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Die Anziehungskraft der Tutzinger Liste

Für den Bürgerverein kandidieren Barbara Doll, die bei der UWG Traubing war, und Thorsten Kerbs, Mitglied der Grünen

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Welcher Weg ist für die Gemeinde der beste? Da gehen die Ansichten nicht selten auseinander. Manchmal führt das sogar zu einem Wechsel des kommunalpolitischen Lagers. © pixabay / vorOrt.news

Wechsel von einer Partei oder Gruppe zur anderen gibt es in der Politik immer wieder mal und auch im Tutzinger Gemeinderat. Diesmal entfaltet die seit 2014 im Gemeinderat vertretene Tutzinger Liste auffallende Anziehungskraft. Für sie kandidieren bei der Gemeinderatswahl im nächsten Jahr sowohl Barbara Doll, die die UWG Traubing, für die sie 2020 gewählt wurde, verlassen hat, als auch Thorsten Kerbs, der als Mitglied der Grünen bekannt ist. „Arbeit des Gemeinderats grundlegend neu denken“ Offenkundig ist der seit 2014 im Gemeinderat vertretene Bürgerverein Tutzinger Liste attraktiv für so manche kommunalpolitisch engagierten Einheimischen, die bisher bei anderen Gruppen oder Parteien aktiv waren.

Aber auch Wechsel zu anderen Gruppen oder Parteien sind in Erinnerung. So war Dr. Heinrich Reiter erst bei der SPD und dann über lange Zeit für die Freien Wähler im Gemeinderat. Georg Schuster gehörte dem Kommunalparlament zunächst für die ÖDP an, heute ist er als Parteifreier für die FDP Mitglied des Gremiums. Ebenfalls bei den Freien Wählern ist Claus Piesch, der 2017/18 für die Bürgermeister-Bewerbung der CSU kandidiert hat.

Kommunalpolitische Wechsel gab es in Tutzing schon vor Jahrzehnten. Als Hubert Hupfauf, langjähriger Gemeinderat und späterer Vizebürgermeister der CSU, in den 1970er Jahren wegen seiner ablehnenden Haltung zu einem Hotelplan auf dem Midgardhaus-Gelände bei seiner Partei vorübergehend in Ungnade gefallen war, saß er anschließend eine Amtsperiode lang für den PWB, den Vorläufer der Freien Wähler, im Gemeinderat.

Besonders auffallend war die Trennung der Tutzingerin Christine Nimbach von den Grünen, deren Ortsgruppe sie 1995 mitgegründet und die sie drei Amtsperioden, von 1996 bis 2014, allein im Gemeinderat vertreten hat. Dann kam es aber mehr und mehr zur gegenseitigen Entfremdung. Das Verhältnis wirkte schließlich beidseitig zerrüttet. Für die nächste Gemeinderatswahl baut Nimbach eine Ortsgruppe der Partei „Die Basis“ auf, die aus der Querdenker-Bewegung hervorgegangen ist.

Wir haben Barbara Doll und Thorsten Kerbs gefragt, weshalb sie für die Tutzinger Liste kandidieren und nicht mehr für die UWG Traubing und die Grünen. Sie haben uns dazu ihre Beweggründe geschildert. Da Dr. Franz Matheis, der Vorsitzende der UWG Traubing, persönlich erwähnt wird, haben wir auch ihn gefragt, ob er dazu etwas erwidern möchte. Die Stellungnahmen veröffentlichen wir hier:

Thorsten Kerbs: "Interessen der Bürger im Mittelpunkt"

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Thorsten Kerbs (links) vor einiger Zeit bei einer Veranstaltung der Tutzinger Liste in der Skylounge des Restaurants Theodor. Ein seltener Fall: Bei Treffen einzelner Gruppierungen und Parteien in Tutzing gibt es nur manchmal Besuche aus anderen kommunalpolitischen Lagern.

„In den vergangenen Jahren hat sich zwischen Mitgliedern der Tutzinger Liste und mir ein sehr konstruktiver, anregender und menschlich angenehmer Austausch entwickelt. Mich überzeugt der ergebnisorientierte und pragmatische Ansatz dieses engagierten Teams, das die Interessen der Bürger in den Mittelpunkt stellt und sich dabei nicht an eine Parteidoktrin binden muss. Besonders schätze ich, dass es in der Tutzinger Liste weder um Karrieren noch um Machtfragen geht, was einen grundlegenden Unterschied zu klassischen Parteienstrukturen darstellt. Gleichzeitig sind die inhaltlichen Übereinstimmungen mit der Grünen-Ortsgruppe in Tutzing in den letzten Jahren immer geringer geworden. Es prallten zunehmend diametral unterschiedliche Vorstellungen aufeinander, so besonders bei der Bewertung grundlegender ökologischer Themen, bei der Frage, was politisch notwendig ist, beim Zusammenspiel von Vorstand und Gemeinderatsfraktion und bei der Art, wie politische Repräsentanten Profil zeigen und das ortspolitische Geschehen mitgestalten – oder es eben nicht tun. In der Tutzinger Liste erlebe ich dagegen, dass die Bedeutung ökologischer Themen für die Zukunft unseres Ortes als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird. Mein Engagement wurde dort ausdrücklich willkommen geheißen, gerade weil entsprechende fachliche Perspektiven das Team sinnvoll ergänzen. Deshalb habe ich mich entschieden, weiterhin Mitglied der Grünen zu bleiben, mein kommunalpolitisches Engagement in Tutzing aber in der Tutzinger Liste fortzuführen. Jener Gruppierung, der ich insgesamt, aber gerade auch mit Blick auf grüne Themen, mehr politische Gestaltungskraft zutraue. Für Tutzing könnte dies in Sachen Nachhaltigkeit und Zukunftsfestigkeit einen deutlichen Schub bedeuten, besonders wenn die Tutzinger Liste mit drei aktiven und gut kooperierenden Vertretern in den Gemeinderat einziehen sollte.“

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Barbara Doll: "Ein gutes Team für Tutzing und seine Ortsteile"

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"Sehr wohlwollend im Gemeinderat aufgenommen": Barbara Doll schätzt die Zusammenarbeit mit Dr. Wolfgang Behrens-Ramberg © Tutzinger Liste

"Ich bin aus der UWG ausgetreten, weil mir die ortspolitische Diskussion und der Austausch innerhalb der UWG völlig gefehlt hat (und da war nicht nur Corona Schuld!). Als ich in den Gemeinderat gewählt wurde, war ich ja ortspolitisch völlig unerfahren und wusste wenig von internen und externen Abläufen, Beschlussfassungen, Bebauungsplänen, usw. Ich hatte gehofft und mir gewünscht, von einem erfahrenen Gemeinderat und 3. Bürgermeister wie Dr. Matheis an die Ortspolitik herangeführt zu werden mit Erklärungen zu Abläufen in den Sitzungen/ in der Gemeinde, gemeinsamen Besprechungen zu den aktuellen Themen im Ort, Möglichkeiten und Grenzen eines GR und einfach alles, was ein Gemeinderat so wissen sollte. Dr. Matheis hat sich zwar mit der damaligen 1. Bürgermeisterin Marlene Greinwald und 2. Bürgermeisterin Elisabeth Dörrenberg (im stillen Kämmerlein) besprochen und ausgetauscht, mich allerdings vollkommen allein gelassen. Die UWG hatte nicht verstanden, dass man mit 2 Sitzen im GR vielleicht doch etwas mehr (insbesondere für Traubing) bewirken könnte als alleine. Dank der Tutziger Liste (und auch der CSU), die mich sehr wohlwollend im Gemeinderat aufgenommen haben und sich auch regelmäßig mit mir abgestimmt haben, mir damals viel erklärt haben und Themen diskutiert haben, also wirklich für Tutzing „gearbeitet“ haben, konnte ich mich gut einarbeiten. Mein Gemeinderatskollege Dr. Behrens- Ramberg stand und steht mir immer mit seiner Erfahrung, Rat und Tat gerade bei wirtschaftlichen Themen zur Seite, wir sind mittlerweile ein gutes Team für Tutzing und seine Ortsteile und ich schätze ihn menschlich sehr. Auch an Thorsten Kerbs, den ich erst vor Kurzem kennenlernen durfte, schätze ich die Themenbeleuchtung von allen Seiten und das ehrliche Ansprechen oft unbequemer Meinungen, auch wenn sie vielleicht oftmals polarisieren. Fazit: Die Tutziger Liste ist frei von Konkurrenzdenken/ Machtgehabe untereinander und arbeitet sehr engagiert, konstruktiv, ergebnisorientiert und im Sinne der Tutziger Bürger ohne sich einem Parteiprogramm zu unterwerfen … von Bürgern für Bürger, ist immer perfekt und fundiert vorbereitet für die GR- Sitzungen (konkurrenzlos!). Darüberhinaus wird der Bürger nach jeder Sitzung über die Themen und Beschlussfassungen über die Homepage der TL informiert, diese Arbeit und Transparenz leistet keine andere Tutziger Partei/ Gruppierung! Bei der TL geht es einzig und allein darum, den Ort Tutzing und unsere Ortsteile für die Zukunft gut aufzustellen, für alle Bürger (jung/ alt/ behindert/ sozialschwächer) lebenswert, inklusiv und nachhaltig zu gestalten und das „gute Miteinander“ zu stärken. Und das Ganze ohne offizielle Parteirichtlinien - das hat mich überzeugt!"

Franz Matheis: "Nichtöffentliche Besprechungen der Bürgermeister und Loyalität selbstverständlich"

"Wenn Frau Doll sich von mir nicht ausreichend unterstützt gefühlt hat, tut mir das leid. Wenn Sie jetzt bei der Tutzinger Liste eine neue 'Heimat' gefunden hat, freut mich das und ich wünsche Ihr alle Gute. Eine Parteilichkeit bei der angesprochenen Podiumsdiskussion und 'Absprachen im stillen Kämmerlein' weise ich entschieden zurück. Nichtöffentliche Besprechungen der Bürgermeister und Loyalität dem amtierenden Bürgermeister gegenüber halte ich auch nicht für verwerflich, sondern empfinde ich als Selbstverständlichkeit."

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Kommentare

Man könnte bei diesen Wechseln durchaus zu der Meinung gelangen, dass es weniger um politische Inhalte als vielmehr um den Posten selbst geht, bzw ging. Der Eindruck entsteht, dass dort, wo Anerkennung, Einfluss oder persönliche Perspektiven innerhalb der eigenen Partei als unzureichend empfunden werden, der Wechsel zu einer anderen politischen Konstellation nicht aus Überzeugung, sondern aus Enttäuschung erfolgt.

Das wirkt nach dem Muster: „Was ich beim einen nicht bekomme, suche ich mir beim anderen.“
Nicht als inhaltlich begründeter Neuanfang, sondern als Reaktion auf persönliche Kränkungen, fehlende Durchsetzungskraft oder blockierte Karrierepfade. Ein solcher Wechsel trägt zwangsläufig den Beigeschmack des Beleidigt-Seins mit sich – und genau das unterminiert Glaubwürdigkeit.

Gerade im kommunalpolitischen Kontext einer überschaubaren Gemeinde wie Tutzing ist politische Authentizität entscheidend. Wählerinnen und Wähler kennen die handelnden Personen, ihre bisherigen Positionen und ihr Verhalten. Ein taktischer Spagat zwischen alter Parteibindung und neuer politischer Bühne lässt sich hier kaum glaubwürdig vermitteln.

Problematisch wird es insbesondere dann, wenn das Parteibuch bei Bündnis 90/Die Grünen verbleibt, gleichzeitig aber Wahlkampf gegen eigene Parteifreunde und für eine andere politische Kraft betrieben wird. Das wirft zentrale Fragen auf:

Wem gilt die Loyalität tatsächlich?

Wo endet politische Offenheit, wo beginnt parteischädigendes Verhalten?

Wie soll eine konstruktive Zusammenarbeit nach der Wahl aussehen, wenn bereits im Wahlkampf fundamentale Rollenkonflikte bestehen?

In diesem Licht kann der Vorgang durchaus als verdeckter Listenplatz interpretiert werden – nicht offiziell, aber faktisch: Man bleibt formell Teil der alten Struktur, profitiert aber von den Chancen der neuen. Genau dieser Eindruck nährt jedoch jene Vorwürfe, die Politik insgesamt schaden: Klüngelei, Opportunismus und fehlende Prinzipienfestigkeit.

Und das ist der eigentliche Kern des Problems:
Solche Konstellationen liefern ein ideales Einfallstor für Politikverdrossenheit. Sie bestätigen das Narrativ, dass es „denen da oben“ nicht um Inhalte, sondern um Posten geht – ein Narrativ, das insbesondere von zunehmend radikaleren Kräften dankbar aufgegriffen und verstärkt wird. Zuletzt hatten wir schon Ortsteile mit einem AFD Anteil von um die 20%.

Ein klarer, konsequenter Neuanfang – so schmerzhaft er persönlich auch sein mag – wäre politisch ehrlicher, transparenter und letztlich auch respektvoller gegenüber den Wählerinnen und Wählern. Alles andere hinterlässt einen schalen Beigeschmack.


(Bearbeitet)
Zitat: "... habe ich mich entschieden, weiterhin Mitglied der Grünen zu bleiben..."

Macht es wirklich keinen qualitativen Unterschied, ob man einen sauberen, konsequenten Neuanfang mit neuen politischen Partnern macht - wie damals Claus Piesch oder inzwischen Frau Doll - oder ob man doch noch irgendwie der alten "Liebe" nachhängt?

Bin auch gespannt wie das dann in der Praxis funktioniert, wenn man gegen die eigenen Parteifreunde für sich selbst mit der anderen Partei Wahlkampf macht? Kann man 2 Herren gleichzeitig dienen? Wann wird parteischädigendes Verhalten daraus? Wann zerreißt die alte oder neue Verbindung?

Könnte man es gar als verkappten 21. Listenplatz für einen Politiker mit dem Parteibuch von Bündnis90/Die Grünen verstehen?
Gar ein weiteres "Argument" über Klüngelei und Politikverdrossenheit als Geschenk in den Händen einer zunehmend radikaleren Partei?
So ganz wohl ist zumindest mir bei dieser Entwicklung in Tutzing nicht.
(Bearbeitet)