Kommentar
20.6.2022
Von Thorsten Kerbs

Olaf und seine Freunde

KOMMENTAR: Der Kanzler in Tutzing und ein paar unbehagliche MomenteDer Autor arbeitet als selbständiger Psychologe mit Familien und Jugendlichen und engagiert sich in der Tutzinger Kommunalpolitik, unter anderem mit Schwerpunktthemen wie ökologischer Transformation.

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In der Nähe des Mächtigen: Das Publikum und der Bundeskanzler am Freitagabend im Musiksaal der Evangelischen Akademie

Eine Affenhitze ist das. Gefühlte 32 Grad nennt die Wetterapp für Tutzing am Freitagabend. Hochsommer im Juni, der Klimawandel zeigt sich in Bestform. Und dann das Unglaubliche! Der Kanzler! Scholz ist in Tutzing, spricht in der Evangelischen Akademie. Den Kongress „Die Zukunft der Demokratie“ wird er einläuten. Aber, kann er das überhaupt, reden und dabei auch etwas sagen? Man ist das nicht gewohnt von ihm, dem wissend schmunzelnden Schweiger. Der demokratische Diskurs setzt ja einen Verständigungswillen zwischen Sender und Empfänger voraus. Was wird also, wenn der Sender aus diesem Kontrakt aussteigt? Man weiß es nicht, eben weil der Bundeskanzler sich eigentlich immer durchscholzt. Wird er das auch in Tutzing tun? Das ist die Frage, die sich am Vorabend der Tagung den Gästen stellte, die eine der knappen Karten ergattert und die Sicherheitskontrollen passiert hatten.

In der Nähe der Mächtigen macht sich gerne eine Atmosphäre breit, die an die letzten Stunden vor Weihnachten erinnert. Zumindest eine wohlige Aufregung überträgt sich, wenn die Wichtigen einen so nah an sich heranlassen. In dieser Weise geadelt, hing der Veranstaltung trotzdem etwas Schiefes an. In der lauen Abendsonne blühte und glänzte das märchenschlossartige Gebäude der Evangelischen Akademie. Das mit seinem feudalen Auftritt aber gar nicht recht zum titelgebenden Thema „Demokratie“ passen will. Deren Ziel ja eigentlich die Entmachtung der Feudalherren in solchen Anwesen war.

Die hochsommerliche Hitze (in Frankreich wurden zeitgleich erschreckende 40 Grad gemeldet) tritt Mitte Juni auf, wo der Frühsommer eigentlich noch von frischer Kühle und einigen Niederschlägen geprägt ist; so eine Hitze ist normalerweise erst in der zweiten Julihälfte oder im August zu erwarten. Und dann wunderte man sich über einen Kanzler, der in der gewohnten Weise völlig durchentspannt auftrat. Immerhin war er gerade erst aus der verbrannten Erde und dem Stahlgewitter eines aktuellen Kriegsgebietes zurückgekehrt. Wenn er den Zuschauern Betroffenheit signalisieren wollte, pegelt er seine Sprechstimme noch weiter auf leise herunter und alle wussten: Hier denke man sich jetzt eine emotionale Regung, die im Gesichtsausdruck jedoch nicht vermisst werden sollte. In der Regel funktioniert das ja auch bei Scholz, weil man jemandem, der so harmlos dreinschaut, nichts abschlagen mag.

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In der lauen Abendsonne blühte und glänzte das märchenschlossartige Gebäude der Evangelischen Akademie

In der Fragerunde folgte ein Referat dem anderen

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Plädoyer für wirksames politisches Handeln per T-Shirt: Ein Erdball-Fan im Tutzinger Schloss

Und die Rede? Hm, hängen blieb nichts, keine Überraschungen, das Redenschreiberteam hat aber auch nichts Wesentliches vergessen. Ah doch, eine Spitze gegen Fridays for Future (FFF) hätte er sich besser verkniffen. Er erhoffe sich, so scholzte er, dass deren Aktivität irgendwann einmal „in wirksames politisches Handeln mündet“. Absurd ist das schon deshalb, weil alles, was der Bund klimapolitisch in den letzten Jahren umgesetzt hat, letztlich von FFF angestoßen wurde. Und ist wirksames politische Handeln nicht eigentlich des Kanzlers heilige Aufgabe?

Jedenfalls trat er hier wohl nach, um mit einem Gegenangriff von seinem Ausrutscher beim Stuttgarter Katholikentag abzulenken. Das wirkte auch deshalb deplatziert, weil er und seine Genossen in der letzten Regierung den CO2-Ausstoß durch Nichthandeln eher haben ansteigen lassen. Und in seiner jetzigen Regierung würde es in dieser Art weitergehen, wenn es nicht Robert Habeck gäbe. Der so redet wie er handelt und deshalb informell als der eigentliche Kanzler der Ampel-Regierung gilt.

Unbehagliche Momente gab es in der anschließenden Diskussion. Einer langen Schlange, die überwiegend aus älteren weißen Männern bestand, wurde ausdrücklich die Bitte mitgegeben, sich kurz zu fassen und klare Fragen zu formulieren. Daraus wurde dann aber gar nichts. Ein Referat folgte auf das nächste, und mit jedem Redner wurden die Vorträge länger, aber leider inhaltlich nicht besser. Man hätte das ertragen können, wäre damit nicht die letzte Chance verspielt worden, dem Scholzomat das Scholzen auszutreiben. Mit kurzen, knackigen und auf den Punkt gebrachten Fragen hätte man seine unklare Rede ins Scheinwerferlicht setzen können. Angesichts dieses Schauspiels der Eitelkeiten durfte er sich jedoch ganz entspannt zurücklehnen und in Ruhe die Zeit verstreichen lassen.

Neugierige warteten umsonst: Scholz wurde mit einem Boot an einen unbekannten Ort verbracht

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Verantwortung der Älteren? Die Jugend sei sowohl in der Tutzinger Akademie als auch im Bundestag deutlich unterrepräsentiert, sagte eine junge Frau

Aber Moment. Vergessen wir nicht die Jugend. Es gab dann doch eine junge Frau, die sich den Hinweis erlaubte, die Jugend sei sowohl hier als auch im Bundestag deutlich unterrepräsentiert. Sei das nun die Verantwortung der Älteren, konterte Scholz mit einer Gegenfrage aus der Mottenkiste des parlamentarischen Antifeminismus der 70-er Jahre. Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse assistierte ihm und verwies darauf, dass im aktuellen Bundestag die einzige unterrepräsentierte Gruppe die Über-70-Jährigen seien.

Selbst eine solche Unverfrorenheit kann man dem knuffig und schlagfertig auftretenden Thierse nicht verübeln, neben dem Autor musste nur die junge Frau an dieser Stelle einmal tief durchatmen. Scholz erwähnte dann noch das Wahlrecht für 16-Jährige als ein Vorhaben seiner Regierung. Und die Zuhörer mussten sich selber daran erinnern, dass es sich dabei um eine uralte Forderung der Grünen handelt, die mittlerweile so gut abgehangen ist, dass sie selbst für die SPD verdaulich zu sein scheint.

Das war es dann auch schon. Der Saal leerte sich staatstragend langsam, hier und da zwitscherte ein Hörgerät und die Sicherheitsleute hatten alles gut im Blick. Vor dem Eingang der Akademie viele Polizisten und Limousinen mit verdunkelten Scheiben und noch mehr Passanten, die sich einen Blick auf den Kanzler erhofften. Am nächsten Morgen munkelten die Übernachtungsgäste, die Passanten hätten dort wohl vergeblich gewartet, denn tatsächlich sei Scholz mit einem Boot über den See an einen unbekannten Ort verbracht worden. Nichts Genaues weiß man nicht. Und sonst? Für Sonntag, den 19. Juni sind gefühlte 36 Grad Celsius vorhergesagt. Habeck wird in nächster Zeit konkreter werden müssen, als Scholz es hier oder anderswo je war.

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Thorsten Kerbs

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Danke für den unterhaltsamen und kritischen Einblick
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