Flachdächer wollen die Tutzinger Gemeinderäte nicht mehr genehmigen. Neulich stand im Bau- und Ortsplanungsausschuss wieder einmal so ein Dach zur Debatte, und zwar auf einer Garage in der Waldschmidtstraße. Die Tutzinger hatten schon signalisiert, dass sie dagegen sind. Aber das Landratsamt stellte sich gegen die Gemeinde: Schon vor der Sitzung teilte die Kreisbehörde den Tutzingern mit, dass sie anders entscheiden, nämlich das Flachdach genehmigen werde. Im Behördendeutsch heißt das „Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens“.
Landratsamt gegen Gemeinde: Das ist in Tutzing kein Einzelfall. Ebenfalls in der Waldschmidtstraße sahen sich die Tutzinger Gemeinderäte zum Beispiel erst vor ein paar Monaten gezwungen, der von ihnen nicht gewünschten Variante eines Bauplans zuzustimmen, weil das Landratsamt zuvor bereits seine Zustimmung für den Fall der Ablehnung durch die Tutzinger angekündigt hatte. Damit war klar, dass der Gemeinderat mit einer Abweisung des Antrags keine Chance haben würde. Bürgermeisterin Marlene Greinwald bezeichnete die Planung im Vergleich mit einer anderen immerhin als „das kleinere Übel“. Auch ungenehmigten Bauten hat das Landratsamt schon in mehreren Fällen gegen den Willen des Gemeinderats nachträglich seinen Segen erteilt.
Bei den Gemeinderäten führen die gegen die Beschlüsse der Gemeinde gerichteten Entscheidungen des Landratsamts regelmäßig zu Verwunderung. Aber meistens registrieren sie dies quasi achselzuckend - nach dem Motto: Das Landratsamt ist halt die Genehmigungsbehörde und sitzt damit am längeren Hebel.
Der älteste Tutzinger Gemeinderat Wolfgang Marchner (Bürger für Tutzing) aber hält sich mit scharfer Kritik an dem sich häufenden „Ersetzen des gemeindlichen Einvernehmens“ nicht mehr zurück. Marchner ist Ortsplanungsreferent. Er fühlt als Gemeinderat vom Landratsamt behandelt „wie ein kleiner Schulbub“.
Das Landratsamt hat für seine Entscheidungen auf Nachfrage der Zeitung "Starnberger Merkur" sachliche und rechtliche Gründe angeführt, außerdem Festlegungen in Bebauungsplänen. Doch Marchner sieht die ursprünglichen Überlegungen des Gesetzgebers auf den Kopf gestellt. Der habe nämlich viele Entscheidungen ausdrücklich den Gemeinden überlassen und sie eben nicht zentralistisch bestimmt sehen wollen. Wenn dann aber ein Bauherr mit einer Klage droht, geben die zuständigen Sachbearbeiter im Landratsamt nach Marchners Meinung oft allzu schnell nach: „Weil sie keine Schwierigkeiten haben wollen.“ Um die Unstimmigkeiten zu beseitigen, hat eine Sprecherin der Kreisbehörde angeboten, dass ein Vertreter des Landratsamts an einer Gemeinderatssitzung teilnimmt, um die Gründe für die Entscheidungen zu erklären.
Wenn es für einen bestimmten Bereich keinen Bebauungsplan gibt, dann werden Bauvorhaben meist nach Paragraf 34 des Baugesetzbuchs beurteilt. Danach sind Bauvorhaben zulässig, wenn sie sich „in die Eigenart der näheren Umgebung“ einfügen. Das ist eine Regel, die viele Ermessensspielräume öffnet. Marchner sieht nur eine einzige Möglichkeit für die Gemeinde, sich künftig besser durchzusetzen: Noch mehr Bebauungspläne. Die ganze Gemeinde Tutzing müsse mit Bebauungsplänen überzogen werden. Für die frühere CSU-Mehrheit des Gemeinderats sei ein Bebauungsplan dagegen „Teufelswerk“ gewesen, sagt er. Es sei ein mühsamer Weg, aber der Gemeinde werde gar nichts anderes übrig bleiben. Denn andernfalls würden künftig ganze Quartiere nach Paragraf 34 des Baugesetzbuchs beurteilt werden: „Und dann gibt es ständig Streit mit dem Landratsamt.“
Noch mehr Bebauungspläne könnten jedoch ein anderes Problem noch vergrößern: Tutzing kommt mit den vielen Bebauungsplänen schon heute nicht mehr nach. Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren bereits deutlich erhöht worden. Aber über die langen Verfahrensdauern häufen sich die Klagen. Marchner selbst hat dies vor einiger Zeit im Gemeinderat kritisiert. „Die Bauherren warten auf Ergebnisse“, sagte er und fügte spitz hinzu: „Sie wollen ja noch zu ihren Lebzeiten bauen.“
Wegen Forderungen nach Beschleunigung der Verfahren hat die Gemeinde mittlerweile schon die Zahl der beauftragten Planungsbüros erhöht. Neben der Arbeitsgemeinschaft von Prof. Florian Burgstaller und Martin Büscher war vor etwas mehr als zwei Jahren zusätzlich der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München dazu genommen worden. Doch die Kritik an langen Verfahrensdauern hat seitdem nicht nachgelassen. Seit kurzem ist ein drittes Planungsbüro für die Gemeinde tätig, nämlich das Schongauer Architekturbüro Hörner, das für die Ortsteile zuständig sein soll und zunächst mit einer Planung im Ortsteil Traubing beauftragt worden ist.
Außerdem sind regelmäßig öffentliche Sachstandsberichte zu Bauleitplanungen und Rahmenplanungen geplant. Der entsprechende Gemeinderats-Beschluss geht auf ein Gespräch mit dem Bauverantwortlichen des Landratsamts zurück: Kreisbaumeister Dr. Christian Kühnel. Am Dienstag dieser Woche sollte zum ersten Mal ein solcher Bericht im Gemeinderat abgegeben werden. Dazu kam es allerdings nicht. Bürgermeisterin Greinwald begründete das mit "Kommunikationsproblemen zwischen den Planern".
Mehr zum Thema:
Widerrechtlich errichtete Bauten
Tutzing kämpft gegen Schwarzbauten
Add a comment
Comments