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Ein Haus ohne Bauraum

Bebauungsplan im Fischerbuchet ignoriert genehmigtes Gebäude - Welches Baurecht gilt?

In Tutzing steht ein Haus, das es eigentlich gar nicht geben dürfte. Jedenfalls nach dem Bebauungsplan. Dabei ist das Gebäude korrekt genehmigt worden.

Klingt knifflig und ist tatsächlich recht eigenartig. Es geht um das Mehrfamilienhaus mit der Adresse Herrestraße 1 im Fischerbuchet. Es wurde 1973 erbaut, ist genehmigt und genießt Bestandsschutz, wie das Bauamt der Gemeinde Tutzing bestätigt. Dennoch gibt es ein Problem: Das betreffende Grundstück befindet sich im Geltungsbereich des qualifizierten, rechtsverbindlichen Bebauungsplans Nr. 20 „Fischerbuchet II“ in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Januar 1982 - und in diesem Bebauungsplan ist für das betreffende Flurstück 670/6 der Gemarkung Tutzing kein Baumraum vorgesehen.

Dabei ist das Haus eigentlich nicht zu übersehen. Ein Bebauungsplan ist üblicherweise mit einem aufwändigen Verfahren verbunden, da wird praktisch jedes Detail exakt ermittelt und festgehalten. Wie ein solches Gebäude damals dennoch unerfasst bleiben könnte, ist den heutigen Verantwortlichen der Gemeinde offenkundig ein Rätsel. "Warum hier kein Bauraum für ein Haus in dieser Größenordnung festgesetzt wurde, lässt sich nicht. mehr eruieren", stellten sie lapidar in der Beschlussvorlage für eine Sitzung des Bau- und Ortsplanungsausschusses fest, der sich jüngst mit diesem Fall zu befassen hatte.

Warum hier kein Bauraum für ein Haus in dieser Größenordnung festgesetzt wurde, lässt sich nicht. mehr eruieren Aus der Beschlussvorlage der Gemeinde Tutzing zur Sitzung des Bau- und Ortsplanungsausschusses am 26. März 2019

Mancher Gemeinderat glaubte offenbar nicht recht zu hören, als ein Mitarbeiter des Bauamts den Ausschussmitgliedern dieses Phänomen erläuterte. Dennoch blieben die Kommentare eher zurückhaltend. Es sei „in der Tat etwas komisch, dass kein Baufenster ausgewiesen ist“, kommentierte Ortsplanungsreferent Wolfgang Marchner (Bürger für Tutzing). Die Gründe seien „nicht mehr nachvollziehbar“, stellte Christine Nimbach (Grüne) fest. Ansonsten nahmen die Ausschussmitglieder den absonderlichen Fall mehr oder weniger zur Kenntnis.

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Eigentlich nicht zu übersehen: Das Haus Herrestraße 1 © L.G.

Eine Entscheidung darüber, was nun zu tun ist, muss aber gefasst werden. Vom Eigentümer liegt nämlich ein Antrag für einen Umbau und eine Sanierung des Gebäudes vor. Aber nach welchem Recht soll der beurteilt werden? Eigentlich nach dem Bebauungsplan, könnte man meinen. Der regelt schließlich alles genau: Höhen, Grundflächenzahl, Geschossflächenzahl und so weiter. Aber da der Bebauungsplan das Haus quasi ignoriert hat, wirkt es etwas eigenartig, wenn seine Vorgaben nun trotzdem für das Gebäude gelten sollen. Wenn aber nicht der Bebauungsplan heranzuziehen ist, dann müsste eigentlich die übliche Regelung ohne Bebauungsplan maßgebend sein: der Paragraf 34 des Baugesetzbuchs, nach dem sich alles nach der Umgebungsbebauung richtet.

Zu dieser Auslegung neigt das Tutzinger Bauamt. Aber ob es das als Genehmigungsbehörde zuständige Landratsamt genauso sieht, war bei der Sitzung des Bauausschusses noch nicht bekannt. Offenbar ist das alles für die Verantwortlichen also gar nicht so einfach. Der Bauwerber aber hat es ganz pfiffig angestellt und genau die entscheidenden Fragen gestellt: Gilt auf der betreffenden Flurnummer der Paragraf 34 des Baugesetzbuchs? Und falls das nicht der Fall ist, wie ist dann das Baurecht auf dieser Flurnummer geregelt, wenn der Bebauungsplan keine Baufenster ausweist, jedoch ein genehmigter Bestand von 1973 vorliegt? Angeschlossen werden daran dann konkrete Fragen nach der Sanierung der Dachhaut, nach Gauben und nach der Gliederung von Wohneinheiten.

Die Tutzinger Gemeinderäte haben ihre Aufgabe erledigt: Sie können die beiden Kernfragen nicht beantworten - und die weiteren Fragen hängen von der Beantwortung der ersten Fragen ab. Nun muss das Landratsamt eine knifflige Entscheidung treffen: Gilt für einen Bauraum, den es gar nicht gibt, trotzdem der Bebauungsplan für das betreffende Gebiet? Oder wird doch der Paragraf 34 des Baugesetzbuchs herangezogen, der eigentlich für Gebiete ohne Bebauungsplan angewandt, als „Planersatzvorschrift“ aber gar nicht so gern genutzt wird? Die Baujuristen im Landratsamt scheinen vor einer echten Herausforderung zu stehen.

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Quelle Titelbild: L.G.
ID: 1729
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