Kirche
30.11.2020
Von vorOrt.news

Christuskirche: 1930 in acht Monaten errichtet

Beim Jubiläum zum 90jährigen Bestehen berichtet Pfarrerin Beate Frankenberger über turbulente Zeiten

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Vor genau 90 Jahren wurde die Tutzinger Christuskirche gebaut

Recht turbulent muss es in den Anfangsjahren der evangelischen Tutzinger Christuskirche zugegangen sein. Für einen Festgottesdienst zu ihrem 90-jährigen Bestehen, der am Sonntag gefeiert wurde, hat Pfarrerin Beate Frankenberger tief ins Archiv geschaut und ebenso interessante wie spannende Geschichten zu Tage gefördert. Machtkämpfe mit den damaligen Oberen in Weilheim erwähnte sie in ihrer Predigt ebenso wie Streitereien der Tutzinger untereinander und sogar einen illegalen Kirchenvorstand, den es einmal gegeben hat.

„Vielleicht hat die Gemeinde immer wieder Zweifel gehabt, wo denn nun die Gerechtigkeit Gottes geblieben ist in all den Jahren“, sagte sie, „und ob Christus da war.“ Aber 90 Jahre Christuskirche machten deutlich, „dass Christus das Licht im Leben war, heute noch ist und sein wird, ob wir als Gemeinde viele sein werden oder wenige“.

1930 gab es in Tutzing und Bernried etwa 400 evangelische Gemeindemitglieder

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Beate Frankenberger ist seit 2018 evangelische Pfarrerin von Tutzing und Bernried

Recht wenige Mitglieder waren es um das Jahr 1920, erzählte die Pfarrerin, als ein paar engagierte Protestanten, die 1920 einen Protestantenverein gründeten. 1927 wurde der Beschluss zum Bau der Kirche gefasst, mit deren Entwurf der Murnauer Architekt Gustav Reutter beauftragt wurde. Trotz der damaligen Wirtschaftskrise gelang es den Gemeindemitgliedern, 86 000 Reichsmark zu sammeln. „In erstaunlich kurzer Zeit“ wurde die Christuskirche von Mai bis Dezember 1930 erbaut - in gerade mal acht Monaten.

Die Grundsteinlegung fand am 25. August 1930 statt. Damals lebten in Tutzing und Bernried nur etwa 400 evangelische Gemeindemitglieder. Über dem Altarraum im ersten Stock befand sich ein kleiner Raum für etwa 25 Personen: „Das war der einzige Raum, in dem Konfirmandengruppen oder Kirchenvorstandssitzungen stattfinden konnten.“

Tutzing war damals als Vikarstelle der Gemeinde Weilheim unterstellt und galt den Oberen „als aufmüpfige Gemeinde“. Und es kam zu manchen bemerkenswerten Begebenheiten. Ein vom Bauausschuss in Auftrag gegebener Christus, der über dem Altar aufgehängt werden sollte, war so groß, dass er nicht durch das Hauptportal der Kirche passte und ihm die Arme abgenommen werden mussten. „Über diese Figur entbrannte ein so großer Streit im Kirchenvorstand und in der Kirchengemeinde, dass die Stifterin beschloss, die Figur aus der Kirche zu entfernen“, berichtete Beate Frankenberger.

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„Das Gemeindeleben blühte auch dank der Pfarrfrau und der unermüdlichen katholischen Mesnerin"

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Jubiläum mit Abständen: Der Gottesdienst in der Christuskirche

Aus der Nazizeit ist wie in vielen anderen Gemeinden nicht viel überliefert: „Darüber schweigt das Archiv.“ In den Nachkriegsjahren wuchs die Gemeinde auf mehr als 2000 Mitglieder an. Viele Flüchtlinge aus dem ehemaligen Osten Deutschlands ließen sich in Tutzing nieder, darunter viele Evangelische aus Böhmen und Mähren, aus Siebenbürgen, dem Banat und Zips. In der kurz nach dem Krieg gegründeten Evangelischen Akademie Tutzing erholten sich viele Heimkehrer aus Russland. Viele Gäste der Akademie besuchten am Sonntag den Gemeindegottesdienst. Die Pfarrerin hat Erzählungen darüber gefunden, dass allein schon die Familien Hildmann und von Jordan die Kirche gefüllt haben.

In den 1960er Jahren vergrößerte sich die Gemeinde durch den Zuzug vieler Bundeswehr-Angehöriger und immer mehr Menschen, die es an den Starnberger See zog. In dieser Zeit wurde neben der Christuskirche das evangelische Gemeindehaus errichtet. Für die wachsende Gemeinde wurde die Kirche 1970 zu einer Art Hallenkirche erweitert. „Das Gemeindeleben“, so die Pfarrerin, „blühte auch dank der Pfarrfrau und der unermüdlichen katholischen Mesnerin.“

Es gab sogar die Überlegung, die Kirche zum See hin zu öffnen

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Christian Hörl und Pfarrerin Beate Frankenberger

Schließlich die Sanierung der Christuskirche, von der Planung 2010 bis zur Fertigstellung 2015. Im Laufe der Jahre hätten sich die Bedürfnisse der Gemeinde geändert, und man habe sich eine helle und einladende Kirche gewünscht. Nach mehrmonatiger Bauzeit konnte die vom Münchner Architekturbüro Guggenbichler-Netzer neu gestaltete Kirche am 1. Adventssonntag 2015 eingeweiht werden. Dem Konzeptkünstler Christian Hörl sei es ein besonderes Anliegen gewesen, mit einer Lichtskulptur symbolisch zu verdeutlichen, dass „mit Christus, dem Licht der Welt, ein Stück Himmel auf die Erde gekommen ist“, sagte die Pfarrerin. Hörl selbst nahm am Jubiläumsgottesdienst teil. Er erzählte, wie er auf die Idee kam, ein kleines Licht aus einem runden Fenster ganz oben mit einem Lichtschlitz zu erweitern und wie dann schließlich daraus eine Lichtsäule mit einer Skulptur wurde. Zuvor hatte es sogar die Überlegung gegeben, die Kirche zum See hin zu öffnen.

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Tutzings katholischer Pfarrer Peter Brummer (li.) dankte den Mitgliedern der evangelischen Kirche für enge Verbundenheit © L.G.

Weniger strenge Einstellungen, Frauenordination und offeneres Gemeindeleben

„Trotz gewandelter und weniger strenger Einstellungen in der evangelischen Kirche, trotz Frauenordination und offenerem Gemeindeleben haben sich mehr und mehr Menschen von der Kirche entfernt“, bedauerte Pfarrerin Frankenberger. Die Kirche spiele immer weniger eine Rolle für das eigene Selbstverständnis.

Umso erfreuter erwähnte sie die Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche und auch die gute Gemeinschaft mit den Tutzinger Missionsbenediktinerinnen. Sie haben eine ihrer Schwestern freigestellt, berichtete die Pfarrerin, um am Heiligen Abend im evangelischen Gottesdienst die Musik zu gestalten. Mit sehr persönlichen Worten dankte nach dem Gottesdienst im kleinen Kreis auch Tutzings katholischer Pfarrer Peter Brummer für die gute Verbundenheit.

Zum Jubiläumsgottesdienst waren nur etwa 60 Besucher zugelassen, die weite Abstände halten mussten. Für ansprechende musikalische Gestaltung sorgten Angelika Bescheid (Geige), Timo Bescheid (Horn) und Alexander Rabas (Orgel) mit Werken von Johann Sebastian Bach, Arcangelo Corelli, Christian Pätzold und Leopold Mozart.

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