vorOrt.news beschreibt Direktor Udo Hahn, wie sich die Akademie aktuell entwickelt, wie sie in der virtuellen Welt präsent ist und wie schnell auf brandaktuelle Themen reagiert wird.

vorOrt.news: Ist es in Zeiten sekundenschneller Informationen übers Internet noch zeitgemäß, „für wenige Tage an ein schönes Seeufer zu kommen“, wie Münchens früherer Oberbürgermeister Christian Ude einmal gefragt hat?

Udo Hahn: Es ist nicht nur zeitgemäß, sondern auch notwendig, solche Orte anzusteuern. Die tägliche Informationsflut führt am Ende eines Tages, eines Monats, eines Jahres zu der Frage, was dies oder jenes bedeutet.

vorOrt.news: Was bietet eine Tagung, was virtuell nicht zu bieten ist?

Udo Hahn: Eine Wochenendtagung bietet die Möglichkeit, sich gründlich mit einem Thema zu befassen, den Hintergrund zu durchleuchten, die Zusammenhänge aufzuzeigen, unterschiedliche Perspektiven zu diskutieren - und zwar in einem Raum gemeinsam mit Menschen, die diese vertreten. Solche Rückzugsorte werden auch in Zukunft gebraucht.

"Wir sind in der virtuellen Welt präsent"

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Akzente, die wahrgenommen werden: Der Politische Club der Akademie 1962 zu Besuch beim amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy © Evangelische Akdemie

vorOrt.news: Kann sich die Akademie inmitten der um sich greifenden virtuellen Kontakte behaupten oder wird Tagungsarbeit zunehmend schwer?

Udo Hahn: Wir sind in der virtuellen Welt präsent. Die Kommunikation der Akademie ist neu aufgestellt worden, so mit einem Relaunch der Akademie-Website oder der Präsenz in den sozialen Medien wie Facebook, Twitter und Youtube. Wir haben einen „Rotunde-Blog“ etabliert, einen monatlichen Newsletter eingeführt, mit www.schloss-tutzing.de eine weitere Homepage eingerichtet und ein Online-Magazin „Tutzinger Thesen“ eingeführt. Ausgewählte Tagungen werden multimedial präsentiert, auch mit Audio- und Bewegtbildformaten. Mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen können wir zwar nur punktuell Akzente setzen, aber die werden wahrgenommen.

Wie finanziert sich die Akademie?

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern trägt vierzig Prozent unseres Haushalts bei. Sechzig Prozent müssen wir selbst erwirtschaften - durch Einnahmen aus eigenen Tagungen, aus Gasttagungen und aus „Ferien im Schloss“. Unsere Aufgabe ist es, eine schwarze Null zu erzielen. Und das gelingt uns.

Wieviele Mitarbeiter hat die Akademie? Ist das Team, das bei Ihrem Eintritt nicht komplett war, wieder vollständig?

Unser Team umfasst 55 Beschäftigte. Diese Zahl ist seit Jahren stabil. Alle frei werdenden Stellen konnten bislang wieder besetzt werden.

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Fast 10 000 Teilnehmer im Jahr

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Impulse: Willy Brandt (re.) und Franz Josef Strauß einst in der Tutzinger Akademie © Evangelische Akademie

vorOrt.news: Wie entwickeln sich die Besucherzahlen? Mussten Sie Rückgänge hinnehmen - im Zuge der Online-Entwicklung oder aus anderen Gründen?

Wir haben 2015 alle bisherigen Bestmarken der Akademie übertroffen und uns 2016 noch einmal steigern können. Wir hatten im vergangenen Jahr fast 10 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer - 2014 waren es 8500. Die Besucherzahlen waren über die Jahre stabil. Dass wir uns steigern konnten, ist für mich in jedem Fall ein Indiz dafür, dass Menschen nicht schon mit der ersten, schnellen Antwort zufrieden sind. Wer den Dingen auf den Grund gehen will, der findet mit unserem Haus einen Ort, der ihm ein reiches Angebot bietet.

vorOrt.news: Erreichen Sie mit ihren Tagungen wirklich die breite Bevölkerung oder sind es doch immer mehr oder weniger die gleichen Kreise, aus denen Ihr Publikum stammt?

Udo Hahn: Wir haben den Altersdurchschnitt unserer Teilnehmerschaft verjüngen können - auf jetzt 56,5 Jahre. Wir bieten Formate für junge Zielgruppen - und die sind gut gebucht.

vorOrt.news: Wie schaut es mit jüngeren Menschen aus?

Udo Hahn: Die Generation der 30- bis 50-Jährigen ist schwer zu erreichen.

vorOrt.news: Woran könnte das liegen?

Udo Hahn: Das hat mit den Lebensumständen in der Rushhour des Lebens zu tun. Und diese Zielgruppe ist auch in Parteien, Kirchen oder Vereinen unterrepräsentiert. Umso mehr freuen wir uns, dass die Menschen, die auf der Zielgeraden ihres Berufslebens oder im Ruhestand sind, unsere Angebote wahrnehmen. Diese Zielgruppe wächst - und wir haben dieses Potenzial noch gar nicht ausgeschöpft.

vorOrt.news: Wie erklären Sie sich dieses Interesse gerade der Älteren?

Udo Hahn: Bildung steht heute unter der Überschrift „lebenslanges Lernen“. Die Generation der über 60-Jährigen nutzt diese Chance. Und sie engagiert sich in Kirche und Gesellschaft. Also werden sie diese Impulse, die sie bei uns aufnehmen, in ihr jeweiliges Umfeld mitnehmen. Ich rate sehr, diese Möglichkeiten nicht zu unterschätzen - und schon gar nicht diese Menschen wegen ihres Alters zu diskriminieren.

In Tutzing geboren: Die Elternzeit

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Bundesweit bekannte Marke: Joachim Gauck, damals noch Bundespräsident, und Udo Hahn beim Akademie-Neujahrsempfang 2017 © Evangelische Akademie

vorOrt.news: Vor schwierigen Fragen scheut sich die Akademie nicht. Im Juni war beispielsweise eine Tagung ihres Politischen Clubs der Integration gewidmet, die nach wie vor als Problem gilt. Kann die Akademie in so umstrittenen Themen wirklich etwas bewegen?

Udo Hahn: Davon bin ich fest überzeugt. Unsere Arbeit vollzieht sich im vorpolitischen Raum. Also dort, wo etwas vorbereitet und diskutiert werden kann, ehe es zu einem Gesetz wird.

vorOrt.news: Können Sie ein Erfolgsbeispiel der Akademie-Arbeit nennen?

Udo Hahn: Die Elternzeit ist eine soziale Errungenschaft, die auf eine Tagung unseres Hauses zurückgeht. Die von Ihnen erwähnte Tagung zum Thema Integration zeichnete sich dadurch aus, dass viele Menschen teilnahmen, die sich in Kirchen, Gemeinden und Initiativen engagieren. Und mit der BAMF-Chefin und dem Bayerischen Innenminister sowie mit weiteren Experten diskutieren zu können, das schätzen nicht nur unsere Gäste, sondern auch die Referierenden selbst, die vielfach länger bleiben, als nur für ihren Vortrag. Das sind die Voraussetzungen, dass Meinungsbildung auf allen Ebenen möglich wird.

vorOrt.news: Gibt es so etwas wie einen Wettbewerb zwischen den Akademien?

Udo Hahn: Im Dachverband der Evangelischen Akademien in Deutschland sind 17 Einrichtungen zusammengeschlossen. Vergleichbares gibt es auch auf katholischer Seite. Unser Haus gehört zu den großen Einrichtungen, gemessen an der Angebotsfülle. Diese ist auch nötig, da sich unser Programm auf die gesamte Landeskirche bezieht, deren Territorium mit dem Freistaat Bayern identisch ist.

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Prominente Persönlichkeiten im Tutzinger Schloss: Walter Scheel (li.) und Helmut Schmidt © Evangelische Akademie

"Einen solchen Umbruch gab es nur in den Anfängen"

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Besonderheiten: "Ein Schloss in einem Park mit direktem Zugang zum See vor dieser malerischen Alpenkulisse" © Evangelische Akademie

vorOrt.news: Auf welchem „Tabellenplatz“ würden Sie die Evangelische Akademie einordnen?

Udo Hahn: Einen Wettbewerb im Sinne eines Rankings gibt es nicht. Aber über die Jahrzehnte hat sich die Evangelische Akademie Tutzing auch zu einer bundesweit bekannten Marke entwickelt. So hat uns der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck bei unserem Jahresempfang im Januar gewürdigt. Eine Fülle von Impulsen ist von hier ausgegangen, die dieses Renommée prägten und auch weiter bestimmen. Hinzu kommen Besonderheiten, die mit dem Ort zusammenhängen: ein Schloss in einem Park mit direktem Zugang zum See vor dieser malerischen Alpenkulisse.

vorOrt.news: Hat sich die Evangelische Akademie seit Ihrem Amtsantritt 2011 verändert?

Udo Hahn: Ja, das hat sie. Hier ist zunächst von der personellen Entwicklung zu sprechen. In dem achtköpfigen Kollegium einschließlich Direktor, das die inhaltliche Arbeit bestimmt, gibt es jetzt nur noch zwei Mitglieder, die ihm bereits vor 2011 angehörten. In den Zeitraum fällt auch die Besetzung weiterer Schlüsselpositionen: Verwaltungsleitung und Leitung der Hauswirtschaft. Einen solchen Umbruch gab es in der Geschichte unseres Hauses nur in den Anfängen.

vorOrt.news: Gibt es auch Änderungen im Tagungsgeschehen?

Udo Hahn: In der Tagungsarbeit haben wir kurze Formate etabliert - moderierte Gesprächsrunden mit zwei, drei Experten oder Expertinnen. Zu nennen ist zum Beispiel der Medientreff im Presse-Club München, der die mediale Entwicklung - technisch, ethisch, inhaltlich - in den Mittelpunkt rückt. Generell widmen wir Medienthemen, insbesondere der Digitalisierung, besondere Aufmerksamkeit. Oder die Reihe „Aus aktuellem Anlass“, die es uns ermöglicht, mit einem Vorlauf von drei bis sechs Wochen Themen für einen Abend aufzugreifen. Zum Beispiel war das im Frühjahr „Bundeswehr - auf dem rechten Weg?“. Oder „Über Gott und die Welt - Kommentare zum Zeitgeschehen in Politik, Gesellschaft und Kultur“. Hier stehen nicht Themen, sondern Persönlichkeiten im Mittelpunkt, die etwas zu sagen haben. Oder der „Film des Monats“, eine Kooperation mit dem Breitwand Kino Starnberg.

Immer wieder kommen auch Mitglieder der Bundesregierung nach Tutzing

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"Ein besonderes Anliegen": Angebote auch für die Tutzinger © Evangelische Akademie

vorOrt.news: Wie schaut es mir Angeboten für die Tutzinger Bürger aus?

Udo Hahn: Alljährlich gibt es verlässlich einen Tag der offenen Tür - oder ein Picknick im Park. Niedrigschwellige Angebote für die Menschen in der Region bereit zu halten, ist uns ein besonderes Anliegen.

vorOrt.news: Der Akademie gelingt es immer wieder, prominente Persönlichkeiten einzubinden, so wie derzeit zum Beispiel den früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse als Leiter ihres „Politischen Clubs“. Wie wichtig ist das?

Udo Hahn: Der Politische Club ist das älteste durchgehende Tagungsformat unseres Hauses und ein Markenzeichen. Das hängt damit zusammen, dass es einen namhaften Leiter gibt - einen Journalisten oder einen Politiker. Die Bekanntheit des Formats - und der Impulse, die von hier ausgegangen sind - etwa "Wandel durch Annäherung“ - sowie die Bekanntheit des Leiters machen es möglich, dass bei diesen Tagungen immer wieder auch Mitglieder der Bundesregierung zu Vorträgen kommen. Auf diese Weise finden unsere Diskurse eine größere Aufmerksamkeit.

vorOrt.news: Ist Ihnen ein Ereignis oder ein Erlebnis aus Ihrer bisherigen Amtszeit besonders in Erinnerung geblieben?

Udo Hahn: Wir haben Egon Bahr mit dem „Tutzinger Löwen“ ausgezeichnet und ihn 2013, also fünfzig Jahre nach der historischen Rede im Politischen Club, anlässlich seiner Erfindung des Mottos der Ostpolitik Willy Brandts „Wandel durch Annäherung“ noch einmal in unserem Haus erleben dürfen. Das war in jeder Hinsicht eindrucksvoll - dass Egon Bahr die Evangelische Akademie Tutzing als zentralen Bestandteil seines Lebens betrachtet hat. Und dass ich diese Akademie führen darf, die Geschichte Europas nachhaltig beeinflusst hat. Neben dem Anspruch an unsere Arbeit sehe ich darin eine große Ermutigung, sich gegen allen Augenschein für Verständigung einzusetzen.

Die Fragen stellte Lorenz Goslich

Quelle Titelbild: Evangelische Akademie
ID: 266
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