Geschichte
17.6.2024
Von Martin Held

Spannende Einblicke auf dem Heiligen Berg

Radtour des ADFC von Tutzing nach Andechs wurde zur hochinteressanten historischen HeimatkundeDer Autor ist Ortsvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) in Tutzing

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Altes Straßenschild „Einhemm-Stelle“ – Straße Richtung B2 © Thomas Portmann

Nachdem der letzte Regenschauer kurz zuvor in Tutzing vorbei war und die Sonne wieder lachte, startete eine Gruppe von 15 Radlerinnen und Radlern über die Ilkahöhe Richtung Monatshausen. Wir bogen in Richtung B2 ab und machten bei dem historischen Verkehrsschild „Einhemm-Stelle“ einen ersten Stop. Früher verlief die Straße von Starnberg Richtung Weilheim und Garmisch über diese Strecke. Die Fuhrwerke legten hier eine Art Bremsen zum „einhemmen“ an, bevor es Richtung Monatshausen sehr steil bergab ging. Was Unfälle keineswegs ausschloss.

Weiter ging es durch die Allee nach Kerschlach und von dort aus Richtung Norden vorbei an dem wiedervernässten Moor linkerhand. Die Strecke Richtung Andechs ging weiter durch den Wald und anschließend an Blumenwiesen und nacheiszeitlichen Tumuli vorbei.

In Andechs erwartete uns Dr. Toni Aigner,. Der langjährige Andechser Schulleiter und langjährige Tutzinger Gemeinderat der über die Geschichte des Dießener-Andechser Geschlechts promoviert hat, führte uns in die Geschichte des Ortes ein.

Es war eine äußerst interessante, anschauliche und spannende Heimatkunde. Der Andechser Berg war ebenso wie die von oben sehr schön sichtbare Region vermutlich bereits in der Hallstattzeit besiedelt (Kelten). In der anschließenden Epoche siedelten hier die Römer. Im Mittelalter war dann die erste große Blütezeit, die gut dokumentiert ist. Berthold II. des Dießener Grafengeschlechts nannte sich etwa um 1100 Graf von Dießn-Andechs.

Die Bedeutung der Ministeralen für die Herrschaftsausübung im Mittelalter

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Toni Aigner führt in die Geschichte ein – Andechser Klosterkirche im Hintergrund © Sonja Bonneß

Dokumentiert ist eine Andechser Burg, die von einem der Ministerialen des Grafen geführt wurde. Durch Heirat wurde er gleichzeitig Herrscher in Istrien und Krain (heutiges Slowenien). Die nächsten Generationen wurden durch Heiraten noch mächtiger. In den fränkischen Besitzungen war die Plassenburg der Hauptsitz. Durch die ausgedehnten Besitzungen in Tirol wurde ein Nachfahre Herzog von Meranien.

Toni Aigner brachte uns die Bedeutung der Ministeralen für die Herrschaftsausübung im Mittelalter nahe: „Wer die Ministeralen nicht in ihrer Bedeutung für die Herrschaftsausübung versteht, versteht das Mittelalter nicht.“ Anschließend zeigte er unserer Gruppe auf dem Gelände der ehemaligen Burg die neueste Publikation zum Burgberg von Andechs. Darüber wird seit langem geforscht. Details sind immer noch in der wissenschaftlichen Debatte. Auf jeden Fall ist gesichert, dass über Jahrhunderte hier oben eine Burg stand. Diese war jedoch zumindest längere Zeit aus Holz und nicht wie heute das Bild von mittelalterlichen Burgen nahelegt, eine stolze Burg aus Stein.

Weiter nördlich soll es in der Zeit der Ungarn-Einfälle eine kleinere Fluchtburg gegeben haben. Die Geschichte der Grafen von Andechs endete 1248 mit dem Tod des letzten männlichen Erbens. Das Geschlecht hinterließ jedoch durch die Verheiratung von fünf Töchtern in den europäischen Hochadel (Ungarn, Polen u.a.) wichtige Spuren.

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Schon vor Jahrhunderten war es "der Heilige Berg"

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Toni Aigner – auf der Plattform des ehemaligen Burgbergs © Sonja Bonneß

Der weitere Verlauf von Andechs selbst war durch viele Wechselfälle geprägt. Bestimmend war dafür u.a. der Klosterschatz mit berühmten Reliquien, die zu einer bedeutenden Wallfahrt führte und um 1455 dann zur Gründung des Benediktinerklosters. Bereits damals entstand der noch heute gebräuchliche Ausdruck „Der Heilige Berg.“

Bevor Toni Aigner näher auf die Wallfahrt und das Kloster einging, zeigte er uns die ehemalige Apotheke, ein sehr schönes barockes Gebäude gegenüber der Kirche. Die Apotheke illustriert die Bedeutung des Klosters, war sie doch über lange Zeit die einzige Apotheke zwischen Weilheim und München. So schön das Gebäude ist, wird es seit einiger Zeit nicht mehr genutzt.

Anhand des Erkers in der Klosterkirche erzählte Toni Aigner äußerst spannend von der Wallfahrt und dem sogenannten „Heiltumsschatz“: u.a. „Herrenreliquien“ (Stück vom Kreuz Christi u.a.), das Brautkleid der Heiligen Elisabeth und die drei Heiligen Hostien.

Diese Reliquien waren die Basis für die hohe Bedeutung des Klosters Andechs und seine Ausstrahlung als Wallfahrtsort. Lange Zeit gab es drei Schlüssel und nur mit allen drei Schlüsseln konnte der Zugang zu den Reliquien geöffnet und diese den Wallfahrenden gezeigt werden.

Das Kloster und die bayerische Herrschaft hatten auch immer wieder Dispute, wer für welche Kosten aufzukommen hatte. 1669 wurden nach einem Brand die Kirche und das Kloster anschließend im Barockstil wieder neu aufgebaut.

Säkularisation, sinkende Bedeutung und Rückkauf durch König Ludwig I.

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Historischer Stich Kloster Andechs © Kloster Andechs

Nach einer Blütezeit im 18. Jahrhundert sank die Bedeutung von Andechs durch die Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts schlagartig. Die Apotheke musste nach einigen Jahren schließen. Versuche des bayerischen Staats, die Wallfahrt in Eigenregie zu organisieren, endeten nach wenigen Jahren erfolglos. Andechs wurde für einige Jahrzehnte unwichtig, die Gebäude verkauft. Das änderte sich erst, als König Ludwig I. von Bayern das ganze Areal zurückkaufte und dem Kloster Bonifaz München als Wirtschaftsgut vermachte.

Dieses Benediktinerkloster finanziert mit dem Geld in München bis auf den heutigen Tag wichtige soziale Arbeit. Die Wallfahrt in Andechs setzte mit der Neugründung des Klosters wieder ein.

Zum Abschluss der Führung ging Aigner mit unserer Radlergruppe in die Versöhnungskapelle. Sie wurde von den Klosterbrüdern in den 1990er Jahren neu gestaltet, um zum Frieden von Ost und West beizutragen.

Verbindung zu Schlesien

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Rückblick auf Kloster Andechs und den „Heiligen Berg“ © Thomas Portmann

Anhand der Skulpturen konnte uns Aigner nochmals nachdrücklich die große Bedeutung von Andechs vermitteln: Hedwig von Andechs (1174-1243) war mit dem Herzog von Schlesien aus dem polnischen Adelsgeschlecht verheiratet. Sie wird in Schlesien, Polen und weit darüber hinaus als Heilige verehrt, insbesondere auch aufgrund ihres für die damalige Zeit ungewöhnlichen sozialen Engagements. Die Herkunft von Hedwig in Andechs führte dazu, dass nach dem 2. Weltkrieg die Wallfahrt nach Andechs für viele Schlesierinnen und Schlesier in der neuen Heimat wichtig wurde. Sie war ein Verbindungsstück zu ihrer vorherigen Heimat.

Die Heilige Elisabeth von Thüringen (1207-1231) war eine Nichte der Heiligen Hedwig, Tochter von Getrud von Andechs, Königin von Ungarn. Sie wurde für ihre Fürsorge für die Armen berühmt, die für die damalige Zeit noch viel ungewöhnlicher war als die ihrer Tante. Sie war lange Zeit eine der bedeutendsten Heiligen in den deutschen Landen. Ihr Brautkleid ist nach der Überlieferung Teil des Reliquienschatzes von Andechs.

Um die Aussöhnung mit dem Osten in der Kapelle zu symbolisieren, sind auch Bronzeskulpturen des Heiligen Kyrill und des Heiligen Method in der Kapelle. In Zeiten des Angriffkriegs Russlands auf die Ukraine ist diese Kapelle sehr bewegend. Es war ein guter Abschluss eines kurzweiligen und interessanten Ausflugs in die Geschichte von Andechs und damit die Geschichte unserer näheren Umgebung.

Zurück vorbei an Kornblumen, Photovoltaik und Solarschafen

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Auf der Rückfahrt nach Tutzing © Thomas Portmann

Anschließend saßen wir längere Zeit sehr gemütlich in der Andechser Schenke zusammen. Dabei konnten wir das berühmte Bier der Andechser Klosterbrauerei genießen. Für eine Radtour passend vielfach in Form von Radlerhalben. Dies war wie immer ein wichtiger Teil unserer Radtouren.

Die Fahrt ging dann zurück über den Weg zur Andechser Friedenskapelle, vorbei an der Justizvollzugsanstalt sehr schön durch den Wald nach Aschering. Die Kornblumen in den Getreidefeldern waren auch in diesem Jahr sehr schön. An der Photovoltaik-Anlage und den Solarschafen vorbei fuhren wir nach Traubing und von da aus gemütlich zurück über den Waldweg nach Tutzing.

So endete unsere vom Wetter begünstigte Heimatkunde. Hatte es kurz vor der Abfahrt nochmals kräftig geregnet, bescherte es uns gerade zur rechten Zeit einen sonnigen Nachmittag. Toni Aigner nochmals ganz herzlichen Dank für die sehr schöne Führung.

Vielleicht kann dieser Bericht Menschen in Tutzing die Anregung dazu geben, mit dem Rad die nähere Umgebung zu erkunden und dabei die vielfältigen historischen Spuren zu verfolgen.

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