Kirche
24.4.2021
Von vorOrt.news

Bischof zur Sterbehilfe: „Es müssen Taten folgen“

Deutliche Worte beim Festgottesdienst für die Ambulante Krankenpflege Tutzing

Einen weiten Bogen hat der Augsburger Bischof Dr. Bertram Meier kürzlich in Tutzing gespannt. Die Ambulanten Krankenpflege, bei deren Festgottesdienst er eine Predigt hielt, nehme seit ihrer Gründung von 100 Jahren Maß am Modell des barmherzigen Samariters, sagte der Bischof. In diesem Zusammenhang ging der auch kritisch auf den Umgang mit Flüchtlingen ein. Ausländer dürften nicht abgewiesen oder vor die Tür gesetzt werden. Dem Tutzinger Pfarrer Peter Brummer bescheinigte Bischof Maier, er sei in dieser Hinsicht „ein hartnäckiger und wirkungsvoller Mahner“. Deutliche Worte fand der Bischof auch zum Thema Sterbehilfe. Er griff die Diskussion über einen „assistierten Suizid“ auf und forderte, die Verantwortung für Hochbetagte und Todgeweihte dürfe sich nicht in moralischen Appellen erschöpfen: „Ethik ist wichtig, aber es müssen Taten folgen.“

Wir veröffentlichen hier Auszüge aus der Predigt von Bischof Dr. Bertram Meier:

"Tutzing nimmt Maß am Lehrstück vom barmherzigen Samariter"

Dass ich heute mit Ihnen, liebe Tutzinger, den 100. Geburtstag Ihrer Ambulanten Krankenpflege feiern darf, freut mich riesig: Glückwünsch zu diesem Netzwerk der Caritas, das Sie seit einem halben Jahrhundert hier pflegen. Vor zehn Jahren hat es Ihr Pfarrer Peter Brummer in seinem Grußwort im Jubiläumsjournal auf den Punkt gebracht: „Sehr, sehr viele Menschen hier in Tutzing und in der Region sind dankbar für den unermüdlichen Einsatz an Hilfe und qualifizierter Pflege. Die Fürsorge gilt nicht selten bis zu einem guten Sterben. Unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist vor allem zu danken, oft auch den treusorgenden Familienangehörigen.“

Es stimmt: Die Ambulante Krankenpflege in Tutzing ist nicht nur ein gut organisiertes Netzwerk. Der Verein lebt, weil es so viele Netzwerker gibt, die möglichst engmaschig mitknüpfen: die katholische Pfarrgemeinde St. Joseph mit Pfarrer Joseph Boeckeler, der den Startschuss gab; die Missionsbenediktinerinnen, wo Josefa Knab OSB als „Engel von Tutzing“ zum Gütesiegel und Markenzeichen wurde.

Auch den Schulterschluss mit der politischen Gemeinde will ich loben. Es gibt sie also auch heute: Koalitionen zwischen Kirche und Kommune. Hier zeigt sich: Vorfahrt hat der konkrete Mensch! Um einen konkreten Menschen geht es auch im Lehrstück vom barmherzigen Samariter. Der Anonyme (sein Name bleibt uns unbekannt!), von Räubern Überfallene und Ausgeplünderte liegt hilflos im Straßengraben - der glühenden Mittagssonne ausgesetzt, in Lebensgefahr. Dreimal wird in diese Situation ein anderer eingeführt. Ganz „zufällig“ finden sich in ihr der Priester, der Levit und der Samariter wieder. Aber nur einer lässt sich in das Geschehen exitentiell verstricken. Allein er läuft nicht vorbei, sondern reagiert und tut, was er tun kann. Öl, Wein, Linnen, Reittier und die fürsorgliche Weisung an den Wirt zeigen, dass er das Herz auf dem rechten Fleck hat. ... Mit seinem Lehrstück vom barmherzigen Samariter hat Jesus ein Modell entworfen, an dem Sie, liebe Tutzinger, seit 100 Jahren Maß nehmen.

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Bisch0f Bertram Maier nach dem Festgottesdienst mit zwei der früheren Leiterinnen der Ambulanten Krankenpflege, Schwester Josefa Knab (Mitte) und Schwester Maria-Birgit Baur.

"Im Dschungel von Vorschriften"

Gesetze sind notwendig oder es gibt heillose Katastrophen. Aber kann man alles Leben in Gesetze fassen? „Gewissen lässt sich nicht abschieben“, unter diesem Motto demonstrierten in München Christinnen und Christen für ein neues Nachdenken über die Asylfrage. Ein Gesetzeswerk ist wie ein großes Netz. Gesetz um Gesetz, Masche an Masche fügen sich aneinander. Doch wer sich in diesem System gut auskennt, schlüpft bisweilen durch die Maschen.

Jesus hat das Gesetz des Alten Bundes nicht abgeschafft. Er hat es nicht vergrößert und nicht enger gefasst. Aber er greift durch die Maschen hindurch zum Innersten des Menschen, zu seinem Herzen. Er zeigt, wer der Nächste ist.

Auch Ihre Vorfahren und alle Verantwortlichen der Ambulanten Krankenpflege heute wissen, in welchem Dschungel von Vorschriften sich die Caritas verfangen kann. Wenn Caritas zum Korsett wird, sind wir nicht mehr als eine Organisation. Deshalb mein Wunsch: Bleiben Sie nahe am Menschen!

"Wir dürfen Fremde und Ausländer nicht abweisen oder vor die Tür setzen"

Ist das nicht ein kleines Wunder? Ein Samariter wird als Modell hingestellt, der Fremdling, der eigentlich gar nichts mit dem ausgeraubten Juden zu tun hat, der abseits leben muss in einer Art religiöser und kultureller Apartheid, dieser Ausländer mit „falschem Gebetbuch“, er empfindet Mitleid und packt an. ... Das ist die leise Ironie des Augenblicks. Ein ausländischer „Ketzer“ soll unser Vorbild sein! Einwanderer – ausländische Arbeitnehmer - Flüchtlinge - Asylbewerber: Themen, die bis vor kurzem Schlagzeilen machten.

Die Pandemie hat sie derzeit in den Hintergrund gedrängt. Aber die Probleme bleilben. ... Weil wir selbst „Fremde und Gäste sind in dieser Welt“ (Petr 2,11), dürfen wir Fremde und Ausländer nicht abweisen oder vor die Tür setzen. Auch der Fremde ist Mensch wie wir. Er trägt die Züge Christi: „Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25,35). Pfarrer Peter Brummer ist in dieser Hinsicht ein hartnäckiger und wirkungsvoller Mahner. Danke dafür!

"Es zeichnet sich ab, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen die Oberhand gewinnen könnte"

In der Coronakrise ist oft die Rede von der Triage: eine Art Prioritätenliste bei der Behandlung von Patienten. Unbemerkt wird im Deutschen Bundestag schon jetzt über den sog. assistierten Suizid debattiert: Es zeichnet sich ab, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen die Oberhand gewinnen könnte und ein dementsprechendes Gesetz verabschiedet wird.

Wo steht die Kirche? Wir dürfen nicht beim Sterben nachhelfen, doch wir sollten helfen, dass unsere Nächsten menschenwürdig sterben, etwa durch palliative Begleitung nach dem Motto: „Bleibt hier und wacht mit mir!“ (Mt 26,38) Gestern begann die „Wocher für das Leben 2021“: Leben im Sterben. D.h. auch Sterben ist ein Teil des Lebens! Unsere Verantwortung für Hochbetagte und Todgeweihte kann sich nicht in moralischen Appellen erschöpfen. Ethik ist wichtig, aber es müssen Taten folgen. Das Leben kennt Zwischenräume, die nur von Mensch zu Mensch ausgefüllt werden können. Das Dogma der Egoisten lautet: „Jeder ist sich selbst der Nächste.“ Der Samariter zeigt, dass es auch anders geht.

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