Von Michael Ehgartner

Die BeHAARlichkeit

Eine schnittige kaufmännische Analogie

Kennen Sie die Behaarlichkeit? Es ist ein traditionsreicher Tutzinger Friseursalon in der 18. Generation, der in den letzten Jahren etwas in Schieflage geraten ist. Derzeit gibt der Betrieb mehr Geld aus, als er einnimmt. Und der die Geschäfte lenkende Aufsichtsrat - ein Gremium aus den ältesten Mitgliedern der wesentlichen Familienstämme - überlegt, was zu tun ist.

Sehr lange und sehr intensiv hat man sich mit den Ausgaben beschäftigt. Die wichtigsten drei Ausgabenblöcke sind hier Mitarbeiter, Weiterbildung sowie Schutzgeld mit jeweils rund 60.000 €. Rund 8.000 € werden für Instandhaltungen ausgegeben. Der letzte Betrag müsste eigentlich viel höher sein, aber mehr ist eben gerade nicht drin. Daneben werden kleinere Beträge für die Feuerlöscher oder den Lesezirkel ausgegeben.

Die Mitarbeiter sind am Limit, da gehen keine Einsparungen mehr. Im Gegenteil. Eigentlich bräuchte der Betrieb mehr Leute, aber wegen des Fachkräftemangels sind einige Positionen gar nicht besetzt. Einsparungen bei der Bildung gehen auch nicht, weil es da Vorgaben des Landesverbands der bayerischen Friseure gibt. Und so wie es aussieht werden auch die Schutzgeldzölle in den nächsten Jahren eher erhöht als gesenkt. Der Patrone kann nämlich seine hohen Arztrechnungen nur bezahlen, wenn alle Betriebe ihrerseits die Schutzgeldzahlungen erhöhen. Einsparungen scheinen also kaum mehr möglich und so versucht der Aufsichtsrat gerade einen Teil der Friseurstühle, Waschbecken und Spiegel zu verkaufen, um dringend nötige und auch bereits beauftragte Investitionen finanzieren zu können. Allerdings gestaltet sich der Ausbau des Betriebsvermögens nicht so einfach wie gedacht und ob die rausgelösten alten Stühle dann auf große Nachfrage treffen ist noch nicht gesetzt.

In den Beratungen darüber, wie es weitergehen soll wird der Erhöhung der Einnahmen regelmäßig weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Das liegt vielleicht etwas an der Prägung der Behaarlichkeit als Familienbetrieb. Seit jeher sieht man sich als sparsamen Betrieb, der die eigene Effizienz an den Kunden weitergeben will und auf keinen Fall auf Kosten der Kunden das Geld zum Fenster rauswirft. Und so wird von vielen Mitgliedern des Aufsichtsrates ein höherer Umsatz mit Schlendrian und Ineffizienz gleichgesetzt und kategorisch abgelehnt.

Dennoch ist ein Blick auf die Einnahmen interessant. Abgesehen von den üblichen Nebenleistungen gibt es da im Wesentlichen drei Bereiche: Damen, Herren und Kinder.

Der Salon hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten eindeutig zum Kindersalon entwickelt. Immer mehr Kinder kommen dazu und der Salon wurde dadurch immer größer. So sind es auch die Einnahmen aus den Kinderhaarschnitten, die mit rund 80.000 € den größten Block darstellen. Allerdings sind diese Einnahmen gedeckelt, egal wie aufwändig die Kinderhaarschnitte werden, es dürfen dafür aus gesetzlichen Gründen nur 20 € pro Kind eingenommen werden. Eine Erhöhung ist da nur über weitere Akquise möglich. Aber wenn noch mehr Kinder kommen, muss auch die Kinderecke vergrößert werden. Insgesamt herrscht der Eindruck, dass gerade die Schnitte der neuen Kinder immer aufwendiger werden und die meiste Arbeitszeit binden. Außerdem stellt sich grundsätzlich die Frage, ob der Salon immer weiter wachsen soll?

Die Einnahmen aus den Damenhaarschnitten sind solide und in den letzten Jahren stetig gestiegen. Ein Teil des Aufsichtsrates spricht sich dafür aus, vor allem diesen Umsatzbereich durch Akquise weiter auszubauen. Bei den Damen wird allerdings vor allem mit den älteren Semestern Geld verdient, die jungen Damen tragen noch nicht so viel zu den Einnahmen bei und bringen in der Regel auch weitere Kinder mit. Der zusätzliche Umsatz mit neu gewonnenen Damen würde also für aktuelle Rechnungen zu spät kommen. Der Umsatz mit den Damen hat einen weiteren wesentlichen Haken: Geht es den Leuten schlecht, gehen vor allem die Damen weniger zum Friseur. Gerade die reinen Damensalons können davon ein Lied singen. Die Behaarlichkeit ist mit ihrem hohen Anteil an Einnahmen bei den Kinderhaarschnitten davon bisher weniger betroffen gewesen als die anderen Friseursalons. Der in den letzten Jahren gestiegene Damenumsatz lässt aber mit einiger Sorge auf die aktuelle konjunkturelle Entwicklung blicken. Grundsätzlich könnte man den durchschnittlichen Preis für den Damenhaarschnitt von aktuell 80 € ganz einfach erhöhen. Es steht allerdings die Befürchtung im Raum, dass gerade die flexiblen Damen sich dann für einen anderen Salon entscheiden könnten.

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Männerhaarschnitt

Die Einnahmen bei den Herren bekommen gerade am meisten Aufmerksamkeit, weil hier das Abrechnungssystem umgestellt werden muss. Wurden die Kosten eines Männerhaarschnittes bisher nach dem Umfang des Bauches berechnet (was laut Verfassungsgericht schlichtweg diskriminierend und nun nicht mehr möglich ist), soll künftig die Menge an Haar die ausschlaggebende Größe für die Kosten eines Schnittes sein. Beleibte Kahlköpfe werden also profitieren während die dürren Hippies künftig mehr bezahlen. Das wird wild durcheinander gehen und bei den Männern dazu führen, dass manche das Zehnfache des bisherigen und manche eben nur ein Zehntel zahlen müssen. Die Behaarlichkeit selbst kann da gar nichts dafür und der Aufsichtsrat glaubt in der Mehrheit, dass er für diese Verwerfungen weniger verantwortlich gemacht wird, wenn er nur insgesamt von allen männlichen Kunden die gleiche Summe einnimmt, so wie es der Landesmeister der Friseurinnung versprochen hat. Ein kleiner noch nicht sonderlich einflussreicher Teil des Aufsichtsrates setzt sich dafür ein, die Änderung des Systems auch mit einer klaren Preiserhöhung zu verbinden und den durchschnittlichen Preis eines Männerhaarschnittes von aktuell 3,70 € nicht wie derzeit diskutiert auf 4,00 € oder 4,20 € sondern eben deutlich zu erhöhen. Bei den Männern ist es so, dass diese gar keine andere Möglichkeit haben, die können nur in die Behaarlichkeit kommen. Und dadurch, dass alle Männer in die Behaarlichkeit kommen, würde sich eine Preiserhöhung in diesem Bereich auf sehr viele Schultern verteilen und die einzelne Person viel geringer belasten wie Preiserhöhungen bei den Damen oder den Nebenleistungen.

Werden die Verkäufe des Inventars ausreichen um die beauftragten Renovierungen zu bezahlen? Und wenn nicht, wird sich der Aufsichtsrat doch zu einer Erhöhung der Einnahmen durchringen können? Werden sich die Aufsichtsräte über den Preis des Männnerhaarschnittes in die Haare kriegen? Und kommt der Aufstand der Langhaarigen? Ich bin gespannt, wie das mit der Behaarlichkeit weiter geht.

Eine Gemeinde ist kein kaufmännischer Geschäftsbetrieb und kann nicht mit einem solchen verglichen werden. Dennoch sind Ähnlichkeit mit existierenden bayerischen Kommunen nicht gänzlich ungewollt.

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Man könnte die Situation auch folgendermaßen auf den Punkt bringen: Die bayerische Verfassung sieht in Artikel 161 Absatz 2 vor, dass vermögende Grundbesitzer, das sind in der Glosse die "Herren", entsprechend ihrer überdurchschnittlichen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung der Gemeinde beitragen sollen. Würde dieses Prinzip konsequent umgesetzt, stünde die Gemeinde nicht vor dem Dilemma, ihr "Tafelsilber" – konkret Teile des Kustermannparks und die Kustermannvilla – an eben jene vermögenden Grundbesitzer veräußern zu müssen, um elementare Pflichtaufgaben wie die Finanzierung der Grundschule zu erfüllen. "Damen", das sind diejenigen Mitglieder der Gesellschaft, die für ihr Auskommen grundsätzlich mehr arbeiten müssen, weil sie schlechter bezahlt werden. Und Kinder, das sind die wenigen Übriggebliebenen, deren zukünftigen Bedarfe man heute als irrelevant ansieht.
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