Kino
6.10.2024
Von vorOrt.news

Der Treff im Kulti

Tutzings neues Bürgerkino als Chance für den Zusammenhalt der Gesellschaft

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Die Triebfeder des Bürgerkinos: Lucie Vorlíčková bekam gestern bei der Eröffnungsfeier viel Applaus für ihren Einsatz. Am Tag darauf zeigte sie sich in einem Interview mit dem Radiosender Bayern 1 trotz der großen Anstrengungen erleichtert. © L.G.

Die Neubelebung des Kinos sorgt über Tutzing hinaus für Aufsehen. Der Bayerische Rundfunk hat am Freitag um 17.10 Uhr in seinem Radiosender BR1 einen Bericht über das Projekt ausgestrahlt und die Initiatorin Lucie Vorlíčková als „Mensch der Woche“ vorgestellt. Sie sagte im Interview mit Moderatorin Christine Rose, es sei „immens viel Arbeit“ gewesen, aber nach der Eröffnung sei sie nun erleichtert. Sie hoffe darauf, dass viele Leute aus Tutzing und auch aus den Nachbarorten das Kino besuchen werden.

Im Vordergrund stehe gar nicht so sehr die Filmkunst, sagte Lucie Vorlíčková. Man sehe dies vielmehr als Chance, eine Alternative zum Alltag zu bieten und in einer Zeit von Krisen, Kriegen und Klimakatastrophe den Zusammenhalt der Gesellschaft zu fördern. Aus diesem Grund habe man auch das Foyer runderneuert, das künftig der „Treff im Kulti“ sein soll.

Am Schluss wollte die Moderatorin noch wissen, ob die Tutzingerin einen Tipp für andere habe, die vielleicht ebenfalls ein Kino neu beleben wollten. „Eine furchtbare Schnapsidee“, antwortete Lucie Vorlíčková witzelnd und fügte dann hinzu: „Aber halten Sie durch, es lohnt sich.“ Wichtig sei es dabei aber, sich von erfahrenen Menschen aus der Branche unterstützen zu lassen und sich erklären zu lassen, wie man Kino macht. Die Tutzinger, die nun diese Erfahrung gemacht haben, seien gern dazu bereit, anderen Tipps zu geben.

Fachliche Beratung aus der Film- und Kinobranche

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Beifall brandete bei der Eröffnungsfeier auf, als sich der Vorhang öffnete und diese Begrüßung erschien © L.G.

Verantwortliche von Kinos aus anderen Regionen und Branchenspezialisten waren auch bei der Eröffnungsfeier am Donnerstag dabei. Eigens von Berlin angereist ist der Filmhistoriker Friedemann Beyer, der bei der Feier ein viel beachtetes Gespräch mit der in Tutzing lebenden Medizinerin und ehemalige Schauspielerin Marianne Koch geführt hat. Beyer ist, obwohl er in Berlin lebt, auch in den Vorstand des Vereins Kulturtheater Tutzing e.V. aufgenommen worden.

Die Verantwortlichen des Tutzinger Kinoprojekts freuen sich sichtlich über das große Interesse der einheimischen Bevölkerung wie von auswärtigen Branchenkundigen. Die Mitarbeit von Profis der Filmbranche bei dem Projekt betrachten sie als ausgesprochen hilfreich, zumal die meisten der Tutzinger Akteure sich selbst als Laien auf diesem Gebiet sehen, trotz aller inzwischen erkennbaren engagierten Einarbeitung in solche Themen.

Fachliche Beratung gab es unter anderem von Markus Eisele, Mitgesellschafter des Lichtspielhauses Fürstenfeldbruck und Mitgründer der in etlichen Orten mit Kinos vertretenen Arena-Betriebsgesellschaft. Wichtige Unterstützung haben auch die Betreiber des Kochler Kinos beigesteuert. Wertvolle technische Impulse brachte Tom Blum ein, der sich mit einem Spezialunternehmen für Veranstaltungstechnik und Eventproduktion in Grafath einen Namen gemacht hat.

Auch auf Nachbarorte von Tutzing hat sich die Kino-Begeisterung ausgedehnt. In mehreren Nachbarkommunen erklärten sich spontan etliche Personen zur Mithilfe bereit, verteilten Flyer, hängten Plakate auf und hielten nach Gleichgesinnten Ausschau.

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Berliner Filmexperte Friedemann Beyer im Vorstand des Tutzinger Kulturtheaters

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"Filmgeschichte ist Zeitgeschichte", sagt der Filmhistoriker Friedemann Beyer, der mit Marianne Koch angeregt diskutierte. (links). Auch anschließend sah man beide noch ins Gespräch vertieft. © Rchard Siepmann / L.G.

Die Kinos trotz aller Konkurrenz durch Streaming- und andere Dienste nicht untergehen zu lassen, ist erkennbar die Triebfeder für viele. Friedemann Beyer, der verantwortliche Positionen bei Film und Fernsehen hatte und als ausgewiesener Kenner vieler Filmklassiker gilt, erzählte bei der Feier von einem Schlüsselerlebnis in den 1970er Jahren: In München-Haidhausen, wo er damals wohnte, seien die „Franziskaner-Lichtspiele“ geschlossen und in einen Supermarkt umgewandelt worden. So etwas habe er nicht wieder erleben wollen, sagte er: „Deshalb meine spontane Bereitschaft, hier mitzuwirken.“

Voller Respekt sprach Tutzings Bürgermeister Ludwig Horn bei der Eröffnungsfeier von der „Transformation vom Kurtheater zum Kulturtheater“. Ausdrücklich dankte er dem Gemeinderat, der für das Bürgerkino ideelle und finanzielle Unterstützung zugesichert habe. Zur Eröffnungsfeier kamen Kommunalpolitiker nicht nur aus Tutzing. So war neben Landrat Stefan Frey auch Kreisrat Albert Luppart dabei, der als Geschäftsführer der in Tutzing ansässigen Stiftung von Peter Maffay zu den profilierten Kennern der Kulturbranche gehört.

Kino, Musik, Kleinkunst, Open-Air: Ideen für ein reichhaltiges Programm

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"Tutzinger Filmerkundungen": Das Programm bis Ostern

Davon abgesehen, dass Tutzing derzeit kein Prädikat als Kurort führt, hat die Namensergänzung vom Kur- zum Kulturtheater einen tieferen Sinn: Über Filmvorführungen hinaus soll es im neuen Kulturtheater ein breites kulturelles Angebot geben – für jüngere genauso wie für ältere Menschen.

Im Radio-Interview erwähnte Lucie Vorlíčková beispielhaft Lesungen und Theaterstücke. Immer wieder neue Ideen für ein vielseitiges Kulturprogramm tauchen auf, von musikalischen Aufführungen über Kabarett und Kleinkunst bis zu Open-Air-Veranstaltungen auf der benachbarten Kirchenwiese. Eine Reihe „Tutzinger Filmerkundungen“ mit Friedemann Beyer, für die der Film „Die Landärztin“ mit Marianne Koch bei der Eröffnungsfeier die Premiere markierte, ist zunächst mit monatlichen Beiträgen bis Ostern angesetzt. https://kulturtheater-tutzing.de/unsere-filmreihen/tutzinger-filmerkundungen/

Der Starnberger See sei für viele Filmschaffende eine attraktive Region, sagte Beyer und zählte etliche Namen auf, so Hans Albers, Herbert Achternbusch, Josef und Annamirl Bierbichler, Heinz Rühmann, Johannes Heesters, Peter Schamoni, Ilse Kubaschewski und Leni Riefenstahl. „Alles Namen, die geradezu aufdrängen, dass man ihrem Wirken eine eigene Reihe widmet“, meinte er. Für Beyer steht fest: „Filmgeschichte ist Zeitgeschichte.“

Marianne Koch hat ihre Karriere als Filmschauspielerin „nicht so ganz ernst genommen“

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"Lachen ist die beste Medizin", warb der Filmverleih 1958. Das Thema aber war durchaus ernst. © Kineos

Deutlich wurde das schon bei der Premiere am Donnerstag: Der Film griff 1958 komödiantisch, aber gesellschaftskritisch die Benachteiligung von Frauen auf. Die von Marianne Koch dargestellte Ärztin Dr. Petra Jensen wechselt von einer städtischen Klinik in ein kleines Dorf – und viele Menschen dort lehnen sie ab, weil sie eine Doktorin, kein Doktor ist.

„Das war der erste Film mit einer Ärztin in der Titelrolle“, sagte Beyer. Marianne Koch verwies darauf, dass der Film später an der Universität Frankfurt Thema eines Soziologiekurses gewesen sei, weil es damals noch keineswegs selbstverständlich gewesen sei, dass eine Frau Medizin studierte.

Ihr Geschlecht war aber, wie sie sich erinnerte, weniger ein Problem, als sie nach ihrer Filmkarriere mit Anfang 40 ihr unterbrochenes Medizinstudium wieder aufnahm. Sie habe eher das Gefühl gehabt, dass sich die anderen, zwei Jahrzehnte Jüngeren über die ältere Kommilitonin gewundert haben.

Auf Fragen zu ihrer damit abgeschlossenen Phase als Schauspielerin reagierte sie recht gelassen: „Ich weiß so wenig über meine Filmzeit.“ Sie habe ihre Karriere als Filmschauspielerin „nicht so ganz ernst genommen“.

Viel mehr in Erinnerung geblieben sind ihr, wie sie sagte, die damit verbunden Reisen, auch in exotische Länder. Aber dann erzählte sie doch ein wenig über die Filmarbeit beispielsweise mit Sergio Leone und Clint Eastwood für „Eine Handvoll Dollar“ oder mit O.W. Fischer für „Ludwig II.“. Von der „Landärztin“ dagegen habe sie gar nicht mehr soviel gewusst.

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Fast wie im richtigen Leben: Marianne Koch spielte 1958 in ihrer ersten Titelrolle eine Ärztin - hier an der Seite von Rudolf Prack (1905-1981). © Kineos
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