Corona-Sicherheitsregeln ja - aber warum so große Ungerechtigkeiten? Diese Frage sorgt in der lokalen Wirtschaft von Tutzing zunehmend für Gesprächsstoff. Aus ihrem Unmut über staatlich verordnete Ungerechtigkeiten in Zusammenhang mit den aktuellen Regelungen wegen der Pandemie machen viele Geschäftsbetreiber kein Geheimnis. Die meisten von ihnen halten die Sicherheits- und Hygieneregeln zwar angesichts der Infektionszahlen für richtig. Immer häufiger wird aber Kritik an der auffallend unterschiedlichen Vorgehensweise bei den Regeln geäußert.
So müssen Buch-, Sportartikel-, Blumenläden und andere Geschäfte mit speziellen Sortimenten geschlossen bleiben - aber Supermärkte und Discounter, die aufgrund der aktuellen Regeln geöffnet sein dürfen, bieten solche Produkte außerhalb ihrer Lebensmittelsortimente - so genannte „Non-Food-Artikel“ - an. Auch in anderen Tutzinger Geschäften, die geöffnet sein dürfen, sind Produkte aller möglichen Art zu entdecken, die nicht unbedingt zu ihren typischen Sortimenten gehören.
Gegen normalen Wettbewerb haben die Tutzinger Geschäftsleute nichts, erklären sie durchweg. Dass Supermärkte oder Drogeriemärkte Blumen, Geschirr, Haushaltsartikel, Spielwaren und viele andere Produkte verkaufen, ist längst akzeptiert, zumal die Angebote von solchen Märkten und Spezialgeschäften vielfach von sehr unterschiedlicher Qualität sind. Auch die Online-Konkurrenz gilt inzwischen als normal. Aber dass die Betreiber kleinerer Geschäfte ihre Läden schließen müssen, während andere ganz normal öffnen und ähnliche Produkte wie sie anbieten können, wollen die meisten nicht einsehen. Genauso sorgt zunehmend für Diskussionen, dass die Beschränkungen kleinerer Geschäfte quasi wie eine Konjunkturbelebung für Online-Anbieter wirken. Sie gewinnen damit an wirtschaftlicher Stärke und schwächen die lokale Wirtschaft immer mehr, weil deren Kunden auf diese Weise sozusagen zu Internet-Käufern "erzogen" werden.

"Geschäften werden dringend benötigte Einnahmen genommen"
Die Aktionsgemeinschaft Tutzinger Gewerbetreibender (ATG) vertritt viele Geschäfte, die zurzeit nicht öffnen dürfen. Der ATG-Vorsitzende Roberto Mestanza zeigt für die stark unterschiedlichen Regelungen kein Verständnis. „Im Non-Food Bereich werden Bücher vertrieben, während Susanna und Martin Held für ein paar Cent Gewinn, Bücher nach Feldafing liefern sollen“, kritisiert er. Der Discounter Aldi dürfe „chinesische Billig-Sportartikel der Eigenmarke“ verkaufen - aber das Sportfachgeschäft Thallmair dürfe nicht öffnen.
„Diese Bereiche hätten in der Zeit des Lockdowns gesperrt werden müssen“, folgert Mestanza. Denn den ortsansässigen Geschäften würden auf diese Weise Einnahmen genommen, die sie dringend bräuchten, um die Läden und das Leben im Ort am Leben zu erhalten. Die Möglichkeit von Abhol- und Lieferservice betrachten die meisten Tutzinger Geschäftsleute zwar als hilfreich in der Zeit des Lockdowns. Doch einen Ersatz für die Nachteile der Geschäftsschließungen bei gleichzeitiger Öffnung von Supermärkten und anderen Läden sehen sie darin kaum.

Käufe verschieben sich vom örtlichen Handel zu Supermärkten und Online-Anbietern
Einfach in einen Laden zu gehen und Besorgungen zu machen ist halt einfacher, als den recht komplizierten Umweg zu gehen: Nummer oder E-Mail-Adresse heraussuchen, nach einem gewünschten Produkt fragen, sich das Angebot erklären lassen, das man nicht betrachten kann, einen Termin zur Abholung vereinbaren, sich zum Geschäft begeben und die Ware abholen, die man vorher nicht anschauen durfte.
Als schwierig erweist sich auch oft genug die Bezahlung, so mit Karte: Die Lesegeräte stehen üblicherweise im Geschäft, das die Kunden aber nicht betreten dürfen. Die Ladenbetreiber haben nicht selten ihre liebe Not, hier Lösungen zu finden. Das Geld zu überweisen, ist eine Möglichkeit, aber auch nochmals ein weiterer Schritt, der unternommen werden muss.
Da ist es doch weit einfacher, mal schnell einen Supermarkt oder Drogeriemarkt aufzusuchen oder das gewünschte Produkt online zu bestellen. Man braucht dann keine langen Vorlaufzeiten, kann die Waren gleich mitnehmen, oder der Paketdienst bringt sie ins Haus, man hat keine weiteren Probleme. Diese Methode scheinen nicht wenige Kunden auch gegenüber den von vielen örtlichen Händlern angebotenen eigenen Lieferungen nach Haus zu bevorzugen - vielleicht, weil Amazon & Co. anonymer sind und weil die Kunden den Geschäftsleuten, die sie kennen, nicht soviel Arbeit machen wollen. Dabei übernehmen diese gerade zurzeit nur zu gern auch solche Lieferungen - Hauptsache, sie können überhaupt noch etwas verkaufen.
So verschieben sich zurzeit die Käufe mit staatlicher Hilfe mehr und mehr weg von den örtlichen Händlern hin zu den größeren Märkten und zu Online-Anbietern - eine Entwicklung, die mit Corona eigentlich überhaupt nichts zu tun hat.
Vom Staat stark beeinflusste Veränderungen im Wirtschaftsablauf
Diese vom Staat stark beeinflussten Veränderungen im Wirtschaftsablauf stoßen inzwischen in ganz Deutschland auf Kritik. „Utensilien, die es früher nur in Fachgeschäften gab, gibt es mittlerweile auch in vielen Supermärkten und Drogerien“, berichtet der Sender NDR: „Das Sortiment reicht von Zeitschriften über Schreibwaren, Kinderspielzeug, Blumenerde, Geschirr und Bettwäsche bis hin zu Unterhosen.“ Darüber seien viele kleinere Händler verärgert, denn sie dürften ihre Läden wegen der Corona-Pandemie nicht öffnen. Ein Händler aus Oldenburg (Niedersachsen) wendet sich nach einem Medienbericht scharf gegen „Sonderprivilegien“ für Supermärkte und Drogeriemärkte. Ein Sprecher der Stadt Oldenburg wird damit zitiert, dass dies „eine Unlogik im System“ sei.
Geschäftsfrau: "Wir sind unfassbar wütend über diese Wettbewerbsverzerrung"
Die Inhaberin eines Spielzeuggeschäfts in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) kritisiert eine „Wettbewerbsverzerrung“, die den stationären Fachhandel stark benachteilige. Sie selbst muss ihr Geschäft geschlossen halten, doch ein naher Drogeriemarkt verkauft nach dem Bericht einer Lokalzeitung Lego, Puzzles und Gesellschaftsspiele.
In Allmannsweiler (Baden-Württemberg) äußert sich die Geschäftsführerin eines Blumengeschäfts nach einem Zeitungsbericht entsetzt. Sie darf ihren Laden nicht öffnen, doch direkt gegenüber preist ein Supermarkt Pflanzen und Gestecke an. "Was für ein Hohn", ärgert sich die Geschäftsfrau: „Wir sind unfassbar wütend über diese Wettbewerbsverzerrung.“
"Kunden laufen in 30 Zentimeter Abstand an Kassier vorbei"
Die Kritik der Aktionsgemeinschaft Tutzinger Gewerbetreibender geht noch weiter. Ihr Vorsitzender Mestanza zeigt sich verärgert darüber, dass ein Supermarkt wie Edeka „an den Kassen keine Mindestabstände einhält“. Als Beispiel führt er den Edeka-Markt an der Tutzinger Lindemannstraße an: „Die Kasse ist nur von vorne durch eine Plexiglasscheibe geschützt, hier laufen die Kunden im Rücken des Kassiers in 30 Zentimetern Abstand vorbei.“ Die zweite Kasse, meint Mestanza, hätte gesperrt werden müssen.
In kleineren Tutzinger Geschäften, aber auch in anderen geschlossenen Betrieben wie Gaststätten oder dem Kino "KurTheater" zeigen sich die Betreiber vielfach überzeugt, bessere Hygienemaßnahmen bieten zu können, als an anderen Stellen wie in Supermärkten oder S-Bahnen zu beobachten ist, für die die Schließungsverordnungen nicht gelten. Trotz größter Anstrengungen um gute Sicherheitsvorkehrungen fühlen sie sich vom Staat bestraft. Die Verärgerung darüber greift selbst bei den vielen spürbar um sich, die die Vorsichtsmaßnahmen wegen Corona generell für richtig halten.
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