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Tutzinger Impulse für Kommunen von morgen

Eine viel beachtete Tagung als Auftakt - Einbindung der Jugend, Digitalisierung, Green CityQuelle: Akademie für politische Bildung, Tutzing

Im Bierzelt wird gern über Kommunalpolitik geredet. Dieser Umstand war Geburtshelfer für eine Tagung "Kommunen - Die verkannten Zukunftsgestalter" in der Tutzinger Akademie für politische Bildung. Auf dem Oktoberfest hatte Erlangens Alt-Oberbürgermeister Siegfried Balleis gegenüber Akademie-Direktorin Ursula Münch beklagt, dass es zu wenige hochwertige wissenschaftliche Analysen zur Kommunalpolitik gebe. Schon war die Idee für die Tagung geboren, die die Tutzinger Akademie Anfang Februar gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (blz) veranstaltet hat.

"Die Kommune ist deshalb so wichtig, weil ihre Entscheidungen die Bürger am unmittelbarsten treffen", sagte Rupert Grübl bei seinem ersten Auftritt als blz-Leiter in Tutzing. Die Tagung soll der erste Schritt sein, weitere Veranstaltungen sowie eine Publikation sollen folgen. Damit scheinen von Tutzing maßgebliche Impulse für die die Gestaltung der Kommunen von morgen auszugehen.

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Tutzings Akademiedirektorin Prof. Ursula Münch © Akademie für politische Bildung
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Erlangens ehemaliger Oberbürgermeister Prof. Siegfried Balleis © Siemens

Kommunen als "kleine Machtzentren"

Martin Burgi, Professor für Öffentliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München, betonte die Stellung der Gemeinden und Landkreise als "kleine Machtzentren" zur Entlastung von Land und Bund, Vernetzung der Gesellschaft und dem "Aufbau der Demokratie von unten". Die kommunale Selbstverwaltung sei ein Exportschlager, der zum Beispiel von Frankreich übernommen wurde und seit 2009 sogar durch die EU-Verträge geschützt ist. "Ein Riesenreich wie China ist nicht dauerhaft zentral regierbar“, sagte er, „ich sehe eher eine Globalisierung der kommunalen Idee."

Gefährdet werde diese Idee allerdings durch Überregulierung durch Bund und Land, beispielsweise durch finanzielle Zuwendungen und die damit verbundene Kontrolle. Paradoxerweise könne auch Bürgerbeteiligung Kommunen schwächen, fügte Burgi hinzu. Nämlich dann, wenn sich Bürger aus der Vielzahl von politischen Angeboten nicht die Kommunalpolitik, sondern beispielsweise zivilgesellschaftliche Organisationen aussuchten.

„Viele Kommunen nehmen Jugendliche nicht ernst“

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Aktive Jugend in Tutzing: Eine von der JM organisierte Podiumsdiskussion zur Bürgermeisterwahl im Dezember 2017 © L.G.

Wie Stadt- und Gemeinderäte Bürger zur Mitarbeit motivieren können, war auch Thema einer Podiumsdiskussion. Bianka Poschenrieder, Zweite Bürgermeisterin von Zorneding, empfahl ihren Kolleginnen und Kollegen, dort zu werben, wo Menschen sich bereits engagieren - also in Vereinen und Bürgerinitiativen. "Ich erzähle von unseren Erfolgen als Gemeinderat und biete Interessenten Hilfe und Fortbildungen an", sagte sie.

Der Münchner Landrat Christoph Göbel sah in Jugendparlamenten eine Chance für mehr politischen Nachwuchs: "Junge Leute müssen ja nicht gleich Bürgermeister werden, aber man sollte sie früh einbinden." Genau diesen Weg schlägt Julia Hacker ein, die für den Jugendrat Lauf mitdiskutierte. "Viele Kommunen nehmen Jugendliche nicht ernst“, meinte sie. Der Jugendrat von Lauf habe ein eigenes Budget und ein Antragsrecht im Stadtrat: „Damit konnten wir bereits einen Bikepark, Busverbindungen und Laternen für einen sicheren Heimweg schaffen", erzählte sie. Diese Erfolge würden wiederum helfen, neue Mitglieder für das Gremium zu finden.

Bestehen bleibe jedoch das Problem der niedrigen Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen, beklagt die Akademie. In Bayern lag diese Beteiligung nach ihren Angaben 2014 nur bei 55 Prozent. Angelika Vetter, Professorin am Institut für Sozialwissenschaften in Stuttgart, erklärte dieses Phänomen vor allem mit dem Wertewandel seit den 1990er Jahren: "Früher ging man einfach zur Wahl - heute wird diese Norm als weniger stark empfunden, vor allem von jungen Menschen." Außerdem sei das mediale Interesse an Kommunalpolitik geringer geworden, wodurch wiederum Bürger weniger mit lokalpolitischen Themen konfrontiert würden.

Gegen diesen Trend stellten sich Okan Bellikli und seine Klasse der Deutschen Journalistenschule. Für ihr Abschlussprojekt waren die Nachwuchsjournalisten durch ganz Deutschland gereist. Sie hatten dabei Kommunalpolitiker in acht Bundesländern besucht, in denen 2019 gewählt wird. Die Ergebnisse sind auf dem Instagram-Profil total_kommunal und auf einer Website zu lesen, sehen und hören.

Kommunalpolitik - die "geilste Sache" für Leute, die kalte Duschen nicht scheuen

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Versäumnisse in der Digitalisierung: Beträchtliche Unterschiede bei der Weiterbildung weist der Personaldienstleister Randstaat nach (zum Vergrößern bitte anklicken) © obs/Randstad Deutschland GmbH & Co. KG

Über Brennpunkte der Kommunalpolitik sprachen die Vertreter der Spitzenverbände. Auch in dieser Runde spielte die Entfremdung zwischen Bürger und Kommunalpolitik eine Rolle. Christian Bernreiter, Landrat in Deggendorf und Präsident des Bayerischen Landkreistages, warnte vor Gebietsreformen wie in anderen Bundesländern. "Ich bin jeden Abend unterwegs, um unsere Politik zu erklären“, sagte er: „Dieser Kontakt fällt weg, wenn wir wie in Nordrhein-Westfalen Kreise mit 500 000 Einwohnern bekommen."

Rainer Schneider, Vize-Präsident des Bayerischen Bezirketags, beklagte hingegen, dass die Regierungsbezirke im Gegensatz zu Landkreisen kaum wahrgenommen würden, obwohl sie wichtige Aufgaben wie medizinische Versorgung verantworteten. Wie einige seiner Kollegen forderte er regelmäßige Schulbesuche von gewählten Vertretern, um früh den Kontakt zum Bürger herzustellen.

"Mich stört vor allem, dass die Kommunen ausbaden müssen, was die Bundespolitik in der Digitalisierung versäumt hat“, sagte Thomas Jung, Oberbürgermeister von Fürth und Erster stellvertretender Vorsitzender des Bayerischen Städtetags: „Die Bürger regen sich bei uns auf, dass sie ins Rathaus kommen müssen, um einen neuen Pass zu beantragen - dabei ist der Bund dafür verantwortlich."

Ähnliches beobachtet der Abensberger Bürgermeister Uwe Brandl, der auch Präsident des Bayerischen Gemeindetags und Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds ist, bei der Schaffung von Betreuungsplätzen für Grundschüler: "Die Bundespolitik verschließt sich vor unserer Argumentation, das ist kein faires Spiel." Dennoch hält Brandl Kommunalpolitik für "die geilste Sache der Welt für Leute, die Diskussionen lieben und keine Scheu haben, ab und zu mal eine kalte Dusche zu kassieren". Diese Begeisterung hat ihn zu seinem ersten Kinderbuch "Die kleine Mäusegemeinde" inspiriert, mit dem er Grundschülern die Kommunalpolitik näher bringen will - anhand von Mäusen, die sich auf dem Dachboden des Schulhauses organisieren, inklusive Bürgermeister und Kämmerer.

Die attraktive Stadt der Zukunft: Ökologisch, digital und terrorsicher

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Räume zur. Begegnung: Tutzinger Weinfest der JM in der Brahmspromenade im Juni 2018 © L.G.

Mit den zukünftigen Herausforderungen der Kommunalpolitik befasste sich unter anderem Norbert Göttler, Bezirksheimatpfleger von Oberbayern, der sich mit dem Heimatbegriff beschäftigte. "Das Problem ist, dass jeder eine andere Vorstellung von Heimat hat", erklärte er. Vor allem bei jungen Menschen sei Heimat weniger topographisch, sondern utopisch: Heimat als Netzwerke von Menschen, die nicht zwingend am gleichen Ort aufgewachsen sind. Politiker müssten deshalb einen „inklusiven Heimatbegriff“ verteidigen. Dazu zählte er Vielfalt statt Monokultur und nicht Ästhetik als Standortfaktor, um Menschen an einen Ort zu binden.

Dem stimmt Norbert Gebbeken, Bauingenieur und Professor an der Universität der Bundeswehr München, zu. Eine attraktive Stadt der Zukunft müsse ökologisch, digital und terrorsicher sein, so seine These. Er empfahl verschiedene Maßnahmen: Räume zur Begegnung wie Parks oder offen gestaltete Busstationen zu schaffen, „Urban Farming“- Landwirtschaft in städtischen Ballungsgebieten - zu fördern und gleichzeitig Angsträume wie dunkle Unterführungen umzugestalten.

„Green City“ bringt so viele kreative Pläne zur urbanen Mobilität wie nie zuvor

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Radverkehrsförderung: Etliche Bürger nahmen an einer Besichtigungstour des Fahrradclubs ADFC im April 2018 teil © L.G.

Eines der aktuellsten Themen der zukünftigen Stadtentwicklung hatte Tagungsinitiator Siegfried Balleis selbst mitgebracht. Der Erlanger Alt-Oberbürgermeister ist Sonderbeauftragter des Sofortprogramms "Saubere Luft 2017-2020" der Bundesregierung.

Die kurzfristige Verbesserung der Luftqualität in deutschen Städten hält er für ein "Schulbeispiel für Politikverschränkung": Der Bund stelle die Finanzierung zur Verfügung und die Kommunen sollten Projektideen liefern - eine Chance, die laut Balleis nur noch mehrmaliger Aufforderung wahrgenommen wurde.

Dennoch bewarben sich mehr als 60 Städte um Förderungen unter anderem zur Digitalisierung des Verkehrs, der urbanen Logistik und der Radverkehrsförderung. Bei den durch das Bundesverkehrsministerium geförderten „Green-City-Plänen" seien so viele kreative Masterpläne zur urbanen Mobilität gesammelt worden wie nie zuvor.

Bauen in Kommunen: „Innen vor Außen“ muss das Motto sein

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Freiflächen im Zentrum: So etwas gibt es in Tutzing durchaus, beispielsweise den Seehof. Aber mit seiner Bebauung ist es nicht so einfach. © L.G.

Jörg Bierwagen vom Ingenieurbüro Christofori und Partner im fränkischen Roßtal (Landkreis Fürth) hat sich intensiv mit der Entwicklung ländlicher Kommunen beschäftigt. Als größte Probleme neben Überalterung und fehlenden Mobilitätsangeboten bezeichnete er in Tutzing Leerstände und Brachflächen in Ortskernen.

"Die Bürgermeister müssen sich aktiv mit ihren Dörfern beschäftigen“, forderte Bierwagen. Das Motto müsse sein: Innen vor Außen.

Konkret: Bevor ein neues Baugebiet am Ortsrand erschlossen wird, sollten die Bürgermeister nach Bierwagens Auffassung prüfen, warum Freiflächen im Zentrum bisher nicht bebaut wurden oder ob alte Höfe wiederbelebt werden können.

Digitale Übertragungen aus der Dorfkirche und intelligente Lichtmasten

Diane Ahrens leitet den Technologie Campus Grafenau der TH Deggendorf und stellte das vielschichtige Teamprojekt "Das digitale Dorf" vor. In mehreren Modelldörfern wird eine Fülle digitaler Anwendungen erprobt: von Mobilitätslösungen bis zur Echtzeitübertragung von Gottesdiensten aus der Dorfkirche. In der Gesamtsicht lasse sich sagen: "20 Prozent der Umsetzung digitaler Projekte haben mit IT zu tun, 80 Prozent mit Menschen".

Wolfgang Glock arbeitet bei der Landeshauptstadt München an Lösungen, um München zur "Smart City" zu machen. Zu dem Konzept gehören unter anderem intelligente Lichtmasten, die nicht nur Licht spenden, sondern auch Umweltwerte erfassen. Als interessant bezeichnete er es, dass es unterschiedliche Smart City-Kulturen, etwa in den USA, Asien und Europa, gebe - zum Beispiel mit Blick auf den Datenschutz, der in Europa sehr ausgeprägt sei.

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Werden die Dörfer digital? Blick auf Traubing © L.G,

Kommunalpolitiker sollen bei der Integration Führungsverantwortung übernehmen

Seit 2015 ist auch das Thema Integration auf kommunaler Ebene präsent wie nie. Hubertus Schröder vom Institut - Interkulturelle Qualitätsentwicklung München betonte, dass Integration nur dort stattfinden könne, wo Menschen zusammenleben und -arbeiten. Er betrachtet Migration als Konstante in einer globalisierten Welt und rät Kommunalpolitikern, diese als unumkehrbar anzuerkennen und bei der Integration Führungsveranwortung zu übernehmen. Dazu gehöre es ebenso, Visionen, Leitlinien und Ziele zu formulieren und deren Erreichung es zu überprüfen wie die Bürger zu beteiligen.

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Plädoyers für Integration: Bei Mitgliedern des Ökumenischen Unterstützerkreises von Tutzing sind sie Alltag © L.G.
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