Gemeindeleben
28.1.2025
Von Akademie für politische Bildung

Innerhalb kurzer Zeit könnte ein autoritäres System entstehen

Rede von Prof. Dr. Ursula Münch, Akademie für Politische Bildung, bei der 10. Tutzinger Lichterkette am 27. Januar 2025

M-nch7.jpg
Prof. Dr. Ursula Münch ist Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing © Akademie für politische Bildung

Heute vor genau 80 Jahren, am 27. Januar 1945, wurde das Vernichtungslager Auschwitz von sowjetischen Soldaten befreit. Was sie dort entdecken mussten, ließ die Welt den Atem stocken vor Abscheu und Entsetzen. Heute, am 27. Januar 2025, müssen wir uns vergegenwärtigen, wie Folgendes geschehen konnte:

Ein zwar durch massive Krisen herausgeforderter, zweifelsohne aber demokratischer Verfassungs- und Kulturstaat wie die Weimarer Demokratie wurde innerhalb überschaubarer Zeit und mit zum Teil offener, zum Teil stillschweigender Zustimmung weiter Teile der Bevölkerung abgelöst: Abgelöst durch ein sich rasch zum Totalitären aufschwingendes Regime, das Millionen von Menschen entweder für minderwertig oder zu Feinden des Systems erklärte und ihnen schrittweise alles nahm: ihr Vertrauen auf Mitmenschlichkeit, das von ihnen Erarbeitete, ihre Würde und schließlich häufig auch: ihr Leben.

Dieses Regime aus völkischen Nationalisten, radikalen Antisemiten und militanten Antikommunisten grenzte seine Gegner nicht nur aus, sondern verfolgte sie zum Zweck des eigenen Machterhalts unerbittlich. Diese Ungeheuerlichkeit intellektuell und emotional nachzuvollziehen ist schwierig genug. Aber: Dieses Nachvollziehen genügt nicht mehr.

Heute, genau 80 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz, müssen wir uns fragen: Könnte es im 21. Jahrhundert mitten in Europa passieren, dass Bekannte, Freunde, Arbeitskollegen oder Verwandte – und womöglich auch wir selbst – uns aufhetzen lassen und einreden lassen, dass es Menschen gebe, die weniger wert sind als man selbst oder als die Gruppe, der man sich zugehörig fühlt? Würde eine Mehrheit der Wählerschaft es zulassen, dass wir den Wert
des „Deutschseins“ und der deutschen Nation wieder „über alles“ setzen und „Juden raus“, „Muslime raus“ oder „Ausländer raus“ brüllen? Müssen wir uns darauf einstellen, dass sich das Misstrauen gegenüber unseren staatstragenden politischen Parteien und ihren Repräsentanten auswächst zu manifestem Misstrauen und schließlich zu einer mehrheitlichen Ablehnung unseres demokratischen Verfassungsstaates?

Ich bin durchaus zuversichtlich, dass diese Szenarien bei uns nicht eintreten werden. Sicher bin ich mir nicht. Selbst in unserer wehrhaften Demokratie sind gar nicht so viele Maßnahmen erforderlich, um einen demokratischen Verfassungsstaat in ein „illiberales System“ umzubauen – zumindest dann nicht, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung den etappenweisen Rückbau der unverzichtbaren Gewaltenteilung mitträgt: Man domestiziert die Medien, man unterwandert die Justiz, man schüchtert die Kritiker ein. Da entstünde dann innerhalb kurzer Zeit ein autoritäres System, in dem nicht nur den Minderheiten, sondern allen Andersdenkenden Benachteiligungen und Repressionen drohten.

Warum gelingt es den völkisch Gesinnten, Ängste zu schüren und eine Sehnsucht nach dem Autoritären zu wecken? In Krisenzeiten gibt es immer Krisenprofiteure. Sie sitzen auch in unseren Parlamenten und sie tummeln sich auf unseren digitalen Endgeräten. Krisenprofiteure wollen die großen Probleme, vor denen Deutschland und Europa stehen, nicht angehen und lösen. Im Gegenteil: Sie leben davon, dass die Angst zum Beispiel vor Anschlägen und vor Migranten immer mehr um sich greift. Sie wollen keine zukunftsfähigen Lösungen für die Probleme, sondern hoffen aus Machtstreben auf noch schlechtere Stimmung.

Verfassungsrechtliche Vorkehrungen und demokratische Gewohnheiten sind wichtig. Aber sie sind nur solange wirksam, solange wir diese schätzen und schützen.

Deshalb danke ich Ihnen, dass Sie hier in Tutzing aktiv für unsere freiheitliche Demokratie eintreten: Sie hat es verdient. Wir können und sollten täglich beweisen, dass auch wir sie verdient haben.

Anzeige
Friederich-Paul-1B.png
ID: 7484
Über den Autor

Akademie für politische Bildung

Feedback / Fehler melden