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16.11.2024
Von vorOrt.news

Mitte Dezember werden die ersten Neuankömmlinge erwartet

Intensive Vorbereitungen im "Benedictus-Hof"

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Die neue Unterkunft "Benedictus-Hof" steht heute Nachmittag für Besichtigungen zur Verfügung © L.G.

In zwei Bauzeilen steht sie auf dem Tutzinger Klostergelände, direkt an der Hauptstraße: Die neue Unterkunft für Geflüchtete ist fertig. Die ersten Neuankömmlinge erwartet das Landratsamt Starnberg Mitte Dezember. wie am Freitag bei einem Tag der offenen Tür in der neuen Anlage "Benedictus-Hoft" mitgeteilt wurde. ie Herkunft der Bewohner soll frühestens drei Tage vor ihrem Eintreffen bekannt werden. Die Unterkunft soll mindestens zur Hälfte mit Familien belegt werden. Belegt werden sollen die 144 zur Verfügung stehenden Plätze schrittweise - „in zwei bis drei Phasen“ jeweils mit zeitlichem Abstand. Das sei auch für das Fachpersonal vor Ort vorteilhaft.

Die Vorbereitungen in Tutzing sind intensiv. Eine Veranstaltungsreihe „Rathaus-Forum“ war drei Mal gut besucht, als dieses Thema unter verschiedenen Aspekten beleuchtet wurde. Beim dritten Mal war am Freitag voriger Woche Bürgermeister Richard Reischl aus der Gemeinde Hebertshausen im Landkreis Dachau zu Gast, die für ihre erfolgreiche Integration von Geflüchteten bekannt geworden ist. Reischl machte den Tutzingern ein „großes Kompliment“. „Demonstrationen ‚Ausländer raus‘ sieht man hier überhaupt nicht“, sagte er.

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Alle packen mit an: Einem symbolträchtigen Bild zum "Benedictus-Hof" folgten bei der Vorstellung der Anlage (von links) Bürgermeister Ludwig Horn, Sabine Neumann, Fachbereichsleiterin Asyl und Integration des Landratsamts, Claudia Steinke, die Vorsitzende des Ökumenischen Unterstützerkreises, Schwester Rachel Feller, die Priorin des Tutzinger Klosters, und Landrat Stefan Frey © L.G.
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Der Unterstützerkreis richtet in der Anlage ein Büro ein

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Begeistert über viele neue Helfer äußerte sich Claudia Steinke, Vorsitzende des Ökumenischen Unterstützerkreises © L.G.

Zu Beginn dieser Woche haben sich Mitglieder des Unterstützerkreises mit Vertretern des Landratsamts Starnberg getroffen, das die Anlage betreiben wird. An fünf Tagen in der Woche werden hauptamtliche Kräfte, darunter auch Sozialpädagogen, vor Ort sein, berichtet die Gemeinde. Eine Sozialberatung im Benedictus-Hof soll in den ersten zwei Wochen nach dem Bezug der Anlage vier volle Tage anwesend sein, später wird die Präsenz wohl reduziert werden.

Der Unterstützerkreis hat am Dienstag ein Treffen abgehalten, an dem auch neue Helfer teilgenommen haben. „Ich bin echt begeistert“, sagte Claudia Steinke beim Rathaus-Forum: Mehr als 40 Personen wollen sich nach ihren Worten neu engagieren.

In Themengruppen befassen sich die Mitglieder mit verschiedenen Aspekten wie Arbeitsbeschaffung, Sprache oder Hausaufgabenbetreuung. Der Unterstützerkreis will im Benedictus-Hof ein eigenes Büro einrichten und täglich Sprechstunden abhalten. Was dabei herauskommt, soll an die jeweiligen Fachteams weitergeleitet werden. Eine aus fünf Modulen bestehende Schulung des Landratsamts werde gut angenommen, sagte Claudia Steinke.

Die Tutzinger sind auch in Kontakt mit einem neuen Helferkreis in Wörthsee. „Die Energie speist sich aus einer Aufgabe, die gemeinsam angegangen wird“, sagte die Vorsitzende.

Beispiel Hebertshausen: "Bei uns sind alle entspannt"

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Gute Erfahrungen mit Asylbewerbern hat Bürgermeister Reischl in Hebertshausen gemacht

Der Hebertshausener Bürgermeister Reischl betonte im Rathaus-Forum: „Es ist wichtig, keine Angst zu haben.“ Er sagte aber auch: „Ich verstehe jeden, wenn er erst mal Ängste hat.“ Manche sagten, sie hätten von Vergewaltigungen gehört. „Ja – man liest davon“, fügte er an, „aber in Hebertshausen gab es in 13 Jahren noch keinen einzigen Vorfall.“

Reischl empfahl den Tutzingern: „Geben Sie den kritischen Leuten Raum und stellen sie sie nicht gleich in eine rechte Ecke - lassen Sie es zu, dass diese Aussagen gesprochen werden können und versuchen Sie zu zeigen, wie gut es laufen kann.“ Das Wichtigste sei es, Ängste zuzulassen, wiederholte er: „Dann fühlen sich die Leute nicht abgestempelt und in eine Ecke gestellt, sondern sie merken, dass sie unterstützt werden.“ Viele würden dann erkennen, dass diese Menschen gut arbeiten und helfen können. Wenn man vorausschauend handele, gebe es keine Probleme. „Bei uns sind weitgehend alle entspannt“, sagte der Bürgermeister. „Das ist nicht mein Verdienst“, fügte er hinzu, „das kam durch den Helferkreis.“ In vielen anderen Kommunen habe man sich schon für das Hebertshausener Modell interessiert.

Der Bürgermeister berichtete von „durch die Bank positiven“ Beispielen. Der Fußballverein sei wieder erfolgreich – mit zwei gut spielenden Asylbewerbern. Die Feuerwehr, für die ehrenamtliche Kräfte immer schwerer zu gewinnen seien, profitiere stark von Engagierten aus diesem Kreis. „Wir haben die Chance zu erkennen, dass diese Menschen uns nicht Probleme schaffen, sondern uns helfen, Probleme zu lösen“, bekräftigte Reischl. Zunächst habe es viele Befürchtungen und Ablehnung gegeben. Aber mittlerweile seien immer öfter zufriedene Kommentare über die Asylbewerber zu hören.

Ehrenamtliche Helfer sind auch in Hebertshausen sehr aktiv. Der Leiter des dortigen Helferkreises, der 76 Jahre alte Peter Barth, radelt fast täglich zur Flüchtlingsunterkunft. Arbeit für alle gäbe es genug, sagte der Bürgermeister. Als Problem sah er es, dass Asylbewerber erst nach neun Monaten arbeiten dürfen. Er bezeichnete dieses Regelung als "Gift für die Integration“. Für ihn steht fest „Wer nicht arbeiten darf, wird nicht integriert.“ Die Akzeptanz der geflüchteten Menschen im Volk würde schlagartig größer werden, wenn sie arbeiten würden. Bisher sagten viele: „Die liegen uns nur auf der Tasche.‘“ Deshalb müsse man von den Arbeitsverboten wegkommen, forderte er. Den Inhaber einer großen Bäckerei zitierte Reischl mit der Überzeugung, dass es sein Unternehmen nicht mehr geben würde, wenn nicht inzwischen 19 Mitarbeiter aus 17 Nationen bei ihm tätig wären.

Bürgermeister Horn: "Extremes ehrenamtliches Engagement"

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Bürgermeister Horn sicherte zu: "Wir sprechen an, wenn etwas nicht gut läuft"

Kurz darauf brachte eine Besucherin, nach eigenen Angaben von Beruf Therapeutin, tatsächlich kritische Aspekte ein. „Ich weiß von einer Freundin, die in Weilheim am Bahnhof schon etwas Angst hat, wenn da zwölf afghanische Männer unterwegs sind“, sagte sie. Weil sich die neue Unterkunft direkt gegenüber zweier Schulen befinde, habe sie Sorgen. „Ich möchte ein Sicherheitskonzept“, forderte sie. Die Polizei brauche, wenn sie gerufen werde, 20 Minuten von Starnberg nach Tutzing. Für sie sei das entscheidende Kriterium, wie gut sich diese Menschen integrieren würden.

Tutzings Bürgermeister Horn verwies darauf, dass der Landkreis Starnberg bei diesem Thema eine gewisse Erfahrung aufgebaut habe. „Wir sprechen an, wenn etwas nicht gut läuft“, versicherte er. „Den Sicherheitsaspekt sprechen Sie zurecht an“, sagte er zu der Besucherin. Er verwies auf „extremes ehrenamtliches Engagement“, um mit Prävention, Integration, Sprachkursen und vielem mehr zu helfen. In Tutzing gebe es einen Sicherheitsdienst, die so genannte Seestreife, die im Fall des Falles eingebunden werden könne. In den meisten Gemeinden des Landkreises Starnberg habe sich aber das Einschreiten eines Sicherheitsdienstes als nicht notwendig erwiesen.

Auch Sozialpädagogen würden an Ort und Stelle sein, sagte Horn, die bei Auffälligkeiten wüssten, wo gehandelt werden muss. Auf diese Weise könne man aktiv entgegenwirken, damit nichts Schlimmes passiere. In den relativ kleinen Wohneinheiten der neuen Anlage, die jeweils Platz für sechs Menschen bieten, könne es Konfliktpotenziale geben, beispielsweise beim Essen, wenn sie verschiedenen Religionen angehörten. Über alles das machten sich die Beteiligten viele Gedanken.

„Wir leben nicht sicherer, aber auch nicht unsicherer als vorher"

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Gabi Dannert berichtete über stets respektvollen Umgang

In den Unterkünften von Hebertshausen komme es zu Streitigkeiten meist tatsächlich im Küchenbereich, berichtete Reischl – etwa, wenn ein Kochtopf verschwunden sei oder bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. „Nein, wir können keine Garantie geben“, sagte er, betonte dann aber: „Wir leben nicht sicherer, aber auch nicht unsicherer als vorher.“ Er warnte vor Verallgemeinerungen, man dürfe nicht alle „in einen Sack stecken“. Man solle allen erst einmal eine Chance geben – und wenn etwas passiere, solle man die richtigen Schlüsse ziehen.

Caroline Krug, die Koordinatorin der Tutzinger Tafel „Tischlein-deck-dich“, sagte aus ihren Erfahrungen: „Ich kann keine Streitigkeiten feststellen, es geht immer sehr freundlich zu.“ Gabi Dannert vom Tutzinger Unterstützerkreis erinnerte an die auf dem alten Volksfestplatz 2015 aufgebauten Zelte für Flüchtlinge. Da habe es ein „Männerzelt“ gegeben: „Ich war unsicher – natürlich hat man bestimmte Bilder im Kopf.“ Sie sei aber sehr respektvoll behandelt worden. Das Wichtigste sei, mit den Menschen in Kontakt zu treten, offen zu sein und gegenseitig voneinander zu lernen.

Susanne Stolzenburg-Hecht, Schulpädagogin am Tutzinger Gymnasium, berichtete über Besuche der Zelte gemeinsam mit Kindern, die stolz gewesen seien, das alles sehen zu können. Sie hätten dabei viel über die Schicksale der Menschen erfahren. „Es ist wichtig, dass man sich kennenlernt und auf diese Weise Ängste abbaut“, sagte sie: „Ich will Mut machen - ja, es kann etwas passieren, aber damals hat es keinen einzigen negativen Vorfall gegeben.“

Lisa Aulinger, die bei der Volkshochschule StarnbergAmmersee Programmbereichsmanagerin für Deutsch- und Integrationskurse ist, hat in München neben einer Asylunterkunft gewohnt, ohne es lange bemerkt zu haben, wie sie erzählte: „Ich hatte keine Angst, aus dem Haus zu gehen.“ Sie fügte hinzu: „Wir müssen verstehen, dass wir uns nicht aussuchen können, wer nach Deutschland kommt.“

Sprachkurse können alle geben:"Das hilft sehr"

Eine Besucherin, die sich nach eigenen Worten seit 15 Jahren mit dem Thema Integration befasst, ließ Skepsis in Hinblick auf die Arbeitsmöglichkeiten erkennen. „Die Mehrheit der Geflüchteten sind keine Fachkräfte“, sagte sie: „Ich weiß nicht, wie viele Betriebe es in Tutzing gibt, die Menschen auch ohne Sprachkenntnisse aufnehmen können.“ Eine andere Besucherin mahnte, es sei wichtig, dass sich die Einheimischen in Tutzing nicht zurückgesetzt fühlten.

Für Bürgermeister Reischl ist es ein Problem, dass es nicht genug Sprachkurse gebe. Solche Kurse könnten alle geben, sagte er. Die älteste Person in Hebertshausen, die so einen Kurs gebe, ist nach seinen Worten eine 92-Jährige: „Das hilft sehr – so werden viele nicht ausgegrenzt.“ Sie könnten auf diese Weise mit anderen in Kontakt treten: „Die Sprache ist die Nummer eins – ohne sie haben es die Asylbewerber auch schwer, eine Stelle zu finden.“

Moderatorin Jutta Höcht-Stöhr sagte, sie habe das Gefühl, dass in Hebertshausen viel kommuniziert worden sei. Das bestätigte Reischl. Die Gemeinde informiere über Instagram und Facebook, ein Mitteilungsblatt, ihre Webseite und auf anderen Kanälen. 230 Geflüchtete leben zurzeit nach Reischls Angaben im 6000 Einwohner großen Hebertshausen. Das sind 17 Prozent aller Asylbewerber im Landkreis Dachau. „Eigentlich müssten wir nur knapp vier Prozent aufnehmen“, sagte er. Drei Unterkünfte für Geflüchtete befinden sich nach seinen Worten in der Ortsmitte. Die Kinderbetreuung sei fast verdoppelt worden.

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Alle drei Veranstaltungen der Reihe "Rathaus-Forum" waren gut besucht, so wie hier die dritte am vorigen Freitag © L.G.

Claudia Steinke: "Geben wir dem Benedictus-Hof eine Chance"

„Nicht alle haben die Zeit, sich an den kommenden Aufgaben zu beteiligen“, sagte Claudia Steinke, die Vorsitzende des Tutzinger Unterstützerkreises: „Aber alle haben die Möglichkeit, etwas zum Gelingen beizutragen: indem sie zuversichtlich sind und gut darüber reden, auch wenn wir nicht einer Meinung sind – das ist die Basisunterstützung, die wir brauchen – geben wir dem Benedictus-Hof und denen, die dort einziehen, eine Chance.“

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