Von Christine Adler

Kein Lied für Garatshausen

BRK untersagt musikalische Freiluftdarbietung für Bewohner der Schlossparkresidenz

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Herlinde Müller © privat

Traditionsgemäß zieht Tutzing und seine schöne Umgebung viele KünstlerINNEN aller Sparten an: SchauspielerINNEN, bildende KünstlerINNEN und vorallem MusikerINNEN. All sie lassen sich vom See, der Luft, der Architektur, den Menschen, der Natur und dem Wetter inspirieren. Nicht zuletzt flanieren wir daher mit Mann und Maus, Kind und Kegel so gerne mit einem Eis in der Hand auf der Brahmspromenade. Musikalische Geschichte in Tutzing: „Am 14. Mai 1873 nahm Johannes Brahms in Tutzing Quartier. Bei dem Gastwirt Konrad Amtmann mietete er für 25 Gulden „ein Zimmer und ein Kabinett im ersten Stock, 6 Gulden musste er zusätzlich für das Klavier bezahlen. Bis in den September des Jahres blieb der Komponist am Starnberger See“ (vgl. www.tutzinger-brahmstage.de) und schrieb unter anderem hier das „Regenlied“ (https://www.youtube.com/watch?v=Pp0gvonWc5M). Verregnete Tage gab es also schon immer in Tutzing – nicht nur 2021.

Und wenn diese lieben Menschen hier im schönen Tutzing ihr Leben gelebt haben und der Körper, Geist oder Seele nicht mehr ganz so wollen, wie sie sollen, dürfen sie, ganz nach ästhetischer Tutzinger Facon, Ihren Lebensabend u.a. im schönen Schloss Garatshausen, in der BRK Schlossparkresidenz, ausklingen lassen. Mit traumhaften Blick, liebevoller Betreuung und vielerlei kultureller Angebote: Vernissagen, Lesungen (ich selber durfte mich schon dort kabarettistisch betätigen) und wunderbaren Konzerten. Eben ganz im Tutzinger Kulturstil. Nun machte im Februar letzten Jahres diesen Aktivitäten, der lästige Corona-Virus erst mal den Garaus. Nichts Genaues wusste man ja nicht und daher wurden unsere alten Lieben erst mal von der Umwelt abgeschottet, damit ihnen als Hauptrisikogruppe nichts passiert. Seither gab es trotzdem dort einige für alle tragischen Krankheiten und Todesfälle, die wir alle aus tiefsten Herzen betrauern. Die Lücken und Geschehnisse bleiben tief in unserem Herzen.

Mittlerweile sind alle Heimbewohner und Pflegekräfte, die es wollten, geimpft. Auch die Mutter von Bettina und Dr. Katharina Müller. Seit 2019 ist die nun 85-jährige Musikliebhaberin Herlinde Müller (sie kann Klavier, Klarinette, Akkordeon und liebt richtig guten Jazz) in der Seniorenresidenz wohnhaft und fühlt sich dort sehr wohl. Bis zum Lockdown und dem versiegenden Kulturgenuss. Doch ihre Töchter waren gar nicht dumm und haben für ihre Mutter zum Geburtstag und dann nochmal, ein Balkonkonzert, in Absprache mit der begeisterten Heimleitung, organisiert. Drei hartgesottene Jazzmusiker, darunter der Tutzinger Saxophonist Thomas Bouterwek, standen jeweils unten im Garten und schmetterten ihre wunderbaren Klänge für etwa eine halbe Stunde. Das hätte sogar Hans Albers noch hören können. Mutter Müller und sämtliche Bewohner der Residenz, die zu dieser Seite einen Balkon, Fenster oder Terrasse haben, konnten so in ihren Zimmern, den erstklassigen Jazz live miterleben. Was für eine Wohltat für Herz, Geist, Seele und Körper. Musik macht glücklich und trägt damit zum Genesungsprozess bei. Wegen der ganzen Hormone und überhaupt. Alle waren überglücklich, Abstandsregeln klar gegeben, mega Performance, auch eine Wohltat für die Angestellten, für die die Zeit mit Corona auch Schwerstarbeit und teilweise tragisch ist. Alle klatschen und machen die Fensterchen wieder zu und die Musiker packen glücklich wieder ein. Klar eine Win-Win-Situation. Denn Musiker haben quasi seit Feb. 2020 Berufsverbot. Das ist finanziell tragisch, doch da Musiker ihre Musik nicht als Arbeit, sondern als inneren Drang sehen, ist dieses Berufsverbot eine totale Katastrophe für die Menschen, derer Tutzing sich sonst schon gerne rühmt. Also eine Glanztat von den Müllers und der BRK Schlossresidenz.

Und weil vergangenen Samstag Mama Müller ihren 85-jährigen Geburtstag feiern wollte, wie alle Bewohner komplett durchgeimpft und in ihrem Fall auch putzmunter, sind die Müller Schwestern wieder an die Musiker Thomas Bouterwek, Alexander Haas und Bernd Hess herangetreten um ein Konzert vor der Schlossresidenz zu vereinbaren. Die Heimleitung war wieder begeistert, wie ein Lauffeuer verbreitete sich die gute Nachricht unter den Bewohnern und alle freuten sich auf das Geburtstagsständen. Allen voran die Jubilarin und die Musiker selber, die ja musikalisch immer noch auf dem trockenen sitzen. Zwei Tage vor dem großen Tag erhielt Bettina Müller die Ansage, das Konzert sei verboten. Mit dem Hinweis, auf die derzeit geltenden Coronamaßnahmen und der Aussage, dass wir uns ja in schweren Zeiten befänden und die Musiker zum Vergnügen aufspielen würden und es demzufolge nicht passen würde. Dies käme als Direktive aus der BRK-Leitung Starnberg. Man solle das Konzert auf später verschieben.

„Auf später“, so Bettina Müller „klingt für die alten Leutchen wie Hohn. Die haben sich alle so auf das Konzert gefreut und waren vollkommen enttäuscht und traurig, weil wenn man ja in seinem Zimmer ganz allein sitzt und die Musik aus dem Garten hört, sich ja kein Mensch an Corona anstecken kann. Wie soll denn das gehen?“ Und weil die Schwestern es nicht bei diesem ‚Nein‘ beruhen lassen wollten, haben sie einen offenen Brief an die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden und noch einige andere geschrieben:

„Sehr geehrte Herren und Damen der Geschäftsleitung im BRK Altenheim Schloss Garatshausen.
Unsere Mutter, Herlinde Müller wurde am 24.4.2021 85 Jahre alt. Dazu fragten wir im März 21 an, ob es die Möglichkeit gäbe ihr von 3 Berufsmusikern ein Geburtstagsständchen Live spielen zu lassen. Das wurde Herrn Thomas Bouterwek von Ihrer Seite zugesagt und mit allen ein Termin um 16 Uhr vereinbart.
Ab Anfang April hat meine Mutter natürlich ihren Mitbewohnern davon erzählt und alle, zum Mithören am Fenster oder vom Balkon aus, eingeladen.
Die Musiker wären einzeln angekommen und in ausreichendem Abstand im Park, der wahrlich größer als 60 qm ist, aufgetreten.
Am Vormittag des 22.April wurde dieses Ereignis von Ihnen verboten.
Die Nachricht enttäuschte natürlich alle Mitbewohner und entsetzte meine Mutter, gerade in dieser einsamen Zeit haben sich die interessierten älteren Menschen sehr darauf gefreut.
Jetzt fragen wir natürlich nach der Begründung Ihrerseits, insbesondere die rechtliche Grundlage, für Ihr Vorgehen.
Die Aussage das Ganze auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben ist wohl in Anbetracht des Alters der dort wohnenden Menschen etwas zynisch.
Wir erwarten zeitnah Ihre Antwort
Mit freundlichen Grüßen
Bettina Müller und Dr. Katharina Müller (Töchter)“

Das ist nun eine Woche her und es gab noch keine Reaktion. Nur gerade heute kochte der Müllersche Zorn noch einmal hoch, da von Seiten des Bayerischen Rundfunk über eine ähnliche, hier aber erlaubte und äußerst gelungene, musikalische Aktion u.a. im Innenhof des Münchner Mathildenstifts mit den Egerländer Musikanten, berichtet wurde. Zum Maifeiertag haben dort MusikerINNEN vor rund 60 Seniorenheimen IN GANZ BAYERN gespielt – „um den älteren Menschen eine Freude zu machen.“ (vgl.: https://www.br.de/nachrichten/bayern/gegen-die-einsamkeit-musiker-spielen-vor-seniorenheimen,SWAL8S2)

Liebes BRK Führungsteam, was die Josef-und-Luise-Kraft-Stiftung bayernweit kann, das können wir doch auch in unserem kleinen Tutzing/Garatshausen, wo es doch hier sonst immer singt, spielt und dichtet. Wir Künstler sind sofort bereit Aufzumspuin für unsere Lieben, denen wir diese wundervolle Stadt zu verdanken haben. Das ist doch das Mindeste, was wir ihnen dafür zurückgeben können, oder?

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Quelle Titelbild: privat
ID: 3902
Über den Autor
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Christine Adler

Christine Adler ist Mutter von zwei Kindern, Schauspielerin und wohnt in Tutzing

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Kommentare

auch ich möchte mich anschließen und Ihnen, verehrte Frau Müller, nachträglich alles Gute, vor allem Gesundheit und weiterhin viel Lebensfreude wünschen. Sie sind uns vertraut und wir schätzen Sie als langjährige Repräsentantin eines humorvollen und liebenswerten Miteinanders in Tutzing, ein Heimat-Gefühl, das man nicht kaufen kann.
Das ist aber schade, unglaublich, wer hat ohne Herz und Verstand das entschieden.
Alles Gute und Liebe Frau Müller
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