
Die Kinderrechte sollen ins Grundgesetz. Das haben heute namhafte Experten aus verschiedenen Fachgebieten beim „1. deutschen Kindergesundheitsgipfel“ in der Akademie für politische Bildung in Tutzing bekräftigt. Sie plädieren für einen neu zu schaffenden Artikel 2a im Grundgesetz. Einen Formulierungsvorschlag hat das „Aktionsbündnis Kinderrechte“ schon vor einiger Zeit erarbeitet.
Einen Entwurf für den geforderten neuen Grundgesetz-Artikel hat in Tutzing Prof. Dr. Jörg Maywald vorgelegt. Er ist Sprecher der „National Coalition Deutschland“, eines Netzwerks, das sich mit der Umsetzung der von den Vereinten Nationen verabschiedeten Kinderrechtskonvention befasst. So soll der neue Artikel 2a des Grundgesetzes nach diesem Vorschlag lauten:
(1) Jedes Kind hat das Recht auf Förderung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten zur bestmöglichen Entfaltung seiner Persönlichkeit.
(2) Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes. Sie unterstützt die Eltern bei ihrem Erziehungsauftrag.
(3) Jedes Kind hat das Recht auf Beteiligung in Angelegenheiten, die es betreffen. Seine Meinung ist entsprechend seinem Alter und seiner Entwicklung in angemessener Weise zu berücksichtigen.
(4) Dem Kindeswohl kommt bei allem staatlichen Handeln, das die Rechte und Interessen von Kindern berührt, vorrangige Bedeutung zu.
Zum Aktionsbündnis Kinderrechte gehören das Deutsche Kinderhilfswerk, der Deutsche Kinderschutzbund und UNICEF Deutschland in Kooperation mit der Deutschen Liga für das Kind.
Soziologin: Thema Kind hat keinen ausreichenden Stellenwert
In den Koalitionsverhandlungen hatten sich die Mitglieder der Bundesregierung parteiübergreifend dazu verpflichtet, die Rechte von Kindern noch in der laufenden Legislaturperiode ins Grundgesetz aufzunehmen.
„Das Thema Kind hat zweifellos nicht den gesellschaftlichen Stellenwert, den es haben musste“, sagte in der Akademie die aus der Schweiz stammende Professorin Dr. Doris Bühler-Niederberger von der Bergischen Universität Wuppertal, eine bekannte Expertin für die Soziologie der Kindheit.
Forderungen nach einer nationalen Kinderpolitik

Im Grundgesetz gebe es bisher noch keine spezifischen Kinderrechte, beklagte Maywald, der auch Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind in Berlin ist. Die internationale Gesellschaft habe dies vollzogen, nicht aber Deutschland - im Gegensatz zu den Frauenrechten. Ein Kindergrundrecht bedeutet nach seinen Worten „ein subjektiv einklagbares Recht für Kinder“. Er wies aber auch darauf hin, dass für eine entsprechende Verfassungsänderung eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich ist.
„Kinder bleiben eine gering bewertete Gruppe“, beklagte die Soziologin Bühler-Niederberger. Sie forderte eine nationale Kinderpolitik. „Von der sind wir noch ziemlich weit weg“, kritisierte sie. Die weltweite Einstufung von Gruppen beschrieb sie so: „Männer gehen vor Frauen – moderne Gesellschaften arbeiten daran. Erwachsene gehen vor Kindern – moderne Gesellschaften arbeiten nicht daran.“ Sie berichtete über eine von ihr erarbeitete Studie mit Kindergartenkindern, die über „sehr viel häusliche Gewalt in ihren Familien geklagt“ hätten. Nach Erkenntnissen der Unicef könnten viele Kinder keine eigenen Interessen entwickeln, weil sie den Interessen ihrer Familien unterworfen würden. Nach einer WHO-Studie gebe es in vielen Ländern erschreckenden Missbrauch. Auch die Homozidraten seien erschreckend hoch.
Mitspracherecht von Kindern bei Kinderkliniken? In Deutschland undenkbar
Prof. Dr. Dr. Christoph Klein vom Dr. von Haunerschen Kinderspital des Münchner Universitäts-Klinikums plädierte dafür, Kinderrechten im klinischen Alltag mehr Beachtung zu schenken. Auch so könne man dem Geist der UN-Kinderrechtskonvention gerecht werden, dafür müsse man nicht unbedingt Gesetzesvorlagen auf den Weg bringen. "Es ist eine Frage der Haltung", sagte Klein.
Eine ganze Palette von Aspekten nannte Klein: Geben wir Kindern den Respekt? Sprechen wir mit dem Kind oder über das Kind? Geben wir ihnen genügend Zeit für einen Entscheidungsprozess und Partizipation, gehen wir auf ihre Fragen ein? Ärzte müssten von ausreichender Offenheit sein. Sie müssten sich die Frage stellen, ob sie alle Kinder gleich behandelten und wie sie das Wohl des Kindes definierten. Für sehr wichtig hält Klein die Förderung von Kommunikationsfähigkeiten durch entsprechendes Training. In vielen Ländern haben Kinder Mitspracherecht bei der Gestaltung von Kinderkliniken, sagte er. In Deutschland habe er dies einmal versucht:"Das ist bei uns undenkbar."
Kinder hätten keine Lobby, beklagte in einer Grußbotschaft per Video der Fernsehmoderator Eckart von Hirschhausen, der selbst Arzt ist und der eine Stiftung "Humor hilft heilen gegründet hat. Eine wichtige Rolle spielten auch das familliäre und soziale Umfeld sowie die Umgebung. Gesundes Leben sei nur in einer gesunden Umgebung möglich: Mit diesen Worten bezeichnete Hirschhausen die Klimakrise auch als ein ärztliches Anliegen.
Junge Menschen sprechen von Ängsten und finanziellem Notstand

Trotz beträchtlicher Erfolge der Kindermedizin werden auf der Tutzinger Tagung erhebliche Sorgen deutlich. Die zunehmende Ökonomisierung des Medizinsystems bedrohe eine kindgerechte medizinische Versorgung auf hohem Niveau und erschwere die Achtung und Umsetzung von Kinderrechten im klinischen Alltag. Dabei weisen die Verantwortlichen darauf hin, dass Kinderärzte wichtige Wegbereiter der UN-Kinderrechtskonvention gewesen seien.
Viel Aufmerksamkeit fand in Tutzing die Vorstellung einer Arbeitsgemeinschaft Kinderrechte, die am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München gegründet worden ist. Mehrere junge Leute erzählten von ihren Schicksalen mit Krankheiten und berichteten sehr dankbar über ihre Erfahrungen mit guten Ärzten. Sie machten aber auch kein Geheimnis aus erheblichen Problemen, mit denen sie konfrontiert wurden.
So könne im „stressigen“ Klinik-Alltag nicht auf die Ängste jüngerer Patienten eingegangen werden. Patienten wüssten oft nicht, wer zu ihnen ins Zimmer kommt. Die Privatsphäre gehe oft unter. Eine junge Betroffene sprach von einer besorgniserregenden Entwicklung, gerade wegen eines „großen finanziellen Notstands“ besonders an Uni-Kinderkliniken. Immer weniger Mittel stünden für hochspezialisiertes Fachpersonal zur Verfügung, Stellenabbau führe zu Überlastung von Ärzten und Pflegekräften. Die Folge seien nicht selten unter anderem sehr lange Wartezeiten, auch bei kleinen Kindern mit Schmerzen.
Junge Menschen sehen ein Kernproblem im DRG-Vergütungssystem
Als wesentliche Ursache sah die junge Frau das DRG-System, ein pauschaliertes Abrechnungsverfahren für „Krankenhausfälle“. Behandlung von Kindern lasse sich nicht nach einem Pauschalvergütungssystem abbilden, klagte sie. Eine kinder- und altersgerechte Vergütung für Patienten der Kinderheilkunde hält sie für dringend erforderlich.
Die Diskussionen auf der Tagung verdeutlichen die Schwierigkeiten auf dem Weg zwischen wirtschaftlichen, medizinischen und ethischen Anforderungen. Prof. Christiane Woopen vom Europäischen Ethikrat wollte beispielsweise nicht für eine Abschaffung des DRG-Systems plädieren. Es müsse angepasst werden, sagte sie in einem Vortrag, in dem sie die Ökonomie im Sinn von Aristoteles als Teil der Ethik bezeichnete. Der Titel ihres Referats: "Ethische Dilemmata in der Kindermedizin in Zeiten der Ökomisierung".
Mehr zum Thema:
Eckart von Hirschhausen grüßt Tutzing
Kommentar hinzufügen
Kommentare