Kommentar
8.11.2024
Von Lorenz Goslich

Lasst bitte auch andere Meinungen zu!

Eine Unterbindung unbequemer Äußerungen kann fatale Folgen haben

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Heute findet im Roncallihaus das dritte Tutzinger „Rathaus-Forum“ zur Aufnahme geflüchteter Menschen und zur dafür neu errichteten Anlage „Benedictus-Hof“ statt. Eine Erfahrung beim ersten Teil dieser Veranstaltungsserie drängt die Frage auf, ob eine offene Diskussion bei diesem Thema überhaupt möglich ist.

„Wir sollten jetzt nicht zehn Wortmeldungen in der selben Richtung haben.“ Mit diesen Worten hat die evangelische Pfarrerin Jutta Höcht-Stöhr als Moderatorin beim ersten Tutzinger Rathaus-Forum zur Geflüchteten-Unterkunft „Benedictus-Hof“ auf eine kritische Anmerkung eines Besuchers reagiert. Der hatte zum Thema Migration gesagt, bei Familien funktioniere es gut, doch bei jungen Männern sehe er erhebliche Risiken. Das hatte er noch mit weiteren Äußerungen unter Hinweis auf die gegenüber des Benedictus-Hofs befindliche Realschule ergänzt.

Nicht unbedingt zehn Wortmeldungen in der selben Richtung? Das klang wie eine Unterbindung bestimmter Meinungsäußerungen. Damit bestätigte die Moderatorin ungewohnt deutlich die Behauptungen, die man zurzeit so oft hören kann und die ebenso häufig bestritten werden: dass man trotz der viel beschworenen Meinungsfreiheit eben doch nicht mehr alles sagen dürfe.

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Das erste Rathaus-Forum auf der Tenne: Nicht alle Wortmeldungen will man bei solchen Veranstaltungen akzeptieren © L.G.

Leider hat die Moderatorin damit dem von der Gemeinde mit dem „Rathaus-Forum“ angestrebten Ziel entgegengewirkt. Diese Veranstaltungsserie zur Aufnahme geflüchteter Menschen in Tutzing sollte nämlich ausdrücklich allen Aspekten dieses Themas gerecht werden und alle – positive wie negative – Meinungen dazu einbinden. Unter die Stimmen der Tutzingerinnen und Tutzinger hätten sich Einsatzbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein, Nächstenliebe, aber auch Sorgen gemischt, erklärte die Gemeinde vor dem ersten Rathaus-Forum. Mit der Veranstaltungsserie wollte sie ein Forum bieten, bei dem auch kritische Aspekte offen angesprochen werden können.

Wie passt das mit der Mahnung schon nach der ersten kritischen Wortmeldung zusammen, dass „jetzt nicht zehn Wortmeldungen in der selben Richtung“ gewünscht seien? Diese Anmerkung hat beim ersten Rathaus-Forum ihre Wirkung nicht verfehlt: Nur noch ein paar wenige Äußerungen mit ähnlichem Inhalt wurden vorgebracht, allerdings in deutlich zurückhaltender Form. Beifall bei den Worten des ersten Kritikers hatte erkennen lassen, dass nicht wenige, die dabei waren, ähnlicher Meinung waren wie er. Aber laut vorzubringen trauten sich die meisten das nun nicht mehr. Hier war klar geworden: Die Bereitschaft, auch kritische Anmerkungen zu diesem Thema anzuhören, war längst nicht so groß, wie nach den Ankündigungen der Gemeinde zu hoffen war.

Der sehr begrüßenswerten Aufforderung der Gemeinde zum Austausch unterschiedlicher Ansichten lag zweifellos eine Überzeugung zugrunde: Je offener eine Diskussion geführt wird, je mehr das Pro und Contra ermöglicht wird, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, Auswüchsen mit guten Argumenten entgegenwirken zu können. Was beim ersten Rathaus-Forum geschehen ist, war ein bedauerliches Gegenbeispiel. Eine Unterbindung unbequemer Äußerungen kann fatale Folgen haben: Dies gehört zu den Faktoren, die selbst gut meinende Kritiker in radikale Richtungen drängt.

Tatsächlich wirkten Irritationen nach. Neben dem Rathaus standen nach der Veranstaltung Menschen zusammen, die dabei gewesen waren. Die Bitte der Moderatorin um keine weiteren Wortmeldungen in der selben Richtung hatte erkennbar für Unverständnis gesorgt, das zu sehr kritischen Äußerungen führte - erst dort. Bei der Veranstaltung selbst hatte das niemand mehr zu sagen gewagt.

Die Aufnahme und Integration geflüchteter Menschen in Tutzing kann gut gelingen - aber bestimmt nicht, wenn Kritik unterbunden wird. Im Gegenteil: Eine offene Aussprache mit guten Argumenten kann den Weg ebnen, trotz Sorgen und Ängsten eine positive Stimmung den Neuankömmlingen gegenüber zu erzeugen. Deshalb muss an alle Verantwortlichen appelliert werden: Lasst auch Meinungsäußerungen zu, die Euch nicht gefallen, und bemüht Euch um sachliche Diskussion. Macht aber bitte nicht aus Andersdenkenden Übeltäter!

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Über den Autor
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Lorenz Goslich

Wirtschafts- und Lokaljournalist, Diplom-Kaufmann, Dr. oec. publ. Schreibt für diverse Medien und liebt seinen Heimatort Tutzing.

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Sehr geehrter Herr Dr. Goslich,

es ist bedauerlich, dass Sie der zweiten Veranstaltung nicht beiwohnen konnten. Dort wurden durchaus auch kritische Stimmen zugelassen. Allerdings zeigte sich schnell, wie rasch sachliche Diskussion in emotionale Stimmungsmache umschlagen kann. Die geäußerten Ängste vor Übergriffen durch Geflüchtete sollten nämlich differenziert betrachtet werden. Während Sicherheitsbedenken ernst genommen werden müssen, zeigen die verfügbaren Daten, dass Geflüchtete selbst häufig Opfer von Übergriffen werden. Im ersten Halbjahr 2024 wurden 519 Übergriffe auf Flüchtlinge und Asylbewerber registriert. Diese Zahlen unterstreichen die Notwendigkeit, das Thema Sicherheit ganzheitlich und faktenbasiert zu diskutieren, anstatt einzelne Gruppen pauschal zu stigmatisieren.

Tatsächlich belegen Statistiken, dass das Risiko sexueller Gewalt für Frauen und Mädchen im häuslichen Umfeld und sozialen Nahbereich am höchsten ist. 2023 wurde nahezu jeden zweiten Tag eine Frau von ihrem Ex-Partner getötet. Diese erschreckenden Zahlen verdeutlichen, wo der wahre Handlungsbedarf liegt.

Eine effektive Gewaltprävention darf nicht auf Vorurteilen basieren oder bestimmte Gruppen stigmatisieren. Stattdessen sollten wir uns als Gesellschaft – und besonders wir Männer – unserer Verantwortung bewusst werden. Es gibt bewährte Konzepte zur Gewaltprävention, die in Unterkünften implementiert werden können. Darauf sollten wir uns konzentrieren, anstatt unbegründete Ängste zu schüren.

Lassen Sie uns gemeinsam an konstruktiven Lösungen arbeiten, die allen Beteiligten Sicherheit und Respekt garantieren. Nur so können wir eine wirklich integrative und friedliche Gemeinschaft gestalten.
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