Schwester Hanna Sattler hatte erst einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Sie hatte Jura studiert, ein paar Jahre war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Mainzer Universität. Dann stand sie vor der Entscheidung: Kloster oder juristische Karriere? „Mir standen alle Wege in der Verwaltung oder in der Justiz offen“, erzählte sie bei einem Vortrag in der Tutzinger Rathaustenne. Irgendwann berichtete sie damals einem Arbeitskollegen von ihrem Vorhaben. „Deswegen bist du in letzter Zeit so komisch“, antwortete der: „Ich hab‘ ja schon vermutet, dass ein Mann dahintersteckt, aber an den hab‘ ich nicht gedacht...“
„Freiheit und Bindung im Ordensleben“: Diesen Titel gab Schwester Hanna ihrem Vortrag, der im Rahmen einer Finissage die viel beachtete Ausstellung über die Tutzinger Missions-Benediktinerinnen beendete. Hat sie damals mit ihrer Entscheidung, ins Kloster zu gehen, ihre Freiheit aufgegeben? „Irgendwann wäre es mit ihr aus gewesen“ - so sieht sie es heute. Sie glaubt sogar, eine ganz andere Form von Freiheit gewonnen zu haben. Sie stehe nicht immer wieder vor einer Entscheidung im Beruf, sie träume nicht immer wieder einer anderen Lebensform hinterher: „Das setzt Kräfte frei.“
Sehr offen schilderte Schwester Hanna, wie schwer sich viele - ähnlich wie sie damals - mit der Entscheidung tun, ob sie ins Kloster eintreten sollen. „Die wenigsten von uns haben ein Erlebnis oder eine Bekehrung gehabt“, sagte sie, „oder eine Leuchtschrift am Himmel gesehen - es kam auch kein Brief vom lieben Gott.“ So ein Zeichen hätte sie sich gewünscht: „Aber es wäre vermutlich nicht tragfähig gewesen, denn dann hätte ich die Entscheidung nicht auf jemand anders abschieben können.“ Es habe ihr aber niemand die Entscheidung abgenommen: „Ich musste sie selbst verantworten.“
"Miteinander überlegen - mit großem Respekt vor den anderen"
„Das Leben mit über 60 Frauen ist eine ziemliche Herausforderung“, sagte Schwester Hanna über den Alltag im Tutzinger Kloster. „Wir haben uns gegenseitig nicht ausgesucht“, fügte sie hinzu, „aber wir sind miteinander verbunden.“ Selbstständigkeit und Mitverantwortung seien gefragt, aufeinander hören, gemeinsam überlegen, Experimentierfreudigkeit und Veränderungsbereitschaft. Es sei eine Lebens- und Schicksalsgemeinschaft: „Wir teilen Freud und Leid.“
Natürlich gebe es im Kloster Regeln, Bräuche und Gewohnheiten: „Aber auch in der Familie, in der WG, im Verein und am Arbeitsplatz braucht man Regeln.“ Eine Regel um der Regel willen sei heute nicht mehr angesagt - „aber auch nicht die Abschaffung um des Abschaffens willen.“ Tatsächlich sei der Gehorsam einer der Grundbegriffe des Ordenslebens, insbesondere in der benediktischen Tradition: „Wir nennen es Gehorsam, wenn wir eine Aufgabe erfüllen, die uns eine vorgesetzte Schwester aufgetragen hat.“ Aber ähnlich sei es doch im Arbeitsleben, wenn man einen Auftrag des Chefs erledigt, in der Familie, wenn eine Mutter nachts aufsteht, weil ihr Kind schreit, oder wenn man seinen Freundeskreis aufgibt, um mit seinem Partner in eine andere Stadt zu ziehen. Schwester Hanna beklagte allerdings auch, dass oft im Namen des Gehorsams Schikane und Missbrauch gerechtfertigt würden.
Drei Aspekte des Gehorsams sind für Schwester Hanna besonders wichtig: Das Wort Gehorsam entmystifiziere, Gehorsam erweitere ("Da tue ich vielleicht etwas, worauf ich sonst nie gekommen wäre") und Gehorsam setze voraus, in den Dialog zu gehen. Doch dazu benötige man Zeit und Geduld. Man müsse aufeinander hören – und zwar, wie sie betonte, unabhängig von Alter und Ausbildung. Es gehe darum, miteinander zu überlegen, zu prüfen, zu beraten - „mit großem Respekt vor den Stärken, Schwächen und Bedürfnissen der anderen“.
"Wir fordern Rechte für Frauen ein"
Ob die Kirche diesem Anspruch immer gerecht wird, darüber konnten die Besucher dieses Vortrags ins Grübeln geraten, als Schwester Hanna auf das Thema Frauen in der Kirche zu sprechen kam. Es gebe in der Kirche sehr restriktive Regelungen für Frauengemeinschaften, sagte sie: „Und interessanterweise nur für diese.“ Wie wenig die Kirche vielerorts ohne Frauen bewegen würde, erfahren die Missions-Benediktinerinnen bei ihren weltweiten Aktivitäten immer wieder. „Wir fordern Rechte für Frauen ein“, folgerte Schwester Hanna. Und weiter: „Es ist ziemlich schräg, wenn Kirchenmänner uns beaufsichtigen, wir aber an wesentlichen Entscheidungen nicht mitwirken dürfen.“
Die Tutzinger Schwestern gehen in vieler Hinsicht ihre ganz eigenen Wege. Das hat die hochinteressante Ausstellung, die seit Juni im Rathaus sehr viele Besucher angelockt hat, auf vielfältige Weise belegt. Bürgermeisterin Marlene Greinwald bedankte sich sehr herzlich bei den Schwestern sowie bei den zuständigen Mitarbeitern der Gemeinde für diese detaillierten Einblicke ins Klosterleben und die hohe Qualität der Ausstellung. Ganz individuell und passend zur internationalen Ausrichtung der Missions-Benediktinerinnen war schließlich, bevor es zum lockeren Ausklang ging, auch der von zwei Schwestern mit Klavier und Percussion gebotene flotte südamerikanische Abschluss der Finissage: „Tico Tico“.
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vielen Dank für Ihren Bericht und den Vortrag von Schwester Hanna, der zum Nachdenken und zur Selbstreflexion anregt, eine Bereicherung und ein Geschenk für den Alltag.