
Beeindruckt zeigte sich die Planerin Martina Schneider am Freitag am Ende einer lebendigen„Bürgerwerkstatt“ zum Stadtentwicklungskonzept ISEK. "Gerade in Tutzing gibt es eine Menge Engagement bei diesem Thema", kommentierte sie. Die vorangegangenen Arbeiten waren „komplex“, stellte sie fest. Alle Details konnten am Freitag im Sitzungssaal des Rathauses natürlich nicht vorgetragen werden. Aber wesentliche Erkenntnisse zu mehreren Themenfeldern wurden an Stellwänden zusammengefasst, vor denen die rund 30 Anwesenden angeregt diskutierten und weitere Beiträge dazuschrieben, über die in einer Schlussrunde ausgiebig gesprochen wurde.
Aus den vielen Details soll eine Gesamtbroschüre erstellt werden, die im Internet abrufbar sein soll, kündigte Martina Schneider an. „Dann können Sie sagen: Das ist jetzt unser ISEK“, rief sie den Anwesenden zu und fügte hinzu: „Dann können Sie Jahr für Jahr Projekte angehen, für die es dann auch finanzielle Unterstützung bis zu 60 oder 80 Prozent geben kann – das ist richtig fein.“ Dabei erwähnte sie eine „den Kommunen zugetane“ Bearbeiterin bei der Regierung von Oberbayern. „In zehn Jahren wird man nachschauen können, ob man sich daran gehalten hat", fügte die Planerin hinzu. Acht zentrale Handlungsfelder zeigen die Vielschichtigkeit: Identität und Leitbild, bauliche Entwicklung, Demografie und wohnen, Versorgung und öffentliches Leben, Gewerbe und Landwirtschaft, Mobilität und Verkehr, Grünstrukturen, Freizeit und Tourismus, Energie, Klima und Nachhaltigkeit.

Viele können sich Tutzing nicht mehr leisten. Hilft ein Wohnraummanagement?

Im Verlauf der bisherigen Arbeiten haben die Planerinnen vieles in Tutzing analysiert. Dabei haben sie zum Beispiel herausgefunden, dass 65 Prozent der Häuser eine Wohnung, 18 Prozent zwei Wohnungen und nur17 Prozent drei oder mehr Wohnungen haben. Eine Frau kritisierte, die Krankenpfleger würden nicht berücksichtigt. So seien ihnen durch die neue Anlage für Geflüchtete die Parkplätze weggenommen worden. Wegen der teuren Wohnungen seien viele schon weggezogen, weil sie sich Tutzing nicht mehr leisten könnten: „Und da wundern sich die Leute, dass niemand mehr Krankenschwester oder Pflegekraft werden will.“
Auch Planerin Schneider sah dies als großes Problem: Wer einen „Superjob“ in München habe, könne gut in Tutzing wohnen, doch für diejenigen, die in Tutzing arbeiten, sei dies oft schwierig. Ein Anwesender plädierte für flexiblere Nutzungsmöglichkeiten der Bauten bei sich ändernden Ansprüchen, so über die Generationen. Dann könne auch ein Wohnungstausch erleichtert werden, wenn beispielsweise Ältere nicht mehr so viel Platz benötigten. Um bezahlbares Wohnen zu ermöglichen, regte jemand einen Mietspiegel oder sogar eine Mietpreisbremse für Tutzing an. Martina Schneider hält ein so genanntes Wohnraummanagement für sinnvoll, für das es in manchen Kommunen gute Beispiele gebe.
Die Versorgung des Ortes stuften die Planerinnen als gut ein, so in Hinblick auf Einzelhandel, Krankenhäuser, Kindergärten, Gastronomie und Hotels. Die Supermärkte seien aber meist nur mit dem Auto zu erreichen. Das Kulturangebot halten die Planerinnen für vielfältig. „Uns sind viele positive Sachen aufgefallen“, sagten sie.
Für Jugendliche gebe es nicht so gute Angebote. Die Jugend habe spezielle Bedürfnisse, sagte der Tutzinger Thorsten Kerbs – zum Beispiel, dass sie „ansatzlos“ irgendwohin gehen könne, also nicht gebunden an bestimmte Institutionen, Vereine oder Kirchen.
Platzprobleme beim Sport: Jugendmannschaften müssen sich die Fläche teilen

Über eine beträchtliche Nachfrage gerade von Kindern und Jugendlichen berichteten demgegenüber Vertreter des Sportvereins TSV Tutzing: „Jeder Siebte im Ort hat etwas mit dem Fußballverein zu tun.“ Aus den Kindergärten, aus Mittelschule, Realschule und Gymnasium, aus allen Bevölkerungsschichten kämen sie alle eim Fußball zusammen: „Das ist nicht zu unterschätzen.“ Im Durchschnitt gebe es in Gemeinden je 2000 Einwohner einen Sportplatz: „Das heißt, wir bräuchten in Tutzing vier Sportplätze.“ Wegen beengter Verhältnisse müsse man den Sportplatz beim Training auf mehrere Jugendmannschaften aufteilen, was die Arbeit erschwere. Immer wieder müsse der Verein junge Spieler auch ablehnen. Als Ausweichmöglichkeit gebe es den Platz neben dem Südbad, der aber nicht so gut geeignet sei. Dort gebe es keine Umkleidekabinen, der Platz sei schief und werde oft auch von Freizeitkickern genutzt: „Wenn dort Ligabetrieb wäre, müssten wir ihn eigentlich einzäunen.“ Großes Potenzial sehe man auf dem Hartplatz oberhalb des Würmseestadions, zumal es dort im Gegensatz zu diesem eine Flutlichtanlage gebe, die für die Sportler sehr wichtig sei. Doch auf den Hartplatz werde „auch mit anderen Themen ein Auge geworfen“, sagte ein Besucher, ohne bekannte Überlegungen wie den Neubau eines Feuerwehrhauses auf diesem Gelände zu erwähnen. Er hoffe auch, dass es für den Sport keine Schwierigkeiten mit der „immer näher heranrückenden Wohnbebauung“ geben werde. Bekanntlich sind in der Nachbarschaft 70 neue Wohnungen geplant.
Wünsche für besseren öffentlichen Nahverkehr: "Busse in Kampberg unzuverlässig"
Auch alle Ortsteile habe man sich angeschaut, betonte Planerin Dinah Mirbeth – wohl eine Reaktion auf immer wieder geäußerte Kritik, man konzentriere sich allzu sehr auf den Kern des Hauptorts Tutzing. Am Beispiel Traubing gab es aber später Widerspruch zur These der guten Versorgung: Die Infrastruktur in Traubing sei schlecht, dort gebe es weder einen Laden noch einen Geldautomaten. Beim Thema Mobilität sahen auch die Planerinnen Bedarf in den Ortsteilen, zu denen der öffentliche Nahverkehr noch besser ausgebaut werden sollte, wie sie meinten. Ein Besucher kritisierte zudem: „In Kampberg kommen die Busse unzuverlässig.“
Ansonsten sehen die Planerinnen Tutzing gut angebunden, so mit der Bahn und auch der – wenn auch etwas weiter entfernten – Autobahn. Bei der Hauptstraße werde der „allerletzte Abschnitt“ hoffentlich bald fertig sein. Für „Tempo 30 in allen Wohngebieten“ setzte sich der Tutzinger Ernst von der Locht ein. Ein anderer wünschte sich „ein Wohngebiet, in dem man nicht ständig damit rechnen muss, dass einer anrauscht“. Für Erstaunen sogar bei Bürgermeister Ludwig Horn sorgte Mirbeth mit einer Mitteilung zum Autoverkehr: „In Tutzing sind die wenigsten Pkws Landkreis-weit zugelassen.“
Vielfach gewünscht werden nach den Erkenntnissen der Planerinnen mehr Aufenthaltsflächen. Dafür könnte sich nach ihrer Auffassung das Umfeld des Bahnhofs anbieten, auch die Lindlwiese neben dem Rathaus habe Potenzial, als Grünfläche gestaltet zu werden. An der Einmündung der Marienstraße in die Hauptstraße sei eine Aufwertung zur Ortsmitte bereits vorgesehen. „Mehr Raum für Miteinander“ – wie etwa bei den Eisdielen – hielt der Tutzinger Martin Held für wünschenswert.
Soll Tutzing auf vielleicht 15 000 Einwohner wachsen?

Bei der Bürgerwerkstatt gab es auch generelle Aussagen zur Entwicklung von Tutzing. Zweifel brachte Gemeinderat Claus Piesch (Freie Wähler) vor, ob Tutzing noch weiter wachsen sollte, so von heute 10 000 auf vielleicht 15 000 Einwohner. Das Bestehende solle besser verwendet werden. So sollten bereits versiegelte Flächen nicht Objekte der Geldanlage sein, sondern optimal genutzt werden – dort solle gebaut werden, statt der Versiegelung immer weiterer Grünflächen. Und Mietwohnungen seien sinnvoller als Einfamilienhäuser.
Der Mensch müsse im Vordergrund stehen, nicht mehr das Fahrzeug, sagte eine Mitarbeiterin der Initiative „Tutzing klimaneutral 2035“. Die Initiative hatte schon vor einiger Zeit in einem Positionspapier zu ISEK konkrete Maßnahmen zur Erreichung der Tutzinger Klimaziele vorgeschlagen, die aber bei der Veranstaltung nicht ausführlich dargestellt wurden. Die Ortsmitte müsse gestärkt werden, gerade mit der Erreichbarkeit zu Fuß. Viele Aspekte seien unter dieser Überlegung zu berücksichtigen – von Querungshilfen im Ortsteil Unterzeismering bis zu pünktlicheren Bussen. Auch bedarfsgesteuerte Ampeln könnten helfen, so an der Von-Kühlmann-Straße oder an der Hallbergerallee. Als Fahrradfahrer fühle man sich auf den Schutzstreifen wegen der gestrichelten Linien nicht sicher. „Wir sind kein Autoland, aber auch kein Fußgängerland“ sagte dazu ein Besucher.
Tutzing attraktiv fürs Gewerbe gestalten oder Mensch vor Profit?
Bei einigen Themenfeldern wurden unterschiedliche Positionen deutlich, so in Hinblick auf das Gewerbe. Da sehen die Planerinnen noch „Potenziale nach oben“, trotz inzwischen neu geschaffener wirtschaftlicher Angebote wie im Ortsteil Kampberg. In Tutzing gebe es nicht so viele Gewerbeflächen wie in anderen Gemeinden. Viele wohnen nur in Tutzing und pendeln zur Arbeit nach München, sagte Planerin Mirbeth. In der Nähe des Bahnhofs beispielsweise gebe es Flächen, die man für Gewerbe entwickeln könne. Gemeinderat Dr. Wolfgang Behrens-Ramberg (Tutzinger Liste) bestärkte diese Überlegung: Die Entwicklung von Tutzing zu einem attraktiven Wirtschaftsstandort sei wichtig, „denn ohne Geld können wir nichts gestalten“. Der Ort profitiere von der Gewerbesteuer, die an die Kommune fließe. Viele Dinge kosteten Geld: „Aber investieren können wir nur, wenn wir unsere Einnahmen erhöhen.“
Dazu gab es aber Widerspruch. „Mensch vor Profit“ - diese Forderung schrieb Gemeinderätin Caroline Krug (ÖDP) auf die betreffende Stellwand. Der Tutzinger ÖDP-Vorsitzende Willi Neuner wies darauf hin, dass es in Traubing beispielsweise schlechte Infrastruktur gebe, so beim Verkehr. Caroline Krug ergänzte, die Infrastruktur mit Straßen und Wohnungen für die Belegschaften zu schaffen, koste viel Geld, was wiederum einen großen Teil der eingenommenen Gewerbesteuer auffresse. Die Kindergärten und Schulen würden an ihre Grenzen geraten. Oft zahlten die Firmen die Gewerbesteuern auch an deren Hauptfirmensitz, was nicht immer Tutzing sein müsse. Und neue Firmen würeden in neuen Gewerbegebieten erst Gewerbesteuer zahlen, wenn sie auch Gewinne erwirtschafteten und die neu gebauten Immobilien nicht mehr deren Bilanz belasteten.
Ein Besucher hielt entgegen, immer mehr Gewerbe wandere ab. Wichtig sei, Gewerbe auf vorhandene Gewerbeflächen zu bringen. „Erst wenn Infrastruktur da ist“, sagte er, „ist das Gewerbe auch bereit, etwas zu investieren.“ Gemeinderat Michael Ehgartner (Grüne) fügte hinzu: „Wovon soll Tutzing leben? Das Geld muss ja irgendwoher kommen.“
Die Lage in Tutzing
Ergebnisse der ISEK-Untersuchungen in einzelnen Handlungsfeldern, wie sie im Rathaus auf Stellwänden präsentiert wurden (zum Vergrößern bitte anklicken)
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