Von Walter Hoffmann

Abenteuer in der Haut des Fisches

Neues Buch des Meeresbiologen, Tauchers, Tierfotografs, Filmemachers und Autors Hans Fricke

Der in Pöcking lebende Meeresbiologe, Taucher, Tierfotograf, Filmemacher und Autor Hans Fricke – viele Tutzinger kennen ihn, weil er hier jahrelang sein Büro betrieb - hat eine Abmachung mit den Tieren im Wasser: Er isst keinen Fisch, und die Fische wiederum fressen ihn nicht. Dazu hätten die Wasserbewohner in der Tat genug Gelegenheit gehabt, denn der 1941 geborene Forscher und Fischfan verbrachte in seinem Leben schon weit über 10 000 spannende Stunden unter der Wasseroberfläche – bis zu 400 Meter tief. Was er auf zahlreichen Expeditionen erlebt, erforscht und welche aufregenden Entdeckungen er gemacht hat und wie er überhaupt zum Tauchen gekommen ist, darüber und mehr berichtet der unermüdliche Abenteurer und vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler jetzt in seinem soeben im Galiani Verlag Berlin erschienenen Buch „Unterwegs im blauen Universum“.

Eigentlich wollte Hans Fricke sein neues Buch im Rahmen einer bundesweiten Vortragsreise präsentieren – wegen Corona wurde daraus vorläufig nichts. Dabei hätten sowohl der Autor – er ist auch Universitätsprofessor – und sein Werk ein größeres Publikum verdient gehabt: Ein fesselnder Erzähler unterhält sein Publikum mit packenden Erlebnissen aus der bunten, abenteuerlichen Welt der Unterwasserforschung und der Tauchexpeditionen, gewürzt mit kurzweiligen Anekdoten einschlägiger Wissenschaftler.

Weltweit bekannt wurde der Meeresforscher Fricke 1987 durch die Entdeckung eines lebenden Fossils, des sogenannten Quastenflossers. Mit einem Mini-U-Boot war es ihm und seiner Crew gelungen, diesen Urfisch, den es seit 400 Millionen Jahren gibt und der lange als ausgestorben galt, in den Gewässern rund um die Komoren-Inseln im Indischen Ozean aufzustöbern und erstmals im natürlichen Lebensraum zu filmen. Dieser Höhepunkt in einem spannenden Forscherleben ist aber beileibe nicht das einzige aufregende Abenteuer, auf das der Leser von „Unterwegs im Blauen Universum“ mitgenommen wird.

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Abenteuer in der Haut des Fisches: Prof. Hans Fricke vor seinem ersten Tauchboot, der GEO, heute zu sehen im Deutschen Museum in München. © Fricke/Galiani
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Mit dem Fahrrad zum Roten Meer

Bereits die Kindheit und Jugend des späteren Tauchers und Zoologen in der damaligen DDR ist geprägt von der Sehnsucht nach dem Tauchen und der (für ihn zunächst unerreichbaren) exotischen Unterwasserwelt. Mit 18 Jahren verläßt er seine Heimat und geht nach Westberlin, um dort Biologie zu studieren. Er glaubt, nur so seinen Traum verwirklichen zu können. Mit einem Fahrrad macht sich der Student 1962 auf den Weg nach Südägypten, um im Roten Meer zu tauchen. Sein Vorbild und Idol ist der österreichische Zoologe, Taucher und Dokumentarfilmer Hans Hass, dessen damals sensationeller Film „Abenteuer im Roten Meer“ bereits in den 1950-er Jahren das Interesse des jungen Draufgängers erweckt hatte. Mit viel Glück überlebt der angehende Zoologe die strapaziöse und gefährliche Radtour durch die Wüste und findet seine ersehnten Tauchgründe am Korallenriff. Er ist so fasziniert von der Vielfalt dieser bunten Welt und ihrer Bewohner, dass er die nächsten Jahre immer wieder zum Roten Meer zurückkehrt – jetzt aber mit dem Moped.

Ebenso konsequent wie der Verwirklichung seiner Tauchträume widmet sich der Biologie-Student den wissenschaftlichen Fragen seines Fachgebiets. Er knüpft wertvolle Kontakte zu dessen wichtigsten Vertetern wie zum Beispiel dem weltbekannten österreichischen Tierprofessor Konrad Lorenz, damals Leiter des Max-Planck-Instituts für Verhaltensforschung in Seewiesen bei Starnberg, oder der US-Forscherin und Autorin Eugenie Clark, damals Direktorin des Cape Haze Marine Laboratoriums in Sarasota, Florida. Dort verbringt er aufregende Studienmonate und lernt mit der berühmten amerikanischen Meeresbiologin Sylvia Earle die Unterwasserwelt des Golfs von Mexiko kennen.

Für eine Doktorarbeit kehrt Hans Fricke nach Deutschland zurück, wo er im Seewiesener Institut von Konrad Lorenz aufgenommen und dessen Schüler wird. Lorenz rät ihm, „in die Haut eines Fisches zu schlüpfen“, um das Leben des Tieres zu verstehen. Dieser Rat sollte Grundlage seiner gesamten Arbeit werden. Für den Meeresbiologen bedeutet es beispielsweise, einem einzelnen kleinen Fisch stundenlang durchs Revier zu folgen, um zu sehen, wovon sich dieser ernährt. Sein Interesse an dieser Art von Verhaltensforschung vor Ort ist so groß, daß sich seine untermeerischen Forschungsgebiete bald über die ganze Welt - von Ägypten über Bermuda, Djibouti, Israel, Island, Japan, Madagaskar, Mexiko, Neuseeland bis Südafrika - erstrecken.

In israelischen Eilat baut er ein solides Unterwasserhaus, das über mehrere Jahre in Betrieb bleibt, so dass er von dort aus interessante Verhaltensstudien treiben kann. Er will auch wissen, wie man als Mensch wochenlang unter Wasser leben kann. Seine brillianten Fotos, zahlreiche Vorträge, Artikel und Bücher erhöhen seinen Bekanntheitsgrad, ebenso seine Filmaufnahmen, die von vielen Fernsehsendern weltweit ausgestrahlt werden. Er lernt bedeutende Leute kennen, die ihn unterstützen. So zum Beispiel den Chefredakteur des Magazins GEO, der den Bau des ersten deutschen Forschungstauchbootes „GEO“ (heute im Deutschen Museum in München zu sehen) ermöglicht hat.

U-Boot-Kommandant, Falschgeld-Fischer und Katastrophenhelfer

So wird Fricke zum (Mini)-U-Boot-Kommandanten. Er taucht zunächst mit der „GEO“ bis zu 200 Meter tief und benutzt später ihre Nachfolgerin „Jago“, die bis in 400 Meter vordringen kann. Damit schafft er nicht nur Abstiege bis an den Rand der Tiefsee, sondern erreicht auch „Quasti“, den Quastenflosser. In der Folgezeit beschäftigt sich der Forscher viel mit der Dokumentation und Interpretation der geheimnisvollen Lebensweise des Tieres und macht auf die drohende Gefahr des Aussterbens der letzten Vertreter ihrer Art aufmerksam. Es gelingt ihm, einen weiteren Förderer seiner Arbeit zu gewinnen, Paul Allan, Mitbegründer von Microsoft. Dieser stellt dem Meeresforscher großzügigerweise seine futuristische Luxusyacht OCTOPUS zur Quasti-Erkundung vor den Komoren zur Verfügung. Leider muss das Unternehmen im Indischen Ozean nach drei Tagen wegen drohender Piratenangriffe eingestellt werden.

Mit seinen Tauchbooten geht der Wissenschaftler auch verschiedenen Alpenseen auf den Grund. Aus dem Toplitzsee fischt er nebenbei Nazi-Falschgeld. Auf diesem entdeckt sein Freund, der renommierte Münchner Mikrobiologe Professor Karl Stetter, ein bisher unbekanntes Bakterium, das sich von den Geldscheinen ernährt. Dann befindet sich Fricke wieder auf der Suche nach Schiffswracks und verschollenen Expeditionen in der Arktis. Sein Interesse gilt dabei den jetzigen Bewohnern der vor vielen Jahren in den kalten Gewässern gesunkenen Schiffe, um deren Wachstumsgeschwindigkeiten zu messen. Ein andermal betätigt er sich als Katastrophenhelfer bei der Bergung von abgestürzten Flugzeugen im Bodensee. Schließlich erleben wir den Forscher im tiefsten Burgbrunnen der Welt (184 Meter) auf dem sagenumwobenen Kyffhäuser im Südharz. Er will kären, wie der blinde Flohkrebs in so einer Umgebung überleben kann. Dabei findet er neben allerlei Ramsch und Münzen, herabgeworfen von Touristen der vergangenen Jahrzehnte, auch einen geheimnisvollen Beutel mit Jugendstilschmuck. Diesen hatte der damalige Kurator der Burg 1945 einfach in den Brunnen geworfen, um ihn vor dem Einmarsch der Alliierten zu verbergen.

Trotz seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten auch im Bereich der Medien bleibt Hans Fricke Zoologe durch und durch, schlägt gar ein phantastisches Stellenangebot vom Fernsehen aus. Lieber geht er den Geheimnissen der Aale nach, die ihn schon als Kind fasziniert haben. Er erforscht, wie sich die Tiere in den Weiten des Atlantiks und des Pazifiks zum Paaren finden und welchen Weg sie dann wieder nach Hause nehmen. Er ist unermüdlich unterwegs in unterschiedlichsten Gegenden: Mal taucht er nach primitiven Organismen an den Unterwasservulkanen Islands, dann begegnet er in einer Höhle mitten im Dschungel von Mexiko Schwärmen von blinden Schwefelmollies. Er entdeckt, dass bestimmte Fische Wissen tradieren und andere sich auf ein „stilles Örtchen“ in ihrem Revier einigen.

Zeitzeuge des Untergangs der Korallenriffe

Dramatische und gefährliche Ereignisse, Fehler und Rückschläge auf dem langen Weg verschweigt das Buch Frickes nicht. Gleich am Anfang in Ägypten ist es der Tauchertod des besten Freundes, später sind es Probleme mit versiegenden Geldquellen oder verkehrten Konstruktionen, bedrohlichen Unterwasserminen, ein Wassereinbruch oder auch extreme Rückenschmerzen im engen Tauchboot. Deprimierend auch die Bilanz des Professors, der einer der ganz wenigen Menschen auf dieser Erde ist, die über einen Zeitraum von 50 Jahren die Entwicklung eines einzigen Unterwassergebietes im Roten Meer beobachtet und die Veränderungen mit Messungen dokumentiert haben: Die Riffe im Golf von Akaba, einst blühende, bunte Unterwassergärten, sind heute leider ebenso vom Untergang bedroht wie die meisten anderen Korallenriffe der Welt!

Dennoch, und vielleicht gerade auch wegen dieser deprimierenden Bilanz und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Umwelt, kann man das Buch vor allem jungen Menschen ans Herz legen. Als Beispiel für ein erfolgreiches, einzigartiges, selbst bestimmtes, abenteuerliches Lebens in freier Natur, basierend auf wissenschaftlicher Genauigkeit, Konzentration und Erkenntnis. Nicht nur Biolog(inn)en, Wissenschaftler(inne)n, Tauchfans, Naturliebhaber(inne)n und Outdoor-Freaks wird empfohlen, an dieser aufregenden Reise durch das blaue Universum teilzunehmen, sondern auch allen, die an höchst unterhaltsamer Sachliteratur mit großem Erkenntniswert Vergnügen haben.

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Walter Hoffmann

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