Von Sonja Bonneß

In Kampberg wohnen die Torfstecher

Ein Abend zur Ortsgeschichte eines besonderen Tutzinger Ortsteils

Einen besseren Ort hätte man sich für die Veranstaltung „Kampberg – eine Torfstechersiedlung“ kaum vorstellen können, auch wenn er bis zum letzten Platz gefüllt war und einige Leute stehen mussten: Das Vereinsheim des MVC Tutzing im alten Bahnhof in Kampberg war am vergangenen Donnerstag rappelvoll, das Interesse an der Ortsgeschichte des Tutzinger Ortsteils offenkundig groß. Und auch der Bezug zum Veranstaltungsort wurde im Laufe des Abends schnell klar.

Warum intakte Moore so wichtig sind

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Rotes Torfmoos, das eine enorme Wasserspeicherkapazität hat, findet sich in den Mooren rund um Tutzing. © Ulrike Eisenmann

Die AG Moore der Initiative „Tutzing klimaneutral 2035“ hatte zu einem Abend eingeladen, der Landschafts- und Ortsgeschichte verbinden sollte, die Bedeutung der Moore für Kampberg mit den persönlichen Erinnerungen der Einheimischen. Zum Auftakt begrüßte sie die Moderatorin Sonja Bonneß. Anschließend gab Günter Schorn, der Kreisvorsitzende des BUND Starnberg und Mitbegründer der AG Moore, einen kurzen Überblick über die Entstehung und Lage der Moore in der Region und wies auf ihre besondere Rolle in Zeiten des Klimawandels hin.

Intakte Moore sind zum einen beeindruckende CO2-Speicher und daher essentiell auf dem Weg zur Klimaneutralität. Sie spielen aber zum anderen aufgrund ihrer Fähigkeit, Wasser zu speichern und langsam abzugeben, eine wichtige Rolle, um Starkregenereignisse und Dürre zu begegnen. Nicht zuletzt sind Moore faszinierende Biotope, die häufig seltene Tier- und Pflanzenarten beherbergen und ein eigenständiges, wichtiges Ökosystem.

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Mittendrin in der Kampberger Historie

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Der Bahnhof "Diemendorf" wurde in Kampberg an den höchsten Punkt der Bahnlinie gebaut. Warum - auch das erfuhr man an diesem Abend. © Museum der Bundesbahn Nürnberg

Kampberg liegt mitten in einem von der letzten Eiszeit geformten Moorgebiet – ein Umstand, der eng mit der Entstehungsgeschichte des Ortsteils verbunden ist, wie Manfred Grimm vom ortsgeschichtlichen Arbeitskreis darlegte. Er erzählte von den ersten bescheidenen Behausungen in Eisenbahnwaggons nach dem 1. Weltkrieg, einer langsam entstehenden Siedlung ohne Wasser und Strom, die nach dem 2. Weltkrieg aufgrund der Wohnungsnot immer weiterwuchs. Zentral hierbei waren stets die Moore, bzw. der Torf, der aus ihnen gewonnen werden konnte – ein wichtiges Heizmaterial, wenn Holz nicht zur Verfügung stand oder zu teuer war. In minderer Qualität wurde er auch als Streu für Tiere genutzt.

Hier lüftete sich nun auch das Geheimnis um den Veranstaltungsort: Das heutige Kampberg diente ab 1866 als Haltestation zum Transport von Torf auf Schienen. 1875 wurde das Bahnhofsgebäude des „Bahnhof Diemendorf“ errichtet, der ab 1876 eine offizielle Bahnstation war bis zur Einstellung des Personenverkehrs 1984 und zur endgültigen Stilllegung 1998. Auf alten Plänen lassen sich heute noch die Schienen für die Loren, die zum Transport des Torfes genutzt wurden, nachverfolgen.

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Ein interessanter und amüsanter Abend im Vereinsheim des MVC Tutzing: Alle waren begeistert von den Einblicken in die Ortsgeschichte des Tutzinger Ortsteils © Sonja Bonneß

Ortsgeschichte ganz persönlich

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Präsentationen, die die Archive nicht hergeben: Sogar die Arbeit mit altem Werkzeug und Torfstecherschaufeln wurde an diesem Abend vorgeführt © Patricia aus dem Siepen

Dass diese Ortsgeschichte die Anwesenden bewegte, wurde bereits zu diesem Zeitpunkt deutlich: Einige Einheimische wussten Geschichten zu erzählen, die die trockenen Zahlen des Archivs nicht hergaben. Und so begann schnell der wichtigste Teil des Abends, an dem Zeitzeugen ihre Erfahrungen mit dem Torfabbau und ihre Erinnerungen an die Kampberger Ortsgeschichte erzählten.

Rainer Scheinpflug, der seine Kindheit in Kampberg verbrachte, hatte sogar altes Werkzeug mitgebracht, das damals zum Torfstechen im Einsatz war, ergänzt durch Torfstecherschaufeln, die Frank Nölting, Förster des Guts Ilkahöhe beisteuerte. Eindrucksvoll demonstrierte Scheinpflug, wie eine überdimensionale Schaufel genutzt wurde, um die obere Grasschicht abzutragen, und danach ein Spezialwerkzeug zum Einsatz kam, um aus der Torferde Briketts zu stechen. Das musste mit reiner Kraft der Armmuskeln geschehen, die Füße konnten nicht unterstützen, denn diese mussten beide auf dem feuchten Boden stehen, um nicht zu versinken. Danach wurden die Briketts getrocknet und schließlich zum Heizen genutzt.

Weitere Geschichten folgten, unter anderem von Helmuth Liegl, der alle Anwesenden mit seinen umfangreichen Erinnerungen, präzisem Detailwissen zu den Abbaugebieten von Schwarz- und Streutorf sowie amüsanten Geschichten über heimliche Wilderei oder temporäre Aufenthalte damaliger Anwohner in Tutzings „Gefängniszelle“ zu unterhalten wusste. Die Stimmung wurde immer ausgelassener, als weitere Alteingesessene von Torfstichen am Haus und die turbulenten Zeiten der Entstehungsgeschichte von Kampberg erzählten.

Besonders begeisterte auch der ehemalige Bürgermeister Peter Lederer, der durch sein umfangreiches Wissen viele spannende Geschichten und Details beisteuerte. Er berichtete, dass vor der Entstehung von Kampberg Bürger aus Diemendorf, Haunshofen, Unterzeismering, Oberzeismering und Tutzing in dem Gebiet Torfstiche hatten. Zur Lage des Bahnhofs hatte er eine andere Erklärung. Demnach wurde der Bahnhof an den höchsten Punkt der Bahnlinie gebaut, da die damaligen Lokomotiven Probleme beim Anfahren mit hohen Steigungen hatte.

In Kampberg wohnen die Kommunisten?

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Großes Interesse an der Ortsgeschichte: Bis zum letzten Platz war das Vereinsheim des MVC Tutzing im alten Bahnhof von Kampberg gefüllt © Sonja Bonneß

Auf Nachfrage eines Tutzinger Bürgers wurde auch noch diskutiert, woher der Ausspruch „In Kampberg wohnen die Kommunisten“ stammt. War es die tatsächliche politische Gesinnung der dort wohnenden Menschen, der osteuropäische Anteil der Bevölkerung, der Einfluss der Arbeiterbewegung aus Penzberg oder doch nur ein abfälliges Vorurteil über den als ärmlich wahrgenommen Ortsteil? Einig war man sich, dass diese Abwertung zwischenzeitlich Geschichte ist. Bürgermeisterin Marlene Greinwald unterstrich die Bedeutung Kampbergs für die Gemeinde Tutzing und insbesondere auch das Gewerbe in Kampberg.

Eines war jedenfalls am Ende des Abends klar: Kampberg war und ist ein lebenswerter Ort mit einer bewegten Geschichte, an die sich viele Menschen gerne erinnern und die erzählt werden sollte. So blieben auch nach Ende der Veranstaltung die meisten noch im Vereinsheim und tauschten in gemütlicher Runde zahlreiche Erinnerungen von damals und heute aus.

Die AG Moore bedankt sich ganz herzlich bei allen Anwesenden und besonders bei den zahlreichen „Ur-Kampbergern“, die ihre Geschichten mit uns geteilt und den Abend so zu etwas ganz Besonderem gemacht haben. Ein großer Dank geht auch an Stefan Beer und Stefan Pischetsrieder vom MVC Tutzing für die Einladung in ihr Vereinsheim und die Bewirtung sowie an Frank Nölting und Rainer Scheinpflug für die Bereitstellung der Torfwerkzeuge. Zu guter Letzt geht ein besonderer Dank an Manfred Grimm und den ortsgeschichtlichen Arbeitskreis für die gute Zusammenarbeit.

Wenn Sie nun neugierig geworden sind auf Kampberg und seine Moore, laden wir Sie ganz herzlich ein zu unserer Ortsbegehung am Samstag, 28.10.23, um 14 Uhr. Treffpunkt ist am Ende des Wickenwegs, von wo aus wir uns ehemalige Torfstiche anschauen und die Ortsgeschichte mit markanten Punkten in Verbindung bringen.

Weitere Infos zu den Aktivitäten der AG Moore und zu den weiteren Aktivitäten der Initiative „Tutzing klimaneutral 2035“ finden Sie unter www.tutzing-klimaneutral.de

Quelle Titelbild: Sonja Bonneß
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