Anlässlich der langen Nacht der Demokratie am 2. Oktober hat der Tutzinger Jugendbeirat zum Vortrag über die Entwicklung der NSDAP im Landkreis Starnberg eingeladen. Die aktuellen Ereignisse im Thüringischen Landtag hinterließen „ein mehr als mulmiges Gefühl. Man erlebt in welcher Gefahr unsere Demokratie schwebt“, so der ehemalige Vorsitzende Paul Friedrich, und zeigten die traurige Aktualität des Themas. Zu Gast war die Kreisarchivarin und Historikerin Dr. Friedrike Hellerer aus Herrsching, die zum Erwachsen der NSDAP im Landkreis Starnberg promovierte und die Einschätzung Friedrichs bestätigte: „Bei der Vorbereitung auf den heutigen Abend hatte ich mehrmals Deja-Vu-Erlebnisse zur heutigen Zeit.“
Sie führte die etwa 50 Zuhörer durch die sogenannte Kampfzeit der 1920er Jahre. So sei die Ortsgruppe Starnberg nach Überlieferungen die drittälteste außerhalb Münchens gewesen. Zentralfigur war Franz Xaver Buchner, der zuerst Ortsgruppenleiter und später Bürgermeister von Starnberg und Mitglied des Reichstags wurde. Durch die von ihm erstellte umfassende Chronik über den Aufstieg der NSDAP im Landkreis könne man die Parteientwicklung im Landkreis gut nachvollziehen, so die Rednerin. Die Tutzinger Ortsgruppe wurde 1930 gegründet und war damit die sechste im Landkreis.
Hellerer erwähnte auch die Reichspropagandaschule, die in Herrsching um 1928 errichtet wurde. „Zu der Zeit gab es kein Radio, nur durch die Redner der Schule konnte die NSDAP sicherstellen, dass auch im letzten Ort Adolf Hitler bekannt war“, so Dr. Hellerer, die ergänzte: „die Bedeutung der Schule kann man nicht überschätzen!“ Den Zulauf zur NSDAP erklärte Dr. Hellerer unter anderem damit, dass die Bürger den steten Streitereien der damaligen Regierungen überdrüssig wurden und fügte an: „Ich denke da klingelt es“ und zog vorsichtig Parallelen zu heute.
"Ich möchte mein Leben lang in einer Demokratie leben."
Dr. Hellerer schloss ihren Vortrag im Jahr 1933 und der in diesem Jahr einhergehenden Gleichschaltung auch auf kommunaler Ebene. In Tutzing sei dies am 22. April 1933 geschehen. „Zuvor hatte die NSDAP keinen Sitz im Gemeinderat, danach waren es vier“, so Hellerer. Im Laufe der Folgewochen seien dann die Mitglieder der restlichen vertretenen Parteien aus dem Gemeinderat zurückgetreten. Im Mai 1933 wurden Vereine aufgelöst, genauso erhielten Hitler und Hindenburg die Ehrenbürgerwürde, die Bahnhofstraße wurde zur Hitlerstraße umfirmiert und die Promenade am See wurde zur Hindenburgpromenade.
Auf die Frage, weshalb der Jugendbeirat die Veranstaltung organisiert habe, betonte der Vorsitzende Tim Terbrack, dass die Mitglieder des Jugendbeirates durch eigene Erfahrung den Eindruck hatten, dass man im Ort zu wenig über die Vergangenheit der Gemeinde wisse. „Wir wussten, bevor wir uns die letzten Monate in die Landkreis- und Ortsgeschichte eingearbeitet haben, nicht, dass es in Tutzing ein Zwangsarbeitslager gegeben hat und dass Hitler in Tutzing übernachtet haben soll“, so Terbrack. Friedrich ergänzte: „Es ist ein Thema, das insbesondere für uns junge Menschen höchst relevant ist. Denn ich möchte mein Leben lang in einer Demokratie leben. Es ist deshalb unsere Aufgabe, sie zu verteidigen. Dafür muss man aber wissen, wie sich die vergangenen Entwicklungen abgespielt haben. Ich hoffe, dass die heutige Veranstaltung dafür sensibilisieren konnte.“
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass einige Aspekte noch offen blieben. So zum Beispiel, wie sich die Gemeinde nach Kriegsende 1945 mit ihrer Geschichte auseinandersetzte und wie die Erinnerungskultur in Tutzing heute gestärkt werden könnte. Auch die hiesigen Opfer und Widerstandskämpfer des NS-Regimes seien zu wenig erforscht, kritisierten einige Teilnehmer. Wir sollten darauf einen stärkeren Fokus setzen und sie als Rollmodels für die heutige Zeit verstehen“, appellierte ein Teilnehmer.
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Teile der CDU/CSU scheinen zunehmend überfordert mit der Komplexität der Welt und den daraus resultierenden politischen Herausforderungen. In dieser traditionell bürgerlichen Partei zeigen sich vermehrt Tendenzen zu vereinfachenden und in eine Brutalisierung mündenden Antworten, was am Ende unausweichlich in einen autoritäreren Politikstil mündet. Das Ergebnis dieser politischen Verlagerung wäre die Zusammenarbeit mit der rechtsextremen AfD – und schon hätte sich die Geschichte wiederholt.