Auf großes Interesse ist am Freitagabend die erste Diskussion zur bevorstehenden Tutzinger Bürgermeisterwahl gestoßen. Der Saal des Roncallihauses war voll besetzt, ebenso das Foyer, viele mussten stehen. Etwa 200 Personen dürften es gewesen sein. Die Veranstalter von der Süddeutschen Zeitung schienen selbst überrascht, sie hatten nicht mit so starkem Besuch gerechnet. Der Redaktionsleiter der SZ Starnberg, Florian Zick, und die für Tutzing zuständige Reporterin Viktoria Spinrad sprachen zunächst mit Bürgermeisterin Marlene Greinwald von den Freien Wählern und ihrem Herausforderer Ludwig Horn von der CSU. Im zweiten Teil konnten sich dann auch Personen im Publikum zu Wort melden.
„Tutzing: Vom Fischerdorf zur Schlafstadt?“ Diesen Titel hatte die Süddeutsche Zeitung der Veranstaltung gegeben. „Tutzing ist sehr lebendig“, sagte Greinwald dazu, „wir sind keine Schlafstadt.“ Horn formulierte es so: „Tutzing ist der Ort der Träume.“ Ansonsten kam das gewählte Motto nicht weiter zur Sprache, aber die Themenpalette war sehr breit, wenn auch am Schluss ein Fragesteller kritisierte, der Umwelt- und Klimaschutz sei überhaupt nicht vorgekommen. Dazu gab es dann noch einige Anmerkungen.
Horn: "Wir müssen aufs Handwerk schauen"
Ansonsten wurden viele lokale Aspekte gestreift. Erschwinglichen Wohnraum zu ermöglichen, halten Greinwald und Horn für wichtig. Vielleicht eröffne sich in Traubing die Chance für ein genossenschaftliches Modell, sagte die Bürgermeisterin. Horn regte eine Plattform an, auf der Tutzinger Vermieter und Mieter zusammenfinden können, auch ein Mietspiegel sei vielleicht möglich.
Die finanziellen Spielräume der Gemeinde besonders durch höhere Gewerbesteuereinnahmen zu verbessern, hält Horn für dringend erforderlich. Beispielhaft nannte er Modelle wie die Bündelung von Unternehmen mit ähnlicher Ausrichtung durch eine Cluster-Bildung, so etwa in der Software, oder ein Gewerbegebiet, für das seit langer Zeit die ehemalige Kiesgrube der Firma Groll bei Traubing im Gespräch ist.
Der Unternehmer Michael Lanio erkundigte sich nachdrücklich, wie das Gewerbe im Ort erhalten und neues Gewerbe angesiedelt werden soll. Offenkundig auch wegen häufiger Vorhaltungen, örtliche Betriebe würden bei kommunalen Aufträgen zu wenig berücksichtigt, sagte Horn nachdrücklich: „Das Handwerk muss seinen aktiven Platz bei uns haben, wir müssen aufs Handwerk schauen.“ Für die Ortsmitte sei eine „Ortskultur mit Einzelhandel, Restaurants und Cafés“ wichtig. Um das Gewerbe im Ort – auch in schwierigen Zeiten wie derzeit durch die Straßensanierung – zu stärken, hält Horn ein Modell nach Ruhpoldinger Vorbild für erwägenswert. Dort ist ein Parkticket mit einem Gutschein verbunden, der verbilligten Einkauf im Ort ermöglicht. „So schafft man Anreiz für die Ortsmitte“, sagte Horn.
Greinwald: Gewerbesteuereinnahmen bereits erhöht
Greinwald bestätigte erhebliche Umsatzreduzierungen örtlicher Betriebe. So habe sie von 30 Prozent Einbuße beim Biomarkt in der Hallbergerallee erfahren. Aber nach der Sanierung werde es „wirklich schön“ sein, versprach sie. Die Baumöglichkeiten für Handwerksbetriebe seien allerdings angesichts der hohen Grundstückspreise schwierig. Sie hoffe aber auf Chancen, so beispielsweise „in den großen Kubaturen der Bauernhöfe“. Allerdings seien dafür gesetzliche Voraussetzungen und Bebauungspläne erforderlich.
Generell verwies Greinwald auf eine Reihe wirtschaftlicher Fortschritte, so unter Hinweis auf Unternehmen wie Lobster oder WAF. Im Winter werde auch der Bau eines „Leonardo“-Hotels im Bahnhofsviertel beginnen, kündigte sie an. Die Gewerbesteuereinnahmen der Gemeinde hätten sich seit ihrem Amtsantritt bereits von 3,9 Millionen auf annähernd 8 Millionen Euro im Jahr erhöht. Auch die P3-Klinik im Bahnhofsviertel werde sich mit einem Erweiterungsbau „verdreifachen“. Die seit etwa einem Jahr leer stehende Halle des liquidierten Unternehmens Zirngibl sei inzwischen verkauft worden, und zwar an ihren „Wunschkäufer“. Der war bei der Veranstaltung selbst anwesend, sagte sie später, wollte seinen Namen aber nicht nennen. In Hinblick auf ein Gewerbegebiet bei Traubing scheint Greinwald durchaus Möglichkeiten zu sehen. Der Eigentümer des Geländes sei zurzeit in intensiven Gesprächen mit dem Landratsamt. Beim schwierigen Problem von Altlasten gebe es eventuell Verfahren, das Eindringen von Niederschlagswasser zu verhindern, wenn die Gebäude dann auch ohne Keller errichtet werden müssten.
Besucherin prangert "Schandflecke" an: Bahnhof, Andechser Hof, Seehof
„Mehrere Schandflecke“ in Tutzing sprach eine Besucherin kritisch an: den Bahnhof ohne Toiletten, den mehr und mehr verfallenden „Andechser Hof“ und das seit Jahrzehnten leer stehende Seehof-Grundstück. Greinwald bezeichnete das Verhalten der Deutschen Bahn als „unverschämt“, und sie deutete an, dass es zu dem eigentlich beabsichtigten Verkauf des Bahnhofsgebäude möglicherweise gar nicht kommen wird. Die Eigentümer des Andechser Hofs hätten beim Bebauungsplan nicht mit der Gemeinde zusammenarbeiten wollen. Das führte zu einer kritischen Entgegnung von Conny Schuster, der Miteigentümerin der vor bald zwölf Jahren stillgelegten Gaststätte. Sie verwies auf einen städtebaulichen Vertrag, dessen Formulierung den Eigentümern eine Unterzeichnung nicht erlaubt habe. Horn gab sich bei diesem Thema zurückhaltend. Er sprach von einer Option, das Gespräch zu suchen, um einen Weg zu finden. Über den Seehof hat es nach Greinwalds Worten kürzlich Gespräche mit dem Eigentümer gegeben. Er habe eine Planung auf der Grundlage des von der Gemeinde erstellten Bebauungsplans angekündigt.
Unterschiedliche Pläne für die Amtszeit
Greinwald und Horn waren den ganzen Abend über erkennbar um eine harmonische Atmosphäre bemüht. Das kam bei vielen gut an, wie später in Gesprächen deutlich wurde. Aber auch Irritationen waren erkennbar: Dass wirklich so viel Einigkeit besteht, wollten manche nicht glauben. Eine Besucherin sah sich schon während der Veranstaltung zu der Frage nach Unterschieden veranlasst.
Greinwald äußerte sich dazu eher allgemein. „Ich bin eine erfahrene Bürgermeisterin und Gemeindepolitikerin", sagte sie, "ich mag Ludwig, er macht es bestimmt nach bestem Gewissen - jeder Bürger muss selbst entscheiden, wem er die Verantwortung für Tutzing in die Hände geben will.“
Horn gab stichwortartig ein paar konkretere Hinweise. Er halte die Kommunikation der Kommunalpolitik mit der Bevölkerung für wesentlich, es gelte gemeinsam mit Bürgerbeteiligung Themen voranzubringen. Einen 14tägigen Bürgerbrief etwa hielte er für hilfreich. Weiter müsse man beim Gewerbe vorankommen und aktiv neue Firmen ansprechen. Zum Thema Kommunikation erwiderte Greinwald, daran könne es nicht liegen, denn sie sei immer für alle Leute ansprechbar.
Unterschiede traten dann doch besonders beim Thema Amtszeit zu Tage. In Tutzing sind die Wahlen des Gemeinderats und des Bürgermeisters "aus dem Takt", wie es SZ-Redaktionsleiter Zick formulierte: Sie finden nicht, wie in Bayern eigentlich üblich, gleichzeitig statt, seit der frühere Bürgermeister Rudolf Krug 2017 gestorben ist. Die Bürgermeisterwahl ist für den 26. November 2023 angesetzt, die nächste Gemeinderatswahl folgt 2026. Horn verwies darauf, dass er im Fall seiner Wahl eine verkürzte Amtszeit anstrebe, um im Jahr 2026 eine gemeinsame Wahl von Gemeinderat und Bürgermeister zu ermöglichen. „Ich glaube, dass dies von einer breiten Bevölkerung gewünscht wird“, sagte er.
Greinwald, die dagegen wieder für sechs Jahre antreten will, sagte, mit einer Neuwahl 2026 würde man einen Dauerwahlkampf provozieren: „Das will ich Tutzing nicht antun.“ Im Bürgermeisteramt sei Kontinuität wichtig. In Baden-Württemberg seien solche Wahlen aus gutem Grund getrennt. Für das Amt benötige man eine gewisse Erfahrung, sagte sie. Sie deutete sogar Zweifel daran an, dass Horn nach zwei Jahren tatsächlich wieder zur Wahl antreten wird. Man könne für solche Zusagen ja keine eidesstattlichen Erklärungen einfordern. Horn reagierte darauf gelassen und mit einem Versprechen, dass er im Fall seiner Wahl 2026 wieder zur Wahl antreten werde.
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Kommentare
Falls die wählende Bürgerschaft den Eindruck vermittelt bekommt, dass es eh' "wurscht" ist, weil sich die Bewerber nur in Nuancen unterscheiden, wäre das für eine demokratische Wahl nicht förderlich!
Beide Kandidaten betonten bzw. versprachen übereinstimmend die eigene Sachorientierung und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit uns Bürgern.
Als Amtsinhaberin betonte Frau Greinwald naturgemäß ihre Erfahrung und die Erfolge ihrer Amtszeit. Allerdings hatte sie auch keine Beißhemmung ihren jüngeren Herausforderer hier & da subtil von oben herab zu schulmeistern. Sie zeigte definitiv, dass sie auch auf ihre Art dominant & bossig sein kann; Eigenschaften, die man auf dem Bürgermeisterstuhl vielleicht auch mal einsetzt?
Herr Horn versprach v. a. eine bessere Kommunikation mit den Bürgern und betonte seine größere Nähe für die Belange der jüngen Generation. Außerdem versprach er verbindlich die Wiederzusammenführung der Bürgermeisterwahl mit der nächsten Gemeinderatswahl. Will man als Herausforderer mehr als nur einen Achtungserfolg erzielen, muss man sich mehr anstrengen, als der Amtsinhaber... man müsste auch sachlich & gezielt die Finger in die Wunden legen.
Habe ich etwas Wichtiges überhört?