Sehr geehrte Gemeinderätinnen und Gemeinderäte,
Einleitung
stellen Sie sich vor, in unserer Gemeinde, in Tutzing, lebte eine Person, die ein Terrorregime unterstützte, die in eine Partei eintrat, die sich bewusst gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit entschied, die für ein totalitäres Regime kämpfte, die einen totalitären Führer unterstützte und verherrlichte, die diesen Führer nicht nur verherrlichte, sondern auch selbst durch ihre eigene Arbeit unterstützte. Stellen Sie sich eine Person vor, die durch eben jenes Regime gewürdigt wurde. Stellen Sie sich eine Person vor, die eine antisemitische Haltung verkörperte.
Würden Sie heute eine Straße nach dieser Person benennen? Ich denke, wir sind uns alle einig; die einstimmige Meinung wäre ein klares Nein.
Doch in Tutzing ist genau das geschehen. In Tutzing ist genau das mit der Persönlichkeit Elly Ney geschehen.
Über Elly Ney
Die geborene Düsseldorferin lebte von 1929 bis zu ihrem Tod 1968 in Tutzing. Sie war nicht nur Anhängerin Hitlers, Antisemitin und Antidemokratin; nein, sie trat auch 1937 in die NSDAP ein. Sie wurde durch das Regime beispielsweise durch das Kriegsverdienstkreuz geehrt und auf die Gottbegnadetenliste aufgenommen. Sie sprach öffentlich von der Ausschaltung der Juden und propagierte in ihrer Musik die Werte des Nationalsozialismus. Sie verweigerte Auftritte mit jüdischen Künstlern und trat auf der anderen Seite für das Regime auf, beispielsweise vor dem Generalgouvernement in Polen.
Sie war nicht Mitläuferin des Regimes, sie war aktive, glühende Unterstützerin. Durch ihre Musik war sie geradezu kulturelle Propagandistin des Regimes – eine Tatsache und Rolle, die beim Aufbau eines totalitären Regimes nicht unterschätzt werden darf.
Deutlich wird ihre Haltung beispielsweise in einem Telegramm von ihr persönlich an Hitler. Darin schrieb sie, ich zitiere: „Mein Führer, nach meinem Berliner Schubert-Abend in der Philharmonie lebte aufs Neue mein sehnlichster Wunsch auf, Ihnen, mein Führer, einmal Schubert vorzuspielen. Seit Jahren war es mein größter Wunsch, meinen innig verehrten Führer an dieser ergreifenden Sprache der Ostmark teilnehmen zu lassen." Zitat Ende.
Trotzdem wurde in Tutzing eine Straße nach ihr benannt. Wir vom Jugendbeirat Tutzing halten dies für einen Fehler, den es zu korrigieren gilt.
Zweck einer Straßenbenennung
Denn wozu dient es, eine Straße nach einer Persönlichkeit zu benennen? Es dient dem Zweck, dieser Person eine Ehre zu erteilen und für künftige Generationen ein Vorbild zu statuieren. In der Person Elly Ney sehen wir keinen dieser Zwecke begründet.
Gegenargument 1: Wurde schonmal diskutiert
Und ja in der Gemeinde Tutzing, hier im Gemeinderat, wurde genau diese Diskussion vor circa 16 Jahren im Jahr 2009 schon einmal geführt. Es wurde schon einmal diskutiert, ob die Straße umbenannt werden solle. Damals hat man sich dagegen entschieden.
Doch neue Gutachten zum Beispiel von der Stadt München und einer dortigen Experten-Kommission machen es notwendig, auch in Tutzing erneut eine Umbenennung zu diskutieren. Und wie komisch wäre es, die Diskussion schlicht damit abzulehnen, dass es schon einmal diskutiert wurde. Dann könnten ganze gesellschaftliche Gruppen, wie ich aufgrund meines Alters oder Herr Behrens-Ramberg, weil er damals noch nicht Teil des Gemeinderates war, nie Stellung zu dieser Frage beziehen. Zu den guten demokratischen Gepflogenheiten gehört es, getroffene Entscheidungen stets zu hinterfragen und unter dem Eindruck eines neuen äußeren Rahmens neu zu bewerten.
Expertenmeinungen
Jedenfalls in München hat die dortige Expertenkommission sich dafür ausgesprochen, die dortige Elly-Ney-Straße umzubenennen. Ihr Wirken zu Zeiten des Nationalsozialismus wiege zu schwer, um ihr eine etwaige Ehre teil werden zu lassen. Und damit steht dieses Experten-Gutachten nicht alleine. Auch andere Historiker bestätigen ihre unheilvolle Verstrickung in das Regime und stellen fest, dass sich politische Städte und Gemeinden nicht mit ihr identifizieren sollten. Konkret sprach der Historiker Michael Kater von einer - Zitat - „abstoßenden Figur der deutschen Musikgeschichte“ - Zitat Ende.
Gegenargument 2: Bürokratie
Und ja, eine Umbenennung führt auch zu einem gewissen bürokratischen Akt für die dortigen Anwohner. Das können wir als Jugendbeirat nachvollziehen. Wir waren deshalb höchstpersönlich auch in der Elly-Ney-Straße unterwegs und haben die Anwohner befragt, wie sie denn zu einer Umbenennung stehen. Die Reaktionen, die wir erhalten haben, waren aber keineswegs so negativ, wie sie gelegentlich prophezeit wurden. Es gab sogar einige, die eine Umbenennung aktiv unterstützten. Denn in einer Straße zu wohnen, die nach einer Hitler-Anhängerin benannt ist, kann auch belastend sein.
Und seien wir ehrlich, fragen wir uns noch einmal selbst: Wer von uns ist schon einmal umgezogen, wer musste seine Adresse nicht beim Meldeamt ändern und vieles mehr. Ich denke wenige bis keine Personen hier im Raum könnten die Frage, ob sie schon einmal umgezogen sind, verneinen. Ist es nicht deshalb nicht auch den Anwohnern in der dortigen Straße zumutbar, diese Umbenennung mitzutragen? Auch in anderen Gemeinden wie in Pöcking oder Herrsching wurden und werden Straßen umbenannt. Die Bürgerinnen und Bürger dort tragen es mit.
Gegenargument 3: Ortsfriede
Ich habe die politische Diskussion 2009 nicht miterlebt, ich selbst war erst sechs Jahre alt – und ich bin einer der älteren im Jugendbeirat. Aber jedenfalls heute im Jahr 2025 haben wir über die letzten Monate, in denen wir uns mit einer möglichen Umbenennung beschäftigt haben, keine den Ort spaltende Diskussionen erlebt. Die Debatte ist weniger aufgeheizt, sie ist unstrittiger geworden. Warum das so ist, darüber lässt sich nur philosophieren, vielleicht aber ändern sich schlicht persönliche Einstellungen über die Zeit. Vielleicht ist erst heute, aber auch gerade heute, die Zeit gekommen, die in Rede stehende Diskussion zu führen.
Und ja, es gibt kritische Stimmen, doch diese stehen einer überragenden Mehrheit für eine Umbenennung gegenüber. Wir als Jugendbeirat haben, im Bewusstsein über die harte Debatte im Jahr 2009, extra ein Portal eingerichtet, in dem die Tutzinger Bürgerinnen und Bürger ihre Meinung äußern konnten. Sie können sich selbst ein Bild davon machen. Die Botschaft, dieser wenn auch alles anderen als repräsentativen Umfrage, ist aber eindeutig: Eine Mehrheit ist für eine Umbenennung. Die kritischen Stimmen halten sich im einstelligen Bereich.
Gegenargument 4: Ausgelöschte Geschichte
Ein Aspekt, ein wunder Punkt, der ist von besonderer Bedeutung: Während mit der Umbenennung der Straße das eindeutige Signal einhergeht, diese Person verdient keine Ehrung und sie ist kein geeignetes Vorbild für künftige Generationen, darf nicht vergessen werden, dass mit einer Umbenennung gleichzeitig die Gefahr einhergeht, dass die Geschichte gewissermaßen ausradiert wird und der Eindruck entsteht, als wolle man sich ohne kritische Betrachtung seiner eigenen belastenden Geschichte entledigen und diese unter den Teppich kehren.
Für uns als Jugendbeirat ist es allerdings als Mahnung für die Zukunft wichtig, dass die Person Elly Ney und ihre aus heutiger Sicht zu sühnenden Taten und Ansichten nicht in Vergessenheit geraten. Wir möchten deshalb aus unserem eigenen Budget heraus eine Informationssäule errichten, auf der über die Person, ihre Geschichte und ihr Wirken informiert wird, sodass es gerade nicht zum Ausradieren der Geschichte kommt.
Wir finden, wir müssen uns auch fragen, ob es nicht gerade durch ein Belassen des Straßennamens zu einem dem vorgeworfenen Ausradieren gleichwertigen Übergehen und Übersehen der eigenen Geschichte kommt? Wir glauben jedenfalls mit dem Zweiklang aus Umbenennung und Informationssäule einen gelungenen Kompromiss gefunden zu haben.
Liebe Gemeinderätinnen und Gemeinderäte,
wir als Jugendbeirat setzen uns für eine Gemeinde Tutzing ein, die sich glaubwürdig für Demokratie, für Toleranz und Vielfalt einsetzt. Eine Straße nach einer Antisemitin, Antidemokratin und Hitler-Anhängerin zu benennen und diese Benennung zu belassen, halten wir für schwerlich hinnehmbar. Die Gegenargumente, die im Raum stehen, ob es der Erfüllungsaufwand durch die Anwohner oder das potentielle Ausradieren der Geschichte ist, möchten wir nicht in Abrede stellen, sie sind legitim. Wir als Jugendbeirat nehmen jedoch eine andere Gewichtung vor. Eine Gewichtung, bei der wir sagen: Ihre Taten wiegen so schwer, dass eine Abwägung mit allen erdenklichen Argumenten, die wir heute aufgeführt haben oder ihrem etwaigen, auch umstrittenen künstlerischen Schaffen nicht möglich ist bzw. stets darauf hinaus läuft: Eine Umbenennung ist angezeigt.
Liebe Gemeinderätinnen und Gemeinderäte,
sie haben heute eine wichtige Entscheidung zu treffen. Sie entscheiden darüber wie Tutzing mit seiner Vergangenheit umgeht und ob unsere Gemeinde beweist, reflektiert mit der eigenen Geschichte umzugehen. Bedenken Sie dabei auch: Es geht nicht nur darum, was für uns als Tutzingerinnen und Tutzinger gut und richtig ist, sondern dass die heutige Entscheidung auch Außenwirkung über die Ortsgrenzen hinaus hat und dass Sie heute das Image von Tutzing maßgeblich mitprägen können und werden – ich möchte nur daran erinnern, dass im Jahr 2009 aufgrund der aufgeheizten Diskussion selbst die Wochenzeitung „Die Zeit“ berichtete.
Liebe Gemeinderätinnen und Gemeinderäte,
wenn Sie sich zum aktuellen Zeitpunkt noch unsicher sind, wie Sie heute entscheiden sollen, denken Sie nicht vordergründig an die Person Elly Ney, sondern denken Sie an die Opfer des Nationalsozialismus und was eine weiter bestehende Ehrung durch diese Straßenbenennung für sie bedeuten muss und denken Sie auch daran, welchen Wert andere Straßenbenennungen nach herausragenden Persönlichkeiten – ich denke zum Beispiel an Caesar von Hofacker, welcher im Widerstand war und an einem Attentat auf Hitler beteiligt war – haben, wenn sie sich mit Elly Ney in eine Reihe stellen müssen. Ich möchte Ihnen – falls Sie noch unsicher sind, falls sie geneigt sind, abzuwägen zwischen den genannten Argumente – zum Schluss klare Worte von Charlotte Knobloch paraphrasiert auf den Weg geben:
„Als Überlebende der Shoah empfinde ich es als Hohn, wenn eine überzeugte Nationalsozialistin wie Elly Ney weiterhin […] von Tutzing gewürdigt wird."
Ich kann Ihnen versichern: Wenn ich mir unsicher wäre, wie ich heute zu entscheiden hätte, wenn ich eine Abwägung anstellen wollen würde, dann fühle ich mich auf der Seite von Charlotte Knobloch deutlich wohler als auf irgendeiner anderen Seite der Diskussion. Ich hoffe, Sie teilen diese Einschätzung, ich bitte Sie deshalb um Zustimmung.
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