Von Ferdinand Goslich

Der Schnee schmilzt nicht mehr - er verdunstet

Tutzinger Unternehmer Willberg kritisiert Umgang mit der Umwelt und hemmungslosen Konsum

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Seit Tagen ist es warm - aber an vielen Ecken liegt nach wie vor Schnee: Heute in Tutzing © L.G.

Als Einleitung zu dem Vortrag "Zukunft wagen erfordert Mut" stellte Pfarrer Peter Brummer im Tutzinger Roncallihaus einen „Zukunftsenthusiasten“ vor, wie dieser sich selbst bezeichne. Mut sei von allen Menschen gefordert, meinte also der Referent, der Tutzinger Unternehmer Michael Willberg, angesichts des beängstigenden Zustands der Umwelt und der Erde. Der Klimawandel sei äußerst bedrohlich. Im letzten Sommer habe es in Deutschland Steinhäuser einreißende Stürme und sich selbst entzündende Waldbrände gegeben. In Spanien und Italien seien Malariamücken registriert worden und in den Flüssen seien Fische vor Hitze verendet. Der Winter jetzt sei zu warm und die Luft viel zu trocken (statt normalerweise 60-70 Prozent jetzt nur 9-11 % Luftfeuchte). Ergebnis: der Schnee schmilzt nicht mehr, sondern verdunstet. Ein Aspekt des Klimawandels sei auch der mäandernde Jetstream in etwa 10 Kilometer Höhe, der Hochs und Tiefs zum Verweilen bringe und zu Klimaverschiebungen führe, so dass es z. B. am Nordpol viel zu warm sei und in Griechenland Schnee falle.

Jeder Einzelne muss beim Klima anfangen

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"Wir sind es, die es tun müssen": Michael Willberg gestern im Roncallihaus © F.G.

Immer wieder heiße es, man müsse den Klimawandel stoppen. Es sei klasse, sagte Michael Willberg, dass in ganz Deutschland Schüler gegen dieses Phänomen auf die Straße gingen. Man dürfe sich aber keine Illusionen machen: „Die Politik wird sicher nichts machen. Wir sind es, die es tun müssen. Jeder Einzelne von uns muss damit anfangen.“ Die Absichtserklärungen der UN-Klimakonferenz in Paris von 2015 seien nämlich nur freiwillig. Die Staaten hätten sich nicht dazu verpflichtet, die CO2-Ziele zu erreichen. Ob jemand die „Paris Lücke“ kenne, fragte Willberg. Das sei der Bereich zwischen den in Paris vereinbarten Zielen und dem, was „wir tun müssen“, um die CO2-Werte bis 2030 im erforderlichen Maß zu senken. Immerhin könne jeder Einzelne von uns jetzt schon seine CO2-Emissionen kompensieren*. Dennoch laufe die Kohleproduktion immer weiter. Wenn man statt der Subventionen aus dem Steueretat eine Kohleumlage von 11 Cent pro kWh einführen würde, um den Kohleabbau abzuschaffen, meinte der Redner, würde die Umwelt endlich geschont und der Strom sogar billiger werden. Es sei aber unbedingt notwendig, an der Basis der Energiewirtschaft Vieles zu ändern: „Wir haben in Deutschland Gaskraftwerke, die noch nie am Netz waren.“

Das Finanzwesen explodiere, prophezeite Willberg, und gerate weltweit außer Kontrolle. Der „Hochgeschwindigkeitskapitalismus“ werde auf Dauer nicht funktionieren. Der Redner zweifelte auch daran, ob die Welt immerzu am Credo des Wachstums festhalten müsse. „Die Gier nach mehr ist eine Todsünde“, warnte er. Und die Gier (der Industrie), immer mehr Unnötiges anzubieten, müsse durch Boykott bekämpft werden. „Wir kaufen Sachen, die wir nicht brauchen“, mahnte Willberg. „Geiz ist geil“ sei einer der fatalsten Werbesprüche überhaupt gewesen.

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2021 beginnt das Autonome Fahren

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"Warum kaufen wir nicht ausschließlich Bio-Produkte?" Der Tutzing Wochenmarkt an seinem früheren Standort © L.G.

Staunend vernahmen die Zuhörer, wie Michael Willberg unsere Zukunft sieht – nämlich in sich rasant entwickelnder Geschwindigkeit. Noch sei die Autoindustrie die bedeutendste in Deutschland. Immer mehr Länder aber erklärten, keine Verbrenner mehr zuzulassen. Viel schneller als man glaube werde sich die E-Mobilität durchsetzen. Schon jetzt gebe es in großem Umfang Solarnutzung. Aber diese erneuerbare Energie müsse viel mehr in den Vordergrund treten. Willberg gab nicht nur dem Diesel keine Chancen mehr, sondern sagte voraus, dass es 2030 in Deutschland sogar keine signifikante Autoindustrie mehr geben werde. Fachleute hätten schon prophezeit, dass bereits 2021 das Autonome Fahren starte. Und wenn Fahrzeuge ohne Fahrer in Betrieb seien, könnten sie pro Tag viel länger im Einsatz sein, so dass etwa 75 Prozent aller Fahrzeuge wegfallen könnten.

In der Autoindustrie fürchte man schon um die eigene Existenz: „Wenn die Autos selber fahren, verkaufen wir keine Autos mehr.“ Der Umschwung weg von der klassischen Industrie werde aber nicht in Deutschland passieren. Deutschland werde nur reagieren können. Wie das alles genau werde, könne man noch nicht absehen. Aber „die alte Welt liegt im sterben“, sagte Willberg, „die neue ist noch nicht geboren“. Jetzt sei „die Zeit der Monster“ angebrochen, die Zeit, die von Krisen, wie etwa der Finanzkrise, bestimmt werde.

Damit leitete Michael Willberg über zu den Fragen, wie man selbst die Zukunft mitgestalten könne: Das Anspruchsdenken habe zugenommen. Jeder von uns verbrauche pro Jahr 10-mal so viel Energie wie vor 60 Jahren. Wir könnten darauf achten, regional einzukaufen, und am besten mit umweltfreundlichen Tragetaschen wie Jutebeuteln. Warum, so fragte Willberg, kaufen wir nicht ausschließlich Bio-Produkte? Die „normalen“ Lebensmittel sollten als ungesund gekennzeichnet werden und Bio zur Norm werden.

Immer weniger Arbeitsplätze

Außerdem bräuchten wir ein bedingungsloses Grundeinkommen. „Jeder weiß, dass es kommen muss.“ Vor allem auch deshalb, weil es wegen der Digitalisierung zu „einer Menge von Arbeitslosen kommen“ werde. Digitalisierung führe dazu, dass die Menschen wegen Robotern und Automatisierung immer weniger Arbeitsplätze vorfinden würden. Dabei erinnerte er daran, dass sich heutzutage Hunderttausende auf die Straßen begäben und lange im Stau stünden, um zur Arbeit zu fahren. Nach Dienstschluss durchlebten sie die gleiche Tortur, um dann zuhause erschöpft ins Bett zu sinken. Das werde sich ändern. Digitalisierung bedeute, „dass die Menschen viel weniger oder sogar gar nicht mehr arbeiten“, meinte er. Daraus resultierten Umwälzungen unserer Lebensweise.

Die Machtspiele muss man bekämpfen

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"Wir dürfen die Zukunft nicht den Meinungsmachern überlassen", fordert Michael Willberg © F.G.

Der Philosoph Richard David Precht fordere, „wir müssen global denken“, sagte der Referent. Das jetzt vorherrschende Prinzip, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren, sei grundschlecht. Überall liefen Machtspiele, sagte Willberg. Die müsse man knacken. Dahinter steckten meist die Industrie und die Finanzwirtschaft und in der Folge die Politik. „Wenn wir gerechter, bewusster und ohne Machtspiele leben, kann es der Welt besser gehen“, prophezeite Willberg. „Wir dürfen die Zukunft nicht den Meinungsmachern überlassen.“ Allerdings, so schränkte er ein, falle es zum Beispiel den Deutschen wahnsinnig schwer, Veränderungen durchzuführen.

Schließlich nahm Willberg zu einem der drängendsten Probleme Stellung: „Wer Flüchtlingspolitik betreiben will, muss beim Klimaschutz anfangen“, forderte er. Die Vereinten Nationen sagten, im Jahr 2050 könnten 500 Millionen Afrikaner auf der Flucht sein. Der einzige Ausweg für sie sei der Weg über das Mittelmeer. Auch so gesehen appellierte Willberg an seine Zuhörer: „Haben Sie den Mut, Änderungen durchzuführen!“

*Auf Nachfrage: die Information zur Kompensation von CO2 findet man unter http://www.klimainitiative-starnbergammersee.de/

Quelle Titelbild: L.G.
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Ferdinand Goslich

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